150. Jahrestag - was hält Italien noch zusammen?

Ausgerechnet zum großen Jubeltag, dem 150. Jahrestag der
Einigung, kulminiert der Streit über die nationale Einheit

von Birgit Schönau (WELT Online, 28.2.2011)

Die "Schreibmaschine": Roms Nationaldenkmal von 1911 huldigt
König Viktor Emanuel und der Einheit des Vaterlandes

Italien wird 150 Jahre alt, das muss gefeiert werden. Am 17. März 1861 wurde Viktor Emanuel von Savoyen zum König von Italien ausgerufen. Also werden in der Morgenröte des 17.März überall im Land die Fahnen aufgezogen, also donnern vom römischen Gianicolo-Hügel Kanonenschüsse, also begibt sich das Parlament zu einer Sondersitzung. Ausklingen wird der Tag dann in den noch nicht ganz kaputtgesparten Musiktheatern mit Verdi-Opern. Dieser Teil des Programms steht immerhin, doch um die übrige Gestaltung des Jubiläums ist ein geradezu surreal anmutender Streit ausgebrochen.

»Mit kaltem Herzen« begehe das Land den wichtigen Jahrestag, hat der frühere Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi geklagt. Das stimmt indes nicht ganz. Meinungsumfragen ergeben, dass immerhin vier Fünftel der Italiener den Geburtstag ihres Landes gern feiern, interessanterweise umso lieber, je weiter links sie stehen. Das »kalte Herz«, von dem der Verfassungspatriot Ciampi spricht, gehört also weniger den Bürgern als ihren Volksvertretern.

Monate lang schwelte die Debatte, ob man den Italienern an ihrem Festtag freigeben müsse. Die Unternehmer waren naturgemäß dagegen, die Gewerkschaften gespalten, ebenso wie die Regierung. Präsident Silvio Berlusconi selber ist viel zu beschäftigt mit den drei Prozessen, die ihn als Angeklagten erwarten, als dass er sich mit Kleinigkeiten wie einer 150-Jahr-Feier beschäftigen könnte. Immerhin: Knapp vor Toresschluss erließ seine Regierung am vergangenen Freitag ein Dekret, mit dem ein arbeitsfreier 17. März angeordnet wurde. Eine Notverordnung für den Feiertag – als handele es sich um einen ernsten Krisenfall. Dabei hatten die rechts regierten Regionen Sizilien, Kalabrien und Latium schon eigenmächtig verfügt, die Schulen geschlossen zu halten. So viel zur Einheit Italiens am Jahrestag der Einigung Italiens.

Berlusconis Koalitionspartner von der Lega Nord werden ohnehin die Feier boykottieren. Die Lega-Separatisten finden den italienischen Nationalstaat hoffnungslos von gestern, sie regieren heute schon Piemont und Venetien und träumen dabei von einem Phantasialand namens Padanien, das sich bis zur Emilia Romagna ausdehnt, befreit vom »räuberischen Rom« und vom »afrikanischen Süden«.

Obwohl sie in der römischen Zentralregierung immerhin den Innenminister stellt, lehnt die Lega nationale Symbole wie die Nationalhymne oder die Trikolore ab. Parteifchef Umberto Bossi wurde gar schon wegen der Schmähung der Nationalfahne belangt, nachdem er getönt hatte, er benutze die Trikolore als Toilettenpapier. Die Fahne »Padaniens« ist grün mit einer an keltische Runen erinnernden stilisierten »Alpensonne«. Als Hymne fungiert der Gefangenenchor aus Verdis Oper Nabucco, wobei es die Lega wenig stört, dass es sich bei dem Komponisten selbst um einen Helden des Risorgimento handelt, der Einigungsbewegung im 19. Jahrhundert. Hauptsache: Verdi ist Norditaliener.

In der massiven Ablehnung des Jubiläumsfests erhält die Lega Unterstützung aus Südtirol. Luis Durnwalder, der seit einem Vierteljahrhundert als Landeshauptmann in Bozen herrscht, erklärte in einem offiziellen Schreiben, er denke nicht daran, an der Feier teilzunehmen, denn die »österreichische Minderheit« in Südtirol könne die Freude über 150 Jahre Italien durchaus nicht teilen. Im Radio setzte Durnwalder dann noch eins drauf: »Es lebe Italien, das kommt mir niemals über die Lippen.«

Im römischen Parlament votierten die beiden Abgeordneten der deutschsprachigen Minderheitspartei SVP Mitte Dezember bei einem Misstrauensvotum für Berlusconi, damit die Provinz Bozen im Gegenzug ihren Anteil an einem Nationalpark erhielt. Das zweite Wahlgeschenk Berlusconis bestand darin, den Südtirolern die Aufstellung von historisch-kritischen Geschichtstafeln neben den noch immer in der Landschaft verstreuten Monumenten aus der Zeit des Faschismus zu erlauben. Damit allerdings zeigte sich die italienische Rechte in Südtirol erwartungsgemäß nicht einverstanden.

An der Debatte um die 150-Jahr-Feier wird überdeutlich, wie sehr die regierende Klasse die Geschichte ihres Landes, unbekümmert um historische Wahrheiten, als Selbstbedienungsladen für die jeweilige parteipolitische Propaganda ausbeutet. Die Interpretation der Ereignisse aus dem März 1861 schwankt zwischen höhnischer Ablehnung und schwärmerischer Heldenverehrung. So tritt ausgerechnet zum Jubiläum eine italienische Identitätskrise zutage, die auch nach anderthalb Jahrhunderten noch nicht abgeschlossen scheint. Und dahinter dräut die beunruhigend aktuelle Frage: Was hält Italien eigentlich heute noch zusammen – abgesehen von der Vorschrift, dass alle Gymnasiasten von Bozen bis Palermo Manzonis Nationalroman Die Verlobten lesen müssen? Jedenfalls keine gemeinsame Idee mehr, keine gemeinsame politische Kraft, mit der einst die Revolutionäre Giuseppe Garibaldi und Giuseppe Mazzini auf der einen Seite und der diplomatisch geniale Graf Camillo Benso Cavour auf der anderen den italienischen Nationalstaat schufen.

Die republikanische Vision ist im Circus Italia abgelöst durch die tägliche Realityshow der Unterhaltungsdemokratie. Dazu passt, dass die bisher einzige öffentliche Bühne, die gleich drei Minister der Berlusconi-Regierung anlässlich des Jubiläums einträchtig betraten, im Theater des Schlagerfestivals von San Remo stand. Die Politiker wurden dort flankiert von einer Exteilnehmerin des »Dschungelcamps« und der Freundin des Schauspielers George Clooney. Ursprünglich sollten bei der Geschichtsrevue in San Remo auch zwei Lieder aus der jüngsten Vergangenheit vorgetragen werden: die Partisanenhymne Bella Ciao und gleichberechtigt daneben das faschistische Kampflied Giovinezza. Zum Glück hatten die Chefs des staatlichen Fernsehsenders RAI in letzter Minute ein Einsehen. Aber allein die Tatsache, dass der Faschismus neben der Resistenza seinen Platz im Hintergrundgedudel der italienischen Spätdemokratie gefunden hat, ist bizarr.


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