Auszüge aus einem Spiegel-Interview (26/1995)


Spiegel: Herr Muster, Sie sind mit Ihrem Sieg bei den French Open im Olymp des Tennis angekommen. Passen Sie in die Welt von Agassi und Becker?

Muster: In Paris ist ja nicht ein 17jähriges Wunderkind geboren worden. Mein Vorteil ist, dass mir das mit fast 28 Jahren, am Horizont meiner Karriere passiert ist. Ich weiß diesen Erfolg zu verkraften. Ich war in den elf Jahren viermal in den Top ten, aber auch schon mal Nummer 120. Aber ich bin sowieso kein Megastar wie Agassi.

Spiegel: Was trennt Sie von ihm?

Muster: Ich kann mich nicht geben wie eine Diva. Ich kann nicht jeden Tag der Öffentlichkeit einen Film vorspielen. Ich bin ein einfacher Mann, für den sich nichts ändert. Der Titel von Paris hat für mich nur eine sportliche Wertigkeit.

Spiegel: Fast jeder Sportler verspricht nach Siegen, er wolle der alte bleiben - kaum einem gelingt es. Ihre Autogrammstunden müssen bereits wegen Überfüllung abgebrochen werden.

Muster: Ja und? Dann gehe ich wieder nach Hause. Da bin ich emotionslos.

Spiegel: Ihre Hand- und Fußabdrücke mussten Sie in der Straße der Sieger in Wien hinterlassen, wo sich Idole wie Niki Lauda, Arnold Schwarzenegger oder Franz Klammer verewigt haben.

Muster: Ich bin trotzdem kein Nationalheld. Wenn ich jetzt mit Ohr- oder Nasenring auftreten würde, würden die Leute sagen: Es ist vorbei mit ihm, diese Stufe hat er nicht mehr geschafft.

Spiegel: Herr Muster, woher rührt Ihr Ehrgeiz?

Muster: Ich hasse es einfach zu verlieren. Ich bin ein Steher. Ich kann in Leistungsgrenzen in meinem Körper vorstoßen, die nahe an die Bewusstlosigkeit herangehen. Diese Dimensionen erreichen wohl nur wenige.

Spiegel: Sie haben 1989 schon drei Wochen nach einem schweren Verkehrsunfall wieder trainiert. Sind sie getrieben von Versagensängsten?

Muster: Die hat jeder Sportler. Aus diesen Negativimpulsen ziehen wir unsere Energien. Wer ohne Zweifel antritt und sagt: "Ich bin stark", der verliert.

Spiegel: Viele Sportler entwickeln ihre Motivation aus einem Minderwertigkeitskomplex.

Muster: Die meisten Stars kommen aus ärmlichen Verhältnissen. Der Sport nimmt ihnen die Existenzangst.

Spiegel: Das gilt auch für Sie?

Muster: Sicherlich. Ich kam mit 15 für drei Jahre auf ein Internat in der Wiener Südstadt. Das war für mich der größte Frust meines Lebens. Ich war der Kleinste, und ich kam aus einer Gegend, wo die Sprache in einen Dialekt ausartet.

Spiegel: Der Bub aus der Steiermark war in der Wiener Stadtjugend ein Außenseiter?

Muster: Absolut. Dazu hatte ich noch den Ruf, der Streber zu sein. Da war jede Trainingsstunde eine Befreiung: Ich konnte beweisen, dass ich besser war.

Spiegel: Gnadenlose Jugendliche haben Sie also bis zum French-Open-Sieg getrieben?

Muster: Oh, ich bin im Internat auch gnadenlos geworden. Da habe ich meine Härte gegenüber anderen entwickelt.

Spiegel: Wer Sie auf dem Platz rackern sieht, hat den Eindruck, dass es für Sie ein Lustgewinn ist, sich zu verausgaben.

Muster: Ich bin an sich ein fauler Mensch. Aber wenn ich auf dem Platz stehe, macht irgend etwas Klick - und dann ist es für meinen Trainer leicht, mich zu quälen. Ich verändere dort mein Wesen, ich werde aggressiver. Am meisten Spaß macht es zu sehen, dass ich dem Gegner körperlich überlegen bin.

Spiegel: Sind Sie der Beweis, dass man mit wenig Talent und penibler Arbeit Grand-Slam-Turniere gewinnen kann?

Muster: Arbeiten ist ein Talent. Die Fähigkeit, konstant 70 Prozent meiner Trainingsleistungen im Match umzusetzen, ist ein Talent. Und einer, der mit X-Füßen von der Straße dahergekommen ist, bin ich auch nicht gerade.

Spiegel: Dennoch gelten Sie als ein Profi, der sich nicht auf seinen Genius verlassen kann, sondern nach wissenschaftlichen Erkenntnissen arbeitet.

Muster: Ich wollte noch einmal nach ganz oben. Seitdem mache ich Bluttests, die mir sagen, welche Mineralstoffe fehlen. Und ich esse nicht mehr, was mir schmeckt, sondern was der Körper braucht. Diese totale Konsequenz unterscheidet mich von den meisten Profis.

Spiegel: Sie sehen sich als Nachfolger des Tennis-Asketen Ivan Lendl?

Muster: Als Typus schon. Lendl, aber auch Martina Navratilova, haben gezeigt, wie man sein Leben dem Tennis unterordnet, um das Optimum herauszuholen.

Spiegel: Lendl und Navratilova machten in ihrer Verbissenheit allerdings nie den Eindruck, glücklich zu sein ...

Muster: ...und ich habe Tennis auch lange als Zwang gesehen, der mir keine Freude erlaubte. Ich bin 1991 sogar ausgebrochen, habe nächtelang Alkohol getrunken, eine Schachtel Marlboro am Tag geraucht - und stürzte in der Rangliste ab. Mein Aufwärmprogramm war plötzlich meine Leistungsgrenze. Doch dann habe ich mit einem Psychologen, dem Vater meines Trainers, meine Motivationsprobleme gelöst.

Spiegel: Wie?

Muster: In einer Gesprächstherapie kamen verschüttete Dinge zutage: etwa, dass ich leichter Legastheniker bin. Wenn man weiß, woher Probleme kommen, kann man besser mit ihnen leben.

Spiegel: Auf der Couch überstanden Sie die Midlife-Crisis eines Profis?

Muster: Ich habe gelernt, Tennis als einen schönen Beruf zu verstehen und nicht mehr als Vergewaltigung.

Spiegel: Herr Muster, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.


 







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