Doppelte Moral in der NS-Bewältigung
Schmeling gut - Mölders schlecht?

von Klaus Hansen (Nation & Europa 4/2005)
(Anmerkungen u. Links von N. Dikigoros)

Immer öfter wirft die in Deutschland betriebene Vergangenheitsbewältigung Rätsel auf. Erst kürzlich ließ Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) den Beinamen "Mölders" aus dem offiziellen Namen des Luftwaffen-Jagdgeschwaders 74 in Neuburg an der Donau streichen. Nichts soll mehr an den erfolgreichen Wehrmachts-Jagdflieger Werner Mölders (1913-1941) erinnern. Begründung: Dieser sei 1938 in der "Legion Condor" gewesen, die im Spanischen Bürgerkrieg auf der anti-kommunistischen Seite gekämpft hatte. Irgendwelche Verbrechen werden Mölders nicht vorgeworfen; allein seine kurzzeitige Legionszugehörigkeit gilt heute als so schwerwiegender Makel, daß ihm aus Sicht des Verteidigungsministeriums jede Vorbildwirkung für Bundeswehr-Soldaten abgeht. Ein nach Mölders benannter Zerstörer war bereits 2003 (nein, bereits Ende 2002, Anm. Dikigoros) außer Dienst gestellt worden. Und an einer Kaserne im niedersächsischen Visselhövede wurde unlängst das Namensschild des Jagdfliegers abmontiert - allen Protesten aus der Truppe zum Trotz.

Stammgast bei Hofe

Zur gleichen Zeit stellte sich Strucks Parteifreund Otto Schily auf die Kanzel der Hamburger Michaeliskirche, um als Innenminister eine herzzerreißende Trauerrede auf Ex-Boxweltmeister Max Schmeling zu halten. Dieser war im Februar, 99 Jahre alt, auf seinem Gut südlich von Hamburg gestorben. Schily rühmte den Faustkämpfer als "Meister des Fairplay", der "auf den Trümmern des Militarismus zu einem zivilen Helden" geworden sei. Nicht alle Avancen der nationalsozialistischen Machthaber habe Schmeling zurückgewiesen, räumte Schily ein, dennoch habe er "Rückgrat und Zivilcourage" gezeigt.

Fraglos war Schmeling ein vorbildlicher Sportsmann, auf den Deutschland stolz sein kann. Allerdings hatte er zur Spitze des Dritten Reiches ein persönliches und politisches Nahverhältnis, wie man es dem jetzt verfemten Mölders kaum nachsagen kann. Schmeling und dessen Ehefrau Anny Ondra gingen bei Hitler, Goebbels, Göring und anderen NS-Größen ein und aus, und zwar nicht nur bei offiziellen Empfängen, sondern auch ganz privatissime. Man mochte sich, hatte die gleiche Wellenlänge. Unzählige Photos und Tagebuch-Eintragungen der Beteiligten bezeugen das. Der Boxer war Ehrengast fast sämtlicher NS-Parteitage in Nürnberg, auch 1935, als dort die Rassengesetze verabschiedet wurden.

"Wenn der Führer uns braucht..."

Im Frühjahr 1938 rief Schmeling in einer persönlichen Erklärung dazu auf, bei der Volksabstimmung über den Anschluß Österreichs mit Ja zu stimmen: "Der Führer ist ein Freund des Boxens, weil es den ganzen Mann erfordert. Unter seiner Förderung nahm der deutsche Boxsport den Aufschwung zu höchster Weltgeltung. Alles, was zwischen den Seilen sich ereignet, interessiert ihn. Kann es für uns Sportler daher überhaupt eine Frage geben, ob wir uns hinter ihn stellen, wenn er am 10. April uns braucht? Wie ein Mann geben wir ihm geschlossen unsere Stimme!" Über 99 Prozent waren es dann, im Altreich ebenso wie in der Ostmark. (Das lag wohl kaum allein an Schmelings "Erklärung", Anm. Dikigoros) Auch bei Pressekonferenzen im Ausland bekannte sich Schmeling zum NS-Staat, so im August 1936 in den USA, als er nach dem Sieg über Joe Louis betonte, daß "Hitlers Inspiration, mehr als alles andere, uns zu Höchstleistungen anspornt". Bei den Spendensammlungen des NS-Winterhilfswerks stand er mit Hitler und Goebbels oft in erster Reihe.

1941 nimmt Schmeling als Fallschirmjäger an der Eroberung Kretas teil, wird verletzt, zum Unteroffizier befördert und mit dem Eisernen Kreuz, I. und II. Klasse, ausgezeichnet. Danach macht er Truppenbetreuung. Die Zeitschrift "Boxsport" vom 3. November 1941 zeigt ein Photo, wie Schmeling uniformiert in einem Boxring steht und dem Publikum den Hitlergruß entbietet. (Dieses Foto ist Dikigoros unbekannt - und auch im ursprünglichen Artikel ist es nicht abgebildet; alle anderen Bilder des Artikels sind allgemein bekannt, Dikigoros hat sie daher entfernt.) Im gleichen Monat stürzt Ritterkreuzträger Werner Mölders nach 115 Luftsiegen tödlich ab.

"Nie ein Idol gewesen"

Was Schmeling nach 1945 veranstaltete, um seine frühere Regimenähe zu verschleiern und in eine gut getarnte Widerstandshaltung umzumünzen, zählt nicht zu den stärksten Kapiteln im Leben dieses sympathischen Vorzeige-Athleten. Man mag es damit entschuldigen, daß in den ersten Nachkriegsjahren eine brutale Entnazifierungswelle durch Deutschland lief, bei der es für manche um Leben und Tod ging, für viele zumindest um die nackte Existenz.

Schmeling wollte überleben und an seine frühere Karriere anknüpfen. Deshalb bestritt er skurrilerweise, in Deutschland vor 1945 überhaupt populär gewesen zu sein: "Ein Idol der Nazijugend bin ich nie gewesen, konnte es nie sein." Denn er habe "keine Gelegenheit versäumt, in meinem Kreis anti-nationalsozialistisch zu wirken". Bei den zahlreichen Tete-à-Tetes mit Hitler und Goebbels hat dies offensichtlich nicht gefruchtet.

Politik und Medien der Bundesrepublik nahmen Schmelings Beteuerungen gern entgegen; denn irgendwie brauchte man ja Sportler und Unterhaltungskünstler, um dem deutschen Volk über die politische Zäsur mental hinwegzuhelfen. Während die "Entnazifizierung" bei bekannten NS-Politikern, mitunter aber auch bei "kleinen Fischen" erbarmungslos zugriff, blieben Prominente aus Sport und Spiel zumeist unbelangt, weil ihre Verfolgung beim Publikum womöglich Solidaritätseffekte ausgelöst hätte. Leute wie Schmeling verfügten über weitreichende Popularität. Man war froh, sie für das neue Regime vereinnahmen zu können - auch mit verspäteten Anti-NS-Bekundungen.

Braunes Getränk

So entstand nach und nach der Eindruck, daß außer Hitler, seinen Paladinen und ein paar einfältigen Mitläufern eigentlich niemand "dabei" war, schon gar nicht ein so famoser Kerl wie "Maxe" Schmeling. Der strickte in gleich drei Autobiographien weiter an seiner Anti-NS-Legende, erhielt das Bundesverdienstkreuz samt Goldenem Stern und machte als Coca-Cola-Abfüller ein Riesenvermögen.

Der US-Getränkehersteller hatte im Dritten Reich so manche NS-Großveranstaltung gesponsert und war 1939 bereits mit 43 Produktionsstätten in Deutschland vertreten. Der damalige Vertriebschef Max Keith wird von US-Historikern als "Nazi-Kollaborateur" beschrieben. Weil auch Coca-Cola-Oberboß James Farley den Boxer noch von früher kannte, wurde dessen Bitte um eine Abfüllkonzession 1957 erfüllt. Das glich einer Lizenz zum Gelddrucken. Es spricht für Schmeling, daß er als Mäzen und Spender einen beträchtlichen Teil seines Reichtums für wohltätige Zwecke ausgab.

Er hat sich um unser Land verdient gemacht", rief nun Otto Schily dem deutschen Box-Idol nach. Daran gibt es nichts zu deuteln. Um Deutschland nicht minder verdient gemacht hat sich aber auch Oberst Werner Mölders. Er galt als Idealtyp des Luftwaffen-Offiziers. Mutig, ritterlich, siegreich in 115 Luftkämpfen. Weil er so hohes Ansehen im In- wie Ausland genoß,

Wichtigste Behörde Deutschlands

Fast überall bei der Justiz muß gespart werden - nur nicht bei der "Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen" in Ludwigsburg. Sie bekam jetzt einen weiteren Staatsanwalt für Ermittlungen zur Verfügung gestellt. Bislang arbeiteten bei der Zentralstelle 18 Personen. Sie verbrauchten im vergangenen Jahr 1 076 900 Euro. Derzeit hat man in Ludwigsburg noch 23 ehemalige deutsche Soldaten als "Kriegsverbrecher" im Visier. Sie alle stehen im neunten oder schon zehnten Lebensjahrzehnt.

nutzte der britische Geheimdienst den Unfalltod des Fliegerhelden, um 1942 einen gefälschten Mölders-Brief als Flugblatt über Deutschland abwerfen zu lassen. Darin beklagte sich der Träger der Brillanten zum Ritterkreuz mit Eichenlaub und Schwertern angeblich über die Gottlosigkeit der Nationalsozialisten. Der britische Chefpropagandist Sefton Delmer räumte nach dem Krieg die Fälschung ein.

Hätte Mölders den Krieg überlebt, wäre er womöglich beim Aufbau der Bundesluftwaffe eingesetzt worden - wie andere ehemalige Wehrmachtsflieger auch, darunter solche, die bereits in der "Legion Condor" zu Ruhm und Ehre gelangt waren. Bis Ende der 1970er Jahre führten Ritterkreuzträger Verteidigungsbezirke, Brigaden, Divisionen und Korps der Bundeswehr, bekleideten die Posten von Inspekteuren und Generalinspekteuren oder waren in höchsten Nato-Verwendungen eingesetzt.

Kreta besser als Spanien?

Niemand vermag plausibel zu erklären, wieso der Fallschirmabsprung eines Max Schmeling über Kreta politisch korrekter gewesen sein soll, als der Einsatz von Werner Mölders in Spanien. Die "Legion Condor" war von der spanischen Militärführung zur Bekämpfung der kommunistischen "Internationalen Brigaden" angefordert worden. Sie unterstützte die Truppen von General Franco, der von 1936 bis 1975, international anerkannt, als spanischer Staatschef amtierte. Dagegen lag dem deutschen Balkan-Feldzug im April 1941 kein griechischer Hilferuf zugrunde; auch Kreta erbat keine Luftlandung deutscher Fallschirmjäger. Schmeling und seine Kameraden fielen gewissermaßen uneingeladen vom Himmel.

Auch wenn politisch-zeitgeschichtliche Vergleiche in aller Regel zu hinken pflegen, so machen sie in diesem Fall doch deutlich, daß die rot-grüne Bundesregierung bei ihrer Bewertung deutscher Militäreinsätze im Ausland extrem unterschiedliche Maßstäbe anlegt. (Das tat auch schon zehn Jahre zuvor die schwarz-gelbe Bundesregierung im Fall Dietl, der 1995 von Verteidigungsminister Rühe ins Orwell'sche Loch des Vergessens geworfen wurde, Anm. Dikigoros) Sich zu Schmeling zu bekennen und Mölders für traditionsunwürdig zu halten - das paßt nicht zusammen. Geradezu lächerlich macht sich überdies ein Bundesinnenminister, der einerseits mit Polizei und Verfassungsschutz hinter jedem unbedeutenden "Neonazi" herjagt, zugleich aber einem der namhaftesten Wahlkampfhelfer Hitlers ("Wir geben ihm geschlossen unsere Stimme!") bleibenden Vorbildcharakter zuweist. Erkläret mir, Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der Natur.


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