DER  SCHMOCK  DER  WOCHE

Die Mullahs meinen es nicht so

Der Schmock der Woche geht an Katajun Amirpur, die Islam-Expertin der SZ

Vor ein paar Wochen erst hat uns die Islam-Expertin der SZ, Katajun Amirpur, erklärt, warum es ein Schritt in Richtung Menschenrechte im Iran bedeutete, dass ein 16jähriges Mädchen, das zum Tode verurteilt worden war, nicht gesteinigt sondern erhängt wurde. Nun, nach dem Mord an dem holländischen Filmemacher und Provokateur Theo van Gogh durch einen moslemischen Fanatiker, erklärt sie uns, wie es kommt, dass die Mullahs von ihren Anhängern missverstanden werden, dass die einen es nicht so meinen, wie es bei den anderen ankommt. Das liest sich dann so:

»Vielleicht fühlte sich der Mörder van Goghs tatsächlich beleidigt durch dessen Provokationen in dem Film 'Submission'... Aber selbst wenn der Mörder sie als blasphemisch empfunden hat, ist es nicht seine Aufgabe, dieses Verbrechen (das es nach islamischem Recht durchaus ist) zu rächen. Das ist das Vorrecht von Gott im Himmel. Ihm sollte man es lassen und so wurde es in der islamischen Geschichte zumeist gehandhabt. Das wusste auch Ajatollah Khomeini, als er Salman Rushdie zum Apostaten erklärte - er hatte dafür politische, keine religiösen Motive. Khomeini wusste, dass Blasphemie und Apostasie Vergehen sind, über die Gott allein zu richten hat. Aber irgendein verblendeter Fanatiker wusste es nicht und deswegen musste Rushdies norwegischer Verleger sterben. Und eine ganze Reihe von Muslimen in den Niederlanden wissen es offenbar auch nicht, sonst würden sie nicht Ayaan Hirsi Ali, die Mitautorin von van Goghs Film 'Submission', als Apostatin mit dem Tode drohen. Dummerweise wissen eben viele Muslime nicht besonders viel über ihre Religion. Das macht das Ganze so gefährlich.«
SZ, 11.11.04, Seite 11

Wenn Frau Amirpur am 11.11. auf Seite 11 der SZ einen Text veröffentlicht, dann könnte dies auch mit dem Auftakt der Faschings-Saison zu tun haben, wo nicht nur jeder Topf seinen Deckel findet, sondern auch jeder Schwachsinn seine Rechtfertigung. Aber es ist nicht das erste Mal, dass Frau Amirpur so argumentiert, als wollte im Rahmenprogramm einer öffentlichen Auspeitschung den Orden wider den tierischen Ernst verliehen bekommen. Ihre Texte sind fast immer Lehrbeispiele dafür, wie man Tatsachen so lange umdeutet, verbiegt und zurecht feilt, bis sie so aussehen wie Graf Dracula nach einer Zahnbehandlung. Schön zu erfahren, dass Khomeini kein verblendeter Fanatiker war und sauber zwischen politischen und religiösen Motiven unterschied. Wie konnte es dann aber passieren, dass gegen Rushdie nicht nur eine quasi symbolische Fatwa verkündet sondern auch ein konkretes Kopfgeld ausgesetzt wurde? Und wenn es an Gott allein liegt, über Blasphemie und Apostasie zu richten, warum mischte sich Khomeini überhaupt ein und überließ die ganze Sache nicht dem Allmächtigen? Und wenn er es nicht so meinte, wie es seine Anhänger verstanden, warum hat er es ihnen dann nicht erklärt? Etwa so: »Ich habe Rushdie zwar zum Tode verurteilt und eine Prämie auf seinen Kopf ausgesetzt, aber wehe dem, der ihm nur ein Haar krümmt!« Das hätte einige Unklarheiten ausgeräumt, und Rushdies norwegischer Verleger wäre sicher noch am Leben.

Das Verhältnis zwischen dem Ajatollah Khomeini und seinen Anhängern scheint so zu sein wie das zwischen Karl Marx und den Marxisten. Auch jene haben ihren Meister nicht ganz verstanden, als sie die Diktatur des Proletariats in die Tat umsetzten. Und so morden sich die moslemischen Fanatiker den Weg frei, schlagen mal einem Ami den Kopf ab, erschießen mal einen Norweger oder einen Holländer, wobei sie »Allah ist groß! Allah ist mächtig!« rufen, während sich die Ajatollahs angewidert abwenden, weil sie mit solchen Exzessen nichts zu tun haben wollen. Nur Frau Katajun Amirpur, die Islam-Expertin der SZ, schaut genau hin und analysiert die Situation mit klarem Blick. Demnächst wird sie eine Hotline einrichten, für Moslems, die nicht besonders viel über ihre Religion wissen. Wenn einer dann wissen will, ob er einen Ungläubigen umlegen darf, wird er erst Frau Katajun anrufen und um einen Rat bitten.

Wir aber wollen nicht warten, bis die Telekom die Leitung freigeschaltet hat und verleihen Frau Katajun Amirpur jetzt schon den »Schmock der Woche« für ihre Bemühungen um angewandte Dialektik, praktizierte Humanität und Vermittlung zwischen den Kulturen. Gott vergelts!

Henryk M. Broder, Bln, 14.11.04

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