Die Rückkehr des "DOUBLETHINK"

von Elena Louisa Lange* (Achse des Guten, 29. August 2022)

Anmerkungen und ergänzende Links: Nikolas Dikigoros

Wer dem politischen Zeitgeist entgegensteht, ist mit Bezügen zu George Orwells dystopischen Roman "1984" schnell bei der Hand. Hier ist endlich der Text, in dem sie fein säuberlich ausgearbeitet werden. Und zwar vor dem Hintergrund des Corona-Horrors.

Die biopolitische Reduktion auf das "nackte Leben" als dominantes Narrativ der Covid-Politik der letzten zwei Jahre erklärt nur unzureichend die Machtrestauration linksliberaler Eliten nach der Brexit/Trump-Revolte. Die kulturelle und politische Hegemonie eines autoritär-neoliberalen Linksintellektualismus wurde in seiner medialen Repräsentation zusätzlich durch das gesichert, was George Orwell in 1984 "Doublethink" nannte: eine Form der mentalen Disziplin, deren Ziel es ist, zwei widersprüchliche Aussagen gleichzeitig zu glauben. (Anm. Dikigoros: z.B. daß es gut ist, Millionen anti-semitischen Muslimen die Migration in die europäischen Sozialsysteme zu ermöglichen - alles andere wäre "islamofob" -, aber schlecht, als Nicht-Muslim "anti-semitisch" zu sein - womit fälschlicherweise anti-jüdisch gemeint ist, denn Semiten sind ja sowohl Araber als auch Juden Semiten :-)

Doublethink avancierte, als staatliche Realitätskontrolle, zur gängigen Propaganda des Covid-Regimes. So wurde in den letzten Jahren beispielsweise zum Slogan "Folgen Sie der Wissenschaft" in Bezug auf den Klimawandel und Covid ebenso zurückgegriffen wie zur Behauptung, dass "biologisches Geschlecht ein gesellschaftliches Konstrukt" sei. Oder es wurde propagiert, dass "Impfstoffe sicher und wirksam" seien und gleichzeitig behauptet, dass Ungeimpfte ein ständiges Infektionsrisiko für Geimpfte darstellten. Doublethink in diesem Sinne stellt eine Form kollektiver kognitiver Dissonanz dar, eine intellektuelle "Abschottung", die im Dienst des Autoritarismus steht.

Wie der deutsche Sozialpsychologe Rainer Mausfeld in seinem Buch "Angst und Macht" (2019) gezeigt hat, blockiert das "auf diese Weise erzeugte mentale Flirren aus sinnentleerten Wörtern, Sinnfetzen und Affekten [...] grundlegend die Möglichkeiten, überhaupt eine geistige Ordnung zu gewinnen und schafft damit die Grundlagen für eine kollektive gesellschaftliche Verdummung. Von all diesen Möglichkeiten, grundsätzlich die Befähigung zu schwächen, überhaupt noch irgendwelche Überzeugungen ausbilden zu können, macht der Neoliberalismus systematischen Gebrauch. In dem Maße, wie die Möglichkeiten zu einem vernünftigen Denken behindert werden, wird auch der politische Raum entleert und somit der Demokratie ein für allemal das Fundament entzogen."

Gerade letzteres lässt sich derzeit in Echtzeit beobachten. So werden demokratische Grundprinzipien wie freie Meinungsäußerung, die jahrelang von derselben Linkselite beschworene "Debattenkultur", aber auch körperliche Integrität, Versammlungsfreiheit und die Unverletzlichkeit der Wohnung von der linksbewegten herrschenden professionellen Management-Klasse durch das Corona-Regime preisgegeben. Der Mechanismus des Doublethink stellt kein peripheres Kommunikationsproblem dar, sondern er ist ein gewolltes manipulatives Mittel, Herrschaft zu legitimieren. Orwells Konzept des "Doublethink" ist bedeutend für die Restauration neoliberaler Eliten während der Covid-Krise. Schließlich sind Kohärenz, Vernunft und Logik kein Selbstzweck, sondern konstitutiv für das, was man mit Hegel eine "Ontologie der Freiheit" nennen kann. Ohne eine auf Vernunft gegründete Freiheit ist der Mensch der Tyrannei ausgeliefert - wie wir sie derzeit im globalen Covid-Regime erleben.

Das "Seuchennarrentief" (Kay Sokolowsky)

Das Wort der Stunde heißt "Narrativ". Nur: Was ist das für ein Narrativ, das uns - und zwar jedem, der über einen Empfänger staatlicher Medien verfügt - seit über zwei Jahren um die Ohren gehauen wird? Wer die derzeitige weltgesellschaftliche Transformation in diverse biopolitische Zwangs- und Überwachungsregime, wie sie derzeit Corona-Oberbefehlshaber wie Justin Trudeau in Kanada, Scott Morrison in Australien und Olaf Scholz in Deutschland ausleben (allesamt WEF-"young global leaders", aber das nur nebenbei), verstehen will, muss sich wohl oder übel mit dem beschäftigen, was "die Medien" als Staatsrepräsentanten ihren vom Stress des Alltags nicht selten überwältigten Lesern mitgeben: ein Narrativ. Doch sucht man dieses vergebens. Denn das Charakteristikum des Corona-Narrativs ist es, eben keins zu sein, jedenfalls wenn man unter "Narrativ" eine logisch wohlgeformte Erzählung versteht.

Vergegenwärtigen wir uns einige Aussagen von Politikern, Gesundheitsexperten und Mediengestalten im Zusammenhang mit Covid (1) in den letzten zwei Jahren:

Den letzten Widerstandswillen brechen

So weit, so amüsant. Die Inkongruenz der einzelnen Aussagen wurde noch durch eine Faktenlage untermauert, die jeder Pressekonferenz-Mitteilung eines Spahns, Seehofers, Merkels, Drostens, Lauterbachs zu "Hospitalisierungen", "Inzidenzen", "Überlastungen" und vor allem zu den realen Gefahren einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus widersprach. Man denke beispielsweise an die erstaunlichen Berichte der italienischen und der portugiesischen Regierungen, dass nur ein Bruchteil der zunächst von den offiziellen Behörden angegebenen Todesopfer tatsächlich wegen (ob "mit" oder "an") Corona verstarb. Ein Bruchteil im Falle Italiens: nicht 138.000 "Covid-Opfer", sondern nur etwa 3.800.

Es wurde sozusagen im hellsten Tageslicht gelogen, erpresst und manipuliert - mit dem feinen Unterschied, dass der blanke Gesundheitswahn nicht nur alles das zerstörte, was gemeinhin unter dem Begriff der Gesundheit zu fassen wäre, nämlich gesunde menschliche Beziehungen und Freiheit von Angst, sondern, dass die von der Regierung geladenen Experten den expliziten Auftrag hatten, Angst und Schrecken zu verbreiten, wie man spätestens seit der Veröffentlichung des "internen Strategiepapiers des Innenministeriums zur Corona-Pandemie" weiß. Das Auseinanderfallen von dem, was man zu tun vorgab, und dem, was man dann tatsächlich tat, zeigte sich nirgendwo so deutlich wie im Gerede von den "vulnerablen Gruppen", die man durch Impfungen und Masken angeblich schützen wolle.

Eine Reihe von Studien über die Schäden von NPIs (nicht-pharmazeutischen Interventionen) und des Massenimpfprogramms hat jedoch gezeigt, dass Lockdowns und Impfstoffe vor allem den "vulnerablen" Gruppen schaden, die sie vorgeben zu schützen: nämlich Kindern und jungen Erwachsenen, älteren Menschen und Armen. Im Gegensatz zu dem, was die treuen Freunde der Staatsform, wie etwa Slavoj Zizek, glauben, hat das allerdings nichts mit chaotischen Strukturen und "Missmanagement" eines ansonsten absolut an unserem Wohlergehen interessierten Staats zu tun, sondern ist gewolltes Kalkül: Menschen soll noch der letzte Widerstandswille gebrochen werden, denn nur so sind sie beherrschbar.

Fünf oder vier Finger?

Im Nachwort der englischen Ausgabe von 1984 erwähnt Thomas Pynchon, dass Orwell, der sich selbst als „socialist“ bezeichnete und als Autor von The Road to Wigan Pier (1937) das Leid der britischen Arbeiterklasse beschreibt, sich kurz nach dem Zweiten Weltkrieg mit der "offiziellen Linken" und ihren Stalinismus-Apologeten auseinandersetzte, deren ideologische Heimat die britische Labour Party war. Im März 1948, während der Überarbeitung des Manuskripts von 1984, schrieb Orwell:

"Aus etwas komplizierten Gründen wurde fast die gesamte englische Linke dazu getrieben, das russische Regime als 'sozialistisch' anzuerkennen, während sie im Stillen weiß, dass sein Geist und seine Praxis jedenfalls allem, was in diesem Land unter 'Sozialismus' verstanden wird, völlig fremd sind. Daraus hat sich eine Art schizophrenes Denken entwickelt, in dem Worte wie 'Demokratie' zwei unvereinbare Bedeutungen haben können und solche Dinge wie Konzentrationslager und Massendeportationen gleichzeitig richtig und falsch sein können."

Die Antilogik und vermessene Beschönigung eines grausam autoritären Regimes durch Aufrechterhalten widersprüchlicher Positionen faszinierte Orwell weitaus mehr als bloße stalinistische Propaganda, denn es ging um ihre Rechtfertigung in der britischen Linken. Ein ähnliches Muster findet sich heute in der westlichen Linken allgemein, wenn es darum geht, autoritäre Staatsmaßnahmen und den größten Vermögenstransfer von der Arbeiter- zur herrschenden Klasse in der Geschichte der Moderne zu rechtfertigen, wobei jegliche Kritik an ihnen kurzum als "faschistisch" gilt. Die heutigen Linken sublimieren so ihre eigenen Widersprüche in Form einer Erpressung: Wer nicht gehorcht, ist ein Nazi. Ganz nach neoliberal-postideologischem Dekret ist im gegenwärtigen linksliberalen Milieu jegliches Interesse am Denken ausgeschaltet.

Orwells vertiefende Überlegungen zum Phänomen des Doublethink in der britischen Linken - "Stalins Gulags sind schlimm, aber sie dienen dem Sozialismus, sind also nicht weiter schlimm" - sind in 1984 vor allem in der Figur des O'Brien ausgearbeitet. Einerseits ein eifriger Dissident und Individualist, andererseits ein Folterknecht des Regimes, verkörpert er wie kaum eine andere Figur der modernen Literatur den "post-ideologischen Totalitarismus" (Massimo Recalcati), dem "Werte", ob humanistischer oder anti-humanistischer Natur, vollkommen egal sind. Mit anderen Worten, O'Brien ist ein moderner Linker.

An nichts mehr glauben

Sein Doublethink wird ganz und gar um seiner selbst willen, und das heißt: um der Macht selbst willen, praktiziert. Denn es gibt hier keine, wie gemeinhin gesagt wird, „ideologischen Kämpfe“ mehr. Die Frage nach Staats-, Gemein- oder Privateigentum an Produktionsmitteln ist passé. Es gibt nur noch das Über-Ich, dem zu gehorchen seine Gier nach immer eindeutigerer Unterwerfung gerade verstärkt.

Daher beschreibt die Folterszene in 1984 auch nicht, dass Winston durch die Folter etwas anderes glauben soll, als er offensichtlich wahrnimmt - nämlich anstelle der von O'Brien hochgehaltenen vier Finger fünf Finger - sondern dass er aufhören soll, überhaupt an etwas zu glauben:

„‚You are a slow learner, Winston‘, said O’Brien gently.

‚How can I help it?‘ he blubbered.

‚How can I help seeing what is in front of my eyes? Two and two are four.‘

‚Sometimes, Winston. Sometimes they are five. Sometimes they are three. Sometimes they are all of them at once. You must try harder. It is not easy to become sane."(2)

Wo nichts mehr geglaubt, nichts mehr gewusst, nichts mehr erfragt, nichts mehr analysiert werden darf, bleibt nur Macht, die einzig um ihrer selbst willen existiert. Sie erfordert die Abschaffung jeglicher politischer Vorstellungskraft, ja, die Abschaffung der „öffentlichen Sphäre“ selbst, die aber nicht durch ein wie auch immer intellektuell verelendetes Individuum ersetzt wird, das mit einem politischen Projekt ja durchaus noch zu verbinden wäre, sondern durch Sloganismus, an deren Ende immer die Auslöschung des Individuums steht. O'Brien zu Winston:

"Nothing will remain of you; not a name in a register, not a memory in a living brain. You will be annihilated in the past as well as in the future. You will never have existed." (3)

Ein ausgewachsener nationalsozialistischer Katholizismus

Dass am Ende der langen und qualvollen Corona-Passion die Abschaffung individueller Freiheit und individueller Rechte steht, ist kein Zufall. Diese wurde vorbereitet. Als Marxisten der Grundrisse wissen wir, dass das Kapital alles, das ihm im Weg steht, wegschaffen, diskreditieren, aushöhlen muss. Die Schaffung der gesellschaftlichen Akzeptanz einer kolossalen Bürger- und Menschenrechtsverletzung wie einer allgemeinen Impfpflicht und somit der Preisgabe individueller Rechte findet gerade durch die Verlagerung der Verwertungsinteressen in den, was die Autoren Tom Fazi und Toby Greene „techno-media-pharma complex“ nennen, statt.

Signifikant für den „TMP-complex“ ist, dass Google inzwischen Milliarden in den staatlichen pharmazeutischen Sektor und Pandemie-Vorsorgeschutz und etwa Amazon in Impfstoffentwicklung und „Covid-19 Forschung“ investieren. Selbstverständlich interessieren, was alte Vorwärts-Leser noch „knallharte materielle Interessen“ nannten, die heutige Linke nicht. Im Gegenteil: Soweit sich der neue Geist, die „Zeitenwende“ in universitären Neo-Disziplinen wie den Gender Studies breitgemacht hat, wird alles mit Füßen getreten, d.h. als faschistisch denunziert, bei dem nur der Hauch einer materialistischen Erklärung mitschwingt und ironischerweise durch einen ausgewachsenen nationalsozialistischen Katholizismus ersetzt, der die allgemeine Impfpflicht dahingehend begrüßt, dass man so einer Sache diene, die „größer ist als man selbst“. So die Gender-Studies-Professorin Sabine Hark, die in einem Online-Forum für die postmoderne Akademikerschicht namens „Geschichte der Gegenwart“ die Impfpflicht gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung ins Feld führt:

"Das zentrale Argument für die Impfung ist daher nicht meine eigene Gesundheit, sondern das Wohlergehen der anderen, denn Covid-19 betrifft mich nie allein, es ist kein individuelles Vorsorgeproblem. Am Wohlergehen der anderen muss sich freilich auch die Impfverweigerung messen lassen. Denn das Beharren auf dem Recht der eigenen körperlichen Unversehrtheit findet seine Grenze dort, wo diese Verweigerung die Gesundheit und das Leben der anderen bedroht. So sehr wir es mithin alle in der Hand haben, die Pandemie zu beenden, kann dies dennoch nicht dem Gutdünken der Einzelnen überlassen bleiben. Ohne den solidarischen Beistand der Bürger*innen wird es dem Staat nicht gelingen, die Pandemie zu beenden. Was wir als Kinder bei der Schluckimpfung vage begriffen hatten, dass es hier um etwas ging, das größer ist als wir selbst, dazu gilt es auch heute beizutragen - und nicht, weil das Gesetz es vielleicht von uns verlangen wird, sondern weil wir aus freien Stücken alles tun, um unsere Welt so zu erhalten, fortdauern zu lassen und wiederherzustellen, dass wir so gut wie möglich in ihr leben können."

Hier trifft der menschenverachtende Kern der "Care"-Ideologie auf puren religiösen Nazismus - nicht jedoch ohne den selbstwidersprüchlichen und psychologisch bedeutsamen Rückgriff auf Doublethink: Denn wo die eigene körperliche Unversehrtheit untergraben wird, macht der "Schutz" eines anonymen Anderen keinen Sinn mehr. Dies würde ja den Schutz der körperlichen Unversehrtheit im Allgemeinen implizieren, die Hark gerade abschaffen will. Mit anderen Worten: Wenn ich meine körperliche Unversehrtheit aufgebe, wer garantiert dann die Ihre? Wenn ich einen Schlag ins Gesicht bekommen muss, um das von Frau Hark zu schützen, muss Sie vielleicht selbst einen abbekommen, um meins zu schützen. Das Argument hebt sich selbst auf.

Ist Logik anti-autoritär?

Es ist unsinnig, von "körperlicher Unversehrtheit" für Andere zu sprechen, aber nicht für mich: Entweder gibt es eine allgemeine körperliche Unversehrtheit, die gegenseitigen Respekt für die jeweils eigenen körperlichen Grenzen voraussetzt, oder es gibt keine. Kurzum: Die Preisgabe allgemeiner körperlicher Unversehrtheit setzt das allgemein-gesellschaftliche Zulassen schädlicher Fremdeinwirkung auf alle Körper voraus. All dies noch unter der wohlwollenden Voraussetzung, dass eine Impfung mit den experimentellen mRNA-Impfstoffen, wie sie gegen Covid eingesetzt werden, tatsächlich vor Ansteckung oder Erkrankung schützt. Aber nicht einmal das ist der Fall, weder bei dem einen noch beim anderen.

Wie Orwell in seinem programmatischen Text In Front of Your Nose von 1946 sagte, ist gerade in der etablierten Linken das Phänomen der Realitätsleugnung, die Ignoranz von "offensichtlichen und unabänderlichen Tatsachen" weit verbreitet. (4) Aber gerade die Schranke, die die Covid-Logik des Doublethink dem Denken auferlegt, führt zur stärkeren Akzeptanz: Je unbändiger und inkohärenter die autoritären Kräfte herrschen, desto mehr wird mitgemacht. Und wenn die Beweise aus der "Wissenschaft" dann doch zu erdrückend sind, kann noch gesagt werden, dass die Spritze vor "schweren Verläufen" schütze. Irgendwas passt immer.

Sprache als Mittel der Realitätskontrolle wurde verschiedentlich erforscht, u.a. auch von Rocco Ronchi, der nicht nur Orwells Motiv des Neusprech in 1984, sondern auch in Victor Klemperers Memoiren ein historisches Beispiel für die Bemächtigung und Umfunktionierung der Sprache durch ein totalitäres Regime fand. (5) "Das Sprechen des Subjekts in eine Robotertechnik" anzupassen und eine "totalitäre Perversion" der Sprache selbst durchzusetzen, war das Ziel nationalsozialistischer Propaganda. Massimo Recalcati zufolge, dessen Kommentar zu Ronchi ich hier aufgrund mangelnder Italienischkenntnisse referiere, ginge es bei totalitärer Sprache darum, die Mehrdeutigkeit der Sprache einzudämmen und auf einen "mit sich selbst identischen Code" ohne sprechendes Subjekt zu reduzieren. Der vorhin von mir erwähnte Sloganismus - von "White Silence is Violence" zu "Impfen statt Schimpfen", aber auch die kognitive Dissonanz eines "durch social distancing rücken die Leute immer enger zusammen" - ist dafür beispielhaft.

Typischerweise zeigt progressiver Neusprech überall da, wo er zum Tragen kommt, also vor allem in Universitätshörsälen der westlichen Welt, sprachliche Verarmung an. Stiftet Doublethink also in erster Linie direkte Entlastung durch Außerkraftsetzen der Gesetze der Logik, um bestehende Auffassungen in Zweideutigkeit zu halten und schnelle Kurswechsel des Regimes vermeintlich zu plausibilisieren, wie bei Corona der Fall, liefert Neusprech den Rahmen für eine zunehmende Erstarrung des Denkens, aus der jede Möglichkeit der Kritik an den herrschenden Verhältnissen und für Emanzipation aus der "selbstverschuldeten Unmündigkeit" verbannt werden soll. Das gilt bei der Corona-"Debatte" insbesondere für den Begriff der Freiheit, der von progressiven Linken unlängst zu einem "right-wing dog whistle" erklärt worden ist.

Wie wollen wir leben?

Bereits Orwell wusste, dass der Begriff der Freiheit und seine politische Nutzbarmachung von der Herrschaft zwar „pervertiert“ werden konnte - "Freedom is Slavery" - besser aber noch, der Bedeutung des Begriffs in seinem emanzipatorischen Anspruch gar keinen Raum mehr zu geben:

"The word 'free' still existed in Newspeak, but it could only be used in such statements as 'This dog is free from lice' or 'This field is free from weeds'. It could not be used in its old sense of 'politically free' or 'intellectually free', since political and intellectual freedom no longer existed even as concepts, and were therefore of necessity nameless." (6)

Fraglich bleibt, ob der bewussten Denunziation von Sprache und der Tendenz zum Sloganismus des Doublethink, welche für die Legitimationsanspruch des aktuellen Regimes essenziell sind, durch Logik, d.h. dem Bestehen auf Widerspruchsfreiheit, etwas entgegengesetzt werden kann. Widerspruchsfreiheit allein wird als Kriterium für Antiautoritarismus kaum ausreichen. Solange dem Doublethink-"Narrativ" aber erlaubt wird, die politische Realität zu strukturieren, um Menschen davon abzubringen, in ihrem eigenen Interesse zu handeln, bleibt das Festhalten an der Logik der einzige Weg aus der faschistischen Misere, die die Coronisten uns aufzuzwingen versuchen. Denn logisch wohlgeformte Urteile sind nicht nur um ihrer selbst willen wahr, sondern sind Aussagen über die Realität selbst. Der "war over the definition of reality" (Maajid Nawaz) wird so zu etwas mehr als bloß zu einem theoretischen Problem: er wird zur Frage, wie wir leben wollen.

Und am Ende entscheidet der Krieg um die Deutungshoheit nämlich das, an was uns allen, ob wir es zugeben oder nicht, liegt: ob wir in Freiheit oder in Sklaverei leben werden - kurzum, in Vernunft oder Unvernunft. Die seinerzeit überall von der Linken denunzierten Trucker Kanadas spürten das, als sie "freedom", und zwar against all odds, einforderten. Dass gerade jetzt die Auseinandersetzung sich auf den Freiheitsbegriff zuspitzt, ist historisch bedeutsam, denn die jahrelang als "humanitäre Intervention für Demokratie und Freiheit" getarnten Masken neoliberaler Herrschaft fallen nun wie Herbstlaub. Der postideologische Totalitarismus neuer linker Machteliten will von Freiheit und von Wahrheit nichts mehr wissen. Ob ihr Ersatz durch nackte Biopolitik, ähnlich wie bei den Nationalsozialisten (ihrem historischen Korrelat) von Dauer sein wird, hängt davon ab, ob wir uns der Herausforderung stellen, der Nahtstelle von Ontologie und Freiheit einen Namen zu geben. Sie heißt Vernunft.


*Die Autorin ist Philosophin und politische Kommentatorin und lebt in der Nähe von Zürich. Weitere Texte der Autorin finden sich auf ihrem Blog beefheart.substack.com.
Dieser Text ist zuerst im ERREGER #2 erschienen, der hier bestellt werden kann.


Fußnoten

1) Unschätzbarer Dank gilt dem Twitter-Account @argonerd, dessen Medienrecherche ich einige (aber nicht alle) der hier aufgelisteten Perlen moderner politischer Kommunikation verdanke.
2) George Orwell, 1984, 2003 (1949), S. 283.
3) George Orwell, 1984, 2003 (1949), S. 287.
4) George Orwell 2002 (1946), S. 1043 ff. (George Orwell Essays. Everyman's Library, New York).
5) Rocco Ronchi, Parlare in neolingua. Come si fabbrica una lingua totalitaria? in: Forme contemporanee del totalitarismo.
6) George Orwell, 1984, 2003 (1949), S. 338.


LESERPOST
(ausgewählt von Dikigoros)

S. Malm (29.08.2022)
Ich muß in letzter Zeit viel öfter an Animal Farm denken: Das Stimmvieh im Stall, und die Schweine suhlen sich im Luxus.


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