Bis zur Wende von 1989 trug das Gebäude des
Reichsgerichts in Leipzig für fast vier Jahrzehnte den Namen
"Dimitroff-Museum" - nach dem bulgarischen Kommunistenführer Georgi
Dimitroff, der hier der Mittäterschaft am Reichstagsbrand vom 27. Februar
1933 angeklagt war. Bis 1991 war sogar das aus Bulgarien importierte
Geburtshaus ausgestellt. Und im Großen Sitzungssaal konnten sich
Museumsbesucher noch bis 1997 das im Herbst 1933 im Rundfunk ausgestrahlte
Rededuell zwischen Göring und Dimitroff vor Gericht anhören, das den
Reichstagspräsidenten derart nach Strich und Faden blamierte, daß die
Prozeßübertragungen abgebrochen wurden. Die positive Seite am
Personenkult: Nur als Erinnerungsstätte für Dimitroff entging der
gewaltige Reichsgerichtsbau zu DDR-Zeiten der Vernachlässigung oder gar
der Zerstörung. Heute hat das Bundesverwaltungsgericht hier seinen Sitz
gefunden. Damals publizierte Fritz Tobias im "Spiegel" eine Artikelserie, die
harsch gegen die herrschende historische Meinung wetterte, daß die
Nationalsozialisten selbst hinter dem Attentat gesteckt und Van der Lubbe
nur die Schuld in die Schuhe geschoben hätten. Tobias identifizierte den
Niederländer als Alleintäter. In Hans Mommsen fand er einen streitlustigen
Fürsprecher, und als 1965 das Berliner Landgericht den ursprünglichen
Schuldspruch des Reichsgerichts nicht komplett kassierte, sondern in einer
Neuverhandlung den 1934 hingerichteten van der Lubbe postum nur vom
Tatbestand des Hochverrats, nicht aber von dem der menschengefährdenden
Brandstiftung freisprach, hatte sich ein neuer Tenor in der
Historiographie herausgebildet, der ganz Tobias' Ansichten folgte. Allein
das sogenannte "Luxemburger Komitee" unter Walther Hofer vertrat seit 1968
noch die These zumindest einer Mittäterschaft der Nazis. Mittlerweile
haben die Thesen der durch Fälschungsvorwürfe diskreditierten
"Luxemburger" neue Anhänger gefunden. Leider wurden die etwas langatmigen Ausführungen von Fischler und Bahar
vom Moderator immer dann abgewürgt, wenn es um den Inhalt der bislang
angeblich unbeachteten Akten ging. Der monotone Verweis auf die
fortgeschrittene Zeit mutete etwas seltsam an, hatte man doch zu Beginn
auf Einführung des Moderators, Begrüßung durch den Hausherrn und
musikalisches Intermezzo bereits mehr als eine halbe Stunde verwandt. So
muß das Fragezeichen hinter dem Diskussionsthema weiter stehenbleiben,
auch wenn der Leipziger Schriftsteller Erich Loest, der vor zwei Jahren
seinen Roman "Das Reichsgericht" publiziert hat, mehrfach forderte, man
möge doch einfach sagen, wer es getan habe, statt umständlich ins Detail
zu gehen. Das wiederum sahen Fischler und Bahar ganz anders, und so kam am Schluß
doch noch ein Hauch von Diskussion auf. Das Phänomen, daß ideologisch und
methodisch belastete Geschichtsschreibung zusammen mit feuerpolizeilichen
und kriminalistischen Ermittlungen einen neuen Sprengstoff ergibt, wurde
mehr als deutlich. Schon über den Quellencharakter des zweifellos
manipulierten, 1933 im französischen Exil erschienenen "Braunbuchs" des
Willi Münzenberg war keine Einigkeit zu erzielen. Und warum sollten im
allseits als Farce gewerteten Reichsgerichtsprozeß, der doch fünf
Schuldsprüche zum Ziel hatte, Fakten verschwiegen worden sein, die am
Alleintäter zweifeln lassen? zurück zu Brennt Rom?
So konnte die Gewerkschaft ver.di in Zusammenarbeit
mit dem Forum Justizgeschichte und der Vereinigung Deutscher
Wissenschaftler nun eine Diskussion über den Reichstagsbrand an ebenjenem
Ort abhalten, wo Dimitroff und drei weitere kommunistische Angeklagte
frei- und der Niederländer Marinus van der Lubbe schuldig gesprochen
worden waren: im wiederhergestellten Großen Sitzungssaal. Das Thema der
Veranstaltung, "Neues zum Reichstagsbrand", war höchst vorsichtig durch
ein Fragezeichen ergänzt worden, aber zu diesem Thema gibt es immer Neues
zu berichten - und seien es neue Ausfälle der beiden konkurrierenden
historischen Schulen gegeneinander. Hermann Graml vom Institut für
Zeitgeschichte in München sah denn auch den Hauptgrund für die Vorsicht,
die viele Historiker walten lassen, wenn sie sich der Frage stellen
sollen, ob van der Lubbe tatsächlich allein für den Brand verantwortlich
gewesen sei oder ob es Mittäter gegeben habe, im rauhen Tonfall, der seit
1959 in dieser Debatte vorherrscht.
Ein neuer Tenor
Etwa den Düsseldorfer
Soziologen Hersch Fischler, dessen Teilnahme an der Leipziger Diskussion
sowohl Tobias als auch Hans Mommsen zur Absage bewog. Fischler ist nicht
zimperlicher als frühere Beteiligte an der Debatte; also ging es hoch her
im Großen Sitzungssaal. Er und der ehemalige Hofer-Mitarbeiter Alexander
Bahar waren sich einig: Die These von der Alleintäterschaft ist unhaltbar.
Polizeiakten, die 1982 aus Moskau ans Zentrale Parteiarchiv der SED in
Berlin gegangen sind, seien zunächst von der DDR unterdrückt (warum,
vermochte niemand zu sagen) und nach 1989 nicht richtig ausgewertet
worden. Die kriminalistische Spurenauswertung sei nicht in Übereinstimmung
zu bringen mit Zeugenaussagen und Van der Lubbes Geständnis. Zudem
versucht Fischler den Nachweis zu führen, daß Van der Lubbe vor seiner
Festnahme im Reichstag weniger Zeit zur Brandlegung hatte, als im Prozeß
behauptet worden war - und nicht mehr, wie das Alfred Bernd als Vertreter
der Alleintäterthese behauptet hatte.
Seltsamer Verweis
Diese klare Antwort aber erwartet in Wahrheit weder Loest
selbst, der dann doch auf weitere Forschung drang, noch Graml, der sich
gegen den Einzug einer nach juristischem Vorbild allein auf Indizien
gegründeten Beweisführung in der Geschichtsschreibung wandte. Doch auch er
gestand zu, daß die neuen Erkenntnisse, die man gewonnen habe, die
Alleintäterschaft Van der Lubbes in Frage stellten. Allerdings dürfe die
Frage, wem der Reichstagsbrand seinerzeit genutzt habe - zweifellos allein
den Nazis -, nicht dazu führen, daß man nun deren Mitwirkung oder gar
Verantwortung für sicher halte. Es fehle dafür immer noch jeder
Beweis.
Ein Hauch von Diskussion
Legte Van der Lubbe mit einer Hand den allergrößten Brand? Die Debatte lodert wieder auf. Es wird mehr als einen
historischen Lapplöschmann brauchen, sie einzudämmen. Ganze Wehren werden
wieder ausrücken.