6 0 J A H R E
N A C H
J U D E N - P O G R O M
"Die Lügner sollen sich
entschuldigen!"
Von Henryk M. Broder und Claus-Christian Malzahn
Vor 60 Jahren verbrannten Bewohner des polnischen Dorfs Jedwabne in einem
Pogrom 1600 jüdische Mitbürger. Erstmals entschuldigte sich jetzt ein polnischer
Staatschef für das Verbrechen. Die Dorfbewohner leugnen es bis
heute.
|
|
|
Polens Präsident
Kwasniewski, israelischer Botschafter Weiss: "Worte, die von Herzen
kommen" | | Jedwabne -
Soviel große Welt an einem Tag hat Jedwabne noch nie gesehen: In dem
ostpolnischen Dorf, drei Autostunden von Warschau entfernt, wagte die polnische
Nation heute unter massiver Polizeipräsenz - pro Einwohner ein
Sicherheitsbeamter - einen Blick in den Abgrund der eigenen Geschichte. Hier
wurden, vor genau 60 Jahren, etwa 1600 Juden von ihren polnischen Landsleuten
zusammengetrieben und in einer Scheune am Dorfrand verbrannt.
Der Massenmord blieb weitgehend unbekannt, bis der polnische-jüdische
Historiker Jan Tomasz Gross im vergangenen Jahr das Buch "Nachbarn"
veröffentlichte, eine gründliche Recherche der Untat. Seitdem spaltet das Buch
die Nation. Während viele Intellektuelle, Liberale und Linke den Bericht zum
Anlass nehmen, sich mit der polnischen Geschichte endlich kritisch auseinander
zu setzen, wollen Antisemiten, Nationalisten und rechte Kleriker es einfach
nicht wahr haben, dass Polen im Zweiten Weltkrieg unter der deutschen Besatzung
nicht nur Opfer, sondern auch Täter waren.
|
|
|
Kranzniederlegung
am Ort des Verbrechens: "Wir entschuldigen uns
nicht" | | So klebten auch
heute in Jedwabne an manchen Häusern kleine Plakate eines Komitees "zum Schutze
des guten Namen Polens", auf denen zu lesen war: "Wir entschuldigen uns nicht.
Die Deutschen haben die Juden ermordet. Die Lügner sollen sich bei den Polen
entschuldigen." Ganz anders dagegen der Auftritt des polnischen Präsidenten
Aleksander Kwasniewski, der live im Fernsehen übertragen und von Hunderten
Journalisten aus aller Welt vor Ort beobachtet wurde. Der Postkommunist
entschuldigte sich - nicht im Namen des polnischen Volkes - sondern "in meinem
eigenen Namen und im Namen jener Polen, deren Gewissen durch dieses Verbrechen
belastet wird".
Der Bürgermeister reflektierte eher die Stimmung in seinem Dorf, als er zwar
die Opfer, aber nicht die Täter beim Namen nannte. Die Juden in Jedwabne hätten
unter "tragischen Umständen ihr Leben verloren", sagte der Bürgermeister, als
wären die Nachbarn bei einem Erdbeben oder bei einer Sintflut von der Erde
vertilgt worden.
|
|
|
Jüdischer Kantor
bei der Gedenkfeier: Nicht alle Angehörigen der Überlebenden wurden
eingeladen | | Dass dies
nicht so war, wissen wohl die Angehörigen der Opfer und die Überlebenden am
besten. 25 von ihnen waren von der polnischen Regierung nach Jedwabne eingeladen
worden, allerdings nur für zwei Tage. Und auch nicht alle Nachkommen waren
willkommen: So hatten sich nach SPIEGEL-Informationen Diplomaten des polnischen
Konsulats in New York geweigert, den Verwandten des inzwischen verstorbenen
Überlebenden des Massakers, Smuel Wasserstijn, nach Polen einzuladen. Smuel
Wasserstijn, so stand es unbewiesen in rechtsradikalen polnischen Blättern zu
lesen, soll nach dem Krieg KGB-Agent gewesen sein. Doch darauf gibt es bis jetzt
keinen "einzigen ernst zu nehmenden Hinweis", weiß Jan Tomasz Gross, dessen
Arbeit in weiten Teilen auf Wasserstijns Erinnerungen basiert.
|
|
|
Der Ort des
Verbrechens: 1600 Juden verbrannten in der
Scheune | | Die offizielle
Entschuldigung, die der neuen polnischen Außenpolitik geschuldet war, sprach den
Einwohnern nicht gerade aus dem Herzen. Unter einem grau bewölktem Himmel und
bei ständigem Nieselregen beobachteten sie trotzdem das ihnen aufgezwungene
Ritual. Kwasniewski wurde mit Pfiffen empfangen; Hunderte Zivilpolizisten waren
über das ganze Dorf verteilt, um Proteste erst gar nicht aufkommen zu lassen.
Ein polnischer Radioreporter fing mit seinem Mikrofon die Vox populi ein: Er
habe, erzählte er ziemlich frustriert, keinen Dörfler gefunden, der mit
Kwasniewskis Entschuldigung einverstanden war. Alle, die bereit waren sich zu
äußern, meinten, die Juden sollten sich bei den Polen entschuldigen.
|
|
|
Ein Gedenkstein,
der die Täter nicht beim Namen nennt: "Unter tragischen Umständen
ihr Leben
verloren" | | Mit dem
Gedenkstein, der bei der Feier eingeweiht wurde, werden die Jedwabner dennoch
leben können: Er macht weder Polen noch Deutsche für das Pogrom verantwortlich.
Für den israelischen Botschafter in Warschau, Schevach Weiss, scheint das
Kapitel Jedwabne seit heute abgeschlossen: Er bedankte sich beim polnischen
Präsidenten für dessen Worte, "die von Herzen kommen und zu Herzen gehen".
Nach der Feier, so hoffen die Bewohner, soll nun in Jedwabne wieder Ruhe
einkehren. Der Ort, in Polen inzwischen ein Synonym für Verbrechen und
Verdrängung, kann sich wieder in ein kleines Dorf mit einem schrecklichen
Geheimnis zurückverwandeln, über das nicht gesprochen werden darf. Nicht die
Juden, sie selbst, die Dorfbewohner, sehen sich 60 Jahre nach dem Massaker als
Opfer der Geschichte.
|