MARS ATTACKS!

von Thomas Willmann

Es gibt Zeiten im Leben eines Cineasten, in denen man an seiner Berufung zu zweifeln beginnt. Man schaut sich brav alle neuen Filme an, aber nichts vermag noch zu begeistern. Alles scheint schon mal überzeugender dagewesen, alles wirkt leer dort, wo es wirklich zählt. Nur Filmmuseum und Werkstattkino halten einen dann moralisch über Wasser, und man beginnt sich zu fragen, ob alle großartigen Filme schon gemacht sind, oder ob man selbst nur schon zu alt und abgestumpft ist, um sich jemals noch für etwas so zu begeistern, wie man es als Kind bei fast jedem Film konnte.

Und dann kommt MARS ATTACKS!, und das Leben als Cineast hat wieder einen Sinn.

 

Der Titel ist Programm, und mehr braucht man auch nicht an Inhaltsangabe. In Tim Burtons neuester Großproduktion (nach dem kleinen, aber nicht minder wunderbaren ED WOOD) fallen die Marsianer über eine Welt her, die aussieht, als hätten bereits die '50er Jahre eine erfolgreiche Invasion gestartet, die aber offensichtlich unserer heutigen gleicht, da sie von macht- und geldgierigen, inkompetenten Idioten beherrscht wird.

 

MARS ATTACKS! hat alles, was ein Bier ...äh, Film braucht:

 

SPASS: In reichlichen Mengen und in jeder Gewichts- und Güteklasse. Dazu Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung (sorry, Ch. D. Grabbe), und was sonst noch einen Kinobesuch vergnüglich macht. Es ist lange her, dass ich mich bei einem Film schlicht und einfach so königlich amüsiert habe.

 

STARS: Jack Nicholson, Jack Nicholson (nein, ich habe ausnahmsweise nicht zuviel getrunken; der gute Jack hat eine Doppelrolle), Glenn Close, Annette Bening, Pierce Brosnan, Danny DeVito, Martin Short, Sarah Jessica Parker, Michael J. Fox, Rod Steiger, Lukas Haas, Natalie Portman, Jim Brown, Pam Grier, Lisa Marie, Barbet Schroeder, Tom Jones (ja, DER Tom Jones - als Tom Jones)... noch Fragen (außer: wo ist Kevin Bacon)?

 

AUSSERIRDISCHE: In rauhen Mengen, schönstem 50'er Jahre Design, und allesamt computeranimiert - was anfangs etwas irritiert, dann aber die surreale Comic-Atmosphäre überzeugend vervollkommnet.

 

SUSPENSE, TERROR & EXCITEMENT: sowieso - ich meine, AUSSERIRDISCHE BEDROHEN DIE WELT!!! Was wollen Sie noch mehr? Brennende Kuhherden? Chihuahas mit Frauenköpfen? Jodelnde Cowboys? Na sehen Sie, das gibt's alles auch!

 

SEX & ROMANCE: Na gut, hier könnte es ein bißchen mehr sein - aber immerhin gibt es Burtons Lebensgefährtin Lisa Marie als Marsianer in höchst verführerischer Verkleidung - va va va voom!

 

Was der Film definitiv nicht hat, ist hingegen

RESPEKT: Tim Burton hat einen Heidenspaß daran, auf allem herumzutrampeln, was dem guten Amerikaner hoch und heilig sein sollte. Die Flagge wird verbrannt, die Führer der Nation sind allesamt Hohlköpfe, Geld, Macht und Patriotismus zählen einen feuchten Kehricht, wenn's ums Überleben geht, Hunde werden dahingemetzelt (ja, wirklich! In einem Hollywood-Film!!!), und am Schluß steht eine Gruppe mexikanischer Mariachi in den Ruinen Washingtons und spielt die Nationalhymne.

Und noch besser: Burton macht auch nicht vor den Gesetzen des Starsystems halt. Lang ist's her, daß jemand sich mit solch offensichtlicher Freude solch unwürdige Schicksale für große Namen Hollywoods ersonnen hat.

 

Aber so zynisch MARS ATTACKS! sein kann, hat er doch auch ein

HERZ: Und zwar, wie immer bei Tim Burton, für die Außenseiter, die Vergessenen, Verstoßenen und Verdrängten. Die Sympathieträger und Gewinner des Films sind diejenigen, die in jedem anderen Film sofort als stereotype Loser zu erkennen wären und im Bestfall am Ende den großen, weißen Helden dafür anhimmeln dürften, daß er ihr unbedeutendes Leben gerettet hat.

Ganz besonders schön für Cineasten ist dabei, daß auch Sylvia Sidney als Grandma mithelfen darf, die Welt zu retten; eine Schauspielerin, die schon seit 70 Jahren im Filmgeschäft ist und unter Regisseuren wie Hitchcock, von Sternberg und Fritz Lang gespielt hat.

 

Und schließlich, so kindlich, bizarr und überdreht der Film an der Oberfläche ist, hat er doch auch

HIRN: und zwar nicht nur in Form der Riesen-Zerebren der Aliens. Bei allem Klamauk und allem bunten Spaß scheint mir doch auch immer wieder ein Subtext aufzuleuchten, in dem es auf gar nicht naive Art um unseren Umgang mit dem Fremden und mit der Vergangenheit geht. ("Cahiers du Cinéma", anyone? O.K., ich hör auf, bevor jemand den Intellektuellen-Alarm auslöst.)

 

Tim Burton ist es hervorragend gelungen, die Begeisterung, die die alten Invasion-aus-dem-Weltall-B-Pictures in jungen Jahren bei ihm ausgelöst haben, in dieser ironischen Hommage wiederzuerwecken. Im Gegensatz zu einem gewissen anderen, großen "Die Aliens greifen an!"-Film der letzten Zeit, dessen einziges Verdienst es war, ähnliches zu vollbringen, muss man aber bei MARS ATTACKS! nicht sein Hirn an der Kinokasse abgeben, um Spaß zu haben. MARS ATTACKS! ist glücklicherweise freiwillig komisch, und darüberhinaus noch intelligent genug, um seine Nostalgie und sein Retro-Design reflektiert einzusetzen, anstatt nur den Eindruck zu erwecken, seiner Zeit ein paar Jahrzehnte hintennach zu sein.

 

Dass ein großes Hollywood-Studio dafür $70 Mio. ausgegeben hat, ist ein kleines Wunder. Dass der Film in Amerika ein kommerzieller Misserfolg war, braucht hingegen nicht zu verwundern. Sorgen wir dafür, dass diesem poppigen Meisterwerk wenigstens in Europa Gerechtigkeit widerfährt und schauen wir ihn uns alle wenigstens fünf mal an.

 

Mars Attacks!   

USA 1996 - 102 Minuten -

Regie: Tim Burton

Kamera: Peter Suschitzky

Drehbuch: Jonathan Gems

Besetzung: Jack Nicholson, Glenn Close, Annette Bening, Pierce Brosnan u.a.  


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