Nero rehabilitiert?

von Martin Schmid

Nero gilt heute bei vielen als Ungeheuer - aber gibt es gar keine Zweifel?

Nero zählt heute zu den bekanntesten römischen Kaisern, ja zu den bekanntesten antiken Römern überhaupt. Vor allem unter denen, die sich kaum mit der Epoche beschäftigen, gilt Nero als das Musterbeispiel an Dekadenz, Verbrechertum und Größenwahn.

Selbst Größen wie Scipio Africanus, der Rom vor Hannibal gerettet; Marius, der sich gegen Kimbern und Teutonen durch eine ähnliche Leistung ausgezeichnet; oder Augustus, der die römische Monarchie in Form des Prinzipats begründet hat, werden zu Randfiguren angesichts der Verbrecherkartei, die man Nero zubilligt:

Inzest mit seiner Mutter, Veruntreuung öffentlichen Vermögens in gigantischen Ausmaßen, Morde an Personen aus einer unmittelbaren Umgebung (seine Frau, seine Mutter, sein Lehrer und noch viele andere), ein perverses Vergnügen an bestialischen Kämpfen sowie die Verfolgung und besonders grausame Hinrichtung der Minderheit der Christen, um Schuldige für sein größtes, unfassbarstes Verbechen präsentieren zu können: die Vernichtung Roms sowie tausender seiner Bewohner durch einen gewaltigen, von ihm gelegten und gefeierten Brand, um, von Größenwahn veranlasst, Platz zu schaffen für seine eigene Hauptstadt, für Neropolis, so wie 1.900 Jahre später Hitler nach dem Abriss Berlins seine Welthauptstadt Germania errichten wollte.

Beginnen wir gleich bei diesem schwerwiegendsten Vorwurf, der Brandstiftung. Tacitus, der gerne als Quelle für den Vorwurf herangezogen wird, hat das nie behauptet. Natürlich gewinnt man bei der Lektüre der entsprechenden Kapitel den Eindruck, der Kaiser müsse etwas damit zu tun haben, aber mehr als ein Gerücht, so der Historiker, war das nicht.

Spätere, vor allem christliche, Geschichtsschreiber haben den Vorwurf nur zu gerne aufgenommen und allmählich in eine Tatsache verwandelt, da ja Nero der erste Kaiser war, der Christen verfolgen und hinrichten ließ, und zwar (wieder laut Tacitus) unter so entsetzlichen Qualen, dass sogar unter den Römern, die von der Arena einiges an Brutalität und Grausamkeit gewohnt waren, Mitleid mit dieser als suspekt geltenden Sekte aufkam.

Warum aber diese Gewissheit? Neros Baupläne waren in der Tat ungeheuerlich, seinen Palast nannte man Domus aurea, das goldene Haus, dessen Erhaltung so große Summen verschlang, dass Nachfolger Neros Teile davon mit Erde füllen ließen, weil sie es sich nicht leisten konnten, die prächtigen Strukturen, die ganze Hügel bildeten, zu erhalten.

Zum Zeitpunkt des Brandes, der auch das vernichtete, waren Teile des Palastes bereits fertiggestellt, von atemberaubender Schönheit und, für Nero von großer Bedeutung, voll von griechischen Kunstwerken, nicht zu ersetzenden Originalen! Es ist undenkbar, dass der Kaiser diese Schätze nicht vorher in Sicherheit hätte bringen lassen, wenn er den Brand geplant hätte. Weiters ist heute bewiesen, dass die sogar filmisch verewigte Szene, in der Nero vom Balkon seines Palastes aus den Brand Trojas vor der Kulisse des brennenden Roms besingt, so nie stattgefunden haben kann, denn dann wäre Nero mitsamt seinem Palast verbrannt.

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