GUT GEMEINT REICHT NICHT

von Kurt Pätzold (junge welt, 14. 12. 2001)

Antifaschismus ist nicht alles: Jacques Pauwels* untersucht die
Frage, welche Interessen die USA im 2. Weltkrieg verfolgten

In einem Moment, da kritische Erörterung der vergangenen und vor allem der gegenwärtigen Politik der herrschenden und regierenden Kreise der Vereinigten Staaten von Amerika als Mißachtung der Opfer des 11. September 2001 denunziert und verfolgt wird, ist ein Buch auf den Markt gekommen, das allein freilich die Wiederherstellung normaler Zustände nicht wird bewirken können. Es erinnert aber an sie. Sein Autor, in Belgien geboren und in Kanada lebend, hat seinen Text flämisch geschrieben. Deutsch gedruckt sollte er seine Leser finden. Jacques Pauwels ist sich bewußt, daß sein Buch als »antiamerikanisch« abgetan werden kann. Er verweist darauf, daß viele US-Amerikaner, die sich einen unverstellten Blick in ihre Geschichte bewahrt haben, auch als derlei Feinde eingruppiert werden müßten. Das bewerkstelligen nun freilich die »wahren Amerikaner«.

Was unterscheidet dieses Buch von den vielen Geschichtsbüchern, die zum gleichen Thema, der Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegsgeschichte der USA, geschrieben wurden? Zunächst, wie der Autor einleitend bekennt, daß seine Darstellungen nicht auf eigenen Recherchen in Archiven beruhen. Es ist ein Buch aus zweiter Hand, fußend auf der Durcharbeitung einer erheblichen Zahl ausgewählter Bücher, in denen Spezialisten ihre Forschungsergebnisse darlegten. Das Verfahren ist legitim. Gäbe es nicht Autoren, die es bevorzugen, würde vieles auf verschlungenen Wegen Gefundene und in gelehrten Studien Ausgebreitete nie einem größeren Leserkreis vor Augen kommen. Zudem gibt es ganz wenige Werke, deren Autoren ausschließlich aus Archivfunden oder Quellentexten geschöpft hätten. Und selbst die Autoren solcher Texte haben Kenntnisse im Kopfe, die sie anderen verdanken.

Pauwels kennt die gesellschaftliche Kategorie »Interesse« und hat sich folglich mit Vorzug in jenen Büchern belesen, in denen sie nicht oder nicht vollständig ignoriert wird. Und er begreift die in Geschichte waltenden Interessen nicht in erster Linie als geistige. Das wäre auch nicht eben sensationell? Ja, aber die Betrachtungsweise gerät aus der Mode. Denn: Sie kann unbeliebt machen, weil der Verweis auf Interessen wieder Interessen berührt. Indessen: Der doppelt promovierte Verfasser ist mit seinem Buch nicht auf Liebe aus. Er zielt auf die Kennzeichnung eines Mythos, den er mit Wahrheiten konfrontiert und so bloßstellt. Das geschieht ohne eifernden Duktus, Zug um Zug, sachlich, mitunter nicht frei von störenden Wiederholungen.

Die Titelei (des Verlages?) ist ein wenig irreführend. Denn Pauwels zweifelt nicht daran, daß die Soldaten der US-amerikanischen Streitkräfte in der Anti-Hitler-Koalition für eine gute Sache kämpften, als sie dazu beitrugen, die faschistische Mächtekoalition zu zerschlagen. Auch gemessen an den Kriegen, welche die USA vor 1941 und nach 1945 führten, billigt er dem gegen Deutschland und seine Verbündeten die Zuschreibung »gut« zu. Nur hält er sie nicht für erschöpfend. So fragt er danach, ob da nicht noch ein paar sehr reale Interessen mitwirkten und welchen Platz diese in der Interessenhierarchie besetzten. Vor jedem Gedanken daran türmen sich der Berg der good-feeling-, also jener patriotischen Erbauungsliteratur, und - wirkungsvoller noch - jene endlose Produktion von US-amerikanischen Kriegsfilmen, die zeigen, daß »wir Amerikaner« schon immer für Menschenrechte - wofür sonst - gekämpft haben. (Mit diesem Verweis liefert der Autor, was er zum Zeitpunkt, da er schrieb, nicht wissen konnte, ein Stück Vorgeschichte jener dominierenden Geistes- und Gemütshaltung der Mehrheit der USA-Bürger, welche sich die Administration in Washington nach dem 11. September 2001 zunutze machen konnte.)

Pauwels zitiert die hehren Formulierungen der Atlantikcharta vom August 1941, mit der die Kriegsziele der beiden anglo-amerikanischen Mächte dem Boden der geschichtlichen Tatsachen weit entrückt wurden. Und dann handelt er von den Interessen der Mächtigen im Weißen Haus und im Pentagon; von denen, welche die dort getroffenen Entscheidungen prägten; von ökonomischen Krisen und Projekten und von unverhofften Chancen, sie zu überwinden; von Profiten in Friedens- und Kriegszeiten, von den Segnungen der Rüstungsgüternachfrage und von den Möglichkeiten, die sich mit der Vollbeschäftigung für Arbeiter und Angestellte in den USA boten, ihre Arbeitskraft teurer zu verkaufen; von den Geschäftsbeziehungen, die US-amerikanische Großunternehmen vor 1939 und nach 1939/1941 in Deutschland pflegten, von den Betrieben, die sie in Deutschland unterhielten, und dem Höhenflug von deren Produktionsausstoß und Gewinn. Wer sich also nicht nur für die stündlich im Radio übermittelten Angaben über die Bewegung des Kurses seiner Aktien interessiert, sondern sich an einem wahrhaft repräsentativen Fall ein wenig darüber instruieren will, von wem und wie und warum Geschichte gemacht wird, dem kann das Lesen dieses Buches zum Nutzen gereichen. Zugegeben: der Faktor Ideologie kommt auf dessen Seiten zu kurz. Er ist nicht nur Etikett und Verkleidung.


* Jacques Pauwels: Der Mythos vom guten Krieg. Die USA und der 2. Weltkrieg, PapyRossa, Köln 2001, 302 S., DM 32,30


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