ÜBERLEBENDE NAZI

Scotland Yard ermittelt gegen
hunderte SS-Verbrecher

(der Spiegel, 04. Februar 2006)

Sechs Jahre nach dem ersten und letzten Prozess in Großbritannien gegen Straftäter des Hitler-Regimes nimmt die britische Polizei erneut ehemalige NS-Soldaten ins Visier. Sie sucht nach hunderten von Mitgliedern einer SS-Einheit, die noch in Großbritannien leben sollen.

London - Eine achtköpfige Spezialeinheit untersuche, ob Verfahren wegen Kriegsverbrechen gegen in Großbritannien lebende Exsoldaten angestrengt werden sollten, berichtet der "Guardian". Dabei gehe es um frühere Mitglieder der Waffen-SS, die in der Ukraine angeworben wurden und während des Zweiten Weltkriegs in Polen, der Slowakei und der Ukraine im Einsatz waren.

Nach Schätzungen aus dem britischen Innenministerium könnten noch hunderte der ehemaligen SS-Angehörigen in Großbritannien leben. Das Blatt selbst will allein zwölf Männer ausfindig gemacht haben. Die Untersuchungen liefen geheim, heißt es weiter. Scotland Yard wollte keinen Kommentar dazu abgeben.

"Sie sollen nicht ruhig schlafen"

Der Labour-Abgeordnete Andrew Dismore bestätigte den Bericht jedoch indirekt, wie der Fernsehsender BBC berichtete. Der Parlamentarier erklärte, er habe der Polizei eine Liste mit Namen zukommen lassen. Darauf seien ehemalige SS-Mitglieder aufgeführt, deren Verbleib nicht bekannt sei, sowie in Großbritannien lebende Personen, deren Vergangenheit untersucht werden sollte. Zahlreiche NS-Angehörige kamen als Kriegsgefangene nach Großbritannien, wo sie in der Landwirtschaft mitarbeiteten.

Die jüngsten der früheren Mitglieder der Waffen-SS in Galizien sind heute über 80. Eine Polizeisprecherin erklärte auf Anfrage lediglich, dass die Einheit für Verbrechen gegen die Menschlichkeit in diesem Jahr eine Untersuchung gestartet habe, nachdem Dismore der Polizei eine Liste mit Namen übergeben habe.

Dismore erklärte, Kriegsverbrechen aus der Vergangenheit zu ahnden sei ein guter Weg, solche Straftaten in der Zukunft zu verhindern. "Diese Leute sollten niemals ruhig in ihrem Bett schlafen dürfen, sie sollten wissen, dass jeden Tag jemand an ihrer Tür klopfen kann."

Bisher wurde in Großbritannien lediglich ein Verdächtiger wegen NS-Kriegsverbrechen verurteilt: Der ehemalige Bahnangestellte Anthony Sawoniuk wurde 1999 der Ermordung von Juden in seiner Heimat Weißrussland schuldig gesprochen. Er starb im vergangenen Jahr im Alter von 84 Jahren im Gefängnis. Danach war die entsprechende Untersuchungs-Einheit bei Scotland Yard erheblich verkleinert worden.


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