Dieter David Scholz

Richard Wagners Antisemitismus. Jahrhundertgenie im Zwielicht. Eine Korrektur

191 S., Parthas Verlag. Erweiterte Neuauflage 2000.

Rezensionen


Manfred Eger: Wagner-Hitler-Holocaust?

Mit Fakten gegen Fiktionen - Zu einem Buch von Dieter David Scholz

Gegen die Meinung, daß ein gerader Weg von Richard Wagner zu Hitler und zum Holocaust führt, kämpfen Götter selbst vergebens. Mit der Beharrlichkeit eines Sisyphus geht Dieter David Scholz in seinem Buch „Wagners Antisemitismus“ dennoch gegen diesen Irrglauben an. Die 1. Auflage ist 1993 erschienen und entspricht seiner Dissertation, was umfassende Literatur- und Sachkenntnis, Gründlichkeit und Sachlichkeit in Urteil und Diktion verspricht - eine Erwartung, die nicht enttäuscht wurde.. Seit 2000 liegt das Buch in einer überarbeiteten und auf Grund neuer Forschungsergebnisse aktualisierten Neuausgabe vor. (Parthes Verlag, Berlin, 191 S.). Es ist das Vademecum optimum für jeden, der sich ernsthaft mit Wagners Antisemitismus befassen will.

Scholz will mit diesem Buch das noch immer schiefe, vor allem durch die Optik des Nationalsozialismus nachhaltig verfälschte Wagnerbild korrigieren, historische Mißver-ständnisse klären und wirkungsgeschichtliche Vorurteile aus der Welt räumen. Er zieht ein Fazit aus einer Fülle von Forschungsbeiträgen und Erkenntnissen und gibt einen auf Fakten und gesicherten Quellen basierenden Überblick über das Thema. Durch eine scharfe Trennung zwischen biographischen, konzeptionellen (werkimmanenten) und rezeptionellen (wirkungsgeschichtlichen) Aspekten schafft er eine wesentliche Voraussetzung für eine klarsichtige Betrachtung und Bewertung der in der Literatur oft wirr vermanschten Probleme.

Er verharmlost den Antisemitismus Wagners nicht, er verschweigt auch nicht die schrillen Ausfälle. Für die 1850 veröffentlichte Broschüre über „Das Judentum in der Musik“ und deren 1869 erfolgte Wiederveröffentlichung hat Scholz  kritische und scharfe Worte, wobei er auch die „Verharmlosungsstrategie“ namhafter  Wagnerianer, auch prominenter jüdischer Forscher wie Guido Adler, anprangert.

Das Pamphlet  machte es den Ideologen des Dritten Reiches nicht schwer, den Verfasser als prä-nationalsozialistischen Muster-Antisemiten zu propagieren. Scholz nennt eine ganze Reihe von Autoren, die Wagner den politischen Intentionen Hitlers dienstbar gemacht haben. Daß dieser der Welt glauben machen wollte, er habe Wagner als seinen Vorläufer empfunden, bezeuge - so Scholz - seinen Größenwahn und sein Unverständnis. Wenn Zelinsky behauptet, keiner habe die Botschaft Wagners fanatischer aufgenommen und furchtbarer erfüllt als Hitler, wäre ihm Brigitte Hamanns Buch „Hitlers Wien“ zu empfehlen, in dem die Autorin die eigentlichen Wurzeln von Hitlers Judenhaß eingehend bloßgelegt hat: Sie liegen bei den rüden antisemitischen Politikern und  sektiererischen Hetzern im Wien der Ära vor dem Ersten Weltkrieg, wie Karl Lueger, Georg von Schönerer oder Lanz von Liebenfels, wo schon Hakenkreuz und Heilrufe zu Hause waren. Wagner spielte für Hitler nur insofern eine Rolle, als er leidenschaftlich für seine Opern schwärmte. Er las auch seine Schriften. Wenn er aber von seinem Antisemitismus infiziert gewesen wäre, hätte er wohl kaum mit so vielen jüdischen Bekannten Umgang gepflogen und nicht für Gustav Mahler Partei genommen, den er als Wagnerdirigenten schätzte und der damals von den Antisemiten als Jude angefeindet wurde.

Als Hitler während der Bayreuther Festspiele 1939 seinen Jugendfreund August Kubizek in Wahnfried empfing und sie auf gemeinsam besuchte Wagneraufführungen in Linz zu sprechen kamen, rief Hitler: „Damals begann es.“ Diese von Scholz nicht erwähnte Episode wird oft so interpretiert, als habe Hitler schon als Pennäler Holocaustpläne geschmiedet. In Wahrheit hat er auf  den „Rienzi“ angespielt., der ihn in Linz zu halbnächtelangen visionären Monologen über das zündende Beispiel des Volkstribunen  hingerissen hatte.

NS-Prophet wieder Willen

Daß Wagner von den  Nationalsozialisten benutzt und zu ihrem Propheten zurechtgestutzt werden konnte, lag vor allem - wie Scholz ausführt - an Cosima, Houston Stewart Cham-berlain und ihrem Kreis, die Wagner  zum Religionsgründer eines germanischen, anti-semitischen, völkischen Christen- und Deutschtums stilisierten, indem sie wesentliche Elemente in  seinen  Schriften ignorierten, verzerrten oder gar ins Gegenteil verkehrten. Ihr Wagnerismus, so Scholz, sei nahtlos übergangen in die Wagnerexegese der National-sozialisten.

Die Usurpation Wagners durch die Ideologen des Dritten Reiches hatte zwangsläufig zur Folge, daß er nach 1945 nun auch  von der anderen Seite  mit dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen identifiziert wurde. Man bestrafte Wager dafür, daß er mißbraucht worden war. Teils wurde das Reizthema  mit einem Tabu belegt, verdrängt oder verharmlost. Andere taten  Wagner vollends in Acht und Bann. Der Autor registriert aber auch Kommentatoren, die das Thema schon früh ohne Scheu, kritisch und ideologiekritisch nach allen Seiten, unter dem Blickwinkel der jeweiligen historischen Bedingungen beleuchtet haben, bevor ab 1976 ein neuer Schub abfälliger, oft polemischer Literatur über Wagners Antisemitismus erschien.

Dutzendweise führt Scholz Autoren vor - von Adorno über Ludwig Marcuse, Erich Kuby. Bernd Weßling, Heinz-Klaus Metzger und  Klaus Umbach bis Paul Lawrence Rose - , die Zelinskys fixe Idee von Wagner als dem Vorläufer des Judenmörderes Hitlers oder von antisemitischen Tendenzen in Wagners Musikdramen vorweggenommen oder nachgebetet haben - Leute, die sich dabei weder durch widersprechende Fakten noch  durch des Fehlen jeglicher Belege beirren ließen und  lassen, sondern sich  mit einem gleichbleibenden Sortiment von Vorurteilen und Hypothesen begnügen: Ein Phänomen, vor dem jeder halbwegs intelligente Mensch kapituliert, wenn er sieht, wie hurtig und blindlings selbst respektable Leute bereit sind, das zu glauben, was sie glauben wollen, weil ideologische Scheuklappen ihnen die Sicht nehmen oder weil es  en vogue ist und sich gut verkauft. Scholz ist um seine Contenance zu beneiden, mit der er manche ihrer Absurdidäten kommentiert.

Kategorisch sagt der israelische Historiker Jacob Katz, der 1985 eine der - laut Scholz - „am meisten ernstzunehmenden Arbeiten“ zum Antisemitismus-Problem Wagners veröffentlicht hat:. Man müsse die Vergangenheit aus ihren eigenen Gegebenheiten verstehen und sich nicht von Tendenzen der Gegenwart bestimmen lassen. „Die Deutung Wagners aufgrund der Gesinnung und der Taten von Nachfahren, die sich mit Wagner identifizierten, ist ein unerlaubtes Verfahren.“ Und ebenso lapidar pflichtet Scholz ihm bei: „Wagner heute noch durch die Optik Hitlers wahrzunehmen, ist wissenschaftlich unhaltbar und, wofern gegen bessere Einsicht unternommen, auch immer moralisch infam.“

 

Denn welche Vorwürfe, die gegen den angeblichen präfaschistischen Antisemiten Wagner erhoben werden, sind wirklich stichhaltig? Greifen wir einen der meistbenutzten Angriffs-punkte aus dem Judenpamphlet heraus: Wagner spricht dort von der „Selbstvernichtung“ der Juden. Damit ist aber - liest man genau - keine physische Selbsttötung gemeint, sondern die Abkehr von Denk- und Lebensgewohnheiten, die einer gemeinsamen Erlösung von Juden und Nichtjuden zu „wahren“ Menschen im Wege stehen, nämlich zu Menschen, die nicht von Geld- und Vergnügungssucht beherrscht werden. Dies muß leider noch immer betont werden, weil manche Publizisten alles aus der Auschwitz-Perspektive beurteilen, was Jacob Katz als „Willkür einer rückgewandten Interpretation“ verurteilt. Aus guten Gründen stellt Scholz fest, der Wagnersche Antisemitismus sei zu einem Gutteil vorgefundener Marxscher Antika-pitalismus,
Was hat Wagner eigentlich zur Niederschrift seines Pamphlets veranlaßt? Diese Frage ist von einer fundamentalen kausalen Bedeutung. Scholz beantwortet sie mit einem Hinweis auf Jacob Katz, der tatsächlich den Kern trifft, wenn er mit Nachdruck die Hypothese vom Konkurrenzkampf als entscheidende Ursache des Wagnerschen Antisemitismus verficht. Die Verurteilung Mendelssohns und Meyerbeers sei nicht aus seiner anti-jüdischen Gesinnung herzuleiten sei, sondern umgekehrt, seine anti-jüdische Gesinnung werde erst aus der Rivalität mit den beiden Juden verständlich wird. Dazu siehe die im Kasten beigefügte Ergänzung:

„Dieses verfluchte Geschreibe...“

  Bei der Niederschrift seines Pamphlets ging es gar nicht in erster Linie um die Judenfrage. Wie gleichgültig sie Wagner  zunächst war, zeigt beispielsweise die Beziehung zu seinem jüdischen Pariser „Herzensfreund“ Samuel Lehrs und sein Sympathisieren mit der bürgerlichen Emanzipationsbewegung der dreißiger und vierziger Jahre. Anlaß war vielmehr ein persönlicher Ärger über den Pressewirbel, der um den „Propheten“ Meyerbeers gemacht wurde, während Wagner und seine Opern damals kaum noch erwähnt wurden. Im selben Jahr 1850, in dem Wagner seinen Aufsatz  veröffentlichte, erschienen in der „Neuen Berliner Musikzeitung“ 120 Artikel und Meldungen, die sich allein auf den “Propheten“ bezogen. Mit Ausnahme von drei Nummern gab es keine Ausgabe, in der Meyerbeer nicht erwähnt wurde.  Im selben Jahrgang der Zeitung findet man hingegen nur fünf Notizen über Wagner insgesamt, mit ganzen  29 Zeilen. Darunter zwei vier- und fünfzeilige Meldungen  über die Uraufführung des „Lohengrin“ einmal als „Lognin“ angekündigt, das andere mal abfällig und ohne Nennung des Komponisten abgetan.

 In einem Brief an Liszt vom 18.4.1851  rechtfertigte Wagner sein Pamphlet damit, daß er sich über das „verfluchte Geschreibe“ geärgert habe.; „und so platzte ich denn endlich einmal los!“  Auch die Honorare Meyerbeers weckten Wagners Ressentiment. Die Pariser Oper zahlte allein für die Aufführungsrechte des „Propheten“ 19 000 Francs, für Verlagsrechte erhielt er 44 000 Francs. Wagner bekam für die Weimarer Uraufführung des „Lohengrin“ ganze 600 Mark.

  Ein polemischer Beitrag seines Freundes Theodor Uhlig in der „Neuen Zeitschrift für Musik“ über den “hebräischen Kunstgeschmack“ erinnerte Wagner an die jüdische Abstammung, die Achillesferse Meyerbeers - und das bewirkte den Kurzschuß: Wagner hatte eine Zielscheibe, an der e r- nicht gerade nobel - seine persönlichen  Ressentiments abreagieren konnte. Das war die eigentliche Initialzündung zu seinem verhängnisvollen und folgenreichen Pamphlet und zu seinem Antisemitismus.
...

Der Aufsatz richtete sich also nicht gegen alles Jüdische an sich. Aber es nisteten sich - so Scholz - dabei Vorurteile ein, aus denen sich später - geschürt von Cosima - eine Juden-feindschaft entwickelte.

 

Antisemitische Musik?

Es ist eigentlich grotesk, daß man sich in einer ernsthaften Arbeit überhaupt noch mit Zelinsky befassen muß. Wer sich noch immer beifällig auf ihn beruft, exhibitioniert damit den Grad  sei-ner eigenen Kompetenz.  Scholz muß sich zwangsläufig sogar auf die „gegen den Rest der Welt“ behauptete These Zelinskys einlassen, schon Wagners Musik sei „Weltan-schau-ungsträger“. Ähnlich hatte sich allerdings schon Thomas Mann 1940 geäußert, der - entgegen früheren Einsichten - vorgab, das „nazistische Element“  auch in Wagners Musik zu finden. Scholz entschuldigt diese Bemerkung als Versuch des Emigranten, sein Gesicht als Antifaschist zu wahren. Auch allen nach 1945 aufgestellten Nazifizierungsversuchen fehlten Nachweise und objektive Kriterien; es handle sich um bloße „antifaschistische“ Affekte mit der Tendenz, alles, was im „Dritten Reich“ heilig war, als „nazistisch“ abzutun.

Geduldig blättert Scholz in den Partituren und Dichtungen vom „Holländer“ über den „Ring“ und die „Meistersinger“ bis zum „Parsifal“. Er prüft alle einschlägig Verdächtigten auf Herz und Nieren - vor allem Mime, Alberich, Beckmesser, Kundry . - und alle Verdächtigungen fallen zusammen wie  Spinnhttpen. Er findet im musikdramatischen Werk so wenig Spuren vom Antisemitismus Wagners wie auch Jacob Katz, nämlich keine.

Der „Vernichtungsschlag
Bezeichnend für Zelinskys Kompetenzquotienten war übrigens eine Fernsehsendung, in der er den von Wagner erwähnten „Vernichtungsklang“ der Pauke im „Parsifal“ als Indiz für Wagners Holocaust-Aktion anführte. Die Frage Hans Wollschlägers, ob er einmal die von Wagner gemeinte Stelle in der Partitur angesehen habe, mußte Zelinsky jedoch verneinen. Er mußte sich erklären lassen, daß dort die Pauke gar nicht vorkommt, sonder ihr Klang nur mit einem fünfmaligen Pizzicato angedeutet wir , vorgezeichnet mit „p“ und „Dämpfer“ - also eher ein Veratmen als eine Vernichtung - Schopenhauer, nicht SS. Trotzdem wiederholte Zelinsky  später in einer ungarischen Zeitschrift seine These, wobei er aus dem von Wagner erwähnten „Vernichtungsklang“ sogar einen „Vernichtungsschlag der Pauke“ machte.

Anders als in Wagners Bühnenwerken sind in seinen Schriften zahlreiche antisemitische Äu-ßerungen enthalten. Allerdings wäre es laut Scholz ungerecht, sie isoliert und aus heutiger Sicht zu beurteilen, ohne zu berücksichtigen, daß sie Teil einer beginnenden allgemeinen judenfeindlichen Zeitströmung waren. Dies macht er - ohne das „infame“, „gehässige’“ und „unverzeihliche“  Judenpamphlet zu beschönigen - in einem  differenzierten historischen Abriß deutlich. So, wenn  er etwa  Heinrich Treitschke zitiert (“Die Juden sind unser Unglück“) oder Paul de Lagarde, der die Juden mit Trichinen und Bazillen vergleicht, und Eugen Dühring, der die Angst vor einer „Weltverschwörung“ der Juden schürt. Daneben führt der Autor an die zwei Dutzend europäischer Vertreter der Weltliteratur vor, die zumindest zeitweise das antisemitische Feuer anfachten. Gar nicht zu reden von politischen Agitatoren, die eine Austreibung oder Ausrottung der Juden forderten und Hitlers Vernichtungsideologie in ganz anderer Weise vorwegnahmen und schürten, als Wagners Schriften dies vermocht hätten. Seine Äußerungen sind bedenklich genug. Aber sie unterscheiden sich grundlegend vom Rassenantisemitismus de Lagardes, Dührings oder Hitlers.

Ein Lernprozeß

Zudem registriert Scholz bei Wagner einen unverkennbaren „Lernprozeß“. Die scheinbar unversöhnliche Feindschaft mit ihren peinlich-bedenklichen Ausfällen wandelt sich  am  Ende zu einer einsichtsvollen Zurücknahme seiner Vorurteile und zu Sympathiebekundungen für jüdische Freunde. In den späten Schriften begegnet uns ein Wagner, der sich von der anti-semitischen Bewegung seiner Zeit ebenso distanziert wie von den rassistischen Argumenten Gobineaus, die nach Wagners Worten eine „schlechthin unmoralische Weltordnung rechtfertigten.“ Eine Bemerkung, die den NS-Ideologen ebenso schwer im Magen hätte liegen müssen wie die von Cosima notierte Bemerkung Wagners: „Wenn ich noch einmal über die Juden schriebe, würde ich sagen, es sei nichts gegen die einzuwenden, nur seien sie zu früh zu uns getreten, wir seien nicht fest genug gewesen, um dieses Element in uns aufzunehmen.“ Den „Parsifal“ bezeichnete Wagner selbst in diesem Sinn als sein „versöhnendstes Werk“ - also ausgerechnet  jenes Opus, in dem Zelinsky den Kulminationspunkt einer religiös-rassischen Vernichtungsideologie wittert.

Bei Cosima konstatiert Scholz - anders als bei Wagner - eine heillose Unbelehrbarkeit. In ihren Ansichten sei sie „gleichbleibend borniert, starr und unbeugsam“ gewesen, „christlich-religiös militant“, kategorisch so einfältig wie diffus“, was er mit  Zitaten belegt. Ihr Antisemitismus unterscheide sich erheblich von dem Richard Wagners. Sie habe dem völkisch-antisemitischen Wagnertum des Bayreuther Kreises den Weg bereitet, so daß Winifred Wagner leichtes Spiel gehabt habe, die Freundschaft Hitlers zu gewinnen.

...

Ausdrücklich hebt Scholz Cosimas Verdienste als Autorin der Tagebücher hervor, deren Quellenwert er trotz mancher Vorbehalte hoch einschätzt. Entschieden verteidigt er diese Dokumente gegen Zelinsky, der mit Blick auf Wagner behauptet: „Sie beseitigen den letzten Zweifel daran, daß das Judenproblem das zentrale Problem seines Lebens war.“ Mit der genauen Aufrechnung, daß dieses „zentrale Problem“ ganze anderthalb Prozent der Tagebuchnotizen ausmacht, markiert Scholz noch einmal den Glaubwürdigkeitspegel Zelinskys.

Das Buch gibt nicht nur Antworten. Es regt - wie man sieht - auch zu Fragen an. Warum - zum Beispiel - hat sich die Suche nach den Wurzeln von Hitlers Judenhaß derart auf Wagner konzentriert? Und warum werden unter den zahllosen antisemitischen Äußerungen, die von Prominenten überliefert sind, ausgerechnet die seinen plakatiert?  Diese Frage wird nie ganz geklärt, wenn man Nietzsche außer acht läßt. Der Tote war in der Weimarer Zeit äußerst lebendig und zum Mythos avanciert. Als Mentor und Lautsprecher der Wagnergegner hatte er das Klima der Intellektuellen und der Publizistik angeheizt,. Er hatte die Mär vom angeblichen Halbjuden Wagner suggeriert und damit das Motiv von dessen jüdischem Selbsthaß ins Spiel gebracht - eine Mystifikation, die Scholz  ebenso eindeutig widerlegt wie die Pointe einer vermeintlichen jüdischen Versippung von Cosimas Mutter. Vor allem hatte Nietzsche in seinen Schriften  mit unwiderstehlicher Penetranz auf den Antisemitismus Wagners eingetrommelt und sich selbst zum Anti-Antisemiten stilisiert, indes sein Freund Overbeck ihm bescheinigt, „daß, wo er ehrlich spricht, seine Urteile über die Juden allen Antisemitismus an Schärfe weit hinter sich lassen.“ Nietzsche hatte lediglich das Glück, keine Cosima zu haben, die jede seiner judenfeindlichen Äußerungen wörtlich für die Nachwelt aufzeichnete. Jedenfalls gewann Wagner als Nietzsches Lieblingstodfeind eine Bedeutung, die auch seinen Antisemitismus ins Überlebensgroße projizierte.

Zurück zum Buch: Scholz beweist eine Kompetenz, die man bei einigen Referenten der relevanten Symposien in Bayreuth und Elmau, zu denen er nicht eingeladen war, vermißte. Er hat mit hieb- und stichfesten Argumenten viele Vorurteile, Mißverständnisse und Manipu-lationen ein für allemal zurechtgerückt.. Aber auch er hat schon erfahren müssen, wie starr-sinnig manche Autoren auf ihren widerlegten Thesen beharren - getreu dem Leitspruch: „Belästigt mich nicht mit Fakten, meine Meinung steht fest!“.

(Veröffentlicht in „Festspielnachrichten“ (Die Meistersinger) 2002 zu den Bay-reuther Festspielen)

 


 

Richard Wagners Antisemitismus und kein Ende: spätestens seit dem Bayreuther Festspiel-Jubiläumsjahr 1976 wollen die Meinungsäußerungen, Buchpublikationen und Sym-posien über das Thema nicht abreißen. Damals hatte der Germanist  Hartmut Zelinsky mit großem Echo seine provokanten Thesen in die Welt gesetzt, Wagner sei ein entscheidender Vordenker der nationalsozialistischen Ideologie und ihres Judenvernichtungsprogramms gewesen., eine These, die er in den Folgejahren mit weiteren Publikationen bekräftigte. Manche sind seiner radikalen Lesart gefolgt, etwa der amerikanisch-jüdische Historiker Paul L. Rose oder Joachim Köhler, der sein 1997 erschienenes Buch geradezu in Verkehrung von Chronologie und Kausalität mit Wagners Hitler betitelte. Andere wollten Wagners antisemitische Äußerungen differenzierter sehen und mochten vor allem den Versuchen nicht folgen, auch Wagners Musikdramen monokausal als antisemitische Machwerke im Dienste einer geschlossenen Ideologie ihres Autors zu interpretieren.

Im allgemeinen Kampfgetümmel wurde eine 1983 erschienene Schrift über Richard Wagners Antisemitismus von Dieter David Scholz nicht hinreichend gewürdigt. Die damals bald vergriffene Publikation, die auf einer Berliner Dissertation von 1982 basierte, liegt nun in einer Neuausgabe vor, die bis auf kleine inhaltliche Aktualisierungen und Retuschen an der Glie-derung im wesentlichen unverändert geblieben ist.

Wer nicht bekennender Anhänger Zelinskys ist, findet hier eine analytische Darstellung des Wagnerschen Antisemitismus, der „in seiner vielfachen Bedingtheit“ und seinen „wider-sprüchlich-brüchigen Manifestationen“ untersucht wird, und zwar sowohl „entstehungs-geschichtlich als auch wirkungsgeschichtlich vor dem Hintergrund des aufkommenden moder-nen deutschen Antisemitismus im 19. Jahrhundert“. Dies gelingt Scholz auch überzeugend. Er arbeitet das Unsystematische an Wagners Äußerungen heraus, die Entwicklungen und Wandlungen, die Wagners Verhältnis zum Judentum nahm, und zieht eine klare Trennlinie zwischen Wagners Äußerungen (die sich zudem im Alter zunehmend mildern) und dem späteren nationalsozialistischen Rassenantisemitismus.

Warum gingen dann Hitler und Bayreuth im Dritten Reich dennoch eine enge Verbindung ein? Scholz vertritt die These einer „Usurpation Wagners durch den Faschismus“. Vorschub dazu leistete freilich Wagners Umgebung, zuvörderst Cosima, deren im Unterschied zu Wagner „bornierten und starren Antisemitismus“ Scholz als den eigentlichen Ausgangspunkt für die spätere Entwicklung sieht. Erst von ihr über Hans von Wolzogen, Houston Stewart Chamberlain und die Schwiegertochter Winifred führt dann der Weg der Wagner-Rezeption zu jener „Feuerkur“ für das Judentum, die Zelinsky und seine Anhänger für Wagners eigenes Projekt halten.“

Gerhard Dietel

(Neue Zeitschrift für Musik, Schott Vlg.  - Jan/Febr. 2001, S. 88)

 


Es kommt auf anderes an als auf Racenstärke

Freispruch für Richard Wagner - vom Vorwurf des Antisemitismus

DIETER DAVID SCHOLZ: Richard Wagners Antisemitismus  - Epistemata (Würzburger Wissenschaftliche Schriften, Reihe Literaturwissenschaft, Band 95), Verlag Königshausen und Neumann. Würzburg 1993, 218 S., DM 44 Mark

Nicht der Welteroberer, sondern der Weltüberwinder sei die größte Erscheinung der Welt-geschichte, sagte Schopenhauer. Wagners Parsifal, sein am tiefsten vom Philosophen des Mitleids und der Verneinung des Willens zum Leben geprägtes Werk, ist eine doppelte Zurücknahme: Parsifal überwindet den Drachentöter Siegfried, aber auch den an seiner Liebeswunde sterbenden Tristan. Der Anti-Held des „Weltabschiedswerks“ ist ganz aus dem Holz des Schopenhauerschen „Heiligen“ geschnitzt: Er erlöst die vom Lebenswillen (der nach Schopenhauer in den Genitalien seinen Brennpunkt hat) stigmatisierten Gestalten Amfortas und Kundry. Ausgerechnet Parsifal musste sich aber den Vorwurf gefallen lassen, das letzte Glied einer von dem Antisemiten Richard Wagner planmäßig ins Werk gesetzten religiös-rassistischen Vernichtungsideologie zu sein.

Die These Hartmut Zelinskys, zum ersten Mal 1976, zur hundertsten Wiederkehr der Bayreuther Festspiele präsentiert, beendete eine weitgehend zwischen Berührungsangst und Verharmlosungstendenz sich bewegende Nachkriegsphase der literarischen Ausein-an-dersetzung mit Wagners Antisemitismus und bildete zugleich den Auftakt einer Kontroverse, deren Turbulenzen bis heute sich nicht gelegt haben. Sie könnte jetzt, falls die Verachtung von Vernunft und Wissenschaft nicht schon zu weit fortgeschritten ist, beigelegt werden: In einer vorzüglichen Dissertation hat Dieter David Scholz das leidige Thema einer umfassenden Untersuchung unterzogen, die uns die Wagnerliteratur bisher trotz wichtiger Vorarbeiten (Dieter Borchmeyer, Carl Dahlhaus, Jakob Katz) schuldig blieb.

Scholz hält sich an die Forderung Hans Mayers: „Wer sich mit Richard Wagner abgibt, muß sich auf das Ganze einlasen.“ Dieses Ganze meint neben Wagners dramatischem Werk in seiner musikalisch-verbalen Doppelgestalt auch den meist zugunsten des Künstlers vernachlässigten Theoretiker, der wiederum nicht auf den Verfasser  des 1850 erschienenen und 1869 neu aufgelegten Pamphlets Das Judentum in der Musik einzuschränken ist. Zum „Ganzen“ gehört aber auch die Biographie und das Nachleben: die im Falle Wagners so überaus unheilvolle, mit dem „Bayreuther Kreis“ aufs engste verknüpfte Rezeptionsgeschichte. Scholz also lässt auf dieses labyrinthische Ganze sich ein.  Im Gegensatz zu Zelinsky legt er eine methodisch seriöse Analyse vor.  Ein gutes Stück weit hilft ihm dabei der Ariadnefaden der von der Forschung noch nicht konsequent ausgewerteten Cosima-Tagebücher.

Cosima ist freilich eine Helferin wider Willen: Ihr bornierter Antisemitismus hebt sich deutlich von Wagners Äußerungen ab, die sie gleichwohl gewissenhaft referiert. Deren Entwicklung führt „weg von einer unversöhnlichen Judenfeindschaft, hin zu einer versöhnlichen Haltung eines gewissen Verständnisses, der Anerkennung fast, und des Glaubens an Assimilierung, schließlich zur Hoffnung auf kulturelle „Regeneration“ im Geiste eines eigenwillig gedeuteten Christentums, an der auch die Nichtjuden teilzunehmen hätten“.

Ein wichtiger Beleg für dieses Urteil ist die Bemerkung, die Wagner am 14.2.1881 im Hinblick auf Gobineaus Rassenlehre gegenüber Cosima machte: „Daß die Menschheit un-tergeht, ist gar keine Unmöglichkeit; nur wenn man außer Zeit und Raum die Dinge betrachtet, weiß man, dass es auf etwas anderes ankommt, als auf Racenstärke, gedenkt man des Evan-geliums.“ Die von Schopenhauer (der in der Abwertung von Zeit und Raum auch in dieser Äußerung präsent ist) übernommene buddhistische Auffassung des Christentums bedeutet die Abkehr von Gobineaus Rassismus und findet im Parsifal ihren künstlerischen Ausdruck.  Er ist Wagners versöhnliches Schlusswort zu nahezu allen Themen seines Lebens, auch zum Antisemitismus: „Gobineau sagt, die Germanen waren die letzte Karte, welche die Natur auszuspielen hatte, Parsifal ist meine letzte Karte.“

Mit diesem aus Cosimas Tagebüchern gewonnenen Befund, der, wie gesagt, als Endpunkt eines Entwicklungsprozeses verstanden werden muß, gewinnt die Untersuchung ihre Evidenz: In Wagners Musikdramen finden sich keine Spuren des antisemitischen Giftes, und sein Weg als Theoretiker führt zur Absage an die antisemitische Bewegung. Der Schlusssatz dieser Studie war längst fällig, er sollte das letzte Wort in der Debatte sein: „Wagners heute noch durch die Optik Hitlers wahrzunehmen ist wissenschaftlich unhaltbar, und, wofern gegen bessere Einsicht unternommen, moralisch infam“

Albert von Schirnding

(Süddeutsche Zeitung v. 31. Juli 1993)


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