Sogar Steine brannten

von Chris Melzer

(Frankfurter Neue Presse, 6.8.2010)

Der Bomber bekam noch den Segen eines Feldgeistlichen, bevor er sich am 6. August 1945 in den Himmel erhob. Fünfeinhalb Stunden später klinkte er «Little Boy» aus – die erste Atombombe der Geschichte.

New York. 1976 machte Paul Tibbets alles noch einmal genau wie 31 Jahre zuvor: In weitem Bogen flog er mit seiner B-29 an, dann warf er die Bombe. Es war nur die Attrappe der ersten Atombombe der Welt, die da auf einer Flugschau in Texas in einer Pilzwolke explodierte, doch die Vorstellung sorgte für eine offizielle Entschuldigung der USA in Japan und eine neue Debatte: War der Abwurf zweier Atombomben vor 65 Jahren auf Hiroshima (6. August) und Nagasaki (9. August) eine Heldentat? Oder ein Kriegsverbrechen?

Einige Fakten sind unumstritten: Im Juli 1945 zündeten die USA als erstes Land der Erde einen atomaren Sprengsatz.

Schon drei Wochen nach diesem Test in der Wüste von New Mexico explodierte über der japanischen Stadt Hiroshima die Atombombe mit dem Codenamen «Little Boy» – abgeworfen aus Tibbets’ B-29.

Drei Tage darauf verwüstete eine Bombe Nagasaki. Sechs Tage später erklärte Kaiser Hirohito Japans Kapitulation.

Hunderttausende Opfer

Doch da beginnt schon die Kontroverse. Das fängt bei der Zahl der Opfer an. Zehntausende, sagen die Befürworter des Abwurfs, mehrere Hunderttausend seine Kritiker.

Vermutlich verbrannten in Hiroshima etwa 70.000 Menschen, noch einmal 25.000 in Nagasaki. An den Spätfolgen starben mindestens 120.000 Menschen, nach anderen Schätzungen doppelt so viel.

Welche Kraft die Bombe hat, zeigt eine Skulptur aus Hiroshima, die heute bei den Vereinten Nationen steht. Die Hitze war so stark, dass das Material Blasen schlug. Die Figur ist aus Stein.

Die Atombombe sei militärisch nicht notwendig gewesen und habe nur «am lebenden Objekt» erprobt werden sollen, klagen Kritiker wie der Historiker Gar Alperovitz. Deshalb seien zwei Städte ausgewählt worden, die bis dahin von Luftangriffen verschont worden waren. Leo Szilard, der wohl als erster Physiker die Idee einer Atombombe hatte und diese für die USA mitentwickelte, sagte nach dem Krieg: «Hätten die Deutschen die Atombombe auf unsere Städte geworfen, hätten wir das ein Kriegsverbrechen genannt und die schuldigen Deutschen in Nürnberg zum Tode verurteilt und gehängt.»

Den Vergleich lassen die Befürworter nicht gelten. «Die Hoffnung auf eine Kapitulation Japans war trotz der aussichtslosen Lage vergebens», schreibt zum Beispiel der Historiker Victor Davis Hanson. In der Schlacht von Okinawa kämpften die Japaner um jeden Fußbreit, 12 000 Amerikaner und mehr als 110 000 Japaner starben – nur acht Wochen vor Kriegsende. In Washington gingen die Planer von einem Kriegsende im Jahr 1947 aus.

Warnung an Moskau

US-Außenminister James Byrnes sprach damals von einer halben Million alliierter Soldaten, die bei einer Fortsetzung des Krieges ihr Leben verloren hätten.

Doch Kritiker wie Alperovitz werfen Byrnes und Präsident Harry Truman vor, Adressat der Bomben sei weniger Tokio als vielmehr Moskau gewesen. Washington habe eine Drohkulisse gegen die aggressive Politik der Russen aufbauen wollen. Deshalb auch zwei Bomben: Die erste sollte zeigen, dass man «die Bombe» habe. Die zweite, dass man das auch wiederholen könne.

Mittlerweile sind die USA und Japan Verbündete und sogar Moskau und Washington so etwas wie Freunde. Im April vereinbarten beide Staaten, die Zahl ihrer nuklearen Gefechtsköpfe in den nächsten sieben Jahren von je 2200 auf 1550 zu reduzieren.

Historisch nötig?

Zum 60. Jahrestag des Abwurfs hatten Tibbets und die beiden anderen noch lebenden Männer seiner Besatzung die Bombe als «nötiges Moment» der Geschichte bezeichnet: «Wir haben nichts zu bereuen.» Zwei Jahre später starb der General mit 92. Im Testament hatte er verfügt, dass seine Asche in den Ärmelkanal gestreut wird. Kein Grab sollte übrigbleiben, um Anti-Atom-Demonstranten als Pilgerziel zu dienen.


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