Exkurs I: ". . . und Sturm brich los!"
Carl Theodor Körner (1791-1813)
"Ein Heil'genbild für den gerechten Krieg"
"Dulce pro patria mori . . ."

[Carl Theodor Körner]
[Körners Unterschrift]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
DIE BRETTER, DIE DIE WELT [BE]DEUTEN

"Von der Parteien Haß und Gunst verzerrt schwankt sein Charakterbild in der Geschichte..." schrieb der beste Freund von Theodor Körners Vater, Friedrich Schiller, über - Wallenstein. Welch ein Unsinn - niemanden interessiert heute noch das Charakterbild eines Wallenstein, und Dikigoros hegt den Verdacht, daß es das auch zu Schillers Zeiten schon nicht mehr tat. Doch selbst wenn: Wallenstein war ein großer Feldherr, dem man sogar Herrscher-Ambitionen nachsagte, dessen Charakterbild sich "die Geschichte" also durchaus hätte annehmen dürfen. Theodor Körner war dagegen nur ein kleiner Leutnant der Reserve, geboren in der "Sturm- und Drang-Zeit" der deutschen Dichter, der noch keine militärischen Heldentaten vollbracht hatte, als er knapp 22-jährig beim Überfall auf einen französischen Branntwein-Transport durch eigenen Leichtsinn - man könnte auch von Insubordination sprechen, er hatte wohl zu oft Kleists "Prinzen von Homburg" gelesen - ums Leben kam. ("Tod, ich zitt're dir nicht," ließ er den Oberlieutenant zu Beginn des 4. Auftritts in "Joseph Heidrich oder: Deutsche Treue" sagen und ihn Horaz so falsch zitieren, wie Ihr es in der 4. Zeile der Überschrift lesen könnt; wie das Zitat vollständig lautete - und noch etwas mehr zu diesem Thema - schreibt Dikigoros an anderer Stelle.) Und während der Franzose Jean Giraudoux seinen Hector in "Der Troianische Krieg wird nicht statt finden" eindringlich darlegen läßt, daß nicht jeder im Krieg Gefallene ein Held ist, sondern daß auch Feiglinge auf dem Schlachtfeld sterben und Tapfere überleben können, bemächtigten sich die deutschen Parteien Theodor Körners, der im Kampf erst gegen Napoleon, dann gegen den Erbfeind Frankreich und schließlich gegen das kapitalistische Frankreich, erst fürs sächsische, dann fürs deutsche und schließlich fürs sozialistische Vaterland (erst im Bündnis mit dem Zaren, dann ganz allein, und schließlich im Bündnis mit der ruhmreichen Sowjet-Union, Seite an Seite mit werktätigen Kosaken :-) gefallen war, in einem Maße, wie es sonst nur noch bei dem kleinen Leutnant Albert Leo Schlageter der Fall war (und bei dem nur für relativ kurze Zeit, von 1923 bis 1945). Zunächst mit ihrer Gunst: Theodor Körner wurde gleich nach seinem Tode 1813 zum "patriotischen Helden" hoch stilisiert und blieb das bis zum Untergang der DDR 1990.

Doch dann kamen die laschen BRDemokraten, die verdrängt hatten, daß die Franzosen nicht immer ihre Verbündeten waren - "à l'amicale du fusillé", wie es deren größter Chansonnier einmal sang, um den Haß auf Deutschland und die Deutschen wach zu halten, gegen das Vergessen deren, von denen man inzwischen auch in Frankreich sagte, "qu'ils sont tombés pour rien". (Wenn Ihr kein Französisch könnt, liebe deutsche Leser - der letzte Link enthält eine Übersetzung.) Nicht auszudenken, wenn böse deutsche Revanchisten dem etwa Körners "Was uns bleibt" oder gar Körners "Trost" entgegen gesetzt hätten! (Allein die 5. Strofe wäre doch ein Schlag ins Gesicht der edlen alliierten Besatzer, pardon Befreier gewesen - denn welche Frau hätten die 1945 in Mitteleuropa nicht von ihrer Unschuld "befreit"? Wer für sein' Lieb' nicht sterben kann...? Da hätten wohl so ziemlich alle sterben müssen - und viele starben ja auch, bloß nicht dran rühren!) Und so haben die Wessis jenen Verherrlicher des Krieges und des Heldentodes erst mit ihrem Haß verfolgt und ihn schließlich sang- und klanglos brdigt. (Im Ergebnis zurecht, wie Dikigoros meint, aber aus den falschen Motiven.)

Ist es nicht merkwürdig, daß jemand, der anderthalb Jahrhunderte lang vor allem wegen seiner deutsch-nationalen Gedichte bekannt war - und nun schon seit einem halben Jahrhundert wegen der selben Gedichte unbekannt ist, da er unter der unsichtbaren Zensur der "politisch korrekten" Gutmenschen praktisch tot geschwiegen wird - seine beiden großen historischen Dramen Themen gewidmet hat, die mit der deutschen Geschichte kaum etwas zu tun haben? Das erstere, Zriny, handelt von einem Offizier des 16. Jahrhunderts, der eine kleine Festung gegen den Ansturm der Türken unter Süleyman dem Prächtigen bis zum bitteren Ende verteidigte, und den die Ungarn, Kroaten und Slavonen gleichermaßen für sich in Anspruch nehmen könnten. Ihm alleine hätte Dikigoros indes keinen Exkurs gewidmet - aus vielerlei Gründen: Wenn Ihr Euch mal die erste (und letzte :-) vollständige Ausgabe der Werke Körners besorgt - die von 1893, in allen anderen davor und danach fehlt das Lied von der Rache -, dann werdet Ihr sehen, daß Hans Zimmer dort minutiös jede Kleinigkeit angemerkt hat, mit der es historisch nicht so ganz stimmt: Vom genauen Datum der Schlacht (29. August) über die Lage Szigetvárs (nicht an einem Felsen, sondern auf einer Sumpfinsel) und das Alter Süleymans (72, nicht 76 Jahre) bis zu den Motiven der Übergabe Gyulas an die Türken durch Keretschin - was könnte Dikigoros dem noch hinzu fügen? Vielleicht ein paar allgemeine Ausführungen über die "heldenhafte" Verteidigung von Festungen, die nationale Berühmtheit erlangt haben? Viele Volks- und Glaubengemeinschaften haben so etwas: Die Juden Mäzadā (das hebräische Wort für "Festung", das die Römer zu "Masada" verballhornten), die Albigenser Montsegur, die Waliser Harlech, die Rājpūten von Mewāŗ Chittauŗgāŗh, die Griechen Mesolóηgi, die Texaner den Alamo in San Antonio... Und viele andere hätten es auch gerne und haben versucht, Parallelen zu schaffen: Die Hugenotten La Rochelle, die Filipinos Cainta, die Azeris Shusha, die Preußen Colberg (später "Kolberg" geschrieben), die Mexikaner das Kastell von Chapultepec, die Russen den Malakow-Turm von Sewastopol (oder auch Port Arthur), die Südwester Fort Namutoni, die National-Spanier den Alcázar von Toledo, die Fremdenlegionäre Diên Biên Phû, die Polen den Pfadfinderturm von "Katowice" und die Yankees - die der Faszination des "Last Stand" in besonderem Maße erlegen sind - Little Big Horn... Aber die meisten Parallelen hinken, und zwar in derart eklatanter Art und Weise, daß Dikigoros einigen von ihnen inzwischen eigene Kapitel seiner "Reisen durch die Vergangenheit" gewidmet hat - vor allem das oben unter "Mäzadā" verlinkte "Ein' feste Burg ist unser Go[e]tt[ze]"; und auch die Seite über Zrinyi, Süleyman und Szigetvár bzw. über ihre Verfilmung wird er hoffentlich irgendwann mal fertig bekommen.

[Zrinyi]

Aber ein anderes Drama rechtfertigt diesen Exkurs, nämlich "Rosamunde", die Geschichte der "fair Rosemonde" (nur diese Namensform macht Sinn, liebe Leser, denn ihre Feinde, die von Eleonore von Aquitanien, der "Königin der Troubadoure" bezahlten Bänkelsänger, verspotteten sie als "Rose immonde [unreine Rose]"), der Maitresse Heinrichs II von England, des interessantesten, da zwiespältigsten und somit auch schwierigsten englischen Königs überhaupt. Vor Körner hatte sich kein anderer Dramatiker an diesen Stoff heran getraut, nicht mal Shakespeare, und nach ihm haben T. S. Eliot und Jean Anouilh, wie Dikigoros schon in der Einleitung zu den Brettern, die die Welt [be]deuten geschrieben hat, das Thema allzu einseitig auf sein Verhältnis zu Thomas Becket reduziert - was ihm schwerlich gerecht wird. Dieses Werk gibt Grund zu der Annahme, daß Körner ein weitaus bedeutenderer Autor geworden wäre als etwa Shakespeare oder Goethe, wenn er nur annähernd deren Alter (oder auch nur das seiner unmittelbaren Vorgänger und Vorbilder Schiller und Kleist) erreicht hätte; aber er hat nicht mal mehr die Uraufführung erlebt, weil er ja unbedingt den "Heldentod" sterben wollte - anders vermag jedenfalls Dikigoros sein "Gebet vor der Schlacht" nicht zu deuten.

[Körner 1813]

Weniger heldenhaft war der Tod der "schönen Rosamunde", sowohl im Drama als auch in der Wirklichkeit. Sie starb jung - fast so jung wie Körner, und so wie dieser der Nachwelt noch zwei historische Dramen geschenkt hat, so schenkte sie König Heinrich noch zwei Kinder: Wilhelm, genannt "Langschwert", und Gottfried. Die Umstände ihres Todes sind nie ganz zweifelsfrei geklärt worden, und schon früh entstand das Gerücht, sie sei von ihrer Nebenbuhlerin, der alternden Eleonore von Aquitanien (Heinrichs Ehefrau), vergiftet worden. Motive hätte die letztere genug gehabt, denn sie liebte ihren Mann offenbar wirklich (noch mit 46 Jahren gebar sie ihm seinen letzten Sohn, Johann, genannt "Ohneland"), und nun hatte er sie abserviert, unter Hausarrest gestellt, die Ehe angefochten und trat öffentlich mit seiner Rosamunde als Begleiterin auf. Körner hat das Drama auf die Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Frauen zugespitzt - wobei ihm vielleicht im Hinterkopf Schillers Maria Stuart als Vorlage diente. Ebenso wie die letztere bei Schiller kommt "die schöne Rosamunde" bei Körner viel zu gut weg: Er zeichnet sie als ahnungsloses Landei, das bis zur Mitte des Dramas gar nicht weiß, daß Heinrich der König von England ist. Lächerlich - wer soll das glauben? Rosemond Clifford war nicht heimlich mit Heinrich verheiratet, sondern seit Eleonores letzter Schwangerschaft (also im Zeitpunkt der Verschwörung von Heinrichs Söhnen gegen den Vater seit acht Jahren) die Maitresse Heinrichs - das war ein offizielles Hofamt und durchaus nicht zu übersehen; und die Kinder aus dieser Verbindung galten zwar als "Bastarde", die den Thron nicht erben konnten; aber sie wurden nicht irgendwo versteckt, sondern wuchsen ganz offen bei Hof auf.

Wie war das nun mit den Motiven zur Verschwörung? Gewiß, bei Eleonore wird es eine Mischung aus verletzter Eitelkeit und verschmähter Liebe gewesen sein; aber bei ihren Söhnen? Bei Körner versucht die Mutter, ihnen einzureden, daß der Vater ihnen Herrschaftsrechte vorenthalte. Wie bitte? Diese drei unreifen Teenager sollten im Ernst mehr "Mitsprache" erwartet haben als der Vater ihnen eh schon gewährt hatte? 1169 hatte er sie zu Herzögen der Normandie, Aquitaniens bzw. der Bretagne gemacht, 1170 den ältesten, Heinrich, sogar zum [Mit-]König krönen lassen - was wollten die denn noch? (Allein Johann, Heinrichs jüngster Sohn, war leer ausgegangen - weshalb er "Lackland [Ohneland]" genannt wurde -, aber der hielt gleichwohl weiter zum Vater!) So läßt denn auch Körner Richard Löwenherz Dinge sagen, die in der BRD tabu sein müssen, seit dort versucht wird, die Verschwörer vom 20. Juli 1944 zu "patriotischen Helden" aufzubau[sch]en: Der Aufruhr gegen den Vater und König, möge er auch tyrannisch sein, ist ein Verbrechen, zumal im Krieg. Und Heinrich stand permanent im Krieg. Zu einer Zeit, als die Anglo-Normannen dabei waren, auch die keltischen Länder der Britischen Inseln - Wales, Irland und Schottland - zu unterwerfen, konnte es keinen Frieden geben. Die Koalition gegen Heinrich ging wohl auch mehr vom schottischen König Wilhelm aus als von Eleonore - die freilich das Bündnis mit König Ludwig von Frankreich beisteuerte, ihrem Ex-Mann, der sich doch tatsächlich wieder von ihr einspannen ließ, obwohl sie ihn einst so schnöde verlassen hatte. (Aber er tat es sicher auch aus eigenem Interesse: Solange er ohne Thronerben gewesen war, war es ihm wohl egal, was aus den englischen Lehen in Frankreich wurde; doch als ihm in dritter Ehe endlich ein Sohn geboren wurde - entgegen der Auffassung von Frau Dikigoros war er mit hoher Wahrscheinlichkeit von ihm, denn erstens ist kein Nebenbuhler bekannt, und zweitens war Philippe Auguste ein ebenso häßlicher Zwerg wie Ludwig - sah er plötzlich alles in ganz anderem Licht.) Aber Heinrich II war ein genialer - oder zumindest sehr glücklicher - Feldherr: Er schlug sie alle aufs Haupt, trotz bisweilen fast hoffnungsloser zahlenmäßiger Unterlegenheit seiner Truppen. (Wenn er doch mal eine Schlacht verlor, dann nur, weil er persönlich nicht dabei war, denn er konnte in diesem Mehrfrontenkrieg nicht überall gleichzeitig sein, und seine Truppenführer waren nicht alle gleich gut.)

Was blieb also Eleonore übrig, als sich "privat" zu rächen und die Nebenbuhlerin umzubringen? Wohlwollende Biografen verweisen zwar darauf, daß sie sich schwerlich persönlich zu Rosemond begeben und die vor die Wahl stellen konnte: "Dolch (bei Körner: für die Kinder) oder Gift?", weil sie doch selber unter Hausarrest stand; aber da hätte es wohl Mittel und Wege gegeben, das durch Dritte besorgen zu lassen. Tatsache ist, daß "die schöne Rosamunde" 1176 ganz plötzlich "erkrankte" und verstarb, und da sie weder schwanger war noch an Altersschwäche litt (sie dürfte Mitte 20 gewesen sein - genau wissen wir es nicht) ist das schon etwas merkwürdig. Volkes Stimme glaubte jedenfalls an eine Vergiftung; für die Engländer war die brave Rosemond Clifford eine der ihren, die von der bösen, ausländischen Königin ermordet wurde (dabei waren beide gleichermaßen Normanninnen :-), und Körner glaubte das auch. Und Dikigoros? Er weiß es nicht, aber ausschließen würde er gar nichts; sicher erscheint ihm nur, daß es sich so, wie Körner es darstellt, nicht gewesen sein kann, weder vom Ablauf der Handlung noch von der Motivation der Handelnden her - wobei er sich natürlich nicht vollständig in die Gedankenwelt einer Frau hinein versetzen kann, die in einer Lage war wie Eleonore von Aquitanien. Allerdings glaubt er nicht, daß eine Frau, der die Nebenbuhlerin androht, ihre Kinder zu ermorden, "freiwillig" Gift nimmt im Vertrauen darauf, daß die Kinder dann verschont werden - sie hätte sich doch denken können, daß die nach ihrem Tode erst recht umgebracht werden. Daß dies nicht geschah, ist in Dikigoros' Augen der einzige - aber wesentliche - Punkt, der gegen ein Mordkomplott Eleonores spricht. (Es sei denn, sie hätte geglaubt, daß sie auch Rosemonds Kinder um den Finger wickeln könnte, aber das ist pure Spekulation.)

Ja, die Frauen, vor allem die Königinnen, hatten es dem jungen, schwärmerischen Carl Theodor angetan, und seine besondere Verehrung galt nicht etwa seiner Landesmutter, der Königin von Sachsen, sondern der Königin Luise von Preußen, seinem "Racheengel", seinem "Heil'genbild für den gerechten Krieg". Dikigoros ist schleierhaft, wie die zu solcher Berühmtheit gelangen konnte - aber wahrscheinlich hatte sie das nicht zuletzt Körner zu verdanken. Gerächt hat sie niemanden, geschweige denn militärisch, und daß sie sich Napoléon Bonaparte persönlich zu Füßen geworfen habe, um Preußen zu retten, dürfte auch ein Gerücht gewesen sein - und selbst wenn es so gewesen wäre, hätte sie damit jedenfalls nichts Entscheidendes erreicht. Aber die Menschen haben nun mal von je her ein besonderes Bedürfnis nach weiblichen Heilsbringern; und dieses Bedürfnis hat - wie "Lady Di" oder "Mutter Theresa" zeigen - sowohl das 19. Jahrhundert im allgemeinen als auch die Befreiungskriege im besonderen überlebt. (Nur daß man im 20. Jahrhundert als Schönredner, -dichter und -sänger halt nicht mehr Theodor Körner hieß, sondern Elton John :-)

Was mag aber nun das wahre Motiv für die Verschwörung der Königssöhne gegen Heinrich II gewesen sein? Manche meinen, Heinrich jun. habe den Mord an seinem Erzieher, Thomas Becket, rächen wollen - aber der lag fast drei Jahre zurück und war gegessen, seit sogar der Papst Heinrich II vom darob über ihn verhängten Kirchenbann gelöst hatte. Und auch die Empörung ob der Maitresse, die Körner bei Richard Löwenherz den Ausschlag geben läßt, war wie gesehen schon acht Jahre abgestanden - hätte die wohl einen Aufstand mit anschließendem Bürgerkrieg in halb Europa gerechtfertigt? Nein, liebe Leser, der wahre Grund dürfte ein ganz banaler gewesen sein: Geschwisterneid. Heinrich II hatte doch anno 1169 den armen Johann leer ausgehen lassen; und nun, 1173, wollte er das zumindest teilweise wieder gut machen und ihm neben Irland - das er noch gar nicht hatte - aus dem Erbteil der anderen Brüder ein paar kleinere Happen heraus schneiden: Chinon, Loudon, Mirebeau und noch ein paar Schlösser in England, fürwahr nicht die Welt. Als er das jedoch in Limoges öffentlich verkündete, erhob sich sogleich sein ältester Sohn Heinrich und sagte ihm den Kampf an - und seine Brüder sahen das natürlich genauso: Kein Fleck Erde, geschweige denn mit Städten oder Schlössern darauf, für den jüngsten Bruder - der sollte so landlos bleiben wie er war! (Aber das war natürlich kein edles Motiv, auf das Körner sein Drama hätte bauen können :-) Böse Zungen könnten auch den Verdacht hegen, daß Johann gar nicht Heinrichs Sohn war - Eleonore war ein Seitensprung (oder auch mehrere :-) durchaus zuzutrauen. Es ist schon auffällig, daß Heinrich jun., Mathilde und Richard ihrem Vater allesamt wie aus dem Gesicht geschnitten waren: rotblondes Haar, stahlblaue Augen und ca. 1,90 m groß, was damals auch unter Normannen ganz außergewöhnlich war - vor allem für Frauen. (Heinrich der Löwe - Herzog von Sachsen und Gegenspieler Barbarossas -, der sich als Mittdreißiger mit einem kleinen Mädchen von gerade mal neun Jahren verlobt hatte, muß nicht schlecht gestaunt haben, als ihm Mathilde ein paar Jahre später als ausgewachsene Braut gegenüber stand - selbst im Knien war sie noch einen halben Kopf größer als er; aber geheiratet hat er sie ausweislich des Bildes auf seinem Evangeliar trotzdem, und sie bekam viele Kinder - von wem auch immer :-) Dagegen soll Johann Ohneland dunkelhaarig und -äugig, klein und mickrig gewesen sein - wenn das nicht nur eine bösartige Verleumdung ihm feindlich gesonnener Chronisten war; er könnte also das Ergebnis eines Seitensprungs sein. Aber wenn es wirklich so war, dann wäre Eleonore die letzte gewesen, die ein moralisches Recht gehabt hätte, ihre älteren Söhne gegen den Vater aufzuhetzen.

A propos feindlich gesonnene Nachwelt: An dieser Stelle kann Euch Dikigoros die Frage nicht ersparen, warum ausgerechnet Theodor Körner, mehr als alle seine Zeitgenossen, heute in der BRD persona non grata ist. Schließlich war auch Heinrich v. Kleist ein Kriegstreiber, der gegen die Franzosen hetzte - dennoch dürfen die meisten seiner Werke noch immer erscheinen. Und selbst Ernst Moritz Arndt, dessen Gedichte nicht weniger martialisch (und "volksverhetzend", wie man heute sagen würde) waren - man denke nur an seinen Schlachtgesang ("Zu den Waffen, zu den Waffen...") oder an sein Vaterlandslied ("Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte...") -, ist, sehr zum Leidwesen gewisser "Linksliberaler", noch nicht ganz in Acht und Bann: In Bonn am Rhein (dessen Einwohner noch 1960 anläßlich seines 100. Todestages einen feierlichen Fackelzug veranstaltet und dabei mehr als deutlich zum Ausdruck gebracht hatten, was sie von Adenauers "Aussöhnungs-Politik" mit Frankreich hielten, die drei Jahre später zum Abschluß eines "Freundschaftsvertrags" führen sollte, der - allen Lippen-Bekenntnissen vor allem deutscher Politiker zum Trotz - nie wirklich mit Leben erfüllt wurde, was Dikigoros persönlich sehr bedauert) hat man zwar inzwischen die Gedenktafel am Aufgang zum "Alten Zoll" entfernt, aber das alte Denkmal zwischen den Kanonen aus der Zeit der Befreiungskriege steht noch immer da; und immer noch gibt es auch das kleine Museum mit seinem Namen, in dessen Garten Dikigoros als Kind so oft gespielt hat; und auch das naturwissenschaftliche Gymnasium, in dem Dikigoros seine ersten verhaßten Turnstunden absolviert hat, ist noch nicht nach Albern Einstein oder irgend einem anderen Kommunisten und/oder Juden umbenannt worden, wie sich das doch eigentlich gehörte in einem Gemeinwesen politisch-korrekter Gutmenschen. (Und auch in Remscheid haben zwar Hooligans, pardon, gute Demokraten Arndts Büste gestohlen und in der Wupper versenkt; aber der Versuch, das Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium in "Gerd-Arntz-Gymnasium" umzubennen, scheiterte kläglich.) Arndt hat also Glück gehabt, anders als seine - ungleich harmloseren - Zeitgenossen H. Clauren alias Carl Heun (der 1813 das Gedicht Gnadenfrei ["Der König rief, und alle, alle kamen..."] verfaßte) und Max v. Schenkendorf, dem vor allem zwei seiner Gedichte zum Verhängnis wurden: Über Wenn alle untreu werden schreibt Dikigoros an anderer Stelle ausführlicher; und daß ein Lied wie Freiheit, die ich meine seinen Verfasser in einem Staat, wo es um die Gedanken-Freiheit nach Meinung vieler - von denen sich Dikigoros natürlich pflichtschuldigst distanzieren muß - schlechter bestellt ist als unter Napoleon und Hitler, zum Anathema macht, liegt auf der Hand.

[SA-Mann (NS-Propagandaplakat von Felix Albrecht)] [deutsches Propagandaplakat 1943. Copyright: Deutsches Historisches Museum Bonn/Berlin] [Sonderbriefmarke zu 12+8 Pf auf den 'Volkssturm']

Welches Gedanken-Verbrechen hat nun Körner begangen, daß mit ihm in der BRD so streng ins Gericht gegangen wird? Nun, eigentlich gar keines. Nicht mal die Zitate, die Ihr oben lest, stammen in dieser Form von ihm, obwohl sie ihm bis heute immer wieder fälschlich so zugeschrieben werden - auch diese Feststellung gehört auf eine Seite über vom Theater verzerrte Geschichte. Als der Propaganda-Minister Joseph Goebbels am 18. Februar 1943 seine große Theater-show, pardon, seine große Rede im Berliner Sportpalast abzog, wandelte er im Schlußsatz die Eingangszeile des Körner-Gedichts Männer und Buben ("Das Volk steht auf, der Sturm bricht los") vom Indikativ in den Imperativ um; so erschien es denn später auch auf den Plakaten für den "Volkssturm"; und auf den dazu gehörenden Briefmarken wurde daraus: "Ein Volk steht auf". Ihr meint, inhaltlich sei das doch gar keine Verfälschung gewesen, weil Körner ausdrücklich die alten Männer und die Buben aufrief, sich in para-militärischen Einheiten zusammen zu finden und dem eindringenden Feind entgegen zu werfen? Mag sein, aber sowohl der "Landsturm" als auch die Freikorps, die Körner meinte, bestanden aus Freiwilligen, wie er selber einer war (wenngleich der preußische König ausdrücklich zu ihrer Bildung aufgerufen hatte), während man zum "Volkssturm" auch unfreiwillig eingezogen wurde. Und wenn man schon in den Napoleonischen Kriegen trefflich streiten konnte, ob es Sinn machte, alte Männer und Buben, schlecht bewaffnet und noch schlechter ausgebildet, in den Kampf gegen "echte" Soldaten zu werfen, dann war es in der zweiten Hälfte des Zweiten Weltkriegs mit Sicherheit unsinnig, sie mit primitiven "Panzerfäusten" (die oft nicht viel mehr waren als umgebaute Ofenrohre - hinter denen sich bei Körner noch die Buben zuhause versteckt hatten) und alten Karabinern gegen Flugzeuge, Panzer und Maschinengewehre zu schicken. (Immerhin zeugte Goebbels Zitatenklau bei Körner von einer gewissen Originalität. Sein Intimfeind, der dicke Reichsmarschall Hermann Göring, pflegte dagegen unverändert ein Gedicht von Dietrich Eckart zu zitieren, das ebenfalls die Greise, die Buben, ja sogar die Mädchen und Mütter aufrief, und das mit einem Imperativ endete, der ebenso gut von Körner hätte stammen können: "Deutschland erwache!" Leider ist er dadurch heute, da er so dringend vom schlafmützigen deutschen Michel gehört - und befolgt - werden müßte, politisch belastet und somit tabu.)

Für das Jahr 1991 hatte die DDR, die Theodor Körner wie gesagt als einen der ihren "wiederentdeckt" hatte, große Gedenkfeiern zu seinem 200. Geburtstag geplant, mit prächtigen Truppenparaden der NVA und der verbündeten Roten Armee des großen sowjetischen Brudervolkes. Pech nur, daß die DDR-Bürger, denen der Sinn weit weniger nach Heldentum stand als nach Westmärkern für Westautos für Westreisen (und Bananen :-) anno 1989, als ihr sozialistisches Vaterland vor dem politischen und wirtschaftlichen Bankrott stand, keinerlei Neigung zeigten, die Mauer ihrer Festung zu verteidigen, sondern sie vielmehr nieder rissen und die Soldaten nach Hause schickten. (Daß sie sich damit die Türken ins Land holten - und noch andere Ausländer - sahen sie damals nicht. Als sie es dann sahen, steckten sie die Asylantenheime in Brand, aber da war es schon zu spät.) So wurde halt nichts draus; die neue Groß-BRD beschränkte sich darauf, einen läppischen Briefmarkenblock heraus zu geben - 1,60 DM (für jüngere Leser: ca. 80 Teuro-Cent), d.h. einen Brief und eine Postkarte, war ihr Theodor Körner noch wert - mit der harmlosen ersten Strofe von "Lützows wilde Jagd", die für ein simples Jagdlied halten könnte, wer das Original nicht kennt (was wohl auf 99% zumindest der Wessis zutrifft - Dikigoros ist sich nicht einmal sicher, ob nicht die übrigen Strofen längst heimlich als "volksverhetzend" verboten sind, wie alle Strofen des "Deutschlandliedes" außer der dritten in der BRD und einst alle von "Auferstanden aus Ruinen" in der DDR). Und wir können wohl getrost davon ausgehen, daß der Sachse Theodor Körner im Jahre 2013, an seinem 200. Todestag, auch bei seinen Landsleuten so gut wie vergessen sein wird - aber sie werden es verschmerzen, denn Ersatz ist vorhanden, wie das folgende Kapitel zeigt.

[Körners Büste] [Körner-Gedenktafel in Leipzig]

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