Marie Antoinette

Der Ausruf «Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen» ist eine von vielen Lügen, die über Marie Antoinette verbreitet werden. Vor 250 Jahren wurde die einstige Königin von Frankreich in Wien geboren.

Schon bald nach dem Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789, als auf dem mit Sägespänen bestreuten Place de la Concorde, der damals noch Platz der Revolution hieß, die ersten Köpfe von der Guillotine rollten, die vor der johlenden Menge dann als Zeichen der Befreiung in die Höhe gehalten wurden, da gab es unter adligen Damen bald ein morbides modisches Accessoire.

Während einige männliche Vertreter des ancien régime, die den Ereignissen offenbar nicht ausreichend Bedeutung zumaßen, sich noch immer in gepuderter Perücke und mit silbernen Schuhschnallen zeigten, trugen manche Damen ein feines rotes Band um den Hals, um die Stelle zu zeigen, wo die Guillotine den Kopf vom Rumpf zu trennen drohte oder aber um ihrer Trauer über so hingerichtete Familienmitglieder oder Freunde zum Ausdruck zu bringen. Ein lang anhaltender Trend, der sich bis in Napoléons Zeiten hielt.

Trotz ihres Rufes der oberflächlichen Modekönigin, die Trends innerhalb eines Tages setzte und wieder verwarf, die Schneidern und Friseuren zu Berühmtheit verhalf, hat Marie Antoinette diese Mode wohl nicht mitgemacht.

Gleich im Oktober 1789 waren Frankreichs Königin und die gesamte Königliche Familie von Revolutionären von Versailles in die Tuillerien nach Paris gebracht worden. Ein Fluchtversuch 1791 scheiterte. Zwei Jahre später im Oktober begann der Prozess gegen die «Witwe Capet», wie man Marie Antoinette nun nannte - ihr Mann König Louis XVI. war bereits am 21. Januar 1793 hingerichtet worden. Die Anklage lautete auf Hochverrat und Unzucht.

Die Königin wurde bereits nach zwei Tagen von den Geschworenen einstimmig schuldig gesprochen und tags darauf, am 16. Oktober 1793, enthauptet. Sie war 37 Jahre alt.

«Durchschnittsfrau von gestern, heute und morgen»

Die Frau, die am 2. November vor 250 Jahren in Wien als Maria Antonia geboren wurde und wie wenige andere Herrscherinnen in der Geschichte für Frivolität und Verschwendung auf Kosten des Volkes steht, war laut dem Schriftsteller Stefan Zweig, der sie 1932 porträtierte, allerdings eine eher mittelmäßige Frau: «Marie Antoinette war weder die große Heilige des Royalismus noch die Dirne, die 'grue' der Revolution, sondern ein mittlerer Charakter, eine eigentlich gewöhnliche Frau, nicht sonderlich klug, nicht sonderlich töricht, nicht Feuer und nicht Eis, ohne besondere Kraft zum Guten und ohne besonderen Willen zum Bösen, die Durchschnittsfrau von gestern, heute und morgen, ohne Neigung zum Dämonischen, ohne Willen zum Heroischen und scheinbar kaum Gegenstand einer Tragödie.»

Doch war es dann die Geschichte, «die Peitsche des Schicksals», die der Tochter von Maria Theresia und Kaiser Franz I. jede Mittelmäßigkeit austrieb. Den Weg der Königin «vom Königsthron auf das Schafott, aus der gläsern-goldenen Karosse auf den Schinderkarren, aus Weltbeliebtheit in den Hass, aus Triumph in die Verleumdung» (Zweig) beschreibt ein anderes Buch, ein großer historischer Essay aus der Feder des ungarischen Autors Antal Szerb, dessen Roman «Reise im Mondlicht» erst kürzlich erfolgreich wieder veröffentlicht wurde. «Das Halsband der Königin» erschien erstmals im Jahre 1943, zwei Jahre vor Szerbs Tod.

Auf rund 280 Seiten erzählt der Autor von einem der berühmtesten Hofskandale in der europäischen Geschichte und zeichnet ein lebendiges Bild der Zeit und ihrer Menschen, also von der Dämmerung der Französischen Revolution, «die unsere Auffassung von Menschenwürde gewandelt hat».

2800 Karat

Dabei geht es um ein Collier von selbst für einen König unfassbar hohem Wert, das niemand bestellt, niemand getragen, nur wenige Menschen gesehen und bis heute niemand bezahlt hat: 2800 Karat soll es gehabt haben und 1,6 Millionen Livres hatte der Juwelier Boehmer dafür verlangt, was heutzutage ungefähr 100 Millionen Dollar entspräche.

Initiatorin der Intrige und des folgenden Skandals war eine ehemalige Prostituierte, die Gräfin de La Motte. Um an Geld und Ansehen bei Hofe zu gelangen, gab sie sich gegenüber dem Kardinal de Rohan, der einer der ältesten Adelsfamilien Frankreichs angehörte, als Vertraute der Königin aus. Der Kardinal stand nicht nur in Ungnade, sondern war auch unglücklich verliebt in die für ihre Schönheit bekannte Königin. De La Motte nutzte de Rohans emotionale Instabilität und erzählte ihm, die Königin wolle über ihn heimlich das besagte Kollier kaufen. Die Hochstaplerin fälschte Briefe und ließ den Kardinal sogar eine Doppelgängerin Marie Antoinettes treffen. Und ihr Plan ging auf: Sie kam an den Schmuck, den sie dann zerstörte, um die Steine zu verkaufen.

Doch die Intrige flog auf, denn der Juwelier konfrontierte schließlich die Königin persönlich mit den gefälschten Briefen, schließlich wollte er sein Geld, und de Rohan konnte nur einen Teil bezahlen. Es kam zu einem Prozess, der die Ehre der Königin wieder herstellen stellen, und der war öffentlich, was ein Novum und ein weiterer Nagel im Sarg der Monarchie war.

Trümmerhaufen, auf dem die Royalisten saßen

Mitunter in charmantem Plauderton, mit klarem, geschultem Blick und der nötigen distanzierenden Ironie betrachtet Szerb den Trümmerhaufen, auf dem die Royalisten zu der Zeit des Skandals bereits saßen, und er beschreibt eine Gesellschaft, die den Umbruch wollte, ohne auch nur zu ahnen, was er in letzter Konsequenz bedeuten würde.

«Das Ereignis selbst ist so dargestellt, dass es symbolisch für ein ganzes Zeitalter gelten kann», schreibt Szerb im Vorwort. «Denn wie ein ideales Drama enthält es in konzentrierter Form all das, was in einer tausendfältigen Fülle von Ereignissen das Wesentliche und besonders Charakteristische ist.»

Er lässt sie alle zu Wort kommen: den König und die Kammerzofe, Politiker und Kirchenmänner, Diplomaten und Revolutionäre, die Feinde, die Freunde. Und natürlich Marie Antoinette selbst, wobei hier mit einer immer wieder kolportierten Lüge der Geschichte aufgeräumt sei: Der so provokante Satz über das hungernde Volk «S'ils n'ont pas de pain, qu'ils mangent de la brioche» (Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen) stammt nicht von der Königin, sondern von Jean-Jacques Rousseau. Der schrieb ihn in einen «confessions», die entstanden waren, als Marie Antoinette noch ein Kind war.

«Eine einzige boshafte Familie»

Neben einer bewegten Galerie dieser geschichteschreibenden Menschen gelingt es Szerb vor allem aber, die Stimmung der Zeit geradezu fühlbar zu machen. Und die war geprägt vom Hass gegen eine Königin, die keine Französin war. Man müsse sich Frankreich zu dieser Zeit als «eine einzige boshafte Familie» vorstellen, schreibt Szerb. Gegen diese hatte die «Österreicherin» keine Chance.

«Es ist in der Geschichte häufig der Fall, dass die Höflinge von ihrer Königin nicht eingenommen sind, aber es kommt selten vor, dass sie eine große, weitreichende Intrige gegen sie anzetteln. Beispiellos ist die Tatsache, dass das Volk in die Intrige mit einbezogen wird [...] Bezeichnend ist auch, dass der Hof seinen politischen Instinkt so vollständig verloren hat. Er verbündet sich gegen seine eigene Kraftquelle, gegen die Autorität des Königs [...] Hätte die Revolution die Macht der Aristokratie nicht gebrochen, sie wäre von selbst in sich zusammengestürzt.»

Denn Marie Antoinette war seit ihrer Thronbesteigung 1774 Gegenstand heftigster Gerüchte, die das Tagwerk aktueller Boulevardblätter beinahe harmlos erscheinen lassen. Der Beruf des Pamphletisten war ein lukrativer, und die Schriften verkauften sich um so besser je unerhörter die Vorwürfe und Beschimpfungen waren. Da kam der Prozess um das Collier gerade recht. Vor dem terreur der Jakobiner gab es einen terreur des Klatsches.

«Sie hatte weder das Prestige des alten Königtums, den Respekt, noch das des neuen, die Popularität. Sie konnte nichts als bezaubern, verlocken und sterben», fasste später der Dichter Alphonse de Lamartine das Schicksal Marie Antoinettes zusammen.

Groß wie ein Schicksal

Doch «kurz bevor die sterbliche Form zerbricht, ist das Kunstwerk, das überdauernde, gelungen, denn in der letzten, der allerletzten Lebensstunde erreicht Marie Antoinette, der mittlere Mensch, endlich tragödisches Maß und wird so groß wie ein Schicksal», urteilte Zweig und findet sich in den letzten Worten der Königin bestätigt.

In ihrem Abschiedsbrief aus der Zelle in der Conciergerie schrieb diese in der Nacht vor ihrer Hinrichtung an ihre Schwägerin Madame Elisabeth: «Möge mein Sohn niemals die letzten Worte seines Vaters vergessen, die ich ihm mit Vorbedacht wiederhole: Möge er niemals danach trachten, unseren Tod zu rächen! [...] Ich bin ruhig, wie man es ist, wenn das Gewissen dem Menschen keine Vorwürfe macht.»


Antal Szerb: Das Halsband der Königin. Dtv, 2005
Stefan Zweig: Marie Antoinette. Bildnis eines mittleren Charakters. Leipzig, 1932


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