ALEKSANDR SOLZHENITSYN

("RUßLANDS LETZTER PROFET")

[Solzhenitsyn] [Solzhenitsyn]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
ES STEHT GESCHRIEBEN. . .
Große Schriftsteller des 20. Jahrhunderts

In Deutschland wird der 1918 in dem kleinen kaukasischen Mineralbad Kislowodsk [Sauerwasserhausen] geborene Aleksandr Isajewitsch zunehmend vergessen oder verdrängt. Das war noch vor nur einer Generation anders: Zur Zeit des kalten Krieges war er ein nützlicher Idiot, da er Anti-Kommunist war und man den "Archipel Gulag" und seine Fortsetzung, "Der erste Kreis der Hölle", so gut als Propaganda gegen das unmenschliche Sowjet-System verwenden konnte. Dabei war er - wie so viele in der Diaspora (das war der Kaukasus für die Russen immer und ist es bis heute geblieben) geborene - ein glühender Patriot, ja Nationalist. (Von ihm stammen Sätze wie: "Die Nationen sind der Reichtum der Menschheit, ihre kollektive Persönlichkeit. Das Verschwinden der Nationen, das Aufgehen der Völker im Schmelztigel der 'Weltzivilisation', würde uns nicht weniger arm machen, als wenn alle Menschen einander gleich würden, mit einem Charakter, einem Gesicht." Nein, er war alles andere als ein 'Weltbürger'; vielmehr hat er, so viel er in seinem Leben auch gereist ist, seine eigene kleine Welt immer mitgenommen, seine russische Welt - er hat sich nicht mal bemüht, als er später in die USA emigrierte, ordentlich Englisch zu lernen - wozu auch? War es nicht bis ins 20. Jahrhundert hinein üblich gewesen, daß sich die Immigranten ihre eigene Kultur, ihre eigene Sprache bewahrten?) Aber das störte vorerst noch niemanden; das nicht gerade als Freund der National-Konservativen verschriene Nobelpreis-Komitee verlieh Solzhenitsyn anno 1970, auf dem Höhepunkt seiner Popularität, sogar den Nobelpreis für Literatur (eine der letzten Entscheidungen jenes erlauchten Gremiums, die auch Dikigoros nachvollziehen kann). Doch nach dem Zusammenbruch der Sowjet-Union begann Solzhenitsyn Bücher zu schreiben, die den politisch korrekten Gutmenschen dieser Welt - vor allem den deutschen - furchtbar peinlich waren, da sie exakt mit dem übereinstimmten, was die Nazis schon 60, 70 Jahre zuvor gesagt hatten: Die Schöpfer des unseligen Sowjet-Systems waren vornehmlich Juden, und das dürfe man ihnen als anständiger Russe nie vergessen. Ja, liebe Leser, das ist historisch wohl wahr, auch wenn die beiden schlimmsten - Lenin und Stalin - allenfalls Halbjuden waren und auch wenn gerade die Juden in der SU furchtbar drangsaliert wurden. (Die Sowjets hatten halt beschlossen, die Intelligenz auszurotten - kein intelligenter Mensch kann Kommunist sein, auch wenn einige dumme, mit theoretischem Kram indoktrinierte "Intellektuelle" sich für intelligent halten mögen, da sie den Unterschied nicht begreifen -, und der gehörten wiederum überdurchschnittlich viele Juden an.) Doch wir wollen das Pferd nicht vom Schwanze aufzäumen, sondern an Solzhenitsyns Anfänge als Schriftsteller zurück gehen. "Ich aber beschloß, Lehrer zu werden." Mit diesen Worten kehrte Solzhenitsyn - wenn man seinem Erstlingswerk "Matrjonas Hof" glauben darf - 1953, nach Stalins Tod, aus einem Konzentrationslager in Kazachstan zurück. Und an dieser Stelle muß Dikigoros seinen Gedankengang gleich schon mit einem Exkurs unterbrechen.

Die Deutschen huldigen für gewöhnlich einer anderen - falschen - Transkription russischer Namen, wie "Alexander Solschenizyn" (ausgesprochen mit weichem "s", hartem "sch" und womöglich auch noch kurzen "i" - er würde sich kaum angesprochen fühlen!) und "Kasachstan" - oder gar "Kasakhstan". Aber man muß ja nicht jeden Unsinn mitmachen, und Dikigoros will kurz erklären, warum er es anders macht: Kazachstan schreibt er mit "z", da das wie ein weiches deutsches "s" gesprochen wird; das russische "z" transkribiert er mit "ts", und da das russische "x" für "ch" steht (übrigens immer hart gesprochen, wie im Deutschen nach a, o, u), schreibt er statt dessen "ks". Den zweiten Buchstaben des russischen Alfabets (das griechische "Wita", von den Deutschen meist falsch als "Beta" gelesen und als "Bätta" gesprochen, von den Russen als "wä") schreibt er auch am Wortende nicht "ff" oder "v" (obwohl es dort so gesprochen wird), sondern "w", das russische (und griechische) "f" genau so, und nicht etwa "ph"; das scharfe "s" - also den Laut, den die Deutschen "ss" oder "ß" schreiben, schreibt er "s" ("ss" nur, wenn es auch im Russischen doppelt steht); das zweite "g" in Garage als "zh". Das "y" ist ein "hartes i", das etwa wie in "Wirt" gesprochen wird, ganz leicht zum "ü"; das weiche "i" hat einen leichten "j"-Vorschlag. Das weiche "e" wird immer wie "je" gesprochen, Dikigoros erspart sich und den geneigten Lesern daher, es jedesmal mit zu schreiben, sonst müßte er Solzhenizyns Vornamen "Aljeksandr" transkribieren. (Das mag inkonsequent erscheinen, da er das "j" bei allen anderen weichen Vokalen mit schreibt; aber allein beim weichen "e" besteht keine Verwechslungsgefahr, da er das harte "e" als "ä" schreibt. Außerdem könnte er sonst keinen Unterschied machen zwischen einem bloßen "[j]e" und einem, dem tatsächlich ein echtes "j[i]" vorausgeht, wie in Solzhenizyns Vatersnamen.) Das harte "o" ist immer offen und hat, wenn es betont wird, einen leichten, "u"-Vorschlag; wenn es unbetont ist, spricht es sich wie ein kurzes "a". Das weiche "o" bereitet Ausländern beim Lesen für gewöhnlich die größten Schwierigkeiten, da es ebenfalls "e" geschrieben, aber "jo" gesprochen wird. (Nur in Ausgaben für Ausländer wird es "ë" geschrieben - Dikigoros tut das nicht, da er weiß, daß einige Browser das nicht darstellen können, sondern er schreibt "jo", also nicht "Potëmkin" und "Matrëna", sondern "Potjomkin" und "Matrjona"; da ein weiches "o" immer betont ist, wird das erste, unbetonte "o" wie "a" gesprochen, also "Patjómkin"). Das "s" vor "p" und "t" wird wie im Norddeutschen mit Stulpstiefeln über'n spitzen Stein gestolpert, nicht etwa vernuschtelt, pardon vernuschelt wie im "Hoch"-Deutschen. Im übrigen werden alle Laute - Vokale sowieso, aber auch Konsonanten, vor allem das stark gerollte "r" - möglichst lang gesprochen, auch "u" und "i" in geschlossenen Silben, wie bei Pūschkin oder Solzhenītsyn. Kurzum, Solzhenitsyn spricht sich in etwa "ß[u]olzhenietsün" aus, und, "Sascha" - die Kurzform des Vornamens - "ßāscha" (mit scharfem "s" und langem "a", nicht - wie die Deutschen sagen - "Zaschscha"). Exkurs Ende.

Nein, Solzhenitsyn beschloß nicht, Schriftsteller zu werden, und schon gar nicht Politiker, wie es dreißig Jahre vor ihm jemand anderes in seinem Erstlingswerk geschrieben hatte. Wiewohl beide gleichermaßen ihr Vaterland liebten, die Juden haßten, Frontsoldaten und EK-I-Träger waren (in der SU hieß es nur etwas anders), liegen doch Welten zwischen ihnen; denn der Deutsche und der Russe denken anders, und das gilt vor allem für den eigenwilligen Querkopf Solzhenitsyn, der die moderne russische Sprache in einem Maße beeinflußt, ja geprägt hat wie niemand mehr seit Lomonosow oder vielleicht noch Puschkin. Solzhenitsyn selber hätte, etwas bescheidener, gesagt: "seit Turgenew". Und er würde wohl ebenfalls bestreiten, daß er nicht nur Lehrer - allerdings nicht für Mathe und Fysik, was er studiert hatte, sondern eben für Russisch -, sondern auch Schriftsteller und Politiker geworden ist. Aber Dikigoros würde noch weiter gehen: Lomonosow mag ein Pionier gewesen sein, aber - wie notwendigerweise alle Pioniere - ein Anfänger und Amateur (im besten Sinne des Wortes, aber gleichwohl). Puschkin war letztlich nur ein unfertiger (um nicht zu sagen unreifer) Wanderer zwischen den Welten, von denen er die eine zu früh verließ, um in der anderen wirklich unsterblich zu werden. Und Turgenew war im Innersten seines Herzens gar kein echter Russe mehr, sondern fast ein Westeuropäer. Irgendwann werden auch andere als Dikigoros (an)erkennen, daß Solzhenitsyn der größte russische Schriftsteller aller Zeiten war.

Der deutsche Leser, der Solzhenitsyn nur aus Übersetzungen kennt, merkt das nicht, und auch der russische merkt es vielleicht erst jetzt, im Rückblick. Wo der Deutsche sagt: "Ich aber beschloß" sagt der Russe: "Mich aber gelüstete". Danach kann im Russischen (anders als im Deutschen) eigentlich kein Infinitiv stehen, geschweige denn "lehrerwerden", da es dieses Verb im Russischen ebenso wenig gibt wie im Deutschen. Aber Solzhenitsyn erfand beides: Den Infinitiv nach "gelüsten" und das Verb "lehrerwerden" gleich dazu. Nein, keine Zusammensetzung aus "Lehrer" und "werden", sondern eine Verbalisierung des Wortes "Lehrerschaft" - auf die Idee muß man erstmal kommen! (Korrekt wäre es gewesen zu schreiben: "Mich aber gelüstete [es] zur Lehrerschaft".) Wer ein wenig überdurchschnittliches Sprachgefühl hat, spürt, daß Solzhenitsyns sprachliches Denken nicht weniger revolutionär war als sein politisches - er, der immer als erzkonservativer russischer Patriot verstanden wurde (und sich wohl auch selber so verstand) warf die Syntax des Russischen über den Haufen, um sie - nach westlichem Muster! - zu erneuern. Was schreibt dagegen seine doofe Übersetzerin, pardon, die des Kindler-Verlags, in völliger Verkennung dieser sensationellen Tatsache: "Ich aber träumte davon, Lehrer zu sein." Nun, bei diesem Satz könnte man noch glauben, um politisch korrekt zu sein mußte jeglicher Anklang an den ominösen Satz "Ich aber beschloß, Politiker zu werden" ausgemerzt werden; aber man muß kein großer Fan der "russischen Seele" sein, um darüber zu stolpern, daß die gute Ingrid dieselbe überhaupt nicht verstanden hat, denn sie übersetzt zum Beispiel die Wendung: "Von [dem] einen Wort freute [sich] [meine] Seele" mit: "Allein der Name ließ das Herz höher schlagen." Ein höher schlagendes Herz bedeutet Eile, Hast und Streß (ja, liebe Leser, auch freudige Erregung kann Streß bedeuten - wie viele Menschen haben nicht schon bei einem Fußballspiel einen Herzinfarkt erlitten, aus Freude über ein Tor "ihrer" Mannschaft?); und wenn es etwas gibt, das der russischen Seele im allgemeinen und der Solzhenitsyns im besonderen ganz und gar nicht behagt, dann ist es eben das.

* * * * *

Dikigoros hat Solzhenitsyn in ein Kapitel seiner "Reisen durch die Vergangenheit" aufgenommen, das den Untertitel trägt: "Lebensreisen zwischen den Welten", und er meint damit nicht nur Reisende durch die reale Welt - über die schreibt er an anderer Stelle -, sondern solche zwischen den ideologischen Welten. Da scheint Solzhenitsyn auf den ersten Blick ein besonders weit und oft Gereister zu sein: Erst kämpfte er als braver Kommunist für Stalins UdSSR gegen Hitlers Deutschland, dann - nach den Erfahrungen im GULAG - emigrierte er in den Westen und wurde dort zum braven Demokraten; und schließlich - als die Sowjet-Union zusammen gebrochen war - kehrte er nach Rußland zurück und wurde zum Nationalisten. Auf den zweiten Blick könnte man das sogar noch genauer aufdröseln - und negativ definieren, wie das heute Mode ist: Im Zweiten Weltkrieg Anti-Fascist, danach Anti-Stalinist, aber nach der vorübergehenden Rehabilitierung unter Chruschtschow noch kein Anti-Kommunist - das wurde er erst in den 70er Jahren, als man ihn ins Exil trieb. Dort - erst in West-Berlin, dann in der Schweiz, und schließlich in den USA - wurde er zum Anti-Kapitalisten, und schließlich - nach seiner Rückkehr zu Mütterchen Rußland - zum Anti-Semiten. Aber je länger Dikigoros darüber nachdenkt, desto weniger überzeugt ihn diese These von der Irrfahrt zwischen den Ideologien. Könnte es nicht sein, daß Solzhenitsyn nie etwas anderes war als einfach nur ein Patriot, wie jeder anständige Mensch? (Nein, nicht wie jemand, der an allen ideologischen Ismen irre geworden ist und sich dann auf das zurück zieht, was ihm als einziges unveränderlich erscheint - wie z.B. George Orwell -, sondern als jemand, der seine Heimat liebt!) Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er nicht für den Sowjet-Kommunismus, sondern für sein Land - nicht umsonst spielte Stalin gekonnt auf der Klaviatur des "Großen vaterländischen Krieges", um seine Untertanen auf Trab zu bringen. Und welcher anständige Russe wäre ihm da nicht gefolgt? Hitler wollte die Sowjet-Menschen vom kommunistischen Joch "befreien"? Das mochten die Randvölker glauben, die ihrerseits von den Russen unterjocht wurden, aber doch nicht die Russen selber! Und diejenigen, die es glaubten, waren blind für die Lehren der Geschichte, die lehrt, daß es noch immer besser ist, erst den äußeren Feind zu besiegen und sich dann gegen die inneren Tyrannen zu wenden - die letzteren mit ausländischer Hilfe zu beseitigen, hat fast immer zu noch schlimmerer Unterdrückung geführt als es die so gestürzte Diktatur war. (Das müßtet Ihr doch wissen, liebe ältere deutsche Leser: Die Tyrannei der alliierten Besatzer war hundertmal schlimmer als die der Nazis, qualitativ und quantitativ - und Ihr seid sie bis heute nicht los, während Hitler & Co. längst tot wären, wenn Ihr Deutschlands Feinde mit Erfolg abgewehrt hättet!) Und überhaupt, wie schon der große jüdische Reiseschriftsteller Richard Katz nach einer Reise durch Niederländisch-Indien bemerkte: Den Kanaken ist selbst die Tyrannei des grausamsten eingeborenen Sultans hundertmal lieber als die Herrschaft des mildesten niederländischen Gouverneurs. Und wenn sie der erstere ausbeutet, um in Prunk und Luxus zu schwelgen, dann erfreuen sie sich daran, denn etwas von den Glanz fällt ja auch auf sie zurück, seine Untertanen - "und mal ehrlich, denken wir nicht im Grunde genommen genauso?" Welcher Glanz fällt dagegen vom Panzer einer ausländischen Besatzungsmacht? Eben. Und "Demokrat" und "Kapitalist" ist Solzhenitsyn nie gewesen. Er ging nicht in den Westen, weil es ihm dort so gut gefallen hätte, sondern weil die Sowjets ihn 1974 dazu zwangen, indem sie ihn des Landes verwiesen - wer sonst hätte ihn aufgenommen? Glücklich ist er dort nie geworden; er vermißte in jenen zusammen gewürfelten Gesellschaften aus "Staatsbürgern" und Konsumenten nicht nur die Volksgemeinschaft - die er in erster Linie als Zusammengehörigkeitsgefühl gegen die Obrigkeit verstand -, sondern auch die Hilfsbereitschaft der Armen, die Tugenden der Genügsamkeit und Bescheidenheit - die in der Überfluß-Gesellschaft mit ihrem Konsumterror und dem Neid auf den Erfolg des Nachbarn so gar nicht gedeihen wollen - und vor allem den Glauben an Gott - Solzhenitsyn war Zeit seines Lebens ein frommer Christ, der stets mit Verachtung auf diejenigen blickte, die nur noch dem Götzen Mammon dienen. So zögerte er denn keinen Augenblick, wieder nach Rußland zurück zu kehren, sobald ihm dies wieder erlaubt wurde, mit all seinen Fehlern und Schwächen - das, liebe Leser, ist Patriotismus!

Nun hatte sich Solzhenitsyn auch im Exil schon eingehend mit der russischen Geschichte beschäftigt - das einzige, was dort paradoxerweise leichter war als in Sowjet-Rußland selber. Wenn man heute die gehässigen Rezensionen seiner - insbesondere jüdischen - Feinde - insbesondere in Deutschland - liest, könnte man meinen, da habe sich ein Dilettant auf ein Gebiet vorgewagt, von dem nun gar keine Ahnung hatte. Das Gegenteil ist richtig: Solzhenitsyn mag kein studierter Historiker sein; aber er hat die Quellen zu den Themen, über die er schrieb, sicher besser studiert als so mancher beamtete Professor für Geschichts-Wissenschaften, und er hat sie auch nicht schlechter ausgewertet. In Bezug auf seine früheren Werke - von der ersten Fassung des "August 1914" bis zu dessen Neubearbeitung und seinen Fortsetzungen in dem Monumentalwerk "Das Rote Rad" - hat das auch niemand ernsthaft bezweifelt; erst als er begann, über das die "Zweihundert Jahre" von 1795 bis 1995 zu schreiben, die Juden und Russen zusammen im Tsarenreich lebten (im eigentlichen Rußland gab es keine Juden; sie lebten nur im "Rayon", den polnischen, litauischen, weißrussischen und ukraïnischen Gebieten, welche die Tsaren dem ehemaligen Iagellonischen Reich abgenommen hatte), stach er in ein Wespennest, als wäre er unter die "Holocaust"-Leugner gegangen: Bereits nach Erscheinen des ersten Bandes anno 2001 wurde er wegen Dingen angefeindet, über die er erst im zweiten Band - der ein Jahr später erschien - schreiben wollte. Die Kritik reichte von so absurden Vorwürfen wie "hat den Quellen geglaubt, ohne sie an der herrschenden Meinung zu messen" bis "hat eigene Schlußfolgerungen gezogen" (statt die des Zentralrats der Juden und/oder des Simon-Wiesenthal-Centers abzuwarten?!?) - wie kann man nur aus der bloßen Tatsache, daß die "Macher" der russischen Revolution überwiegend Juden waren, schließen, daß die Revolution von Juden gemacht wurde? Eben... Die Feinde Solzhenitsyns haben sich nicht entblödet, Bücher in Auftrag zu geben, die "beweisen" sollten, daß nur ungläubige Juden Revolution machten, während "fromme" Juden immer dagegen waren. Das stimmt - aber das hat Solzhenitsyn auch nie bestritten - das war ihm, der wie gesagt selber gottgläubig war, vielmehr eine Selbstverständlichkeit. Zu der leidigen Frage, die vor allem die Deutschen immer wieder aufs Tapet bringen, ob "die" Juden Täter oder Opfer waren, hat Dikigoros schon ein paar einleitende Worte geschrieben, und er tut das an anderen Stellen seiner "Reisen durch die Vergangenheit" ja auch schon; aber er wiederholt sich gerne noch einmal, da gewisse Leute das für so wichtig halten: Die Geschichte ist kein Wunschkonzert und auch kein Roman, in dem man die Akteure - seien es Völker, Volksgruppen oder auch nur Einzelpersonen - fein säuberlich in "Gut oder Böse", "Täter oder Opfer" etc. einteilen kann. Jeder Mensch tut mal Gutes und mal Böses, ist mal Opfer und mal Täter, und die paar Ausnahmen, welche die Regel bestätigen mögen, gehören sicher nicht nur einem Volk an. Konkret ausgedrückt: Juden zählten zu den treibenden Kräften der russischen Revolution; und Juden zählten zu ihren bevorzugten Opfern. Das hat auch Solzhenitsyn im Grunde genommen nicht bestritten; er hat nur das "bevorzugte" weg gelassen (das von Dikigoros stammt), und das hat man ihm sehr übel genommen. (Aber Dikigoros ist nicht sicher, ob er selber da richtig liegt - vielleicht weiß Solzhenitsyn das besser.) Ebenso wenig hat Solzhenitsyn bestritten, daß "die" Juden ohne Unterstützung durch "die" Russen schwerlich in der Lage gewesen wären, die Revolution zum Erfolg zu führen - es war also eine Gemeinschaftsarbeit, und die Schuld teilen sich beide Völker. (Ja, liebe BRD-Historiker, auch die Deutschen waren mit schuld - haben doch sie erst den Revoluzzer Lenin 1917 nach Rußland gebracht!)

Dies sind die Dinge, mit denen sich die vom Holocaust-Schuldkomplex geplagten BRD-Bürger vornehmlich herum plagen - aber für die Russen stehen sie schwerlich im Mittelpunkt des Interesses. (Es ist einfach eine Tatsache, daß die meisten Bolschewisten der ersten Stunde Juden oder Halbjuden waren - wer das als "neo-nazistische Propaganda" o.ä. abtut und heute noch bestreitet, macht sich außerhalb der BRD nur lächerlich; aber welche Schlußfolgerungen man aus dieser Tatsache ziehen kann/soll/muß, bleibt jedem selber überlassen - Dikigoros würde aus dieser Frage bzw. den möglichen Antworten kein Dogma machen.) Solzhenitsyn fragt vielmehr nach den Ursachen - was ihm oberflächliche Kritiker gerade absprechen: Hatten die Juden in Rußland nicht Recht, sich gegen das Tsarentum zu erheben, unter dem sie so litten, mit all den Pogromen, Diskriminierungen usw.? Das sollte man meinen, wenn man nur die oberflächlichen Erzeugnisse der sowjetischen Geschichtsschreibung liest; aber da ist Solzhenitsyn in eine Lücke gestoßen, indem er die offizielle Politik der Tsaren seit den "polnischen Teilungen" im 18. Jahrhundert (vorher gab es keine Juden im Tsarenreich - die lebten nur in Weißrußland und den Teilen der Ukraïne, die vorher zu Polen gehörten) sorgfältig untersucht. Was dabei heraus kommt, war schon Grund genug für die jüdische Medienmafia, über ihn her zu fallen: Es gab seitens des Tsarenreichs keine spezielle Unterdrückungs-Politik gegenüber den Juden, d.h. sie wurden nicht mehr unterdrückt als die nicht-jüdische Bevölkerung auch. Und die Pogrome? Nein, auch die waren nicht "von oben angeordnet", sondern tatsächlich Ausdruck spontaner Volkswut (wie berechtigt die auch immer gewesen sein mag) - das unterschied sie z.B. von der "Reichskristallnacht" im Deutschen Reich 1938. Es war also eine ausgesprochene Dummheit der revolutionären Juden, den Tsaren zu stürzen, denn - bittere Ironie der Geschichte -, die russische Revolution fraß erst ihre Eltern, dann ihre Kinder, d.h. unter dem neuen Sowjet-Regime wurden die Juden (und die Nicht-Juden, Anm. Dikigoros) schlimmer drangsaliert als je unter den Tsaren. Nur ein paar Wissenschaftler und Techniker, die man brauchte - auch im Osten gab es nützige Idioten! - durften weiter zum Ruhme der Sowjetmacht arbeiten (oder Schach spielen, aber das ist eine andere Geschichte :-), jedenfalls solange sie nicht aufmuckten, sondern sich brav ausbeuten ließen.

Exkurs. Darf Dikigoros zu diesem Thema ein paar Sätze aus den Memoiren eines garantiert unverdächtigen Zeitzeugen - Gregorij Klimow, Berliner Kreml - zitieren: "Bis in die jüngte Zeit hinein spielten die Juden eine wichtige Rolle in der sowjetischen Diplomatie... womit läßt sich erklären, daß ihnen jetzt die Tore der diplomatischen Akademie verschlossen bleiben? Vielleicht kann Stalin nicht verzeihen, daß in den Moskauer Prozessen der Jahre 1935-1938 der überwiegende Teil der Angeklagten Juden waren... Während unseres Rückzugs 1941 wurden die Juden aus den zu räumenden Gebieten nicht evakuiert, sondern ganz bewußt der Ausrottung durch die Deutschen überantwortet. Im Herbst 1941 erhielt fast keiner der Moskauer Juden die Erlaubnis zur Evakuierung. Als die Deutschen am 16. Oktober die Zufahrtsstraßen nach Moskau besetzten, suchten 'zigtausende Menschen ihr Heil in panischer Flucht - die meisten davon waren Juden. Während die Parteifunktionäre bereits planmäßig evakuiert waren, hatte die einfache Moskauer Bevölkerung weder die Möglichkeit noch den Wunsch (!) zu fliehen. Damals warf Stalin eine Abteilung NKWD als Sperre auf die Chaussee Moskau-Gorkij-Tscheboksara und befahl, jeden auf der Stelle zu erschießen, der ohne Evekuierungserlaubnis auf der Flucht angetroffen wurde... Die Folge: Hekatomben jüdischer Leichen zu beiden Seiten der Moskauer Chaussee." (Die natürlich nach dem Krieg alle mit aufs deutsche Konto gebucht wurden - und zwar gleich doppelt: einmal als "Kriegsverluste der Sowjet-Union" und einmal als "Opfer des Holocaust", Anm. Dikigoros.) Aber das ist ja keine sowjet-russische Besonderheit: Auch in Deutschland waren die schlimmsten anti-semitischen Schreibtischmörder - Reinhard Heydrich und Adolf Eichmann selber [Halb-]Juden. (Und wenn jemand meint, das seien doch im Vergleich zu Lenin und Stalin eher "kleine Fische" gewesen, darf Dikigoros daran erinnern, daß einige Historiker - wenngleich keine, die dem "Mainstream" angehören - durchaus ernsthaft die Meinung vertreten, auch Hitler und Göring seien zumindest Halbjuden gewesen.) Exkurs Ende.

Aber diese Ironie - die manch perversem Zeitgenossen eine Genugtuung sein mag - tröstete Solzhenitsyn nicht; er nahm die russische Revolution ihren Machern übel, den Juden (die nun mal in der Überzahl waren) wie den Nicht-Juden - ist das schon Anti-Semitismus? Auch zu dieser Frage hat Dikigoros schon an anderer Stelle geschrieben, aber er wiederholt sich erneut gerne: Es ist in letzter Zeit Mode geworden, zwischen bösen "Anti-Semiten" und braven "Anti-Zionisten" zu unterscheiden: Nicht wahr, wer - wie schon zu Sowjet-Zeiten - die "Aggression" der Israelis verurteilt, die es gewagt haben, sich in mehreren Kriegen gegen die Araber zu verteidigen, der ist doch kein Anti-Semit, im Gegenteil! Und all die Juden, die der SU den Rücken gekehrt haben, um nach Israel auszuwandern, sind doch eigentlich Fascisten, denn sie tragen ja zur Unterdrückung der armen Palästinser bei! (Und war das mit der Auswanderung nach Israel nicht überhaupt die Idee von Hitler und den Nazis, die sie mit dem Ha'avara-Abkommen angeleiert hatten, bis die Briten dem einen Riegel vorschoben?) Nicht umsonst kommen noch heute die meisten Feinde Israels nicht aus dem "rechten", sondern aus dem "linken" Lager. (Es sind diejenigen, die "Zionismus" - das Streben nach einem eigenen Staat der Juden im Nahen Osten - gleich setzen mit seinem genauen Gegenteil, dem - angeblichen - Streben der "Weisen von Zion" nach der Weltherrschaft der Juden, und damit die Köpfe so vieler Menschen vernebeln.) Und ausgerechnet diese linken Feinde des Staates Israel - darunter US-amerikanische Rabbis, wie sie auch an der "Anti-Holocaust-Konferenz" von Teheran teil genommen haben - sind dieselben, die Solzhenitsyn wegen seiner Bücher über die Geschichte der Juden in Rußland anfeinden!

Exkurs. Nun gibt es hart gesottene Anti-Semiten, die dahinter eine besonders abgefeimte Strategie "der" Juden vermuten: Jene Rabbis wollen nicht, daß die Juden den von ihnen zersetzten "Wirtsvölkern" den Rücken kehren und sich in Israel sammeln; sie sollen vielmehr dort bleiben wo sie sind - auch in Rußland - und dort weiter schmarotzen, Wirtschaft, Politik und Medien kontrollieren etc. etc. Mag sein, daß einige Rabbis so denken - aber kann man daraus auf die Motive derjenigen schließen, die sich entscheiden, nach Israel auszuwandern oder nicht? Doch wohl kaum. Dikigoros ist kein Jude, aber wie er bereits an anderer Stelle schrieb: Wäre er es, und wäre er noch ein junger Mann, dann würde er, wenn er die Möglichkeit dazu hätte, bestimmt nach Israel auswandern, egal ob das ein paar fetten, voll gefressenen Rabbis aus New York City paßt oder nicht - und wenn er in Rußland lebte, würde er sich von denen erst recht nichts sagen lassen. Er hat - selten, aber im Laufe der Jahre doch immer wieder mal - Israelis kennen gelernt, die voller Bitternis über den Verrat jener "anti-zionistischen" Juden in aller Welt waren, insbesondere denen in den USA, die ihnen in den Kriegen von 1967 und 1973 in den Rücken gefallen waren, bevor sie den Endsieg - von dem sie allesamt felsenfest überzeugt waren - gegen die Araber erringen konnten, was dem Nahen Osten den Frieden gebracht hätte, auf den wir heute noch warten... Waren diese Israelis also "Anti-Semiten"? Das können doch nur gewisse Linke glauben! Das schließt nicht aus, liebe Leser, daß Ihr gewissen Rechten, wenn sie Euch mit anti-israelischen Parolen kommen, die Frage stellen solltet, was ihnen lieber ist: daß die Juden bleiben wo sie sind - wo sie sich offenbar an ihnen stören -, oder daß man sie ermutigt nach Israel zu gehen und diesen ihren Staat dafür finanziell unterstützt. Und um ihnen das Maul zu stopfen, erwähnt ruhig, daß schon Hitler es sich große Summen kosten ließ, die zionistischen Siedlungsprojekte in Palästina zu fördern - s.o. -, und daß die BRD z.Z. mehr Geld an den Möchtegern-Staat Palästina zahlt als "Wiedergutmachung" an Israel. Exkurs Ende.

Es ist schon merkwürdig, daß Solzhenitsyn ausgerechnet wegen seines Buches über die Juden im Rußland des 18. und 19. Jahrhunderts so angegiftet wurde - waren das nicht olle Kamellen, bei denen sich niemand mehr persönlich augegriffen fühlen mußte? Hatte er nicht zuvor viel aktuellere Themen aus der Geschichte aufgegriffen und dazu weit drastischere Meinungen vertreten? Kaum war er in den USA angekommen, als er deren politische Führung scharf angriff, weil sie dem Druck der Straße, d.h. den linken Demonstranten nachgegeben und den "Vietnamkrieg" beendet hatte: Das sei ein Verbrechen gewesen, der 30 Millionen Menschen in Indochina das Leben gekostet habe. Das war starker Tobac - und niemand griff zur Keule der Zensur oder schlug sonstwie zurück; man ließ den Vorwurf einfach im Raum stehen, und dort steht er bis heute unwidersprochen. Darf Dikigoros den advocatus diaboli spielen? Seine langjährigen Leser wissen ja, daß auch ihm dieses Thema - immer noch - unter den Nägeln brennt. Waren es nicht Solzhenitsyns brave Russen - und ihre Sympathisanten im Westen -, die durch ihre Unterstützung des Vietcong die Katastrofe herbei geführt haben? Ja, das mag in der Anfangsfase so gewesen sein; aber zu Beginn der 60er Jahre schienen Südvietnam und seine Nachbarländer stabil und die kommunistischen Partisanen chancenlos zu sein. Erst als die USA den südvietnamesischen Präsidenten Diem ermorden ließen (schließlich war er ein böser "Diktator" - sagten jedenfalls ein paar fanatische buddhistische Mönche, denen Kennedy offenbar mehr glaubte als seinem katholischen Glaubensbruder Diem), bekam der Vietcong wieder Oberwasser, und erst danach eskalierte der Krieg. Das Verbrechen der USA bestand vor allem darin, ihn nicht mit der notwendigen Konsequenz zuende - d.h. zu einem schnellen, relativ schmerzlosen Ende - geführt zu haben (wie so viele Kriege nach 1945, von China und Korea bis Irāq und Afģānistān;), sondern just in dem Augenblick Waffenstillstand schlossen, als Nordvietnam zur Kapitulation bereit gewesen wäre - ein Versagen nicht nur der amerikanischen Politiker und der Militärs, sondern auch und insbesondere ihrer Geheimdienste. Kaum waren die Amis abgezogen, als die Kommunisten den Waffenstillstand brachen, und dann begann der Völkermord. Aber, liebe Leser, die Verbrecher Pol Pot und Sihanouk wurden nicht von Moskau ferngesteuert, sondern von Peking, und das zu einem Zeitpunkt, als Mao bereits tot war - auf den letzteren kann man das also nicht schieben. Die Russen können sich vielmehr auf ihre Fahnen schreiben, daß sie die Regierung Vietnams unterstützten, die Kambodja von seinen Henkern "befreite" und den darauf folgenden Angriff der Rotchinesen auf ihre Nordgrenze abwehrte. Solzhenitsyn wird das zweifellos so gesehen haben; und letztlich haben alle so viel Dreck am Stecken, daß niemand in Ost und West Interesse zu haben scheint, da mal etwas tiefer nachzubohren.

Aber auch der Vietnamkrieg ist vorbei, Kennedy ist tot, und die US-Wirtschaft hat aus der Niederlage den größtmöglichen Profit geschlagen, indem sie das von den siegreichen Kommunisten ruinierte Vietnam als Billiglohnfertigungsstätte mißbraucht; Schwamm drüber. Andere Kriege, zu denen sich Solzhenitsyn geäußert hat, dauern dagegen noch an, oder zumindest stehen die Besatzungstruppen noch im Lande. So klar wie sonst niemand von weltweitem moralischen Ansehen hat er den Angriff der NATO-Truppen auf Serbien verurteilt. Und wenngleich es außer Frage steht, daß die Serben den Krieg gegen ihre Nachbarvölker begonnen haben, somit in gewisser Weise selber schuld sind, so hat er doch auch diesmal wieder Recht. Nein, nicht mit dem etwas überspitzten Vergleich mit Hitler - die Nazis hatten Jugo-Slawien nämlich wesentlich vernünftiger aufgeteilt als es die NATO inzwischen getan hat -, aber doch im Ergebnis. Wer Dikigoros' Webseite über Die weiße Burg am blauen Fluß gelesen hat weiß, daß er auch an jenen Geschehnissen starken persönlichen Anteil nimmt - und vielleicht auch ein wenig besser informiert ist als der durchschnittliche Medienkonsument in Mitteleuropa. Ja, die Serben haben die Slovenen und die Kroaten angegriffen - aber für die letzteren haben die NATO-Staaten keinen Finger gerührt; erst für die Muslime in Bosnien und die - ebenfalls muslimischen - Albaner im Kosovo haben sie zu den Waffen gegriffen und einen Kreuzzug gegen die - immerhin christlichen - Serben durchgeführt, was man nur als verbrecherisch bezeichnen kann, zumal die Albaner mit Hilfe der Besatzungstruppen das serbische Christentum im Kosovo so gut wie ausgerottet haben.

Genauso dezidiert hat Solzhenitsyn im Konflikt um Tschetschnien Stellung bezogen: Während gewisse Narren im Westen die armen Muslime bemitleiden, die dort von den bösen Russen unterdrückt werden, hält er dagegen, was geschehen würde, wenn die Muslime auch dort an die Macht kämen. Und wieder hat er Recht. Es mag ja nicht schön sein, liebe Leser, was die Russen Jahrhunderte lang im Kaukasus und weiter östlich in ihren asiatischen Kolonialgebieten veranstaltet haben, aber man muß doch immer auch fragen, welches das geringere Übel ist. Hätte man das auch in Afģānistān rechtzeitig getan, dann wäre uns eine Menge Ärger erspart geblieben. Aber der Westen mußte ja die die braven "Freiheitskämpfer", die Tālibän, gegen die Russen unterstützen, nicht nur moralisch, sondern mit reichlich Geld und Waffen - und nun zeigt sich, gegen wen sie die wenden. (So wie die USA heute Länder wie Pākistān und Sa'udi-Arabien unterstützen und aufrüsten - sobald die Sa'udis und Musharraf gestürzt sind, werden sie sehen, was sie davon haben!) Hätte man die Russen machen lassen... Was, dann wäre denen ein strategisch wichtiges Gebiet in die Hände gefallen? Na wenn schon; immer noch besser als in den Händen der Muslime! Und immer noch besser, die Bodenschätze am Westrand des Kaspischen Meers befinden sich in der Hand der Russen als in der der Tschetschnier. Ohnehin befinden sich fast 90% der Energiereserven der Welt bereits in der Hand von Muslimen (Dikigoros erlaubt sich, Nigeria mit zu zählen, wo das Christentum binnen einer Generation ausgerottet sein dürfte - aber das ist eine andere Geschichte); und da der Westen es aus unerfindlichen Gründen versäumt hat, rechtzeitig auf die beste, billigste, sauberste und sicherste Energiequelle, nämlich die Kernkraft, umzustellen, wird ihn das noch schwer in die Bredouille bringen.

Exkurs. Dikigoros ist gefragt worden, ob er Solzhenitsyn denn so uneingeschränkt bewundere, daß er ihm in allen Punkten Recht gebe. Aber das ist eine unzulässige Verknüpfung. Ja, Dikigoros bewundert Solzhenitsyn sehr - wer ihn kennt, muß das einfach tun -, und er teilt viele seiner Auffassungen. Nein, nicht alle, aber gerade wegen derer, die er nicht teilt, bewundert er ihn umso mehr. Solzhenitsyn hat es verstanden, sich bis ins hohe Alter ein festes Weltbild zu bewahren und den Lauf der Geschichte einigermaßen schlüssig nach diesem zu interpretieren - etwas, woran Dikigoros (der von einem ähnlichen Weltbild ausgegangen ist) zunehmend irre geworden ist. Auch er glaubte einmal, daß alles Übel dieser Welt vom Marxismus alias Sozialismus alias Kommunismus her rührten, der die Völker verdorben hätte; und die These einiger unverbesserlicher Sozialisten, daß dessen schlechte Seiten lediglich durch die Exzesse gewisser Einzelpersonen in den Vordergrund getreten seien, hielt - und hält - auch er schlicht für Humbug: Mit Typen wie Lenin und Trotski wäre die Sowjet-Union nicht besser, sondern eher noch schlechter gefahren als mit Stalin, genauso wie das Dritte Reich mit anderen Nazi-Führern auch nicht besser, sondern eher noch schlechter gefahren wäre als mit Hitler & Co. Aber anders als Solzhenitsyn vermag Dikigoros nicht zu glauben, daß gewisse Ideologien von ungefähr bestimmte Völker "vergiften" können, wenn dafür der Boden nicht schon bereitet ist: Es war eben nicht so, daß die alten Russen nur brave Menschen waren, die keinen Tropfen Alkohol angerührt hätten, wenn die bösen jüdischen Schankwirte sie nicht dazu verführt hätten, die fromm an Gott glaubten und Väterchen Tsar liebten, der ihrerseits nur das Beste wollte für seine lieben Untertanen; vielmehr war das alte "Mir"-System im Prinzip eine Vorwegnahme der späteren Kolchosen und Sowchosen; die brutale Unterdrückung des Volkes - nicht nur der "leibeigenen" Bauern - durch Polizei, Militär und Geheimdienst, die fehlende Freizügigkeit usw., das alles gab es schon im 15. und 16. Jahrhundert, nicht nur unter Iwan "dem Schrecklichen", sondern auch unter seinen Vorgängern und Nachfolgern. Die Tsaren des 19. Jahrhunderts, denen Solzhenitsyn so ein gutes Zeugnis ausstellt, waren doch längst keine echten Russen mehr, sondern Ausländer vornehmlich - aber nicht ausschließlich - deutscher Abstammung, die längst den Kontakt zu "ihrem" Volk verloren hatten. Juden, Kommunisten und andere Agitatoren haben auch anderswo auf der Welt versucht, den Umsturz zu predigen - und an mehr als nur einem Ort ist ihnen das ja auch gelungen; aber nirgendwo mit so durchschlagendem, lang anhaltendem Erfolg wie in Rußland. (Merkt Ihr etwas, liebe Leser? Richtig: Auch Dikigoros teilt Solzhenitsyns Auffassung über die Voraussetzungen und Ursachen der russischen Revolution im Ergebnis nicht - freilich aus anderen Gründen als die meisten seiner Kritiker; denn diese Gründe würden den letzeren wahrscheinlich zu "völkisch" riechen, und deshalb sind sie ihnen Anathema.) Und niemand möge sich der Illusion hingeben, daß diese Voraussetzungen etwa für alle Zeiten weg gefallen wären; wenn ein Putin (der dem zornigen alten Mann übrigens für seine moralische Unterstützung in Sachen Tschetschnien sehr dankbar ist) erst einmal abgetreten ist und seine Nachfolger wirtschaftlich weniger erfolgreich sind als er, dann werden in Rußland wieder andere Profeten ihre Stimmen erheben, und die könnten erneut im Marxismus-Leninismus ihr Heil suchen, und darüber den ungleich wichtigeren Kampf, nämlich den gegen den Islām - den auszurotten die ach-so-atheïstische Sowjet-Union unverzeihlicherweise versäumt hat - vernachlässigen. Man braucht kein christlicher Profet zu sein, um die Katastrofe kommen zu sehen, die uns, den Nicht-Muslimen dieser Welt, darob droht. Die meisten von Dikigoros' Lesern werden sie noch miterleben. Exkurs Ende.

* * * * *

Zurück zu Solzhenitsyn. Selbst unvoreingenommene Leser, die keinen Grund haben, gegen ihn zu sein, weil sie weder Kommunisten noch Juden noch Tschetschnier sind, könnten fragen: Was ist denn nun an ihm über den Tag hinaus so Besonderes? Über den GULAG und andere Gefängnisse der SU haben doch andere noch viel eindrucksvoller geschrieben, von Waltraut Nicolas alias "Irene Cordes" (von deren 1942 erschienenem "Laßt alle Hoffnung fahren" - einem Buch, das unter Sowjet-Dissidenten bekannter war als unter Deutschen, da es 1945 in allen Besatzungszonen verboten wurde - Solzhenitsyn sich wahrscheinlich zum Titel für "Der erste Kreis der Hölle" hat inspirieren lassen, es ist nämlich eine Übersetzung von "Lasciate ogni speranza", dem Satz, den Dante über das Höllentor in seiner "Göttlichen Komödie" gesetzt hat) bis Anne Applebaum; über die Rolle der Juden in Rußland wird inzwischen auf einem viel höheren Niveau (quantitativ, nicht qualitativ :-) diskutiert; gegen das, was ihnen heute von rechten (und linken :-) Anti-Semiten vorgeworfen wird, ist die Frage, ob jüdische Schnapshändler vor ein paar Jahrhunderten den christlichen Russen mal ein oder zwei Gläschen zuviel aufgeschwatzt haben oder nicht, fürwahr müßig; und was die russische Sprache anbelangt: die kann uns doch egal sein, denn erstens hat sie seit dem Auseinanderbrechen der Sowjet-Union massiv an Bedeutung verloren (und durch das Aufkommen des Internets noch mehr), und zweitens hätten wir genug zu tun, um uns mit der Verhunzung Entwicklung der englischen und der deutschen Sprache zu befassen. Alles richtig, liebe Leser, alles richtig; und auch Dikigoros glaubt nicht, daß Solzhenitsyn mit einem der vorgenannten Punkte in die Geschichte eingehen wird. (Am wenigsten mit dem, der es am meisten verdient hätte, denn die Russen werden immer an Lomonosow und Puschkin als den "Machern" ihrer modernen Sprache festhalten. Aber damit befindet sich Solzhenitsyn in guter Gesellschaft: Auch die Italiener feiern als den Schöpfer ihrer modernen Hochsprache nicht Franz von Assisi, sondern den eben erwähnten Dante, obwohl dessen "Divina Commedia" viel jüngeren Datums ist als der "Cantico di Frate Sol" des ersteren, über den Dikigoros an anderer Stelle mehr schreibt.) Aber Dikigoros will auf etwas andere hinaus. Nicht umsonst hat er Solzhenitsyn in der Überschrift als "Rußlands letzten Profeten" bezeichnet. Vielleicht hätte er das noch etwas deutlicher formulieren sollen; denn Solzhenitsyn ist nicht irgendein russischer Profet, sondern der Profet des Untergangs schlechthin, und zwar des Untergangs der westlichen Zivilisation, der er die Hoffnung auf ein Überleben der weniger zivilisierten, aber dafür gesünderen russischen Lebensart entgegen stellt. (Da Solzhenitsyn seit seinen "Judenbüchern" in Deutschland zur Unperson geworden ist, hat dort kaum noch jemand zur Kenntnis genommen, daß er auch danach noch Geschriebenes veröffentlicht hat, z.B. das sehr west-kritische "Zwischen zwei Mühlsteinen" über sein Leben im Exil; für alle, die zu faul sind, das zu lesen, hat Dikigoros unter den Leseempfehlungen von "Es steht geschrieben" eine Besprechung verlinkt, die sich jeder antun kann, und die einige unbequeme Wahrheiten ins rechte Licht rückt, über die man sonst leicht hinweg lesen könnte.)

Dikigoros kann einige seiner westlichen Leser förmlich lächeln sehen: Was will denn dieser arme Irre? Wenn er all die großartigen Errungenschaften unserer Zivilisation, wie schnelle Autos und Flugzeuge, Radio und Fernsehen rund um die Uhr, Alkohol und andere Drogen nicht zu schätzen weiß, dann kann man ihn nur doch bemitleiden. Vielleicht hängen ihm die Trauben bloß zu hoch? Die Russen bringen es halt nicht auf ein ähnlich hohes Niveau - ob das nun am Kommunismus liegen mag oder nicht oder doch -; also macht er aus der Not eine Tugend und predigt "zurück auf die Bäume"... da wäre er ja nicht der erste, der sich lächerlich gemacht hat! Pardon, liebe Leser, aber so einfach ist das nicht. Solzhenitsyn predigt eben nicht "zurück auf die Bäume" oder "zurück in die Steinzeit" (über solche Prediger schreibt Dikigoros an anderer Stelle). Er ist kein Rousseau und auch kein Gandhi; er will die Menschen nicht wieder zu Jägern und Sammlern machen, die in Höhlen hausen; aber er glaubt halt, daß ein einfaches, beschauliches Leben auf dem Bauernhof besser ist als eine hektische Existenz in einem modernen Wolkenkratzer, und daß der Mensch auch ohne elektrischen Strom und Gas, Erdöl und Benzin auskommen kann - wie er es bis vor ca. 100 Jahren ja auch noch mußte, ohne daß man ihm darob gleich die Zivilisiertheit oder gar die Kultur hätte absprechen können. Das mag unbequemer gewesen sein als das Leben heute - aber wie lange mag der Mensch sich diesen Luxus leisten können? Was glaubt Ihr? Darf Dikigoros ganz offen sein: Er glaubt, daß er den Untergang dieser Zivilisationsform noch miterleben wird, denn wenn es einmal losgeht, dann wird es nur wenige Woche brauchen bis zur Götzendämmerung. Nein, er will nicht das "worst-case"-Szenario annehmen, etwa einen Krieg mit atomaren, biologischen oder chemischen Waffen oder auch "nur" begrenzte terroristische Anschläge mit solchen ABC-Waffen; aber stellt Euch doch mal vor, daß sich nur das wiederholen würde, was wir 1973 schon einmal hatten: Irgend jemand kommt auf die Idee, uns den Ölhahn zuzudrehen. Ihr meint, da ginge doch nicht so einfach, außerdem hätten wir ja Reserven und Alternativen; und zur Not würden wir halt mal wieder ein paar autofreie Sonntage einlegen? Ja, Pustekuchen! Unser Öl-Bedarf ist heute viel höher als damals, die Reserven sind geringer, und die Alternativen sind (nicht zuletzt Dank der Anti-Atomkraft-Lobby) gleich null. Stellt Euch nur mal vor, in Saudi-Arabien kommen diejenigen an die Macht, die Ihr "Islamisten" nennt, und es kommt von dort kein Erdöl mehr. Von woher sonst? Die Förderung im Irak ist so gut wie tot, die in Nigeria wird es bald ebenso sein, die Vorkommen in Indonesien sind erschöpft, der Iran würde sich einem Boykott sofort anschließen, und Venezuela dto. 14 Tage ohne Benzin, 14 Tage, in denen keine Lebensmittel mehr in die Millionenstädte gekarrt werden können, nach denen die vorhandenen Konserven aufgebraucht sind - was dann? Nein, die Menschen werden nicht verhungern; sie werden kämpfen, erst um die Lebensmittelvorräte der Nachbarn, dann um die Leichen, die bei den sich entspannenden bürgerkriegsähnlichen Kämpfen anfallen werden; denn der Versuch, "aufs Land" zu ziehen und dort die Bauernhöfe zu plündern, wird nur zu der erschreckenden Einsicht führen, daß auch dort kaum mehr etwas zu holen ist - denn mit dem Zeug, das da wächst, kann ja heute ernährungsmäßig niemand mehr etwas anfangen, von ein paar alten Omas mal abgesehen, und die werden bei den Kämpfen die ersten Opfer sein.

Das ist aber erst der Anfang. Nehmen wir mal an, daß der erste Schock vorbei ist, daß die Großstädte leer sind (die meisten ihrer Einwohner werden tot sein, der Rest "auf Achse", um irgendwo ein neues Leben anzufangen) und daß die Angehörigen der "westlichen Zivilisation" sich wieder auf ein Leben besinnen müssen wie es vor der großen Landfluchtwelle üblich war. Wer meint Ihr, wird darauf am besten vorbereitet sein? Richtig, diejenigen, die das Pech hatten, in rückständigen Ländern wie Rußland gelebt zu haben, die noch wissen, wie man Holz hackt (statt Heizöl zu bestellen), einen Ofen anmacht (statt eine Zentralheizung aufzudrehen), Wasser aus dem nächsten Brunnen holt (statt den Wasserhahn aufzudrehen) und dann aus alledem noch eine Suppe oder sonst etwas Eßbares zaubert? Ohne E-Herd, ohne Mikrowelle, ohne Kühlschrank, ohne ohne ohne... Hand aufs Herz, liebe Leser, wer von Euch könnte das noch? Wer von Euch hat noch ein Gärtchen, auf dem er Gemüse zieht oder gar einen Stall mit Tieren? Nein, Dikigoros meint keine Minitomaten, die man auf dem Fensterbrett züchtet (aber nur, wenn man in der Blumenhandlung jedes Frühjahr neuen Samen kaufen kann :-), denn stellt Euch vor: Pommes wachsen nicht in der Tiefkühltruhe, Rotkohl nicht im Glas und Sauerkraut nicht in der Blechdose! Dikigoros meint auch keine Zierfische und Wellensittiche, keine Schoßhunde und Hauskatzen - schon mit denen können die meisten Stadtmenschen von heute ja nicht mehr umgehen -, sondern Nutztiere: Ein Hund, der den Hof bewacht, eine Katze, die nicht darauf wartet, daß sie mit Whiskas oder Kittekat gefüttert wird, sondern Mäuse fängt, damit die uns nicht das - hoffentlich vorhandene - Getreide im Speicher wegfressen. Und Hühner, die Eier legen, und Gänse und/oder Enten, mit deren Daunen wir unser Bettzeug füllen - denn mit Chemiefasern ist dann nichts mehr -, Kühe, von denen wir Milch bekommen (aber wie? Melken geht ja noch, aber sterilisieren und weiter verarbeiten? Butter? Käse? Wißt Ihr, wie das geht?), Pferde, auf denen wir reiten und die uns den Pflug ziehen, und Schweine, wenn wir auch mal etwas anderes essen wollen als nur Gemüseeintopf; und um auch das noch zu erwähnen - da Solzhenitsyn ein begeisterter Angler ist (wie die meisten Russen) -: auch panierte Fischstäbchen wachsen nicht in der Pappschachtel!
(...)

Ihr meint, Dikigoros malt da nur den Teufel an die Wand? Nein, durchaus nicht, er will ganz im Gegenteil den advocatus diaboli spielen; denn alles, was er da geschildert hat, ist gar nicht so schlimm, wie es auf den ersten Blick aussehen mag; vielmehr wird der Mensch aus dem Verlusten der meisten "Errungenschaften" der letzten 100 Jahre in vielerlei Hinsicht beachtliche Gewinne ziehen, an die er fast gar nicht mehr zu denken wagt. Ja, es ist an der Zeit, Bilanz zu ziehen und uns zu fragen, was all dieser "Fortschritt" eigentlich wert war und wohin er geführt hat. Machen wir uns nichts vor: Der Zivilisations-Mensch der Gegenwart ist krank, sterbenskrank, an Körper und Geist. Er weiß nicht mehr, wie es ist, frische, saubere Luft zu atmen (das gilt nicht nur für den Westen, sondern auch - und in noch viel höherem Maße - in den so genannten "Entwicklungsländer": in den Metropolen Indiens und Chinas erstickt man förmlich vor Luftverschmutzung), in sauberem Wasser zu baden (nicht in einer verchlorten, aufgeheizten Drecksbrühe), geschweige denn welches zu trinken (was aus unseren Wasserhähnen kommt, ist eine chemisch vergifteteaufbereitete Substanz, die man nur noch abgekocht verwenden kann), einen Augenblick der Ruhe zu haben (und nicht von morgens bis abends aus Lautsprechern berieselt zu werden, die den Lärm der Blechlawinen auf unseren Straßen übertönen müssen), sich gesund zu ernähren und zu bewegen (nicht im Auto, Motorboot oder Flugzeug, sondern zu Fuß, zu Pferd oder schlimmstenfalls per Ruderboot) und vor allem - ausreichend Schlaf zu bekommen, d.h. mit der Sonne ins Bett zu gehen und aufzustehen (das sind, je nach Breitengrad und Jahreszeit, 8-10 Stunden, die man und frau übrigens auch noch anders verbringen können als nur mit Schlafen :-) statt die halbe Nacht bei Kunstlicht vor dem Fernseher oder dem Computer zu verbringen und sich dabei die Augen zu ruinieren. Nein, der Mensch ist nicht dazu gemacht, sich jeden Morgen übermüdet ins Auto zu setzen, nur von einer Kanne Kaffee und vielleicht noch ein paar Tabletten aufgeputscht und dann den halben Tag vor dem Bildschirm zu sitzen, nur unterbrochen von einer kurzen Mittagspause, in der er irgendwelchen Mikrowellenfraß in sich hinein schaufelt, und abends mit Alkohol und Schlaftabletten nachspült...
(...)

Was - will Dikigoros etwa den ganzen Fortschritt der letzten 100 Jahre in Bausch und Bogen verdammen? Was wäre unsere Gegenwart ohne Rundfunk, Fernsehen und Internet, jene großartigen Informationsquellen, und wie wollte er seine Reisen unternehmen, wenn nicht mit Flugzeugen, Eisenbahnen und Kraftfahrzeugen? Und würde er in seinem Alter überhaupt noch leben ohne die Errungenschaften der modernen Medizin und Farmazie? Ist er da nicht verdammt undankbar? Also erstens, liebe Kritiker, wagt Dikigoros sehr am Wert der o.g. Informationsquellen zu zweifeln (vom Internet mal abgesehen, aber es ist nur eine Frage von wenigen Jahren, bis das genau wie alle anderen Medien zensiert, manipuliert und dazu mißbraucht benutzt wird, die die "Nachrichten"-Konsumenten zu verblöden), zweitens gab es Eisenbahnen auch schon vor 100 Jahren, ebenso Schiffe - auf Reisen bräuchte also niemand zu verzichten, und die wären dann zwar vielleicht nicht ganz so komfortabel, aber dafür umso informativer als die im Düsenschritt herunter gerissenen - aber das ist eine andere Geschichte. (Und selbst zum effektiven Kriegführen braucht es weder Bomber noch Panzer noch Raketen - das ging früher auch, mit viel weniger Aufwand; und die bis 1914 vorherrschende Hoffnung, die moderenen Waffen würden wenigstens die Kriegsdauer abkürzen, erwies sich als ebenso illusorisch wie die Hoffnung, das Vorhandensein von ABC-Waffen würde Kriege in Zukunft völlig unmöglich machen; seit 60 Jahren führen die Atommächte irgendwo auf der Welt Krieg - halt ohne ihre letzten Waffen einzusetzen; aber gestorben wird trotzdem, und das Sterben ist dadurch nicht "fortschrittlicher" geworden!) Und drittens glaubt Dikigoros auch nicht an die Errungenschaften der modernen Medizin und Farmazie. Einen Blinddarm konnte man schon vor 100 Jahren heraus schneiden; auf Herztransplantationen sollte man ebenso verzichten wie auf Silikon-Implantationen u.a. "Schönheits"-Operationen; und alle sinnvollen Arzneien gibt es auch in der Natur, d.h. außerhalb der Chemielabors (Ihr seht, Dikigoros zählt EPO und Viagra nicht dazu :-). Auch die viel gelobten Fortschritte in der "Hygiene" sind in Wahrheit ein Fluch: Die Menschen im Westen, die von klein auf in einer sterilen Umwelt aufwachsen, statt in Symbiose mit gewissen Bakterien und Viren, sind schwächlich und nicht mehr resistent gegen Krankheiten (wohlgemerkt: sinnvolle Impfungen gab es auch schon vor 100 Jahren - aber frau hat die Küche und das Bad nicht täglich mit der chemischen Keule "gesäubert"); und die Menschen in der "Dritten Welt" sind nicht besser dran, jedenfalls nicht qualitativ, sondern allenfalls quantitativ, d.h. der medizinische "Fortschritt" hat dort bloß zur Übervölkerung geführt - mit Individuen, die ebenso krank und unfit sind wie die im Westen. Warum schreibt Dikigoros eigentlich so hartnäcklich "im Westen"? Nun, weil es im Osten eben noch nicht ganz so schlimm ist - und deshalb hat Solzhentisyn ja auch die Hoffnung geäußert, daß die Russen am ehesten geeignet wären, zur alten, gesunden Lebensform zurück zu finden, denn an denen ist - "Dank" dem Kommunismus - der technische Fortschritt ja weitgehend vorbei gegangen. Ja, in Rußland gibt es außerhalb der Städte noch immer zahlreiche Menschen, die in Holzhäuschen leben, ohne fließend Strom und Wasser und Zentralheizung, dafür mit Plumsklo, Brunnen und Stall im Garten, wo sie etwas Gemüse ziehen und im Wald auf Vorgel- und Hasenjagd gehen. Und wenn die Flüsse im Winter mal nicht auftauen wollen, dann hacken sie ein Loch ins Eis, nehmen darin ein Bad (jawohl, das sind keine Warmduscher, die im Winter die Heizung und im Sommer die Aircondition so einstellen, daß die Raumtemperatur das ganze Jahr und rund um die Uhr gleichmäßig bei 25° Celsius bleibt, weil sie bei jedem Grad weniger oder mehr schon einen Schnupfen oder einen Hitzschlag bekommen!) und fangen sich ein paar Fische (richtig gesunde Fische, nicht das mit Hormonen voll gestopfte Zeug aus den norwegischen Massenzuchtanstalten). Und wenn sich mal ein seltener Gast zu ihnen verirrt, dann nehmen sie ihn herzlich auf, servieren ihm glitschiges Schwarzbrot mit stark gesalzenem Schmalz, bitteren Tee aus dem Samowar mit stark gezuckerter Marmelade und selbstgebrannten, stark alkoholhaltigen (nicht unter 60%) Fusel (wenn man Pech hat, rauchen sie dazu auch starken Tabak in selbst geschnitzen Pfeifen oder selbst gedrehten Glimmstengeln, aber da muß man halt durch :-) und tauschen Neuigkeiten mit ihm aus. (Wo bekommt man in Rußland schon mal Nachrichten aus dem übernächsten Dorf, geschweige denn aus dem Ausland; in den Zeitungen, im Rundfunk und im Fernsehen - wenn man denn über eine dieser Informationaquellen verfügt - liest, hört und sieht man doch eh nur dummes Zeug, verlogenes Politikergeschwätz aus der Hauptstadt, das niemanden interessiert - wie lautet gleich das Sprichwort: "Moskau ist fern!". Allerdings sollte der Gast nicht länger bleiben als drei Tage, dann beginnt er zu stinken, wie ein weiteres Sprichwort besagt :-) Ja, diese Menschen leben noch nach der Natur, von der Wiege bis zur Bahre. Sie werden zuhause geboren - nicht in der sterilen Klinik - und kommen auf die Welt ohne Ärzte und Kaiserschnitt (im Westen werden inzwischen fast mehr Menschen durch Kaiserschnitt geboren als ohne!), bisweilen sogar ohne professionelle Hebeamme. Sie leben ohne Übergewicht, haben keine Herzverfettung - geschweige denn Herzschrittmacher - und sterben zuhause, nicht im Pflegeheim, ohne künstliche Ernährung und andere Formen der Leidensverlängerung, wenn die Uhr abgelaufen ist, wie es die Natur vorgesehen hat - oder "Gott", wie Solzhenitsyn dazu sagt. (Er ist einer der wenigen berühmten Schriftsteller, denen Dikigoros ihre tiefe Frömmigkeit abnimmt - wenn man sie so versteht, kann man sie sogar teilen.) Und auf diese Menschen setzt er seine Hoffnung, auf die, die noch immer leben wie vor 100 - oder mehr - Jahren. Im Prinzip hat er da - um mit Radio Eriwan zu sprechen - auch recht. Der Ärger ist nur, daß es auch die Leute, die so noch "altmodisch" leben können, das nicht aus Überzeugung tun, daß dies eine vernünftige - vielleicht sogar die einzig vernünftige - Lebensweise ist, sondern weil sie aus der Not eine Tugend machen; schon ihre Kinder - und spätestens ihre Enkel - zieht es in die Städte, in die "moderne Zivilisation", die ja so viel bequemer ist (das gilt übrigens ebenso für Indien und China). Und die Geburtenrate der "echten" russischen Frauen sinkt in geradezu beängstigendem Maße; in den Moscheen der tartarischen Teilrepublik - wo die Frauen im Schnitt 7-mal so viele Kinder bekommen - wird bereits ganz offen darüber beratschlagt, was nach der in ein bis zwei Generationen zu erwartenden Machtübernahme durch die muslimische Bevölkerungsmehrheit in Rußland zu geschehen hat. (Ja, es gab nicht nur die jetzt selbständigen Turkrepubliken im Süden, sondern die Tsaren hatten sich auch im Osten jede Menge davon ans Bein gebunden - noch vor kurzem waren die Russen mächtig stolz darauf, wie sie z.B. im 16. Jahrhundert die Tartaren-Hauptstadt Kasan erobert hatten. Die Quittung bekommen sie heute oder morgen, spätestens übermorgen.) Solzhenitsyn müßte darob eigentlich verzweifeln, so wie ein Mishima Yukio verzweifelte, als er bemerkte, daß eine ganz ähnliche Entwicklung sich auch in Japan vollzog. Vielleicht verschließt er davor bewußt die Augen, oder er ist einfach nur optimistischer als Dikigoros :-)
(...)

Ihr seid anderer Meinung als Solzhenitsyn und Dikigoros, liebe jüngere Leser, und wollt Eure modernen technischen Errungenschaften nicht missen? Aber ist es nicht viel netter, abends Freunde, Verwandte und Bekannte persönlich zu sich einzuladen, miteinander zu sprechen, womöglich auch zu singen oder sonst zu musizieren (notfalls bei Kerzenschein - wer von Euch kann übrigens noch Kerzen herstellen? oder Schwefelhölzer? Die Trauzeugin von Frau Dikigoros tut es noch - aber das ist eine hoffnungslos verrückte Umweltfanatikerin), als nur miteinander zu telefonieren, SMS zu verschicken und dann den Videorecorder oder den MP3-player aufzudrehen? Oder mal selber auf den Sportplatz zu gehen (oder zu fahren - hoffentlich mit dem Rad, und nicht mit dem Auto!) und sich zu bewegen, statt nur in der Glotze zuzuschauen, wie andere Leute gegen den Ball treten oder einander die Boxhandschuhe ins Gesicht schlagen? Oder mal etwas Zeit zu investieren, um selber zu kochen und dann zu wissen, was man ißt, statt irgendwelchen Dreck in sich hinein zu stopfen, nur um ein paar Minuten Zeit zu "sparen", die man dann doch mit irgendwelchems Unsinn vergeudet?
(...)

(Fortsetzungen folgen)


weiter zu Mishima Yukio

zurück zu José María Gironella

heim zu Es steht geschrieben