Der doppelte Ernst

von Hans P. Rissmann

(junge freiheit, 27.02.1998)

Ernst von Salomon gilt als ein Meister des ironischen Stils. Der 1902 in Kiel geborene Salomon schloß sich 1918 den Freikorps an, kämpfte im Baltikum und in Oberschlesien. Er wurde hochdekoriert und erreichte den Offiziersrang. Durch den Kontakt zur "Brigade Ehrhardt" ließ er sich in den Mordanschlag auf den Reichsaußenminister Walter Rathenau verwickeln. Salomon wurde wegen Mittäterschaft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Die Begegnung mit Ernst Jünger 1929 in Berlin wird für Ernst von Salomon zu einem entscheidenden Ereignis. Durch Jünger erhält er den Anstoß, schriftstellerisch tätig zu werden. Seine Bücher "Die Geächteten", "Die Stadt", "Die Kadetten" werden in Deutschland zu Bestsellern. Vor allem aber "Der Fragebogen", in dem Salomon die Absurdität des Alliierten Frageborgens zur Entnazifizierung der 1945 Besiegten durch eine Mega-Autobiographie als Beantwortung auf die Spitze trieb, macht seinen Ruhm aus. Im "Fragebogen" schließlich beschreibt Salomon auf seine ihm typische, leicht ironische Weise die Begegnung mit dem älteren und situierteren Jünger:

» Nun war mir Ernst Jünger natürlich damals schon ein Begriff. Ich hatte in der Haft sein Buch "In Stahlgewittern" gelesen; ich kann mir heute noch, der ich am ersten Weltkrieg so wenig wie am zweiten tätigen Anteil genommen hatte, keine bessere Darstellung des Krieges denken. So war ich sehr begierig, Ernst Jünger kennenzulernen, und sehr aufgeregt, als mich Bogumil zu ihm geleitete. Er wohnte weit im Osten der Stadt, an der Warschauer Brücke, einem Stadtteil, der vornehmlich von Arbeitern bewohnt wurde. Die Aussicht aus seinem Zimmer ging auf das Gleisgewirr der Stadt- und Reichsbahn, im Hause lärmten Kinder und es roch nach Kohl. Das Zimmer war nicht sehr hell, mit Büchern vollgestopft, mit Masken und seltsamen, holzgeschnitzten Figuren geschmückt, auf dem Schreibtisch stand ein Mikroskop, indes Käfersammlungen und Einweckgläser voll merkwürdigen Geschlings irgendwelcher fahlgrüner Substanzen auf den Regalen standen. Ernst Jünger war in einen Schlafrock gehüllt, auf dem Kopf trug er ein buntes Käppchen, an den Füßen Filzpantoffeln, und er rauchte aus einem langen Weichselrohr mit porzellanenem Kopf. Ich hatte Zeit, diesen Mann zu betrachten, denn er achtete meiner anfangs nicht.« (...)

»Jene meine erste Unterredung mit Ernst Jünger schon war mir jedoch nicht nur sachlich, sondern auch persönlich von großer Bedeutung. Die wenigen Minuten des Gesprächs – und auch der Raum, in welchem es stattfand – enthielten diesen merkwürdigen Mann ganz, den einzigen aus all den vielen Kreisen damals, dessen Name im Lauf der Zeit eine gewisse Weltgeltung erlangte. Das Geheimnis der Ernst Jüngerschen Diktion schien mir, sehr simpel ausgedrückt, in seiner Doppeleigenschaft des Kriegers und des Naturforschers begründet zu sein. Ich glaube, zu begreifen, daß dieser Mann, inmitten der Stahlgewitter zum Bewußtsein der Welt erwacht und durch seine virtuelle Kraft des Geistes befähigt, sich über sie zu erheben, sehr bald dahin gelangte, das Schlachtfeld, auf dem er selber leiblich agierte, zu betrachen wie etwa ein Flieger, dem sich aus großer Höhe der blutige Vorgang wie ein sinnloses Gekrabbel von winzigen Pünktchen darstellen mochte, von mikroskopisch kleinen Lebewesen, die sich zu Kolonnen formierten, nach allen Seiten strebten und wenig Notiz von denen nahmen, die durch irgendwelche höheren Gewalten bewegungslos am Platze blieben. Der Vergleich mit einem Ameisenhaufen mußte sich jedermann in solcher Situation, vorzüglich aber einem, der in der väterlichen Apotheke aufgewachsen war und sich schon frühzeitg mit den Vorgängen der Natut befaßte, notwendig einstellen; Ernst Jünger aber besaß genügend Erfahrung und Vorstellungskraft, um in einer Art sehr aufmerksamen Mit-Leidens das Schicksal der Krieger wie das der Ameisen zu erleben. Jünger arbeitete damals gerade an seiner "Totalen Mobilmachung", und ich begriff bei der Lektüre dieser Schrift vornehmlich, daß er hier bereits zu einem Fazit gelangt war, während ich – und mit mir jeder, der sich in weitem Umkreis um ihn herum tummelte – noch mit aufgerissenen Augen kreuz und quer durch die Landschaft unseres Jahrhunderts wanderte und mich bei jedem Wegweiser zu orientieren suchte.

Wenn ich mich schon damals fragte, welches Interesse Ernst Jünger eigentlich an mir nahm, so hielt ich ihn, wohl mit Recht, für zu klug, als daß er annehmen könnte, ich werde mich mein Leben lang verzückten Angesichtes bemühen, brave Minister mit Revolverkugeln zu durchlöchern und Bomben zu schmeißen, um noch als feuriger Greis im Silberhaar irgendwelche Banner auf irgendwelche Barrikaden zu pflanzen – meine Betätigung bei der Landvolkbewegung jedenfalls schien er als das zwangsläufige Ergebnis einer Mischung aus Geltungstrieb und Beschäftigungsneurose zu betrachten, wirklich ermunterte er mich nur in meinem Bestreben, mir über das Wesen des Kriegertums klar zu werden, wobei ich nicht, wie er, die Erfahrungen der Materialschlacht, sondern der Freikorpskämpfe des Nachkrieges zum Ausgangspunkt nahm. Dabei schien er keineswegs erstaunt, als ich zu ganz anderen Resultaten gelangte als er in seiner "Totalen Mobilmachung".« (...)

»Nach genau zwanzig Jahren streift Ernst Jünger jene Zeit von 1929 in einem seiner mittlerweile veröffentlichten Tagebücher und schrieb abschließend, wir lebten damals in der Idee. Das ist sehr präzise ausgedrückt, insbesondere, da in diesem lapidaren Satz auch die Aussage beschlossen liegt, daß wir damals nicht aus der Idee heraus lebten. Sehr gegen Jüngers Willen, der immer eine instinktive Scheu davor besaß, selber katalogisiert oder in Kategorien eingereiht zu werden, hatte sich für den kleinen Kreis von Mitarbeitern des Vormarsch die Bezeichnung ergeben, sie seien "Nationalrevolutionäre", und die politische Richtung, die sie verträten, sei die eines "Neuen Nationalismus". Tatsächlich fand sich eine große Menge anderer Kreise und Cliquen, die sich ebenfalls um Zeitschriften herum bildeten, unter den gleichen Bezeichnungen zusammen, eine gewisse Intelligenz aus der "Bündischen Jugend", aus den Angehörigen größerer vaterländischer Wehrverbände, wie etwa dem "Werwolf" einer Dissidentengruppe des "Stahlhelm", oder aus dem Bunde "Oberland", oder aus einer kleinen Auslese von Männern, die aus der sozialistischen Bewegung stammten und sich in Abwendung von der sozialdemokratischen Partei "Altsozialisten" nannte (mit Männern wie Ernst Niekisch und August Winnig).« (…)

»Nun mußte es tief in der Natur Ernst Jüngers begründet sein, daß er vom ersten Künder eines neuen und elementat geistigen Nationalismus zu dessen ersten Überwinder wurde. Sein Buch "Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt" erschien just zu einem Zeitpunkt, als die Bemühungen um den Einbau eines mehr oder weniger treuherzigen Sozialismus in die Begriffswelt der Nation noch in vollen Schwange waren, und seine Aufzeichnungen in "Das abenteuerliche Herz" eröffneten geradezu im Gegensatz zu einer eben erst erwachten biologischen Traum- und Zauberwelt den Ausblick in magische Bezirke ganz anderer und sehr eigenwilliger Art.

Die Bücher Ernst Jüngers verdutzten mich ungemein, und wenn ich zuerst unwillig war, da ich eigensinning von ihm politische Konzepte erwartete, nach denen ich handeln konnte oder die mein Handeln politisch sinnvoll erscheinen ließen, mußte ich doch bald erkennen, daß ich hier verlangte, was nicht im Jüngerschen Auftrag lag, und zugeben, daß nicht nur ich von der Jüngerschen Diktion ungemein profitierte - auch und gerade da, wo er im Bestreben, zu immer tieferen Schächten der Elementarität vorzudringen, das ganze nationale Begriffs-Bergwerk zum Einsturz brachte. Es war mir von Anfang an unmöglich, mich mit seinen Büchern auseinanderzusetzen. Dazu fehlte mir, der ich selbst den Diskussionen nur mir einem Ohr lauschte, während das andere das Krachen der Bomben in den Marschen der Westküste registrierte, das magische wie das metaphysische Organ. Ich bewunderte zwar, wie Ernst Jünger über Traum, Magie, Bildung, Forschung und Metaphysik zu den alten und ewigen Weisheiten der Bibel gelangte, aber mehr zu tun als zu bewundern war mit versagt, da mir sich weder der gewöhnliche Weg des religiösen Bedürfnisses noch einer der absonderlichen Pfade Ernst Jüngers offen zeigte. So war ich also fast automatisch ausgeschlossen aus der Gemeinde, die sich bald um Jünger zu formen begann, jener Schar aufgeschlossender Adepten, der Jünger-Jünger, die von Hause aus mitzubringen schienen, was mir so schmerzlich ermangelte, der Kauernden (die zu den Füßen des Meisters kauern), die fasziniert auf den Stein der Weisen starren, den der Meister in den Händen hielt, nicht um mit ihm zu lösen, sondern um ihn zu wiegen, zu messen, zu analysieren und zu sublimieren.

Als ich ihn, nachdem ich ihm lange Jahre nicht mehr begegnet war, eines Tages im Jahre 1937 zur Zeit des Nürnbergers Parteitages in Berlin auf der Straße traf, geschah dies just vor einem Kino, aus dem die Scharen der Besucher strömten. (...) Ich fragte ihn, was er treibe, er sagte: "Ich habe mir einen erhöhten Standort ausgesucht, von dem ich beobachtete, wie sich die Wanzen gegenseitig auffressen." Ich sagte etwas gereizt, nun, er habe sich immer gern auf einen anderen Stern zurückgezogen, worauf er sofort erwiderte: "Ja, auf einen relativ anständigen, auf den Mars oder die Venus, nicht auf den Saturn, der hat Nebelstreifen und außerdem sitzt da schon Spengler."

Schließlich war es Ernst Jünger selbst, der seine Methodik durchaus nicht als einzig gültige betrachtet wissen wollte, er setzte geradezu dem Bestreben der Adepten des "Neuen Nationalismus", zu politischer Wirksamkeit zu gelangen, ein notorisches Ende, als er die berühmt gewordene Sentenz verkündete: man könne sich nicht in Gesellschaft um Deutschland bemühen, man müsse es einsam tun, wie ein Mann, der sich im Urwald mit der Axt seinen Weg bahnt und dem nur dumpfe Schläge die Ahnung vermitteln, daß auch noch andere an der gleichen Arbeit sind.

Ernst von Salomon starb 1972 und wurde von dem älteren Jünger um 26 Jahre überlebt.


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