1859 dichtete der Student und Burschenschafter Heinrich Meyer zur Berliner "Schiller-Feier deutscher Burschenschaften":
Laut lassen wir in unsres Volkes Ruf
Auch unser Flehn zu Dir, o Schiller,
tönen;
Was Deine Lippe voll Begeistrung schuf,
Das klinge wieder
unter Deutschlands Söhnen:
"An's Vaterland, an's theure, schließ Dich
an,
Das halte fest mit deinem ganzen Herzen!"
Wie lang es lag in
dumpfem Schlummer, blutgen Schmerzen,
Dein Segen führ's auf eine
lichtre Bahn!
Als unser Volk wie todt zu Boden sank,
Da legtest
Du Dich auch zur Ruhe nieder,
Dem treuen Sohn rauscht jetzt des Volkes
Dank,
Froh jubelt jetzt der Bursch die alten Lieder:
"An's
Vaterland, an's theure, schließ Dich an,
Das halte fest mit deinem
ganzen Herzen!"
Der Spruch mag leuchten durch die Nacht gleich tausend
Kerzen
Und bräche auch die dunkelste heran!
O senke Deine Gluth
in unsre Brust!
Was Rhein wie Ostsee heute vor Dich sendet,
Das
bleibe treu bei Dir zu Ernst und Lust,
Von Deinem schönsten Wort nie
abgewendet!
"An's Vaterland, an's theure, schließ Dich an,
Das halte fest mit deinem ganzen Herzen!"
Laßt dieses theure Heiligthum uns nie
verscherzen!
Ein Hoch auf Schiller, Deutschlands besten Mann!
Ganz ähnlich hieß es bei Ludwig Mesunius, auch er ein Burschenschafter, über Schiller:
Er sang von Freiheit einst und Ehre
Von Vaterland und Lieb' und Recht,
Und Einheit, sie, die hohe, hehre,
Sang er dem kommenden Geschlecht.
Laßt nur des Ahnherrn mahnend Singen
Nicht klanglos uns geklungen sein,
Für's Vaterland laßt ernst uns ringen,
tief präg' die Lieb' zu ihm sich ein!
Aus Anlaß von Schillers 100. Geburtstag am 10. November 1859 feierten die
Burschenschaften in Berlin, Breslau, Stuttgart und Wien Kommerse und
begingen Fackelzüge. An allen deutschen Hochschulen und Universitäten wurde des Datums gedacht. Die in über 440 deutschen und 50 nichtdeutschen Städten stattfindenden Schillerfeiern waren nicht nur das größte Fest, das in Deutschland jemals zu Ehren eines Dichters gefeiert wurde, sondern bildeten "geradezu einen ... Auftakt im nationalen Denken" der "Deutschen wie ... Deutschösterreicher" und markierten "außerdem den Beginn neuer Gründungen von studentischen Korporationen". Sie standen zumeist auf den als "urdeutsche[r] Boden" interpretierten Werken des "deutschen Freiheitshelden", denn in "Schiller wurde der deutsche Dichter, der Freiheitsdichter, mit ihm das Deutschtum und die Freiheit selbst gepriesen".
Anfang November 1859 zog die gesamte Wiener Studentenschaft im Fackelzug zu Ehren Schillers vom Praterstern bis zum Josefstädter Glacis mit, "die
Universitätshörer mit rot-weißen, die Techniker mit blau-weißen" Bändern.
Hier zeigten die neugegründeten Verbindungen "zum erstenmal öffentlich
farbige Bänder und Mützen". Der Zug bewegte sich zwischen Soldaten mit
aufgepflanztem Bajonett, die aber nicht eingriffen, als die Studenten auf
dem Stefansplatz entgegen dem ausgesprochenen Verbot das "Gaudeamus igitur" anstimmten. Der Fackelzug ging in die österreichische Verfassungsgeschichte ein, da mit ihm eine Entwicklung begann, die über das Oktober-Diplom 1860 zum Februar-Patent von 1861 führte und den Anfang der konstitutionellen Monarchie in Österreich bezeichnet. Die Polizei duldete von jetzt an akademische Vereine und Korporationen.
Die Schillerfeiern von 1859 markieren einen nationalen Aufbruch und das Ende
der Reaktionsära nach der Revolution von 1848/49. Die habsburgische Regierung zeigte im Zuge der Niederlage im italienischen Krieg Nachgiebigkeit gegenüber nationalen und freiheitlichen Forderungen. Gleiches erwartete die deutsche Nationalbewegung von Preußen, wo Prinz Wilhelm, der spätere Kaiser Wilhelm I., Ende 1858 die Regentschaft für seinen erkrankten Bruder Friedrich Wilhelm IV. übernommen hatte. Die Einheit und Freiheit Deutschlands schien mit der Feier Schillers einen großen Schritt vorangekommen, in Breslau, Würzburg, Berlin und Wien entstanden die Burschenschaften neu.
Schillerworte wie
Nichtswürdig ist die Nation, die nicht
Ihr Alles freudig setzt an ihre Ehre!
oder
Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an
und halt es fest mit deinem ganzen Herzen!
Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft!
begriffen bereits Friedrich Ludwig Jahn und die Turnbewegung, der junge Theodor Körner - Schillers Patenkind - und die Lützower Jäger sowie die Gründer der Burschenschaft im Jahre 1815 als unmittelbare Handlungsanweisung. Friedrich Gottlieb Welcker, einer der wesentlichen Förderer der Gießener Burschenschaft, schätzte Schiller über alles. Er betrachtete es als eine seiner "Hauptaufgaben ..., in seinen Schülern deutsch-vaterländische Gesinnung" gegen die
französische Fremdherrschaft wachzurufen, was ihm nachhaltig gelang: Sehr
häufig erscheinen Schillers Verse in studentischen Stammbüchern, das
Jägerlied aus "Wilhelm Tell" war überaus beliebt.
In den folgenden Jahrzehnten erhielt Schiller eine besondere Qualität als
Einheits- und Freiheitsheld. Immer wieder kommt der Rütli-Schwur vor:
Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern,
In keiner Not uns trennen und Gefahr,
Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,
Eher den Tod, als in der Knechtschaft leben!
Seinetwegen werden Burschenschafter in Königsberg und Bonn zum Verlassen der
Universität gezwungen. Das öffentliche Singen der "Ode an die Freude" zieht in München, Tübingen, Rostock, Kiel und Göttingen polizeiliche Untersuchungen nach sich.
Als eine glückliche Fügung wurde stets betrachtet, daß Jena nicht nur Gründungsort der ersten Burschenschaft war, sondern neben Weimar auch eine von Schillers Wirkungsstätten. Vor allem Weimar stieg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als "Herz deutscher Kultur" zum Wallfahrtsort des deutschen Bildungsbürgertums und zum Symbolort des "geistigen Deutschlands" auf. Die Stadt war "geweihter Boden", wie die "Weimarische Landeszeitung" schrieb. Denn Weimar war "nicht irgend eine kleine Stadt; Weimar ist wie jene etwas verstaubte Ecke in jedes Deutschen Bücherhorte, wo die Klassiker stehen, die gesammelten Werke. In mancher Seele mögen sie einmal einen Winterschlaf halten, doch sie sind nicht tot, immer von neuem quellen und strömen aus ihnen hervor die deutschen Gedanken, die deutschen Hoffnungen und die deutschen Lieder." Zum 100. Todestag Schillers am 9. Mai 1905 fanden in Weimar wie im gesamten
deutschsprachigen Raum wiederum Schillerfeiern statt, an denen die
Burschenschaften hervorragenden Anteil hatten, vor allem in Berlin und
Wien.
Das war auch der Fall bei den Feierlichkeiten zu Schillers 200. Geburtstag 1959: "Das neunzehnte Jahrhundert hat den Lesebuch-, den Zitaten-Schiller geschaffen, das geistdurchglühte Wort des Dichters durch trivialen Gebrauch zur Scheidemünze entwertet. Wir können nicht einfach dort wieder anknüpfen, wo man vor einem Jahrhundert stand." Und dennoch ist Schiller "vor hundert Jahren im Kampfe um die Einheit seines Volkes sein Helfer gewesen. Sollte er das nicht ein zweites Mal in neuer tragischer Spaltung werden können? Daran mitzuwirken von dem neuen, vertieften Bilde seiner Dichtung aus und im Geiste einer Überlieferung, die das Dreigestirn ‚Ehre, Freiheit, Vaterland' nicht zuletzt aus Schillers Dichtung überkommen hat, wäre die würdigste Form pietätvollen
Dankes der Deutschen Burschenschaft an den größten ihrer geistigen
Gründer."
Auch wenn Schiller mittlerweile vielfach "entnationalisiert" und "entpolitisiert" worden ist und mehr denn je die
Betonung auf seinem Kosmopolitismus liegt und der Frage, was er der
Gegenwart zu sagen habe, so gedenkt die Deutsche Burschenschaft im Jahre
2005 Friedrich Schillers ebenso als eines politischen Dichters, dessen
Werke ihre Geschicke seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts begleitet und
beeinflußt haben. Nach wie vor kann Geltung beanspruchen, was der Berliner
Burschenschafter Friedrich Rimann 1859 schrieb:
Hinaus, hinaus,
ström' aus der Brust
Du Lied vom deutschen Schiller!
Der Welt
verkünde unsre Lust
Wie Frühling Lerchentriller.
Reicht, Brüder,
euch die deutsche Hand,
Laßt liebend uns umfassen!
Der Mensch, der
liebt, wird Gottheit schon,
Nur Steine sind, die hassen.
Und
wache fort und fort in uns
Daß wir Dich handelnd ehren! -
Hoch
unserm Freiheitsdichter! Hoch!
Wolln uns in Dir bewähren!
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