COWBOYS IN NEW YORK

Aus dem Geist des Wilden Westens

Roosevelt wusste mit dem Kino umzugehen.
Vor 100 Jahren wurde er US-Präsident

von Ronald Düker

(Freitag: die Ost-West-Wochenzeitung vom 14.09.2001)

Der Kassenschlager des Frühjahrs 1898 im New Yorker Eden Musee war ein Film über die Passionsspiele von Oberammergau. Allerdings wurde er am vierten Mai desselben Jahres abgesetzt, da ein aktuelles Ereignis das ganze öffentliche Interesse in Anspruch nahm. Die größte Heldengeschichte aller Zeiten musste einer Heldengeschichte weichen, deren Protagonisten ganz real und noch dazu Amerikaner waren. Seit zwei Wochen befanden sich die USA im Krieg mit Spanien. Die Schlachtfelder jener Tage befanden sich auf Kuba. Schon seit 1895 unterstützen die USA die kubanische Unabhängigkeitsbewegung, die unter der Führung des Revolutionärs José Martin Krieg gegen das Mutterland Spanien führte.

Insbesondere die Berichte über Konzentrationslager, in denen der spanische General Valeriano Weyler kubanische Zivilisten interniert hatte, heizten die anti-spanische Stimmung in den USA an. Den endgültigen Anlass für den Kriegseintritt bildete ein Vorfall am 15. Februar 1898. Im Hafen von Havanna explodierte das amerikanische Schlachtschiff »Maine«, 266 Matrosen kamen dabei ums Leben. Von nun an erscholl im ganzen Land der Schlachtruf: »Remember the Maine - to Hell with Spain«. In Anlehnung an »Remember the Alamo« aus dem Krieg gegen Mexiko, traten die USA am 23. April auf Druck der öffentlichen Meinung in einen Krieg ein, der sich erstmals außerhalb der Grenzen des nordamerikanischen Kontinents abspielen sollte. Für die USA dauerte dieser Krieg 113 Tage, er endete mit der Niederlage Spaniens und der Unabhängigkeit Kubas. Für den amerikanischen Imperialismus des 20. Jahrhunderts bildete er einen Präzedenzfall und brachte unter maßgeblicher Beteiligung der Medien einen echten Helden hervor: Theodore - oder »Teddy« - Roosevelt, der drei Jahre später, am 14.09.1901, als 26. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt wurde.

Es ist noch nicht lange her, dass Roosevelts militärischer Beitrag zum Gewinn des Krieges von höchster Stelle gewürdigt wurde. Am 16. Januar dieses Jahres nahm Tweed Roosevelt anstelle seines Urgroßvaters von Bill Clinton die Medal of Honor und damit die höchste militärische Auszeichnung der USA, entgegen. Roosevelt ist der erste amerikanische Staatspräsident, dem diese Ehrung, wenn auch posthum, zuteil wurde. Die Tatsache, dass die Auszeichnung ausgerechnet in diesem Jahr vergeben wurde, lässt sich wohl nur mit dem hundertjährigen Präsidentschaftsjubiläum erklären. Und doch wird genau dieser Umstand in der Laudatio mit keinem Wort erwähnt. Die Medal of Honor richtet sich ausdrücklich an den Soldaten Roosevelt, nicht an den Präsidenten. Clinton lobte Roosevelt für seine militärischen Leistungen und insbesondere für die Tapferkeit, die er im Rahmen der Eroberung von San Juan Hill im spanisch-amerikanischen Krieg an den Tag gelegt habe. Unter völliger Vernachlässigung seiner eigenen Sicherheit habe Roosevelt seine Männer über freies Feld durch das offene Feuer der Spanier geführt, einen von ihnen persönlich mit der Pistole erschossen und schließlich als erster die feindlichen Stellungen erreicht. Allein seiner außerordentlichen Heldenhaftigkeit und seinem militärischen Pflichtbewusstsein sei der Sieg bei San Juan Hill zu verdanken.

Dass Bill Clinton bei der Verlesung einer solchen Laudatio nicht die Schamesröte ins Gesicht stieg, ist erstaunlich. Denn spätestens heute müsste jedem historisch Halbgebildeten klar sein, dass es im Fall von San Juan Hill um ein Beispiel für mythische Geschichte handelt, also um ein Ereignis, dessen historische Realität längst durch Heldenerzählungen und stilisierte Bilder überformt ist. San Juan Hill gehört nämlich in die berühmte Reihe kolportierter Geschehnisse, die den Wilden Westen überhaupt erst als eine Epoche heroischer Kämpfe erzählbar machten: Alamo, Wounded Knee und Summit Springs. Doch um das Missverhältnis zwischen dem Mythos und den dahinter liegenden Ereignissen wusste man bereits 1898. Direkt nach der Explosion der Maine berichtete das New York Journal eine Woche lang täglich auf acht Seiten über dieses Ereignis, und der Verleger Hearst schickte den berühmten Zeichner, Maler und Bildhauer Frederic Remington auf seiner Privatyacht nach Kuba. Remington hatte sich bislang insbesondere als Illustrator von Wild-West-Motiven einen Namen gemacht und unter anderem mehrere Portraits von William Cody, der unter dem Künstlernamen »Buffalo Bill« eine überaus populäre Wild-West-Show leitete, fabriziert. Auf Remingtons Beschwerde, in Kuba gäbe es gar nichts zu sehen, was sich zu zeichnen lohne, soll Hearst tatsächlich jenen Satz entgegnet haben, den Orson Welles 1941 Charles Foster Kane in den Mund legte: »Sie liefern die Bilder, ich liefere den Krieg.«

Als Remington in Kuba erfuhr, dass die entsandten Kavallerieregimenter angesichts der Geländebeschaffenheit wohl oder übel zu Fuß in die Schlacht würden ziehen müssen, während die Pferde in Florida zurückblieben, war seine Empörung darüber so groß, dass er sich umgehend persönlich an den verantwortlichen Befehlshaber, General Miles, wandte. Dieser versicherte ihm, die Soldaten würden darauf brennen, überhaupt kämpfen zu dürfen. Doch ging Wild-West-Zeichner Remington mit einem unguten Gefühl aus dieser Unterredung: »It is a pity that our nation finds it necesarry to send cavalry to war on foot.« Eine unberittene Kavallerie warf ein Darstellungsproblem auf: Sollte der Kuba-Krieg als Fortsetzung der Indianerkriege im nationalen Bewusstsein verankert werden, konnte man auf die Figur des Reiters, die schließlich im imaginären Zentrum des Gedächtnisses vom Wilden Westen stand, schlecht verzichten.

Theodore Roosevelt machte sich weit skrupelloser an die Lösung dieses Problems. Die Soldaten, die er auf Kuba befehligte, firmierten als Rough Riders, einen Titel, den Roosevelt von William Cody entlehnt hatte, der seine Wild-West-Show zur gleichen Zeit als Rough Riders of the World in New York präsentierte. Dabei übertrug Roosevelt das Konzept einer Show, die den historischen Wilden Westen in einer Abfolge von Reiterkunststücken präsentierte, auf die Bedingungen eines realen Krieges. Die besondere Qualifikation Wild-West-erfahrener Männer sollte nun einem Kavallerieregiment zugute kommen. Roosevelt rekrutierte also tatsächlich ehemalige Cowboys, Sheriffs und Indianer, die durch die Teilnahme an Indianerkriegen biographisch zu diesem Einsatz prädestiniert erschienen. Auch Polizisten, die Roosevelt aus seiner Zeit als Polizeichef von New York kannte, wurden in das Regiment aufgenommen. Hinzu kamen ehemalige Kumpels aus dem College, Kongressangehörige, Senatoren und schließlich eine ganze Reihe prominenter Sportler, darunter der amerikanische Tennismeister Bob Wrenn. Auch wenn die meisten der Letztgenannten den so genannten Wilden Westen eher aus Groschenromanen denn aus eigener Anschauung kannten, zweifelte Roosevelt nicht an der Tauglichkeit seiner Rekruten.

Offenbar ging er davon aus, dass allein die Mitgliedschaft in einem Jagdclub, vor allem aber der bloße Wille zum rauhen Überlebenskampf im Freien, prinzipiell jeden Städter von der Ostküste zu einem guten Rough Rider machen könne. Besonderen Wert legte er dabei auf die Fähigkeiten im Umgang mit Pferden und das diesbezügliche Training. Gerade Indianer und Frontierkämpfer aus dem Westen besaßen darin exzellente Qualitäten. Über einen Cowboy aus Oklahoma schreibt Roosevelt: »Then there was little McGinty, the bronco-buster from Oklahoma, who never had walked a hundred yards if by any possibility he could ride.« Die historische Tatsache, dass die Rough Riders ihre Pferde schon vor der Verschiffung nach Kuba in Tampa, Florida, zurück lassen mussten, erwähnt der spätere Präsident in seiner 1899 erschienenen Schilderung des Krieges mit keinem Wort. Doch darauf kam es den Besuchern des Eden Musee auch gar nicht an. Die Frage, ob die Bilder, die sie daheim präsentiert bekamen, der Realität auf den fernen Schlachtfeldern auch nur ähnelten, stellte sich ihnen schlichtweg nicht. Zwar waren einige der Filme, etwa Wreck of the Battleship ‚Maine oder Morro Castle, Havanna Harbor tatsächlich in Kuba gefilmt worden, die meisten Szenen allerdings hatte man irgendwo in New Jersey mit Mitgliedern der National Guard nachgestellt. Wenn also The Battle of San Juan Hill oder Charge of the Rough Riders at El Caney über die Leinwand flimmerten, handelte es sich um ebenso fiktive Filme wie Passion Play, der ja auch nicht in Oberammergau gedreht worden war. Als die Rough Riders im September 1898 aus Kuba heim kehrten, statteten die meisten dem Eden Musee einen Besuch ab, so dass das Kino, wie eine Tageszeitung stolz verkündete, zu ihrem neuem Hauptquartier wurde. Die Kinobesucher bereiteten den Kriegshelden einen enthusiastischen Empfang und ließen sich mit Souvenirs aus Kuba versorgen. Als mit Joseph Wheeler sogar ein General in einer Vorführung erschien, blieb er nicht lange unerkannt und wurde vom Publikum und den anwesenden Soldaten frenetisch gefeiert.

Der Krieg von 1898 hatte seine Schlachtfelder längst auf die New Yorker Medienlandschaft verlagert. Auf dem Filmmarkt konkurrierten die Edison Company und Vitagraph und produzierten einen immensen Output an Kriegsfilmen, der das Interesse am noch jungen Medium derart steigerte, dass überall in den größeren Städten Lichtspielhäuser eröffnet wurden. Auf dem Zeitungsmarkt erlangten führende Blätter wie William Randolph Hearst´s New York Journal und Joseph Pulitzer´s New York Journal durch ihre Kriegsberichterstattung ungeahnt hohe Auflagen. In diesen Wochen entstand das Phänomen »Yellow Press«. Von früher Jugend an war Theodore Roosevelt Asthmatiker. Zeitlebens litt er unter schwacher Gesundheit, und trotzdem ging er als Rancher, Großwildjäger und Cowboy ins nationale Gedächtnis der Vereinigten Staaten ein. Offenbar kannte er sich gut aus mit der Wirkung von Bildern. Die Schilderung des kämpfenden Soldat, die Clinton in seiner Laudatio zur Verleihung der Medal of Honor vortrug, entspricht dem Bild, das sich die Öffentlichkeit schon zu Lebzeiten von Roosevelt gemacht hatte.

Seine eigentliche Stärke lag hingegen in einem virtuosen Umgang mit den Medien. Durch Film und Presse gelang es Roosevelt, die Tradition eines virilen Amerika mitsamt seiner Mythen ins 20. zu überführen. Er etablierte einen Legitimations-Zusammenhang, der die Geburt der künftigen Außenpolitik aus dem Geist der Traditionen des Wilden Westens ermöglichte. Insofern war Roosevelt Traditionalist und Modernisierer in einer Person. Im Rahmen seiner Präsidentschaft war er in mehr als einer Hinsicht ein Erneuerer: Kein Präsident vor ihm war in einem Flugzeug geflogen, in einem Auto gefahren oder in einem U-Boot getaucht. Keiner vor ihm hatte ein Telefon zu Hause. Roosevelt war es aber auch, der die politischen Regeln der Regierungskunst für das Washington des 20. Jahrhunderts erfand. Als erster Präsident unternahm er eine Dienstreise ins Ausland, lud einen Afroamerikaner ins Weiße Haus ein und wandte sich an den internationalen Gerichtshof. Es ist also an der Zeit, die Laudatio auf den ersten, wenn auch nicht einzigen Cowboy-Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten noch einmal zu überarbeiten.


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