"DER HÜBSCHE KNABE"
Rouben Mamoulian: Queen Christina
(deutscher Titel: Königin Christine)
Greta ("die göttliche") Garbo als
Königin Kristina von Schweden
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EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
DIE [UN]SCHÖNE WELT DER ILLUSIONEN

(von Filmen, Schauspielern und ihren [Vor-]Bildern)

So kann sich das Bild einer historischen Person im Laufe der Jahre - in den Medien - verändern: von der häßlichen Megäre, die sie den Zeitgenossen war, über die "ganz normale" Frau aus der Distanz bis zur Mischung aus burschikoser Lesbe und männermordendem Vamp in der cineastischen Nachwelt. Wirklich? Frau Dikigoros meint, daß Greta Gustaffson alias Garbo keineswegs als "Queen Christina" in die Filmgeschichte eingegangen sei, allenfalls in den USA, und die seien ja wohl nicht maßgeblich; ansonsten sehe man in ihr entweder die "Ninotschka" aus Billy Wilders gleichnamigem Film, die "Camille" in der "Kameliendame" oder aber die "Anna Karenina". Und auf den Hinweis ihres Mannes, daß das doch allesamt keine historischen Personen seien, sondern vielmehr Fantasiefiguren, und zwar solche, die - im Gegensatz etwa zum guten Winnetou - nicht mal für eine erdachte historische Person stehen können, meinte sie nur: "Dann schon eher die Mata Hari." Aber das glaubt Dikigoros nicht: Die Figur der "Mata Hari" ist inzwischen so oft verfilmt worden, daß man ihr Gesicht keiner bestimmten Schauspielerin mehr zuordnet - am wenigsten Greta Garbo. (Das gleiche gilt für Napoléons Maîtresse Maria Wałewska, die in allzu vielen Napoléon-Filmen durch allzu viele Schauspielerinnen besetzt und verwässert worden ist.)

[zeitgenössisches Bild] [Greta Garbo als Queen Christina 1933]

Ganz anders die Königin Christine, deren Geschichte seither nicht wieder verfilmt worden ist. Ein Indiz dafür, daß Dikigoros da richtig liegt, ist, daß im "klassischen" Filmland Europas, nämlich Frankreich, das Personenlexikon des "Petit Robert" für den Artikel über Greta Garbo das Bild ausgewählt hat, das Ihr oben rechts seht; wir dürfen also getrost davon ausgehen, daß man sie dort als Verkörperung der Königin Christine ansieht. Und in Schweden - was ja nicht ganz unwichtig sein sollte, schließlich geht es ja um eine schwedische Königin? Nun, wen wird man dort wohl eher mit einer schwedischen Schauspielerin assoziieren? Eine Gräfin aus Polen? Eine Spionin aus Niederländisch-Indien? Oder...? eben. Und damit können wir uns endlich der Handlung des Films zuwenden.

[Gustaf Adolf der Große, von Gottes Gnaden König und Kaiser der Schweden, Goten und Wandalen]

Lützen, 6. November 1632. Auf dem Schlachtfeld liegt ein alter, grauhaariger Mann im Sterben. Er sieht - nicht nur im Film - aus wie 68, ist aber noch keine 38: "Ich war der König von Schweden" sind die letzten Worte des fetten, dekadenten und völlig verlebten Gustaf II Adolf, bevor er seine protestantische Seele aushaucht und zur Hölle fährt. Seine eigenen Leute hatten ihn aus nächster Nähe erschossen - mitten in der Schlacht, die er durch seine unsinnigen Befehle zu verlieren drohte - und den Tag dadurch noch gerettet. Gustaf Adolf war der unfähigste Feldherr seiner Zeit, noch weit vor Tilly und Pappenheim, auch wenn in den protestantischen Geschichts- und Märchen-Büchern bis heute das Gegenteil steht. Aber von alledem erfährt man im Film nichts; schließlich wurde er zum 200. Todestag des schwedischen Nationalhelden gedreht, der 1932 überall in der protestantischen Welt - auch in Deutschland - groß gefeiert wurde; daß er aus Gründen, die hier nichts zur Sache tun, erst im nächsten Jahr in die Kinos kam, war Pech.

[Da wir gerade bei Dingen sind, die aus dem Film nicht hervor gehen: Gustaf Adolf gilt den Schweden zwar bis heute als "Nationalheld", aber das ist ein Ausdruck, der auf eine Gestalt des 17. Jahrhunderts allgemein nicht paßt, und speziell auf seine schon gar nicht. Als was immer Gustaf Adolf sich auch gefühlt haben mag - bestimmt nicht als "König von Schweden". Das hat weniger damit zu tun, daß seine Mutter Deutsche war (er sprach fließend Deutsch und heiratete auch wieder eine Deutsche, so daß seine Tochter zu drei Vierteln Deutsche war, aber das nur nebenbei) als damit, daß das National-"Gefühl" ein Kind des 18. Jahrhunderts war. (Man kann allenfalls streiten, ob es eher da war als die französische Revolution oder umgekehrt - das ist wie mit der Henne und dem Ei :-) Sein offizieller Titel lautete: Gustaf Adolf, von Gottes Gnaden König und Kaiser der Schweden, Goten und Wandalen. Jawohl, Kaiser! Die Schweden hatten nämlich richtig festgestellt, daß "Kaiser" eine völlig falsche Bezeichnung für das war, was man bis heute damit meint, denn Gaius Iulius Caesar war offiziell nie mehr als Consul von Rom; bereits über der Frage, ob er König ("Rex") werden durfte, schieden sich die Geister - seine Attentäter meinten: nein! Erst sein Adoptivsohn und politischer Erbe Caesar Octavian Augustus schuf das römische Kaiserreich; deshalb müßte der Herrscher dieses Gebildes richtig nicht "Kaiser", sondern "August" heißen - und so nannte sich Gustaf Adolf denn auch "Rex" und "Augustus"!]

Daheim in Stockholm holt Kanzler Oxenstierna wenig später des Königs einziges Kind in den Reichstag, die sechsjährige Prinzessin Kristina. (Das war die schwedische Namensform. Latinisiert, wie das unter europäischen Herrschern damal üblich war, schrieb sich das "Christina" - woraus im Deutschen "Christine" wurde -, so wie sich ihr Vater latinisiert "Gustavus Adolphus" schrieb, was auf kleineren Münzen und Medaillen aus Platzmangel bisweilen "Gustav. Adolph." abgekürzt wurde - aber das ist kein Grund, ihn heute "Gustav Adolph" zu schreiben, wie das so oft fälschlich geschieht. Übrigens war Kristine auch nicht dessen einzige Tochter; sie hatte vielmehr eine ältere, vorverstorbene Schwester, deren Namen sie erhielt, wie das damals nicht nur in Schweden, sondern in ganz Europa üblich war, jedenfalls in den protestantischen Ländern - in den katholischen bekam ein Kind normalerweise den Namen des oder der Heiligen, an deren Tag es geboren oder getauft wurde; noch in Dikigoros' Kindheit war es üblich, im katholischen Rheinland nicht den "Geburtstag", sondern den "Namenstag" zu feiern, auch wenn die beiden nicht mehr miteinander identisch waren - ein Überbleibsel jener alten Tradition.) Dort läßt er sie eine schöne Rede aufsagen, an deren Ende sie kurz stockt: "Und was nun diesen Krieg anbelangt, so geloben wir [sie spricht im plural maiestatis]..." - "... ihn tapfer weiter zu führen," sagt ihr Oxenstierna vor, der glaubt, sie hätte den Text vergessen. Aber sie winkt verärgert ab: "geloben wir, ihn zu gewinnen!" Schöne Aussichten.

[schwedische 'Verteidiger des Glaubens' befreien Deutschland von seinen Nazi-Dörfern, Darstellung von Jacques Callot] [Schwedische Befreier kredenzen den leckeren 'Schwedentrunk', um den Gefangenen die Zunge zu lösen für Geständnisse bei den Osnabrücker Prozessen]

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Viele Jahre später. Es ist noch immer Krieg (von dem wir freilich nichts mehr zu sehen bekommen - Mamoulian nimmt vorweg, was die deutschen Schulbuchverlage sechzig Jahre später nachmachen: er verschweigt die "Schwedengreuel", die noch zu Dikigoros' Schulzeiten alle Werke über dieses Thema zierten); aber Königin Christine (bleiben wir der Einfachheit halber bei der falschen Schreibweise) ist inzwischen erwachsen und regiert wie ein Mann - schon äußerlich: Gekleidet in Hosen und Blouson, mit breitkrempigem Hut, den Degen umgeschnallt. (Ja, gewiß, sie ist geschminkt wie heutzutage nur noch Frauen; aber damals schminkten sich auch männliche Höflinge; und noch in den 1930er Jahren auch männliche Schauspieler :-) Mit Mißfallen nimmt sie die neuesten Verlustziffern vom Kriegsschauplatz zur Kenntnis. (Ja ja, liebe Kinder des 20. Jahrhunderts, für Euch klingen 10.000 Männer, 4.000 Pferde und 200 Kanonen lächerlich wenig; aber damals wurde mit anderen Heeresgrößen operiert!) "Noch ein paar solcher Siege," sagt sie, "dann müssen auch wir ausländische Söldner anmieten." (Schweden war das einzige Land, das im 30-jährigen Krieg ausschließlich mit eigenen Wehrpflichtigen kämpfte. Deshalb waren seine Truppen auch die grausamsten, denn sie kannten nicht den quasi-ritterlichen Ehrenkodex, der zwischen Söldnern herrschte, und sie hatten als Bauern, die sie ja selber durchweg waren, ein besonderes Geschick darin - und eine besondere Freude daran - fremde Bauernhöfe nachhaltig zu zerstören und ihre Berufskollegen zu ermorden. Darüber sollten all jene mal nachdenken, die eine Wehrpflichtigen-Armee für besser halten denn eine solche aus Berufssoldaten.) "Und das kostet Geld, das wir nicht haben," fährt sie mit einem Blick auf die Berichte ihres Finanzministers (und Liebhabers :-), Graf Magnus, fort, "der Krieg wird allmählich zu teuer, Schweden braucht Frieden!" Da hat sie zweifellos Recht, denn Schweden führte bereits seit 1611 - seit ihr Vater den Thron bestiegen hatte - Krieg: erst gegen Dänemark, dann gegen Rußland, dann gegen Polen, und nun gegen die Habsburger und ihre Verbündeten. (Oxenstierna - der noch immer Kanzler ist - spricht davon, daß Schweden nun schon seit 30 Jahren Krieg führe; daraus dürfen wir also schließen, daß die Szene 1641 spielen soll.) Aber wie das oft so ist in der Geschichte, steht sie mit dieser richtigen Meinung ganz alleine da: General Carl Gustaf, ihr Vetter, will weiter siegen, und die Reichstagsabgeordneten - die ja bequem im Trockenen sitzen - auch; schließlich geht es ums Vaterland und um den einzig wahren Glauben; und was die Kosten anbelangt: "L'Allemagne payera tout," sagt Clemenceau, pardon, das kommt ja erst zweieinhalb Jahrhunderte später. "Der Feind," sagt Oxenstierna - und das ist Deutschland - "wird am Ende alles bezahlen." (Diese Szene wird von Mamoulian historisch zutreffend dargestellt. Oxenstierna wollte keinen Frieden; er wollte weiter kämpfen, weil ihm der territoriale Zuwachs Schwedens noch immer nicht groß genug war; und er trug Christine bis an sein Lebensende nach, daß sie ihn daran gehindert habe, Schweden noch größer und noch mächtiger zu machen. Er sollte ihre Abdankung noch mit erleben; zwei Monate später konnte er im Gefühl dieses persönlichen Triumfes sterben.) Aber Christine setzt sich durch: Noch im selben Jahr werden Friedensverhandlungen aufgenommen, und sieben Jahre später, 1648, wird der Frieden von Münster und Osnabrück unterzeichnet, der "Dreißigjährige Krieg" ist beendet, Schweden hat ihn gewonnen und ist zur Großmacht aufgestiegen, die weit und breit niemanden zu fürchten braucht: Deutschland - d.h. ganz Mitteleuropa - liegt am Boden; das einst mächtige Dänemark leckt sich noch die Wunden vom verlorenen Krieg; die Niederlande sind gerade erst als unabhängig anerkannt geworden; Rußland ist noch nicht viel mehr als das Großfürstentum Moskau; in England und Polen sind gerade langwierige Bürgerkriege ausgebrochen; Habsburg und das Osmanische Reich liegen im Clinch miteinander, ebenso Frankreich und Spanien, die beide um die Gunst der Schwedenkönigin buhlen. Na wenn schon - brauchen tut sie keinen von beiden; sie speist den französischen Botschafter mit schönen Worten ab (sie ist eine gebildete Frau, die selbstverständlich Französisch spricht - sie hat Descartes an ihren Hof geholt und vermutlich auch ihn flach gelegt); und der spanische Gesandte, der seinen Besuch angekündet hat, soll gefälligst warten - sie reitet erstmal für ein paar Tage auf die Jagd.

Nun wäre ein Hollywood-Film freilich kein Hollywood-Film, wenn er nicht auch ein paar schöne Klischees bedienen würde: Wie es der Zufall will, trifft die - anonym jagende - Königin auf den spanischen Gesandten Antonio de la Prada (gespielt von John Gilbert, der so gar nicht auf die Rolle des feurigen Spaniers paßt - aber Greta Garbo bestand auf ihn als Filmpartner, sie war nämlich seinerzeit auch privat mit ihm liiert), der just mit seiner Kutsche in einer Schneewehe stecken geblieben ist, und hilft ihm aus der Patsche. Im nächsten Gasthaus treffen sie schon wieder aufeinander; und wiederum will es der Zufall (und der Drehbuchautor :-), daß dort nicht mehr genügend Zimmer frei sind; sie müssen sich also eines teilen; und wiewohl Antonio die Königin ursprünglich für einen jungen Mann gehalten hat, merkt er natürlich spätestens, als sie sich auszieht (wohlgemerkt nur bis aufs Hemd - der Film ist jugendfrei :-), daß er eine Frau vor sich hat. Die beiden verbringen also die Nacht miteinander; und sie verspricht ihm, daß er sie in Stockholm wieder sehen wird. Und da er so ein guter Liebhaber ist, erlaubt sie in einem Anfall von verständnisvoller Großzügigkeit ihrer Hofdame, der Gräfin Ebba, ihren Lover zu ehelichen. Hier schleicht sich die erste nachweisliche Ungenauigkeit ins Drehbuch ein: Ob Christine tatsächlich dem spanischen Gesandten incognito entgegen ritt und ihn im Gasthaus flach legte, wissen wir nicht - Dikigoros würde es aber nicht ausschließen, denn die Königin war für ihren sexuellen Appetit berüchtigt. Allerdings war sie auch ziemlich eifersüchtig und - bi; das lesbische Verhältnis zu Ebba Sparre sollte halten, ohne von einer Hetero-Ehe der letzteren behindert zu werden, bis daß der Tod (Ebbas) sie 1662 schied.

Nach dem offiziellen Empfang des verdutzten Gesandten im Reichstag gewährt ihm Christina auch Privataudienz und erfährt bei der Gelegenheit, daß König Felipe von Spanien sie gerne heiraten würde - aber sie denkt natürlich gar nicht daran, sondern setzt ungeniert ihr Verhältnis mit dessen Gesandten fort. Angesichts dessen sehen viele Schweden ihre Felle davon schwimmen: Vetter Carl (der sie selber heiraten will, um König zu werden), der Klerus (der Angst vor dem Katholizismus hat) und last not least Graf Magnus, der stinksauer ist, seine Position als Liebhaber der Königin an den Spanier verloren zu haben. Er hetzt das Volk systematisch auf; und am Ende muß Antonio das Land verlassen - nicht ohne zuvor mit Magnus ein Säbelduell auf Leben und Tod gleich hinter der Grenze verabredet zu haben. Unterdessen hat Christine den Reichstag zusammen gerufen - wir schreiben das Jahr 1654 - und ihre Abdankung zugunsten Carl Gustafs verkündet. Auch sie will außer Landes gehen, genauer gesagt Antonio folgen; sie hat die Nase voll von der Rolle einer Königin von Schweden. Doch als sie das gemeinsame Schiff erreicht, liegt Antonio bereits im Sterben: Magnus war der bessere Fechter und hat ihn tödlich verwundet. Mit versteinerterm Blick fährt Christine aufs Meer hinaus, amen.

Soweit der Film. Und während die Historiker (und andere Kritiker) nicht müde werden, darauf hinzuweisen, daß Kristina keinesfalls aus Liebe zu irgendeinem spanischen Gesandten auf den schwedischen Thron verzichtete und daß auch ihre spätere Konvertierung zum Katholizismus dabei keine Rolle gespielt habe, wollen wir doch einmal fragen, was unter diesen beiden Punkten konkret zu verstehen ist, und ob es nicht noch einen anderen, viel wichtigeren Punkt geben könnte, den die Historiker bisher übersehen haben.

Holen wir etwas weiter aus und versuchen, die politische Lage Schwedens aus dem Blickwinkel der Königin zu betrachten: Welche Optionen gab es, welche hatten Aussicht auf Erfolg, welche davon machten Sinn? Eines vorweg: Ihr Onkel Sigismund - Sohn des schwedischen Königs Johan III und einer polnischen Prinzessin - war 1592-99 König von Schweden und Polen gewesen, hatte als solcher versucht, den Katholizismus in Schweden wieder einzuführen und war daraufhin von ihrem Großvater Karl IX gestürzt worden. Ob das nun der wahre oder der einzige Grund für den Staatsstreich war (der in Schweden Tradition hatte und weiter haben sollte - schon sein Vorvorgänger Erik XIV war als angeblich geisteskrank abgesetzt worden, und bekanntlich wurde nicht nur Gustaf II Adolf hinterrücks von seinen eigenen Leuten erschossen, sondern später auch Karl XII und sogar der friedliebende Gustaf III) oder nicht, es zeigt jedenfalls, daß ein versuchter Religionswechsel zumindest als Vorwand hätte dienen können, sie abzusetzen - und Feinde hatte sie ja genug. Ein Zusammengehen mit Polen im Südosten war also innenpolitisch offenbar nicht durchsetzbar. Ihr Vater Gustaf Adolf hatte seinen Blick nach Süden gerichtet, nach Deutschland, und im "Dreißigjährigen Krieg" (der ja für ihn nur drei Jahre gedauert hatte) für sich selber den Tod und für Schweden einen Pyrrhus-Sieg errungen. Ihr Urgroßneffe Karl XII sollte es im Osten versuchen und mit seiner Niederlage gegen Rußland Schwedens Rolle als Großmacht verspielen. Hätte es dazwischen - zeitlich und geografisch - noch einen "dritten (oder vierten) Weg" gegeben, und wenn ja welchen? Und versuchte Kristina etwa, ihn zu gehen, und hing ihre Abdankung etwa mit dem Scheitern dieses Versuchs zusammen? Die verblüffende Antwort auf beide Fragen lautet: Ja!

Heute hält man es fast für selbstverständlich, daß die "Vereinigten Staaten von Amerika" englisch geprägt sind und schon immer waren (auch wenn sie es vielleicht bald nicht mehr sein werden, wenn erst die Schwarzen und/oder die Latinos die Oberhand gewinnen :-). Wer weiß schon, daß die englische Besiedlung Nordamerikas - Sir Walter Raleigh, den "Pilgrim Fathers" von der "Mayflower" und den Gründern von Jamestown/Virginia zum Trotz - anfangs ein Flop war, der an Zerstrittenheit und Unfähigkeit zu scheitern drohte, ja schon so gut wie gescheitert war: In den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts lebten von ca. 20.000 hoffnungsvollen Einwanderern aus England noch ca. 3.000 in Virginia und ca. 300 in Massachusetts - der Rest war verhungert oder sonstwie verreckt. Wie Leser von Dikigoros' Webseite über "Das Reich, in dem die Kugel rollte" wissen, sah bis zum englisch-holländischen Seekrieg 1664-67 alles danach aus, als würde Nordamerika niederländisch - wenn die doofen Käsköppe im Frieden von Breda nicht Neu Amsterdam (das spätere New York City) mit seinem Hinterland "Nova Belgica" (dem heutigen Bundesstaat New York) gegen einen Teil Guyanas (das heutige Surinam) eingetauscht hätten, das ihren Krämerseelen viel wertvoller erschien (sie hatten den Krieg gewonnen)! In der Folgezeit vermehrten sich die englischen Kolonisten in Nordamerika zwar wieder, aber es bedurfte erst des "Siebenjährigen Krieges" und der Waffenhilfe des Königs von Preußen (der übrigens weitläufig mit Christine verwandt war: ihre Mutter war eine preußische Prinzessin, seine Ururgroßtante soundsovielten Grades), bevor sie sich Mitte des 18. Jahrhunderts gegen die Franzosen durchsetzten. [Die sich übrigens nicht gescheiter verhielten als die Niederländer: Mitte des 18. Jahrhunderts beherrschten sie den größten Teil Nordamerikas, vor allem "Canada". Das wurde zwar im "7-jährigen" Krieg von den Briten erobert, die wären jedoch bereit gewesen, es im Friedensschluß zurück zu geben, wenn die Franzosen dafür auf die Zuckerinselchen Martinique und Guadeloupe in der Karibik verzichtet hätten (welche die Briten auch irgendwann mal besetzt hatten). Aber nein, da verzichteten die Franzosen lieber auf Nordamerika und bekamen dafür die beiden Inselchen zurück - die ihnen ungleich wertvoller erschienen -; und dabei blieb es bis heute!]

Na und - was haben die Schweden damit zu tun? Kehren wir noch einmal in die 30er Jahre des 17. Jahrhunderts zurück, als die Engländer kurz davor standen, ihre Kolonien in Nordamerika aufzugeben. Seit November 1637 segelten zwei Schiffe - Die "Kalmar Nickel" und die "Vogel Greif" - mehrmals mit schwedischen, finnischen und niederdeutschen Auswanderern (und einem Schwarzen, den sie unterwegs in der Karibik auflasen) über den Atlantik und landeten erstmals im Frühjahr 1638 an der Mündung des Delaware. Sie zogen hinauf bis zur Mündung des nächst gelegenen Nebenflusses, nannten ihn nach ihrer Königin "Christina" und bauten dortselbst ein kleines Holzfort, wie es in Skandinavien üblich war, das sie ebenfalls nach ihr nannten. (Heute liegt dort das Städtchen Wilmington, das zu trauriger Berühmtheit gelangt ist als Haupt-Drogenumschlagsplatz auf halbem Weg zwischen Washington D.C. und New York City. Rund zwei Drittel der Einwohner sind Schwarze - kein Wunder, daß es in der Kriminalitäts-Statistik pro Kopf ganz weit oben steht.) Ihr Anführer war ein alter Hase: Peter Minnewit aus Wesel am Rhein (der sich auf Holländisch auch "Pieter" und auf Schwedisch auch "Peer" nannte), er hatte zuvor schon in niederländischen Diensten gestanden und u.a. Neu-Amsterdam gegründet, dessen Gouverneur er gewesen war, bevor er anno 1631 über eine Intrige stolperte. Er kannte sich aus - geschickt schürten er und seine Nachfolger (er selber starb bald darauf bei einem Schiffsunglück) die Zwietracht zwischen den Indianern einerseits und den Niederländern und Engländern andererseits: Die Algonquin schafften es beinahe, die ersteren aus "Nova Belgica" zu verjagen, und den Powhatan gelang beinahe das gleiche mit den letzteren in Virginia. Beinahe, denn der neue Gouverneur von Neu-Amsterdam, Pe[t]er Stuyvesant (nach dem rund zwei Jahrhunderte später in Deutschland ein Glimmstengel benannt werden sollte - zu Recht, denn er förderte den Tabakanbau nachhaltig), brachte ein Bündnis zwischen Engländern und Niederländern zustande, das den Indianern stand hielt; und gegen die Schweden gründeten die Käsköppe Fort Casimir (das heutige Philadelphia).

Hätten die Schweden angesichts dessen in Nordamerika überhaupt eine Zukunft gehabt? Na klar, denn anders als die Briten und die Niederländer hatten sie systematisch ganze Familien über den großen Teich geschickt - wenige zwar, aber Leute, die sowohl etwas von Landwirtschaft verstanden als auch mit der Waffe umgehen konnten. (Lest mal "Utvandrana" von Vilhelm Moberg, wenn Ihr Euch dessen große historische Romane denn noch beschaffen könnt; sein deutscher Verlag hat - völlig zurecht - der Versuchung der simplen wörtlichen Übersetzung "Auswanderer" widerstanden und statt dessen den Titel "Bauern ziehen übers Meer" gewählt - wäre das Buch nicht erst 1949 erschienen, hätte er sicher "Wehrbauern..." gelautet :-) Es war die erste Entscheidung, auf welche die junge Königin Kristina - die seit 1644 auch offiziell regierte, d.h. nicht mehr unter Vormundschaft stand - persönlich Einfluß nahm, während ihr Kanzler Oxenstierna nichts wichtigeres in seinem Ochsenkopf hatte als den ebenso kostspieligen wie nutzlosen Krieg in Deutschland weiter zu führen, um dort den Protestantismus zu verbreiten. A propos: Was bedeutete es unter diesen Umständen, "protestantisch" oder "katholisch" zu sein, und welche Rolle spielte Spanien dabei? Nun, "katholisch" oder "evangelisch" war man nicht, weil man ans liebe Jesulein und die heilige Jungfrau glaubte oder nicht oder doch, sondern weil der Landesvater (oder die Landesmutter) es war - "cuius regio eius religio", so etwas wie das Grundrecht auf individuelle Glaubensfreiheit gab es damals im Christentum ebenso wenig wie heute im Islam -, und auch für die Herrscher[innen] war es keine Frage des persönlichen Glaubens, sondern des politischen Kalküls - da konnte man seine Religion schon mal wechseln; nicht nur Paris war eine Messe wert, sondern z.B. auch der polnische Thron, wie der Kurfürst von Sachsen nur zu gut wußte. Spanien aber war nicht nur die katholische Vormacht in Europa, sondern auch in Amerika: Das spanische "Vizekönigreich Neu-Spanien" reichte bis weit nach Nordamerika hinein; es umfaßte nicht nur das heutige Mexiko, sondern auch das heutige Kalifornien, Colorado, Utah, Arizona, Nevada, Neu-Mexiko, Texas und Florida. Wenn es gelang, im Bündnis mit den Spaniern - und vielleicht auch noch mit den katholischen Franzosen, die gerade dabei waren, sich in "Neu-Frankreich" (dem heutigen Kanada) und "Louisiane" (das die heutigen Bundesstaaten Montana, Nord- und Süd-Dakota, Minnesota, Wyoming, Nebraska, Iowa, Kansas, Missouri, Oklahoma, Arkansas, Louisiana und Mississippi umfaßte) festzusetzen - die protestantischen Mächte England und Holland in die Zange zu nehmen, dann war der Weg frei für ein schwedisches Nord-(Ost-)Amerika vom Atlantik bis zum Mississippi, vom Michigan-See bis zum Golf von Mexiko. Für ein Land von Farmern, die ihre Felder selber bestellt hätten, ohne Negersklaven auf Tabak- und Baumwoll-Plantagen, ohne Cowboys mit Rinderherden, die die Great Plains kahl fraßen, und wahrscheinlich auch ohne Indianerkriege, denn mit den fünf zivilisierten Indianer-Völkern im Osten hätte man ganz gut auskommen können, und ihre "wilden" Brüder saßen ja überwiegend im "Wilden Westen", d.h. westlich des Mississippi, bei den Franzosen und Spaniern, die ebenfalls ganz gut mit ihnen auskamen.

[Neu-Schweden 1638-55 (mit Medaillon Christinas)] [Nordamerika um 1700]
[Nordamerika 1803]

Schweden aber wäre zur Weltmacht aufgestiegen, und zwar zur einzigen Weltmacht; denn wenn es seinen Blick gen Westen gerichtet hätte, über den großen Teich, dann wäre kein größenwahnsinniger Karl XII auf die Schnapsidee gekommen, gen Osten über das "Baltische Meer" zu ziehen, um Rußland anzugreifen und es dadurch erst zur Großmacht zu machen: Peter der Große wäre gestürzt und ermordet worden, von seinen eigenen Landsleuten (bei denen er ungefähr so beliebt war wie knapp zweieinhalb Jahrhunderte später Stalin - nur die äußere Bedrohung durch den Krieg schweißte die Bevölkerung notgedrungen hinter ihnen zusammen), und die Moskowiter säßen heute noch in den Sümpfen, in denen sie damals stecken geblieben wären. Und ohne jenen verbiesterten puritanischen Protestantismus hätte es auch all die amerikanischen "Kreuzzüge" gegen alle möglichen Gegner nicht gegeben, nicht gegen Mexiko, nicht gegen Spanien, nicht gegen Deutschland...

Ihr meint, das klinge zu schön um wahr zu sein, liebe deutsche Leser, die Ihr im 20. Jahrhundert geboren seid? Täuscht Euch nicht, und glaubt vor allem nicht, daß es Deutschland dann - ohne seine großen Feinde USA und Rußland - besser ergangen wäre. Die "Wikinger" haben im Mittelalter und die Schweden in der Neuzeit (noch lange nach dem offiziellen Kriegsende von 1648) - fast schlimmer gehaust in Deutschland als die Russen und Amerikaner 1945; nichts gibt Grund zu der Annahme, daß sie sich, wenn Amerika ihnen gehört hätte, besser verhalten hätten. Ein katholisches Schweden wäre auch in den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts schwerlich neutral geblieben, sondern hätte - ähnlich wie die USA - erst verdeckt, dann offen für seine französischen Freunde Partei ergriffen. Wenn es überhaupt so weit gekommen wäre, daß die Großmächte zwei Weltkriege gegen Deutschland führen mußten, um es nieder zu halten: "Kreuzzüge" in aller Welt hätte es nämlich auch unter den Schweden gegeben, und zwar nicht weniger, sondern mehr, denn die Schweden wären ja schon zwei Jahrhunderte früher als die USA militärisch stark genug dafür gewesen: Eine kleine Intervention in England zugunsten der katholischen Stuarts? Ein Eingreifen in den "Siebenjährigen Krieg" zugunsten des katholischen Österreichs gegen den protestantischen König von Preußen? Oder ein Bündnis mit Napoleon (der dann Louisiana nicht an die USA, sondern an die Schweden verkauft hätte)? Dikigoros kann Euch verraten, wie die Landkarte Europas dann ausgesehen hätte: im Westen bis zur Oder-Neisse-Linie Frankreich (inclusive des "Rheinbunds" und der "italienischen" Provinzen), im Osten davon das Königreich Polen (auf dessen Thron ein katholischer Schwede gesessen hätte, ebenso wie auf den Thronen von Norwegen, Dänemark und England, denn die Prinzessin Drina von Sachsen-Coburg-Gotha hätte man in ein bayrisches Kloster gesteckt, wo sie dann als "Schwester Victoria" Karriere hätte machen können, aber nicht als Königin von England und schon gar nicht als Kaiserin von Indien - das heute französisch wäre, ebenso wie Kanada, Panama und Ägypten, aber das ist eine andere Geschichte), und im Südosten Österreich, Böhmen und Mähren, Ungarn und ein paar balkanesische Pisselstaaten, genau wie heute.

Vielleicht war es doch besser, daß Kristina damals abdankte und Schweden nicht katholisch wurde?!?

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Nachtrag: Die letzte Frage war eigentlich retorisch gemeint; aber ein Leser hat sie wörtlich genommen und Dikigoros eine lange Mail geschickt, um sie mit einem dezidierten "Nein" zu beantworten. Das wäre an sich nicht weiter schlimm, und wenn man weiß, daß jener Leser aus Polen stammt und überzeugter Katholik ist, auch nicht weiter verwunderlich. Aber er hat seine Ausführungen mit der Aussage eingeleitet, daß Dikigoros einen ganz falschen Ansatz für die Besprechung dieses Films gewählt habe und daß auch die abschließende Frage völlig falsch gestellt sei; und da Dikigoros so oft den Satz zitiert, daß falsche Fragestellungen (nicht nur in der Geschichte :-) zu falschen Antworten führen müssen, trifft ihn dieser Vorwurf hart. Er will mal versuchen, die Gedankenkette des Lesers kurz, aber präzise zusammen zu fassen:
1. Im November 1632 bei Lützen starb nicht der König von Schweden, sondern ein Usurpator - der wahre König, Johan III Sigismund (den Dikigoros oben kurz erwähnt hatte), war bereits im April 1632 in Warschau gestorben.
2. Wäre Schweden katholisch geblieben, weil Sigismund (und später Kristina) nicht gekniffen hätten und außer Landes gegangen wären, wäre der Welt viel Schlimmes erspart geblieben: Schweden hätte nicht in den "Dreißigjährigen Krieg" eingegriffen, der also ganz schnell vorbei gewesen wäre (denn ohne Schweden hätte sich auch Frankreich gehütet, einzugreifen); statt seine Truppen in Deutschland zu verheizen, hätte Schweden Polen (mit dem es ja dann in Personalunion verbunden geblieben wäre) helfen können, Rußland zu zerschlagen - was ja fast auch ohne Schweden gelungen wäre, ein Erfolg wäre also so gut wie sicher gewesen; dann hätte auch Karl XII später nicht unter wesentlich ungünstigeren Voraussetzungen ein gleiches versuchen - und scheitern - müssen; und schließlich hätte ein starkes Polen mit Schwedens Unterstützung nicht nur das Warägerreich wieder errichten können, sondern auch den alten Traum der Rus von der Eroberung Konstantinopels verwirklichen können - und bei der Gelegenheit die Türken gleich ganz und für alle Zeiten aus Europa und Kleinasien vertreiben können.
3. In Nordamerika hätte es nie ein erdrückendes Übergewicht der Angelsachsen gegeben, denn nicht nur der 30-jährige Krieg wäre keiner geworden, sondern auch der 7-jährige Krieg hätte nie statt gefunden. Es hätte aber auch kein rein schwedisches Nordamerika gegeben, das irgendwer zu fürchten gehabt hätte; vielmehr hätte es dort ein Sammelsurium von Kleinstaaten gegeben, die ein Spiegelbild ihrer Mutterländer in Europa dargestellt hätten: Neu-Schweden-Polen, Neu-Belgien, Neu-England, Neu-Schottland, Neu-Frankreich etc. - die USA hätte es also nie gegeben, ebenso wenig wie die Sowjet-Union, d.h. die positiven Folgen dieser Entwicklung wären noch heute zu spüren. Ob ein katholisches Schweden da nicht doch die bessere Alternative gewesen wäre?

Nun, Dikigoros will nicht über die Fakten streiten - zumal es gar keine sind, sondern nur Spekulationen, genau wie seine eigenen abschließenden Ausführungen zum Film. Aber nehmen wir ruhig einmal an, es wäre so gekommen, wie sein polnischer Leser sich das ausgemalt hat. Darf er ganz dezent darauf hinweisen, an wen seine retorische Frage gerichtet war: Er hat sie ausdrücklich an seine "liebe[n] deutsche[n] Leser" adressiert. Und diesen möchte er sie jetzt noch einmal stellen, und zwar im Hinblick auf jene polnisch-katholischen Spekulationen: Glaubt Ihr wirklich, daß es Euch heute besser ginge, wenn im 17. Jahrhundert ein polnisch-schwedisches Großreich entstanden wäre, vom Nordmeer bis zum Schwarzen Meer und von der Wolga bis.. ja bis wohin eigentlich? Bestimmt nicht nur bis zur Oder und Neiße, auch nicht bloß bis an die Elbe, eher schon bis an den Rhein, vielleicht sogar bis zum Atlantik? Selbst das "kleine", relativ schwache Polen der realen Geschichte hat so unendlich viel Leid über seine Nachbarländer - vor allem Rußland und Deutschland - gebracht, was heute leider in unseren Geschichts- und Märchenbüchern tot geschwiegen wird, aus Gründen der "politischen Korrektheit", die anscheinend immer zugleich eine historische Unkorrektheit sein muß: Habt Ihr schon mal vom "Thorner Blutgericht" gehört oder gelesen? Wahrscheinlich nicht, und wenn, dann nur, daß da 1724 irgendein unbotmäßiger Bürgermeister hingerichtet wurde und noch ein paar seiner Anhänger - irgendwo las Dikigoros die Zahl 9 (neun), also gewissermaßen Peanuts. Und der "Bromberger Blutsonntag" von 1939 darf gleich gar nicht mehr erwähnt werden. (Das Buch "Der Tod in Polen" von E. E. Dwinger ist in der BRDDR selbstverständlich verboten; lest es trotzdem, liebe Leser - auch liebe nicht-deutsche Leser! -, dafür hat Dikigoros es Euch extra auf einem Server am anderen Ende der Welt verlinkt :-) Was hätte wohl erst ein großes, mächtiges Polen angerichtet? Fragt die Juden von Jedwabne - ach nein, die sind ja tot; fragt die Protestanten aus den deutschen Ostgebieten - ach nein, die sind ja auch tot. Fragt irgendeinen Nicht-Katholiken im polnischen Machtbereich - wenn Ihr denn jemanden findet, der noch am Leben ist. (Kleiner Tip: Sucht in Kanada; dort sollen noch Nachkommen von Angehörigen der ukraïnischen griechisch-katholischen Kirche nach byzantinischem Ritus leben, die das Massaker von Lesko 1932 überlebt und ihren Kindern und Enkeln davon erzählt haben.) Und wer dann noch die Frage nach der "besseren Alternative" mit einem "Ja" beantwortet, dem ist nicht mehr zu helfen! Nachtrag Ende.

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Und noch ein Nachtrag: Andere Leser haben sich beschwert, daß Dikigoros, der sich doch sonst so gerne über Filme mokiert, in denen eine Lebensgeschichte mittendrin abbricht - wie z.B. bei Cromwell, Sissi, Garibaldi oder Venizelos - und das Fehlende dann ergänzt, das hier nicht getan hat. Hat sich denn in den immerhin 35 (von insgesamt 62) Lebensjahren, die Kristina nach ihrer Abdankung als Königin noch blieben, gar nichts mehr ereignet, das er Erwähnung wert wäre? Nun, darüber könnte man trefflich streiten; aber das will Dikigoros mit seinen Lesern nicht tun, also auch dazu noch ein paar Worte. (Das hat zudem den Vorteil, daß dieser Bericht nicht in Gedanken endet, die scheinbar sooo weit vom Thema des Films abschweifen :-) Gehen wir aber nicht nur bis 1654 zurück, sondern noch sechs Jahre weiter. Habt Ihr Euch eigentlich schon mal Gedanken darüber gemacht, warum die Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück zur Beendigung des "Dreißigjährigen Krieges" so viele Jahre gedauert haben? Wegen Protokollfragen? Ja, auch, aber nur am Anfang. Wegen Fragen der Religions- und sonstiger Freiheit? So steht es in den Geschichts- und Märchenbüchern - aber denen solltet Ihr besser nicht glauben. Dikigoros will Euch die Wahrheit verraten: Die Alliierten - und allen voran Schweden - wollten nicht eher Frieden schließen, bis sie Deutschland vollständig ausgeraubt und geplündert hatten. Ihr meint, da sei doch nach drei Jahrzehnten Krieg nicht mehr viel zu holen gewesen? Nein, Vieh, Kartoffeln und Kleingeld nicht mehr, aber darum ging es den Schweden auch gar nicht; die wollten vielmehr das Tafelsilber, d.h. den Kronschatz der Habsburger, und der lag in der Hauptstadt des deutschen Herzlandes Böhmen, in Prag, das folglich noch erobert werden mußte. Erst an dem Tag, als die Nachricht von General Königsmarck, daß sich der Schatz fest in schwedischer Hand befand, nach Osnabrück gelangte, unterzeichnete der entsprechend instruierte schwedische Gesandte mit feierlichem Pomp den Friedensvertrag. Die Beute war immens - es dauerte Monate, bis sie nach Stockholm gekarrt war (und Jahre, bis die letzten schwedischen Besatzungstruppen aus Deutschland abgezogen oder vertrieben waren). Angesichts jener Reichtümer (nicht nur Gold und Silber, sondern auch Kunstschätze aller Art) meinten die Schweden, daß sich der Krieg für sie nun doch ausgezahlt hätte; sie nannten ihre Hauptstadt "das Athen des Nordens" (wenn die geahnt hätten, daß Athen - das rund 100 Jahre zuvor in die Hand der Türken gefallen war - nur noch ein herunter gekommenes Kuhdorf neben einem schwindenden, da als Steinbruch genutzten Haufen alter Ruinen war :-) und ihre Königin "Minerva". Aber Kristina wußte es als gebildete und immer gut informierte Frau besser: Hatten all die Schätze, welche die Spanier aus Amerika geraubt hatten und die man nicht essen konnte, nicht bloß zur Hyperinflation, zum Niedergang von Landwirtschaft und Gewerbe, zum Ruin des Mittelstands und schließlich zum Staatsbankrott geführt? Das wollte sie ihrem Volk doch tunlichst ersparen, deshalb nahm sie den Schatz der Habsburger vollständig mit, als sie das Land verließ - bis zum letzten Stück Tapete -, denn für eine Privatperson war es doch recht angenehm, gut bei Kasse zu sein, und wenn manfrau das Geld im Ausland ausgab, heizte sie ja nur dort die Inflation an und schädigte nicht die Wirtschaft ihres Heimatlandes. Auch ihre amourösen Abenteuer schadeten dem Ansehen des Königshauses weniger, wenn sie ihnen statt in Schweden im Ausland nachging, und das tat sie nach Kräften - ihren moralinsauren Hofmarschall, der dumm genug gewesen war, ihr zu folgen, ließ sie, als er darob die Nase rümpfte und zu tratschen begann, kurzerkopf, pardon kurzerhand einen Kopf kürzer machen. Als gute Katholikin trieb sie es natürlich nur noch mit Katholiken, und weil in Rom nicht viel anderes herum lief, das "standesgemäß" war, vorzugsweise mit Kardinälen, böse Zungen behaupten sogar, auch mit Papst Alexander - immerhin ließ sie sich ihm zuliebe in "Alexandra" umtaufen. Wundert es Euch jetzt noch, liebe Leser, daß Rouben Mamoulian den Film da enden ließ, wo er ihn enden ließ? Dikigoros bezweifelt, daß Greta Garbo bereit gewesen wäre, für den Rest jener Lebensgeschichte ihr Gesicht - geschweige denn andere Körperteile - vor die Kamera zu halten. Selbst im Zeitalter der Pornofilme fand sich niemand, der - etwa anläßlich ihres 300. Todestages im Jahre 1989 - jenen Rest hätte verfilmen wollen.


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