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13.07.1998
»Furchtbarer Jurist«
Vor 20 Jahren Gerichtstermin in Sachen Filbinger vs. Hochhuth

»Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein!« Mit diesem heute schon legendären Satz versuchte im Sommer 1978 der amtierende Ministerpräsident Baden-Württembergs, Hans Filbinger, sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen, noch in den letzten Kriegsmonaten 1945 als Marinerichter drakonische Strafen, sogar Todesurteile, wegen Fahnenflucht verhängt zu haben.

Die Zeit hatte mit einem Vorabdruck des Romans von Rolf Hochhuth, in dem dieser Hans Filbinger als »Hitlers Marinerichter« und »furchtbaren Juristen« bezeichnete, den Stein ins Rollen gebracht. Der CDU-Politiker Filbinger klagte auf Unterlassung dieser Äußerungen - und verlor. Hochhuth wurde lediglich untersagt, weiterhin zu behaupten, Filbinger würde seine Freiheit dem Schweigen anderer verdanken.

Hans Karl Filbinger, geboren am 15.9.1913 in Mannheim, studierte Jura und Volkswirtschaft in Freiburg, München und Paris. Nach Abschluß seines Studiums arbeitete er als Assistent an der Freiburger Universität, bevor er im August 1940, knapp 27 Jahre alt, zur Marine kam. Als Offizier und Jurist wurde er zur Kriegsgerichtsbarkeit abkommandiert, war zunächst an Nord- und Ostsee, ab März 1943 bis Kriegsende in Norwegen tätig.

Bekannt sind drei Fälle, in denen der spätere Bundesverdienstkreuz-Träger Filbinger die Todesstrafe ausgesprochen hatte, von denen zuerst das Urteil gegen den Matrosen Walther Gröger ans Licht kam, nachdem Filbinger zuvor immer bestritten hatte, Todesurteile gefällt zu haben. Walther Gröger war zum Zeitpunkt seiner Hinrichtung 22 Jahre alt. Er wurde im März 1944 von einem deutschen Feldgericht zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, da er Vorbereitungen zur Flucht nach Schweden getroffen haben sollte, davon aber, wie das Feldgericht befand, erwiesenermaßen wieder Abstand nahm. Der Flottenchef, Admiral Otto Schniewind, kassierte am 17. Juni 1944 das Urteil, da es ihm zu milde erschien, unbeeindruckt von dem guten Führungszeugnis, das die Gefängnisleitung dem Matrosen ausstellte.

So wurde das zweite Verfahren am 16.1.45 in Oslo eröffnet. Marinestabsrichter Filbinger fungierte als Vertreter der Anklage und beantragte auf Weisung des Admirals die Todesstrafe. Der Tatbestand der Anweisung von oben bedeutete aber nicht, daß Filbinger keine Möglichkeit gehabt hätte, Bedenken und Einwände gegen das Strafmaß zu erheben.

Dazu heißt es in der Kriegsstrafverfahrensordnung von 1938, Paragraph sieben » ... wird die Weisung nicht für rechtmäßig gehalten, müssen Bedenken vorgetragen werden, bleiben sie erfolglos, trägt der Gerichtsherr die Verantwortung«. Weder hatte Filbinger Bedenken gegen diese Weisung noch sich selbst als leitenden Offizier der Vollstreckung des Urteils einzuteilen. Dazu Filbinger 1978: »Wenn ich die Weisung für rechtswidrig gehalten hätte, hätte ich Bedenken anmelden müssen.«

Als dieses Urteil 1978 bekanntwurde, konnte sich Filbinger zunächst nicht mehr daran erinnern, obwohl er selber die Hinrichtung beaufsichtigt und protokolliert hatte. Bald nach dem Fall Gröger wurden zwei weitere Todesurteile bekannt. Im April 1945 wurden zwei nach Schweden geflohene Fahnenflüchtige in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Filbinger bezeichnete diese Urteile als »Phantomurteile«, da sich die Verurteilten außerhalb des Machtbereichs der deutschen Militärjustiz befunden hätten, vergaß aber zu erwähnen, daß Schweden bis unmittelbar vor Kriegsende noch Fahnenflüchtige an Deutschland auslieferte.

Schließlich erschien im August 1978 in der Öffentlichkeit noch das vierte Todesurteil gegen den Matrosen Günther Krämer. Im Juni 1943 war Filbinger Marinehilfskriegsgerichtsrat der Ostseestation, Zweigstelle Westerland, wo ihm sieben Tatverdächtige, die eine ausgebombte Drogerie geplündert haben sollen, in seiner Funktion als Untersuchungsführer vorgeführt wurden. In Günther Krämer glaubte er den Rädelsführer der Gruppe zu erkennen, für den er als Anklagevertreter im Prozeß wegen fortgesetzter Plünderung die Todesstrafe forderte.

Während die übrigen Angeklagten zu Gefängnisstrafen zwischen 18 Monaten und vier Jahren verurteilt wurden, entsprach das Gericht Filbingers Antrag. Doch vier Tage später verfaßte der eben noch erfolgreiche Ankläger einen Bericht, in dem er plötzlich Zweifel anmeldete, ob der verurteilte Krämer tatsächlich der Anführer gewesen ist, um dann vorzuschlagen, in diesem Falle »Gnade vor Recht« ergehen zu lassen, obwohl »die Tat todeswürdig sei«. Schließlich befürwortete er eine Zuchthausstrafe von zehn Jahren. Wofür ihn die Welt 35 Jahre später mit der Schlagzeile »Diesmal Filbinger der Retter« feierte. Dabei hatte Filbinger nichts weiter getan, als den Verurteilten vor seiner eigenen Willkür zu schützen - immerhin erschien selbst die reduzierte Strafe dem Oberbefehlshaber der Ostseestation als überhöht, weshalb er sie auf acht Jahre heruntersetzen ließ. Der »Gerettete« starb in der Haft an Lungenentzündung.

Dieser Fall ist für die Richtersprüche Filbingers charakteristisch. In einer ganzen Reihe von Routinefällen erließ er Urteile, die dann nachträglich von den Oberkommandierenden im Strafmaß reduziert wurden. Und auch nach Kriegsende strafte Filbinger, der sich selber »als im Dritten Reich von Anfang an zum geistigen Widerstand gehörend« einstufte, munter weiter: Die Angehörigen der Deutschen Wehrmacht wurden damals von den Briten in Internierungslager eingewiesen, in denen die Deutschen jedoch weiterhin die Gerichtsbarkeit ausüben durften. Am 29.5.1945 wurde ein 24jähriger Obergefreiter von Filbinger zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt, weil er seinem Batteriechef im betrunkenen Zustand zurief: »Ich werde den Engländern schon sagen, was ihr für Nazi-Hunde seid...«. Schwerer schien für Filbinger allerdings die Tatsache zu wiegen, daß der ehemalige HJ-Führer demonstrativ das Hakenkreuz von seiner Uniform entfernt hatte, und so befand er, daß der Angeklagte »zersetzend und aufwiegelnd für die Manneszucht wirkt« und: »seine Äußerungen stellen ein hohes Maß an Gesinnungsverfall dar«.

Als der »Spiegel« schon 1972 über diesen Fall berichtete, klagte Filbinger auf Unterlassung und erklärte: »Meine antinazistische Einstellung ist bekannt und belegt.« Schon während seiner Studienzeit schrieb der erklärte Antinazi Filbinger im April 1935 in einem Artikel für die katholische Zeitschrift Werkblätter: »Diese Blutgemeinschaft muß rein erhalten und die rassisch wertvollen Bestandteile des deutschen Volkes planvoll vorwärtsentwickelt werden.«

Am 7. August 1978 trat Filbinger nach anhaltendem Druck als Ministerpräsident zurück und gründete 1979 das Studienzentrum Weikersheim, das sich selbst die Aufgabe stellte, der »politischen, geistigen und moralischen Knochenerweichung« innerhalb der Unionsparteien den Garaus zu machen. So gab es auch keinerlei Berührungsängste etwa den Republikanern gegenüber: Deren Bundesvorsitzender Rolf Schlierer war im Präsidium der Stiftung. Das ehemalige NPD-Mitglied Wolfgang Strauß, Autor des Satzes »Der Nationalsozialismus ist die Idee und das Organisationsprinzip des sich selbst befreienden Volkes.«, trat als Referent in Weikersheim auf.

Ministerpräsident Erwin Teufel dankte 1997 dem aus Altersgründen scheidenden Präsidenten Filbinger und dem Studienzentrum für dessen »Beitrag zur geistigen Fundierung der Gesellschaft«.

Filbinger vertritt heute die Aufassung, die Hauptverwaltung Aufklärung des MfS hätte damals die Akten lanciert, aus denen hervorging, daß er an drei Todesurteilen beteiligt war. Hochhuths Erwiderung: »Ich habe den eindeutigen Nachweis, daß der Matrose Walther Gröger nicht von Erich Mielke erschossen wurde, sondern von Dr. Filbinger. Er war es, der >Feuer!< gerufen hat.« Weder eine eidesstattliche Erklärung Hochhuths, keine Papiere von der Stasi erhalten zu haben, noch die Aussage des stellvertretenden Leiters der zuständigen HVA-Abteilung, daß es sich bei der Sache um einen »Selbstläufer« gehandelt hätte, bei dem wenig zu tun gewesen wäre, da die Tatsachen für sich sprachen, hindern Filbinger bis heute, sich öffentlich ob des Unrechts zu beklagen, das ihm widerfahren sei.

Susanne Milkau

(Aus der Wochenend-Beilage)

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