Werner Maser: Nürnberg - Tribunal der Sieger

eine Rezension von Franz W. Seidler* (15. September 2006)

(mit einigen weiterführenden Links von Nikolas Dikigoros)

1977 veröffentlichte Maser dieses Buch, das nicht nur der „Spiegel“ ganz besonders herausstellte. Fast unverändert wurde es letztes Jahr neu aufgelegt. Es kam zum richtigen Zeitpunkt heraus, nämlich zum 60-jährigen Jubiläum des Ereignisses. Im Oktober 1946 sprachen die Richter des Internationalen Militärtribunals ihre Urteile über die 22 als Hauptkriegsverbrecher Angeklagten. Damals glaubten viele, es handle sich um einen Jahrhundertprozess, nach dessen Abschluss die Welt in Frieden leben könne: Wenn Staatsmänner wegen Verbrechen gegen den Frieden oder wegen Angriffskriegen angeklagt werden könnten, dürfte es eigentlich keine internationalen militärischen Verwicklungen mehr geben.

Reihe von „Merkwürdigkeiten“

Prof. Dr. Werner Maser, der als Hitler-Biograph weltbekannt wurde, schildert die politischen Hintergründe, den Prozessverlauf und das bittere Ende. Es ist das erschöpfendste Werk, das über den Prozess von einem deutschen Historiker geschrieben wurde. Was er schildert, belegt er mit Dokumenten, Protokollauszügen und Interviewtexten. In seinem Buch stehen nicht nur die Angeklagten vor Gericht, sondern auch die Anklagevertreter und Richter. Die Verfahrensordnung, die mit dem Londoner Statut festgelegt wurde, enthielt eine Reihe von „Merkwürdigkeiten“: 1. Sieger sprachen Recht über Besiegte. 2. Es handelte sich weder um ein internationales Gericht noch um ein Militärgericht. 3. Kein Richter konnte wegen Befangenheit abgelehnt werden. 4. Die Verteidigung war zahlreichen Behinderungen ausgesetzt. 5. Zeugenaussagen, Fragebögen und Affidavits (eidesstattliche Versicherungen) konkurrierten miteinander. 6. Viele Zeugen wurden unter Druck gesetzt. 7. Die Ankläger verfügten über das gesamte deutsche Dokumentenmaterial. 8. Grundlegende Rechtsbegriffe wurden missachtet: nullum crimen sine lege praevia, in dubio pro reo, tu quoque-Prinzip, Individualschulderfordernis, Verbindlichkeit von Befehlen usw. 9. Es gab keine Möglichkeit der Berufung. Die Urteile wurden so vollstreckt, wie sie ausgesprochen wurden.

Um die Schwachpunkte in der Berichterstattung nicht publik werden zu lassen, einigte man sich vor Prozessbeginn auf gemeinsame Reaktionen von Anklägern und Richtern bei folgenden Fragen. 1. Wie verhält sich das Gericht, wenn die deutsche Verteidigung vorbringt, dass auch andere Länder Angriffskriege geführt und Kriegsverbrechen begangen haben? 2. Wie können Männer, die man keiner einschlägigen Straftaten beschuldigen kann, trotzdem angeklagt und verurteilt werden? 3. Wie lassen sich die alliierten Luftangriffe auf Wohnviertel rechtfertigen? 4. Was ist zu tun, wenn die deutsche Seite auf den sowjetischen Einmarsch in Ostpolen im September 1939 und den Angriff auf Finnland im Oktober 1939 zu sprechen kommt? 5. Wie reagiert man, wenn die Deutschen beweisen, dass die Briten zur gleichen Zeit Norwegen besetzen wollten wie die Deutschen? 6. Was geschieht, wenn der sowjetische Mord an polnischen Offizieren in Katyn zur Sprache kommt? 7. Wie reagiert das Gericht, wenn bei der Behandlung der deutschen Judenmorde auf die vorangegangenen 30 Millionen in der Sowjetunion Ermordeten hingewiesen wird? 8. Mit welchen Argumenten verhindert man Diskussionen um die strittigen Punkte des Völkerrechts? 9. Können die Angehörigen der Länder, die über die Deutschen zu Gericht sitzen, nicht selbst einmal nach dem gleichen Recht zur Verantwortung gezogen werden?

Das „Verschwörungs“-Konstrukt

Unter dem Oberbegriff Verschwörung (conspiracy) wurden alle Angeklagten des gemeinsamen Verbrechens beschuldigt, den Frieden gebrochen und 1939 einen Angriffskrieg begonnen zu haben. Im Völkerrecht war dieser Begriff unbekannt. Eine solche wechselseitige Verantwortung gab es nur im amerikanischen Gangsterwesen, wo jedes einzelne Mitglied der Bande für den Ausgang und die Folgen mit haftbar gemacht wurde. Nach diesem Konstrukt war Hitler der Chef einer Bande. Mit seinen Ministern, Parteileitern und Generalen hatte er eine Vereinbarung getroffen, zusammen mit ihnen einen Krieg mit gemeinsam festgelegten Mitteln auf gemeinsam abgesprochene Weise zu führen. Es wurde ignoriert, dass Diktatoren keine Absprache mit anderen treffen. Sie befehlen, weisen an und dekretieren.

Der Hauptankläger der Vereinigten Staaten sah im Nürnberger Gerichtshof „die Fortsetzung der Kriegsanstrengungen der alliierten Nationen“. Er nahm sich 1954 das Leben, nachdem er erkannt hatte, dass der Nürnberger Prozess ein Schlag ins Wasser gewesen war. Alle Illusionen waren verflogen. Der Prozess schuf nicht die erwartete Grundlage für eine neue Zivilisation ohne Krieg, in der sich künftige Geschlechter keine Sorgen darum zu machen brauchten, wie man Friedensstörer bestrafen kann: nach dem Nürnberger Vorbild.

Die USA, die in ihrem missionarischen Eifer nach dem Zweiten Weltkrieg neues Recht setzen wollten, kümmerten sich allerdings wenige Jahre später nicht mehr darum. Inzwischen haben sie mehr als ein halbes Dutzend Angriffskriege geführt, ohne dass jemand dafür zur Rechenschaft gezogen worden wäre. Der Internationale Gerichtshof für Strafsachen in Den Haag wird von ihnen boykottiert. In zweiseitigen Verträgen werden die von den USA wirtschaftlich abhängigen Staaten verpflichtet, keinen amerikanischen Staatsbürger dorthin auszuliefern.

Die Nürnberger Prozesse waren also wohl nur eine verlogene Episode in der Geschichte der Menschheit.


*Der Rezensent war Professor für Sozial- und Militärgeschichte an der Universität der Bundeswehr zu München.


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