REISEN ZUM ANDEREN UFER
Verrat und Verräter im 20. Jahrhundert
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"Der Inhalt des Verrats wechselt, indem sich das Rad
der Geschichte dreht. Heute werden als Helden oder
Märtyrer gefeiert, die gestern als Verräter gehenkt
wurden, und umgekehrt. Aber der Verrat bleibt bei
uns, als sei er der dauernd sich wandelnde Schat-
ten, der unserer Epoche zugehört." (M. Boveri)


[Tod den Verrätern]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
REISEN DURCH DIE VERGANGENHEIT
GESCHICHTEN AUS DER GESCHICHTE

"Proditionem amo, sed proditores non laudo [Den Verrat liebe ich, aber die Verräter lobe ich nicht]" soll Caesar gesagt haben; der Volksmund machte daraus "Proditio amatur, sed proditor non [Man liebt den Verrat, aber nicht den Verräter]"; doch der Volksmund irrt, so wie Margret Boveri irrte: Kein einziger der Verräter, die Euch Dikigoros hier vorstellen will, wurde mit Verachtung gestraft, geschweige denn gehenkt, sondern fast alle wurden geliebt - sogar von den Verratenen, oft selbst dann noch, als ihr Verrat längst historisch bewiesen war.

[Mein Freund, der Verräter]

Welchen Verrat meint Dikigoros, und was unterscheidet seine Auffassung von anderen gängigen Definitioen? Die Rechten meinen, wenn sie in historischem Rahmen sprechen, meist den "Volksverräter", d.h. den, der sich gegen die eigene Nation gestellt hat; die Linken meinen, Verrat sei nicht nur an Völkern und Personen, sondern auch an Sachen und Ideen möglich. Die eine Definition ist zu eng, die andere zu weit, sonst fielen entweder die meisten der hier vorgestellten Verräter durchs Raster, oder aber jeder, der z.B. der kommunistischen (oder einer anderen) Partei abtrünnig geworden ist, fiele schon in diese Kategorie. Nein, man kann auch andere verraten als seine "Volksgenossen", und man muß schon etwas mehr tun, als nur eine Partei verlassen oder eine Idee aufgeben - es muß etwas dazu kommen, eine aktive Tat (und sei es nur in Form öffentlicher Stellungnahmen). Das ist etwa wie beim Militär: Fahnenflucht allein ist nicht gleich Verrat (auch wenn gewisse Kommißköppe es anders sehen mögen); denn es macht einen Unterschied, ob man nur davon läuft oder aber auf die Seite des Gegners wechselt - ersteres mag Feigheit sein, aber kein Verrat. Oder, um es von der der Sfäre des kleinen Soldaten in die der "großen Politik" zu übertragen und gleich ein paar konkrete Beispiele zu nennen: Der Schah von Persien hat zwar sein Volk im Stich gelassen - aber er ist nicht zu den Ayatollahs übergelaufen. Der Dalai Lamā hat zwar sein Volk, die Tibeter, im Stich gelassen, aber er ist nicht zu den Chinesen übergelaufen, sondern hat sogar versucht, den geistigen Kampf gegen sie vom indischen Exil aus fortzuführen. Ferner kommt es darauf an, ob jemand aus freien Stücken handelt: Wer in Gefangenschaft "umgedreht" wird (wer weiß, mit welchen Mitteln), wie der Panchen Lama von den Rotchinesen, der deutsche General Paulus von den Sowjetrussen oder der russische General Wlassow von den Deutschen, fällt nicht in diese Kategorie. Auch solche nicht, die den von ihnen im Stich gelassenen gar keine Loyalität schulden, die sie hätten "verraten" können: Stalin schuldete den Russen nichts, denn er war kein Russe. (Er hatte ihnen auch keine Wahlversprechen gemacht, denn er wurde nie gewählt.) Fujimori schuldet den Peruanern nichts, denn er ist Japaner (dennoch hat er seiner Wahlheimat so viel Gutes getan wie nie ein Peruaner vor oder nach ihm; aus Dankbarkeit zwang man ihn außer Landes - aber das ist eine andere Geschichte). Und schließlich ist auch kein Verräter, wer die "eigene" Regierung bekämpft, weil er sie als verbrecherisch erkannt hat - nein, auch dann nicht, wenn er sich zu diesem Zweck mit deren auswärtigen Feinden verbündet, jedenfalls nicht, so lange er davon ausgehen kann, daß die letzteren nicht gegen sein Volk, sondern nur gegen eben jene verbrecherische Regierung kämpfen - aber über solche Fälle schreibt Dikigoros an anderer Stelle.

Aber treffen diese Kriterien denn auf die Fälle zu, die Dikigoros hier ausgewählt hat? Was schuldete der Jude Roosevelt "den" Amerikanern? Nun, er mag zwar jüdischer Abstammung gewesen sein; aber in den USA ist eigentlich jeder irgendeiner "fremden" Abstammung (selbst die Indianer, deren Vorfahren nur etwas früher aus Asien eingewandert waren als die "Europäer"), und seine Vorfahren gehörten zu den ersten, die im 17. Jahrhundert nach "Neuengland" gekommen waren - wenn die keine Amerikaner waren, wer dann? Aber welche Loyalität schuldete der Amerikaner Kennedy den West-Berlinern oder den Exil-Kubanern? Nun, solche Verpflichtungen können nicht nur durch Abstammung entstehen, sondern auch - und vielleicht noch viel mehr - durch freiwillige Übernahme einer Schutzpflicht, durch "Ingerenz", wie die Juristen der alten Römer sagten. Die Alliierten hatten Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg annektiert - es war 1945-1990 kein Bestandteil Deutschlands mehr -, also hatten sie auch für den Schutz seiner Einwohner zu sorgen; und die USA hatten die Exilkubaner nach der Machtergreifung Castros bei sich aufgenommen und ihnen Hoffnungen gemacht, ihre Heimat zurück zu erobern - die Invasion sogar vorzubereiten geholfen. Sie dann im Stich zu lassen und ihren Feinden auszuliefern, das ist Verrat. Und das gleiche gilt für das Verhältnis der USA zu Taiwan: Sie hatten Tschiang Kai-sheks Hilfe gegen die Japaner im ZweitenWeltkrieg in Anspruch genommen und ihn nur vier Jahre nach dessen Ende fallen lassen wie eine heiße Kartoffel; und als seine Nachfolger dennoch auf Taiwan ein blühendes Gemeinwesen errichteten, fiel ihnen Nixon - der nach Eisenhower (für dessen Verrat an Korea die USA noch ein halbes Jahrhundert später büßen müssen), Kennedy, den beiden Roosevelts und Wilson (in alfabetischer Reihenfolge) als sechster Amerikaner einen Platz in der Top Ten der größten Verbrecher des 20. Jahrhunderts belegt - in den Rücken. Und Stilwell war gegen Kriegsende so etwas wie der Proconsul von China, dem Land, in dem er so viele Jahre seines Lebens verbracht hatte (oder verpflichtet das etwa nicht zur Loyalität?) - der doofe US-Präsident Truman führte nur aus, was er ihm einflüsterte.

Wer fehlt? Nun, die kleinen Fische, sonst wäre ja schon jedes gebrochene Wahlversprechen ein "Verrat"; aber deren Zahl ist bekanntlich Legion, und es würde den Rahmen dieses Berichts sprengen, sie alle auch nur aufzuzählen. Um auch da ein paar Beispiele zu nennen: Als Roosevelt 1940 mit dem Versprechen in den Wahlkampf zog, die USA aus dem Zweiten Weltkrieg heraus zu halten (während er in Wahrheit genau das Gegenteil nicht nur beabsichtigte, sondern sogar schon begonnen hatte), war das ein Verrat, der viele Millionen Menschen - und darunter auch viele tausende Amerikaner - das Leben kostete; als dagegen Jimmy Carter 1970 als Gouverneur von Georgia kandidierte mit dem Versprechen, die Rassentrennung strikt aufrecht zu erhalten - und sofort nach seiner Wahl das genaue Gegenteil tat -, da war das zwar ein gebrochenes Wahlversprechen, aber kein "Verrat" im Sinne von Dikigoros' Definition, denn ein Volk von Georgia gibt es nicht, seiner Partei, den Demokratzern, ist er nicht untreu geworden, und im übrigen hätte er sich dem Bundestrend auf die Dauer eh nicht mit Aussicht auf Erfolg entgegen stemmen können. Als De Gaulle versprach, Algerien zu halten und dieses Versprechen brach, kostete das 1,5 Millionen französische Siedler christlichen (und jüdischen) Glaubens das Leben oder die Heimat; und er ließ sie nicht nur einfach im Stich, sondern fiel ihnen in ihrem Kampf gegen die muslimischen Algerier sogar noch aktiv in den Rücken - ein solches Verbrechen hatte seit Heinrich IV, dem doppelten Verräter (der Basken und der Hugenotten), kein Herrscher Frankreichs mehr begangen. Als dagegen der ungarische Jude Nicolas Sarkozy 2007 im Wahlkampf versprach, mit der muslimischen "racaille" in Frankreich aufzuräumen und die begeisterten Franzosen ihn daraufhin zum Präsidenten wählten, konnte eigentlich niemand im Ernst glauben, daß er dieses sein Wahlversprechen auch einhalten würde. (Daß er die Israelis verriet, weil er gleich nach Amtsantritt deren schlimmsten Feinden, den Libyern, die Technologie zur Herstellung von Atombomben verkaufte, kann man so nicht sagen, denn er war ja kein Israeli, und die hatten ihn auch nicht gewählt. Den Franzosen konnte es egal sein, denn die bekamen dafür ja reichlich Erdöl, das ihnen viel wichtiger war als die Sicherheit Israels: Erst kommt das Autofahren, dann die Moral! :-) A propos Frankreich: Bei Ho Chi-minh (und noch ein paar anderen) hat Dikigoros lange geschwankt, sich dann aber doch entschieden, ihn an anderer Stelle zu besprechen. Zwar hat er die - weiß Gott milde, ja freundschaftliche und auf jeden Fall segensreiche - Schutzherrschaft der Franzosen an die schlimmsten Feinde der Vietnamesen, nämlich die Chinesen eingetauscht; aber wenigstens pro forma hat er bis zuletzt auf Seiten Vietnams gestanden, ebenso wie Prinz Sihanouk, Pol Pot, Idi Amin und wie sie alle heißen. Gewiß, dadurch entsteht ein gewisser Überhang an US-Amerikanern. Aber Dikigoros ist überzeugt, daß das tatsächlich wenn schon nicht die schlimmsten Verräter waren, so doch daß ihre Verrate (gibt es diese Mehrzahl? Dikigoros kennt keine andere, läßt sich aber gerne belehren) die folgenreichsten des 20. Jahrhunderts waren. Einige Völker mögt Ihr vermissen, liebe Leser: Haben die Russen denn wirklich keinen großen Verräter hervor gebracht? Und die Briten auch nicht? Tja, so merkwürdig das klingt: Dikigoros fällt jedenfalls keiner ein. Nein, nicht jeder, der ein Imperium vor die Wand fährt, ist gleich ein Verräter, auch wenn viele Engländer Churchill und viele Russen Gorbatschow mittlerweile dafür halten mögen - aber die beiden hatten bestimmt keinen diesbezüglichen Vorsatz und haben am Ende (als es freilich zu spät war) sogar Einsicht und Reue gezeigt ob dessen, was sie angerichtet hatten.

Um abschließend noch einmal auf den ersten Absatz zurück zu kommen: Die meisten der hier Vorgestellten gelten bis heute offiziell nicht nur nicht als "Verräter" (deshalb ist diese Webseite ja notwendig! :-), sondern als brave, womöglich sogar als große Staatsmänner. Und wo das ausnahmsweise nicht der Fall ist, da gilt die Kritik nicht etwa ihrem Verrat - oder ihren anderen schwer wiegenden Verbrechen -, sondern irgendwelchen lächerlichen Kinkerlitzchen. Roosevelt hat zum dritten Mal kandidiert, obwohl man laut US-Verfassung eigentlich nur zweimal Präsident werden darf? Nein, das war nicht nett. Nehrū hat den Nepotismus gepflegt und gar eine Familien-Dynastie gegründet? Na, das ist ja etwas ganz und gar ungewöhnliches in Indien... Kennedy hat Marilyn Monroe ermorden lassen? Na, das ist natürlich viel schlimmer als daß er Diêm hat ermorden lassen (wem sagt dieser Name überhaupt noch etwas?), denn ersteres hat Millionen Kinogänger unglücklich gemacht, letzteres dagegen nur ein paar Millionen blöde Viets (und ein paar tausend blöde G.I.s) das Leben gekostet. Nixon hat - oh Schreck - ein paar Wanzen in irgendeinem Büro der Konkurrenz installieren lassen (wie das noch jeder Präsident vor und nach ihm getan hat, seit dies technisch möglich ist); das hat ihn den Job gekostet. Ansonsten hat er alles richtig gemacht, vom verlorenen Vietnamkrieg über den Schwindel mit der Wanzedem SandFloh, den er der Weltöffentlichkeit in Sachen "Mond[f]lüge" ins Ohr gesetzt in die Augen gestreut hat, bis zu all dem Mist, den man heute seinem Secretary of State Kissinger in die Schuhe schiebt. Und gar Kohl, der über einen Koffer mit 100.000.- DM "Bimbes" stolperte, nachdem man ihm die Vernichtung von hunderten Milliarden an Volksvermögen bei der stümperhaften Durchführung der "Wieder"-Vereinigung von BRD und DDR zur BRDDR unbeanstandet hatte durchgehen lassen und ihn darob sogar noch als großartigen "Architekten der Wirtschafts- und Währungsunion" feiert[e]. Macht Euch selber ein Bild, liebe Leser, und dann denkt nochmal darüber nach, was man von diesen Typen halten sollte und warum.

"Day Of Infamy [Tag der Schande]"
Roosevelts Verrat an den Amerikanern

Ek qaum, ek rāj, ek rāshtra
Nehrūs Verrat an den Indern

Sand gegen den Wind
Stilwells Verrat an den Chinesen

Von Breitengraden und Demarkationslinien
Eisenhowers Verrat an den Koreanern

Schweinerei in der "Schweinebucht"
Kennedys Verrat an den Kubanern

"Je vous ai compris! [Ich habe euch verstanden]"
De Gaulles Verrat an den Algerien-Franzosen

"I take pride in the words: Ik bin ein Berliner"
Adenauers Verrat an den Mitteldeutschen

Das große Ping-Pong-Spiel
Nixons Verrat an Taiwan

"Und keinem wird es schlechter gehen!"
Kohls Verrat an den DDR-Bürgern


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