Der manipulierte Blick

Die "Veränderung" von Bildern war ein machtpolitischer
Faktor in Diktaturen. Heutzutage ist sie medialer Alltag

von Hans-Jürgen August (Wiener Zeitung, 16.04.1999)

Bilder, Links und Anmerkungen: Nikolas Dikigoros

Lascaux, Altamira oder Les Trois Frères: Die Macht der Bilder war schon vor Jahrtausenden bekannt. Wie immer die steinzeitlichen Höhlenmalereien zu verstehen sind · sie sind wohl mehr als das Ergebnis bloßen Zeitvertreibs. Bilder waren nicht nur die ersten dauerhaften Informationsträger, aus ihrer sukzessiven Stilisierung entwickelten sich auch die ersten Schriften wie die sumerische Keilschrift oder die ägyptischen Hieroglyphen. Bildschriften leben auch heute · etwa im Chinesischen · fort und erleben in den westlichen Industriekulturen in Form von Piktogrammen eine Renaissance. Über die reine Informationsübertragung hinaus wird Bildern eine beschwörende und magische Funktion zugeschrieben: So werden die Darstellungen von Wildtieren in den französischen und spanischen Höhlen gemeinhin als Zeugnisse eines Jagdzaubers interpretiert.

Das Bild eines Wesens zu besitzen - so der Glaube - verleiht Macht über dieses Wesen; dies erklärt wohl, wieso viele Religionen verbieten, sich ein Bild Gottes zu machen.

Zerstörung der Erinnerung

Auch lange nach Erfindung einer auf Grundlauten basierenden und bilderlosen Schrift büßten Bilder nichts von ihrer Wirkung ein: Schon im Altertum ließen Potentaten ihre Gesichtsprofile auf Münzen prägen, um dem Volk ständig vor Augen zu führen, wer das Sagen im Staate hatte. Verständlich, daß nach Staatsstreichen eine wesentliche Maßnahme zur Festigung der Macht darin bestand, alle Bildnisse des gestürzten Herrschers zu beseitigen. Münzen wurden eingeschmolzen, Bilder und Skulpturen vernichtet. "Damnatio memoriae", die Zerstörung der Erinnerung, nannten die Römer diesen Vorgang, dessen Grundgedanke, "Aus den Augen, aus dem Sinn" auch heute noch Allgemeingut ist. Als "imagines detrahere", Bilder zerstören, umschrieb Tacitus folgerichtig, was eigentlich ein Militärputsch war.

Seit Jahrtausenden lassen sich Fürsten und Kleriker in Stein und schillernden Farben abbilden, um sich schon im Diesseits zu verewigen. Die Erfindung des Künstlerbegriffs in der Zeit Leonardo da Vincis und der fast zeitgleiche erste Aufstieg einer Mittelschicht brachten auch Künstler und Kaufleute auf die Leinwand. Auch zu Propagandazwecken wurde die Malerei früh eingesetzt. Schlachtengemälde wurden von staatlich angestellten Spezialisten ausgeführt und Eugène Delacroix' gut acht Quadratmeter großes Bild "Die Freiheit führt das Volk auf die Barrikaden" gilt als Ikone nicht nur der Julirevolution von 1830.

[Washington in der Schlacht von Bunker Hill, Gemälde von Trumbull]

Doch auch eine gewisse Skepsis gegenüber der Abbildung der "Wirklichkeit" durch Künstler war vorhanden. "In bunten Bildern wenig Klarheit / Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit", läßt Goethe die "Lustige Person" in "Faust" sagen, und der Prinz in Lessings "Emilia Galotti" stellt fest: "Ihr Bild ist doch nicht sie selber". Ein Gemälde, das war offensichtlich, stellte nur ein durch den Künstler vermitteltes · und somit möglicherweise verfälschtes · Abbild der Realität dar.

Anfang des 19. Jahrhunderts begannen allmählich die technischen Mittel zu reifen, die eine unmittelbare Darstellung der Wirklichkeit zulassen sollten. Schon 1816 berichtete Joseph Nicéphore Niépce von ersten Versuchen, das Licht der Außenwelt auf ein Medium zu bannen. Weiterentwicklungen unter anderem von William Henry Fox Talbot und Louis Jacques Mandé Daguerre führten 1839 zur "offiziellen" Erfindung der Fotografie, eines Mediums, das all die Unzulänglichkeiten der Malerei überwinden zu können schien. "Fotos liefern Beweismaterial. Etwas, wovon wir gehört haben, woran wir aber zweifeln, scheint bestätigt, wenn man uns eine Fotografie zeigt", beschreibt Susan Sontag in ihrem grundlegenden Werk "Über Fotografie" die suggestive Wirkung des Mediums. Schließlich mußte das, was auf der Platte oder dem Negativ abgebildet war, einmal existiert haben und vom Objektiv der Kamera eingefangen worden sein. Zweifellos hat sich der amerikanische Sezessionskrieg (1861 bis 1865) nicht nur deshalb bis heute ins öffentliche Bewußtsein geprägt, weil er berühmte Chronisten wie Mark Twain oder Ambrose Bierce hatte, sondern weil er der erste fotografisch ausführlich dokumentierte Krieg war. Neben der Dokumentation erhielt die Fotografie schon früh eine weitere Bedeutung: Schon 1871 wurde die Pariser Kommune von der regimetreuen Polizei fotografisch überwacht.

Ehrliches Medium?

War also mit der Fotografie das ultimate Mittel gefunden, um - zumindest die optische - Realität unverfälscht wiederzugeben? Bekenntnisse vieler Künstler und Philosophen deuten darauf hin, daß sie zumindest vorgaben, davon überzeugt zu sein. László Moholy-Nagy, einer der wichtigsten "Bauhaus"-Künstler, schwärmte 1925, "in dem fotografischen Apparat das verläßlichste Hilfsmittel zu Anfängen eines objektiven Sehens" zu besitzen. Damit sei die "Bild- und Vorstellungssuggestion aufgehoben, die unserem Sehen von einzelnen hervorragenden Malern aufgeprägt worden ist". Ist diese Sichtweise auch inhaltlich richtig, so zeugt sie doch auch von jener Euphorie, die über die wenig offensichtlichen und eben deshalb um so gefährlicheren Möglichkeiten der Manipulation hinwegsehen läßt. Edward Weston, der neben Ansel Adams, Imogen Cunningham, Edward Steichen, Alfred Stieglitz und Paul Strand in der Zwischenkriegszeit die künstlerische Fotografie zu einem Höhepunkt führte, meinte gar: "Nur mit Mühe kann man die Kamera zum Lügen zwingen. Im Grunde ist sie ein ehrliches Medium." Die Gleichung "Foto ist gleich Leben" war auch die Basis für die Gründung der reich bebilderten Zeitschrift "Life" im Jahr 1936, die einen Meilenstein des Fotojournalismus darstellte.

Dasselbe Vertrauen in den dokumentarischen Charakter der Fotografie hatte auch die amerikanische "Farm Security Administration", die in der Depression der 1930er Jahre die dramatischen Lebensumstände der verarmten Farmer von Fotografen wie Dorothea Lange und Walker Evans festhalten ließ. Beeindruckende Bilder, die zweifellos zum Besten gehören, was die Fotografie hervorgebracht hat, waren das Ergebnis. Bilder, die das Elend der Bevölkerung unmittelbar, ohne jeglichen künstlerischen Eingriff, wie es schien, zeigen. Doch wurden, wie Susan Sontag bemerkt, von einem Motiv oft Dutzende Fotos gemacht, bis die Fotografen mit dem Ergebnis zufrieden waren. Obwohl also das Filmmaterial nicht manipuliert wurde, ist in diesen Bildern das soziale und künstlerische Selbstverständnis der Fotografen ebenso festgehalten wie die "Wirklichkeit" an sich.

Auch ohne explizit zu fälschen bietet die Fotografie einige dem Medium immanente Möglichkeiten, die Eindrücke des Beobachters zu steuern. Wie in jedem Anfängerhandbuch zur Fotografie beschrieben wird, hinterlassen unterschiedliche Brennweiten, Kontraste, Körnungen und Filmmaterialien ebenso wie die Wahl der Perspektive und des Bildausschnitts sehr unterschiedliche Eindrücke. Eine Methode, die wohl kaum mehr als "künstlerische Freiheit" verstanden werden kann, ist das Nachstellen historischer Szenen. Als General McArthur bei seiner sehr fotogenen Rückkehr (er watete die letzten Meter durch den Ozean an Land) auf seinen Lieblingsfotografen verzichten mußte, ließ er die Szene kurzerhand nachstellen und nachfotografieren. Und auch das berühmte Foto "Die Eroberung von Iwo Jima" von Joe Rosenthal (Soldaten bringen eine Fahnenstange mit den Stars and Stripes in die Senkrechte) ist keine originale, sondern eine nachgestellte Aufnahme [übrigens nach dem Vorbild eines Gemäldes von Samuel Chamberlain, der eine ähnliche Prozedur nach der Schlacht von Monterey 1846 darstellte, an der er, wie sich später heraus stellte, gar nicht teilgenommen hatte, Anm. Dikigoros] ebenso wie das Bild des fahneschwenkenden sowjetischen Soldaten auf dem Berliner Reichstag. [Und ebenso das des "historischen Treffens" amerikanischer und sowjetischer Truppen in Torgau, das sich einige politisch-korrekte Gutmenschen nicht entblöden, alljährlich beim so genannten "Elbe Day (Elbetag)" nachzufeiern, Anm. Dikigoros]


Politische Retuschen

Einen Schritt weiter gingen die Diktatoren Europas: So ließ Adolf Hitler eine Zeit lang Josef Goebbels aus Bildern heraus retuschieren, unter anderem aus einem, in dem der Propagandaminister zwischen Hitler und Leni Riefenstahl stand. Zur Jahrzehnte lang geübten Methode wurde die Bildmanipulation aber in den Staaten des sowjetischen Einflußbereichs, vor allem in der UdSSR selbst und in der CSSR. War ein Funktionär oder Politiker in Ungnade gefallen, wurden keine Bilder mehr von ihm veröffentlicht. Für westliche Geheimdienste war das Studium der in der "Prawda" veröffentlichten Fotos ein wichtiger Hinweis auf bevorstehende Veränderungen in der politischen Oligarchie. Einige tausend Personen, unter ihnen Berija, Malenkow, Molotow, Bulganin und Chruschtschow, wurden Opfer dieser "Damnatio memoriae". Und da die jeweils herrschenden Helden der Sowjetunion keinesfalls mit Konterrevolutionären und anderen Verrätern in Zusammenhang gebracht werden wollten, wurden diese aus älteren Fotos kurzerhand herausretuschiert. Trotzki war eines der prominentesten Opfer dieser Manipulationen, Sergej Eisenstein mußte aus seinem Film "Oktober" (1927) alle Szenen herausschneiden, auf denen Trotzki zu sehen war. Auf einem Foto aus dem Jahr 1920, das Teilnehmer am 2. Kongreß der Kommunistischen Internationale zeigt, überlebten nur Lenin und Gorki, während Radek, Bucharin und Sinowjew auch fotografisch eliminiert wurden. Diese Korrektur der Geschichte bringt George Orwell in dem Roman "1984" auf den Punkt, indem er beschreibt, wie ältere Ausgaben der (fiktiven) "Times" jeden Tag auf die jeweils herrschenden Machtverhältnisse umgeschrieben werden.

Blüten trieb die politische Retusche auch in der Tschechoslowakei: Meist aus Gründen der Ästhetik wurden Dutzende Fotos retuschiert, die den Nachkriegspremier Clemens Gottwald zeigten. Mal störte ein namenloser Offizier die imposante Szene, mal eine nachlässige Handhaltung beim Salutieren. Berühmt ist auch das Foto, das Staatspräsident Swoboda auf einer Kundgebung zeigt: ganze Häuser wurden um des Eindrucks willen verschoben, die Figur des Präsidenten relativ zu den anderen Personen vergrößert und vor allem Alexander Dubcek heraus retuschiert. Die für diese Zwecke eingesetzten Spezialisten, darunter inhaftierte Banknotenfälscher, leisteten aber nicht immer ganze Arbeit: in diesem Fall etwa vergaßen sie, die Fußspitze Dubceks ebenfalls heraus zu retuschieren.

Obwohl die Möglichkeiten zur Manipulation von Fotografien der Öffentlichkeit bekannt waren, büßte das Medium kaum etwas von seinem Nimbus ein, Realität zu dokumentieren. Bilder des Vietnam-Krieges, etwa das auf den Fotografen und damit den Betrachter zulaufende und mit Napalm übergossene Kind oder die Exekution eines Vietcong durch einen südvietnamesischen Offizier mitten in Saigon erschütterten die Welt und trugen wesentlich zum wachsenden Widerstand gegen diesen Krieg bei. Zweifellos bewirkten solche Bilder weit mehr als jedes rhetorische oder militärische Manöver.


über das linke Bild - und noch ein paar andere - schreibt Dikigoros hier etwas ausführlicher

Neue Dimensionen

Noch immer ist das Vertrauen in die Fotografie mehr oder weniger intakt, obwohl die Digitaltechnik der Bildmanipulation völlig neue Dimensionen eröffnet hat. Digitale Bilder bestehen aus Tausenden bis Millionen Einzelpunkten, sogenannten "Pixels". Zu jedem Pixel wird dessen Farbe und Helligkeit gespeichert. Moderne Bildverarbeitungsprogramme erlauben es, auf jedes einzelne dieser Pixel zuzugreifen, es zu verändern und somit die perfekte Fälschung zu schaffen. Selbstverständlich muß der Anwender dieser Programme nicht jedes Pixel einzeln verändern, im Gegenteil: Zahlreiche Funktionen ermöglichen es, in kurzer Zeit großflächige Veränderungen vorzunehmen und auch wieder rückgängig zu machen. Durch die PC- und Software-Revolution der vergangenen Jahre sind Bildverarbeitungsprogramme mittlerweile so verbreitet, daß wir mit einer nie dagewesenen Flut gefälschter Fotografien konfrontiert werden. Selbst Medien, deren guter Ruf bei Lesern oder Zusehern Vertrauenswürdigkeit suggeriert, veröffentlichen manipulierte Bilder. Geschieht dies manchmal mit voller Absicht (vor allem in der Regenbogenpresse), so häufen sich auch jene Fälle, in denen renommierte Zeitungen und Fernsehsender nicht authentisches Bildmaterial veröffentlichen, etwa weil für die Überprüfung zu wenig Zeit bleibt. "Time" etwa manipulierte ein Titelbild von O. J. Simpson, um ihn dämonischer erscheinen zu lassen. Und Günter Zint, der im Auftrag der deutschen IG Medien Bildmanipulationen sammelt, berichtet, daß die eher linke Berliner "Tageszeitung" dem CDU-Politiker Voscherau die Mundwinkel herunterzog. Auf ein Bild des Touristen-Massakers von Luxor, auf dem Wasser zu Blut wurde, fiel nicht nur das Boulevardblatt "Blick" herein, sondern auch der Schweizer Fernsehsender "SRG". Laut einer Meldung der "Neue Zürcher Zeitung" veröffentlichte "Sky News" 1996 ein gefälschtes Video über Prinzessin Diana.

Besonders unverfroren gehen jene Medien ans Werk, deren Hauptinteresse dem Privatleben Prominenter gilt. Als Prinzessin Caroline von Monaco ihr Baby nicht termingerecht bekam, veröffentlichten mehrere Zeitschriften montierte Fotos mit Prinzessin und Baby im Arm. Die Idee lag offenbar in der Luft, sodaß Caroline mit - je nach Zeitschrift - unterschiedlichen Babys zu sehen war. Die technischen Möglichkeiten digitaler Bildbearbeitung zeigt am eindrucksvollsten der Spielfilm: Was Woody Allen in "Zelig" schon 1983 mit vergleichsweise prähistorischen Mitteln vorzeigte - das Hineinmontieren einer Person in historisches Filmmaterial -, trieben Filme wie "Forrest Gump" (Tom Hanks bei John F. Kennedy) oder "In the Line of Fire" (Clint Eastwood bei John F. Kennedy) zur Perfektion.

Einen Quantensprung in der Entwicklung der Bilder, vergleichbar jenem von der Malerei zur Fotografie, illustriert die rennende Saurierherde in Steven Spielbergs "Jurassic Park". Dank digitaler Animationstechnik konnte auf jede reale Vorlage, selbst auf Miniaturmodelle verzichtet und dennoch die Illusion Dutzender Tiere mit natürlich erscheinenden Bewegungsabläufen erzeugt werden. Der Schritt von der Manipulation zur Synthetisierung von Bildern entkoppelt diese endgültig von dem, was wir gemeinhin als "Wirklichkeit" bezeichnen. Eine Entwicklung, die über das hinausgeht, was der deutsche Regisseur Wim Wenders schon vor Jahren voraussah: "Wir nähern uns einer Epoche, in der niemand mehr sagen kann, ob ein Bild echt oder falsch ist."

Aufgehelltes Augenweiß

In keinem Bereich ist die Manipulation von Bildern - in diesem Zusammenhang von "Fälschung" zu sprechen wäre nicht angebracht - so verbreitet wie in der Werbung. Bei nahezu jedem Werbefoto, sagt Andreas Fitzner von "Vienna Paint", einer Spezialfirma mit inzwischen 20 Mitarbeitern, werde der Natur ein wenig nachgeholfen. Manchmal ist dies offensichtlich, etwa wenn das Matterhorn aus Emmentaler Käse besteht oder die Freiheitsstatue im achten Monat schwanger ist. Nicht sofort erkennbar sind Manipulationen, um ohnehin schon "schöne" Models und Schauspieler noch attraktiver erscheinen zu lassen. Das Intensivieren der Augenfarbe und das Aufhellen des Augenweiß gehören zur selbstverständlichen Routine.

Auch bildende Künstler haben sich die Welt der digitalen Bilder zu eigen gemacht: Gut in Erinnerung mögen dem Beobachter heimischer Plakatwände jene zwölf Gesichter sein, die "Austrian Airlines" als Sponsor gemeinsam mit "Museum in progress" und "Gewista" vor etwa drei Jahren präsentierte. Rosemarie Trockel, die den deutschen Pavillon bei der diesjährigen Biennale in Venedig gestaltet, kreierte die Portraitserie "Beauty" als Ergebnis ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Schönheitsbegriff im digitalen Zeitalter. Obwohl die dargestellten Gesichter völlig natürlich erscheinen, ist keines von ihnen echt. Augenbrauen wurden nachgebessert, die Augen auf eine Linie gebracht, Münder verformt, Zähne geweißt. Obwohl "Vienna Paint" regelmäßig - zum Beispiel im Rahmen von "Museum in progress" - mit Künstlern zusammenarbeitet, werden etwa 90% des Auftragsvolumens von Werbeagenturen gestellt. Den verbleibenden Anteil teilen sich andere Kunden, darunter Zeitschriften, die auf ihren Titelseiten zum Beispiel eine zerbrechende oder in den Boden versinkende Wiener Börse präsentieren wollen.

Die Geschichte von "Vienna Paint", einem Marktführer im Bereich digitaler Bildbearbeitung in Österreich, spiegelt die Entwicklung dieser computerunterstützten Technik wider. 1988 kauften sich Albert Winkler und Andreas Fitzner um 10 Mill. Schilling das führende Spezialgerät zur Bildbearbeitung, eine "Paintbox" der britischen Firma "Quantel". Trotz des kleinen österreichischen Marktes war der Erfolg der neuen Firma so groß, daß kurz darauf eine zweite "Paintbox" angeschafft wurde. Neun Jahre lang waren die teuren Apparate state of the art, bis die Computer-Revolution auch über sie hinweg rollte und durch vergleichsweise billige Apple-Macintosh-Computer und die einige Tausende Schilling teure "Fotoshop"-Software ersetzte.

Leben wir also schon in der von Wim Wenders prognostizierten Epoche, in der echte Bilder von gefälschten nicht mehr zu unterscheiden sind? Die Verfälschung analogen, d. h. herkömmlichen Grundmaterials, in dem chemische Prozesse Bilder entstehen lassen, ist mit digitalen Mitteln selbst bei sehr hoher Auflösung, d. h. vielen Pixels, schwierig. Meist verraten eigentlich analoge Charakteristika - wie etwa die Körnung - die Fälschung, weil sie digital erzeugt nicht natürlich erscheinen. Anderseits, sagt Andreas Fitzner, ist es auch hier im wesentlichen eine Frage des Aufwands und der Erfahrung, um ein Bild entstehen zu lassen, dessen Verfälschungen nicht nachweisbar sind.

Viel einfacher und klarer ist die Frage bei digitalem Basismaterial zu beantworten. Da hier das fotografische Medium und das Bearbeitungswerkzeug auf der gleichen Technologie beruhen, bieten sich nicht nachweisbare Nachbearbeitungen geradezu an. Noch ist die Auflösung digitaler Fotografien nicht ausreichend, um sie etwa in der Mode- und Werbefotografie extensiv einsetzen zu können. In den Nachrichtenmedien aber, die den Inhalt von Meldungen gerne mit Bildern "beweisen", spielt die Digitalfotografie schon eine gewichtige Rolle. Und um eine Wasserlache in einen Blutsee zu verwandeln, bedarf es nur weniger Mausklicks.

Versiegelte Bilder

Die Möglichkeit, digitale Fotos zu verfälschen, ohne verräterische Spuren zu hinterlassen, führt dazu, daß solche Fotos vor Gericht nicht beweiskräftig sind. Ein Problem, das auch der britischen Polizei bewußt ist, die für die Verkehrsüberwachung gerne Digitalkameras einsetzen würde. Um digitale Fotografien gerichtstauglich zu machen, hat die britische Firma "Signum" das Software-Verfahren "VeriData" entwickelt. Gemäß einem benutzerspezifischen Code werden die Bilder mit einem Checksum, einer Art mathematischem Siegel, versehen. Manipulationen können auf diese Weise leicht aufgedeckt werden, weil der Fälscher, der den benutzerspezifischen Code nicht kennt, das Siegel bricht, aber nicht wiederherstellen kann. Noch besteht eine Schwachstelle im Konzept: Die Versiegelung erfolgt erst nach der Aufnahme, in der Zwischenzeit kann das Bild nach wie vor manipuliert werden. Die Lösung bestünde darin, die Versiegelung automatisch bereits in der Kamera durchführen zu lassen, was laut "New Scientist" in einer Kooperation mit "Agfa" realisiert werden soll.

Was bei Rechtsstreitigkeiten die Echtheit von Bildern nachweisen kann, wird im täglichen Journalismus wohl keine Rolle spielen, schließlich hat der Leser und Seher im allgemeinen keinen Zugriff auf die Mittel, die zur Analyse eines versiegelten Bildes notwendig sind. Was ihm bleibt, ist den Bildern mit ähnlichem Mißtrauen zu begegnen, wie es bei Erfindung der Fotografie der Malerei galt. Und letztendlich ist Foto-Journalismus zu dem geworden, was die Übermittlung von Nachrichten seit jeher war: Eine Frage des Vertrauens.

Vertraut mir, ich lüge!


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