EIN ORT DER GEWALT

von Frank Jansen und Armin Lehmann

(Der Tagesspiegel, 12.09.2006)

Immer wieder führen Spuren des Terrors nach Hamburg. Kenner sagen: Es ist keine Kommandozentrale, aber wichtig für die islamistische Szene

Deutschland hat zu Hause Glück gehabt. Islamistische Anschläge konnten hier verhindert werden – bis auf einen, den der Kofferbomber, der nur dank eines technischen Fehlers scheiterte. Außerhalb der Bundesrepublik sind Deutsche mehrmals Opfer von Attentaten geworden – zum Beispiel Touristen auf Djerba und Bali sowie Bundeswehrsoldaten in Afghanistan.

Die Gefahr in Deutschland selbst ist für die Sicherheitsbehörden oft nur schwer zu orten, weil die islamistische Szene vielschichtig erscheint. Außerdem gibt es manchmal fließende Übergänge zwischen „normalen“ muslimischen Milieus und islamistischen. Sicherheitsexperten können auch nur vage das Spektrum definieren. Mehr als 32 000 Islamisten werden Organisationen zugerechnet, von denen derzeit zumindest hier keine Gewalt zu erwarten ist. Mehr als 30 Moscheen gelten als „sehr problematisch“, weil dort radikale Ideen propagiert werden – auch bis zur Werbung für den Dschihad, den so genannten heiligen Krieg. Doch es bleibt unklar, wie groß die militante Szene ist. Ein paar Hundert Leute, sagen Sicherheitsexperten, verstreut über die Republik, wobei der Osten deutlich weniger betroffen ist. Als klassische Schwerpunkte gelten Großstädte wie Hamburg.

Das Auffälligste am Steindamm 103 im Viertel St. Georg in Hamburg ist ein Fitnessklub. Es ist ein Klub für extremes Bodybuilding. Wer durch die Tür lugt, sieht einen Wald aus Hanteln und Männer mit üppigen Muskeln. Man weiß nicht, ob die Hamburger Zelle um Mohammed Atta hier trainiert hat, doch die Adresse Steindamm 103 gilt als Beweis dafür, dass der Terror vom 11. September auch von deutschem Boden ausging. Denn es gibt ein Bild von der Moschee, die hier auch beheimatet ist, gleich links vom Bodybuilderstudio. Das Foto, das nach dem 11. September 2001 um die Welt ging, zeigt Atta einträchtig mit seinen Komplizen, mutmaßlichen Helfern und anderen Muslimen. Dieses Bild wurde in einem der Räume der Al-Quds-Moschee aufgenommen, in der Atta ein- und ausging.

An einem Freitag im Spätsommer ist wenig los vor der Moschee, junge Muslime diskutieren oder stöbern in Hunderten CDs mit arabischer Aufschrift, die im Eingang ausliegen. Bis heute ist Hamburg das Image nicht los geworden, dass es als strategisch wertvoll gilt für radikale Islamisten. Das hat mit Atta zu tun, aber auch mit St. Georg.

Hier, nahe dem Hauptbahnhof, ist die Hochburg der Hamburger Muslime – und anderer aus aller Welt. Vom Steindamm ist es nur ein Katzensprung zum Kleinen Pulverteich, zur Böckmannstraße oder zum Lindenbasar – überall finden sich kleine oder größere Moscheen, muslimische Geschäfte und Kultureinrichtungen. Eine Welt für sich. Bis 2004 hat der Verfassungsschutz St. Georg als Treffpunkt für „transnationale Islamisten“ bezeichnet. Und die jüngsten Hinweise, einer der mutmaßlichen Kofferbomber hätte in diesem Kiez eine Wohnadresse gehabt, haben den Verdacht nur genährt, Hamburg könnte so etwas wie die Terrorhochburg in Deutschland sein.

Doch mit solchen Thesen sollte man sehr vorsichtig sein. Die Sicherheitsbehörden beobachten St. Georg zwar sehr genau, aber manche Moschee, die vor Jahren noch als „radikal“ galt, hat sich gewandelt und taucht im Verfassungsschutzbericht nicht mehr auf. Das gilt auch für die Al-Quds-Moschee.

Von den 100.000 Muslimen in Hamburg gelten 170 als „Gewalt befürwortend“. [Da dürften 1-2 Nullen fehlen - aber wer wird schon so blöd sein, das zwei daher gelaufenen Reportern offen ins Mikrofon zu sagen? Anm. Dikigoros] Was nicht heißt, dass sie Gewalt anwenden. 25 von ihnen sind länger als zehn Jahre in Deutschland. Ein Insider sagt, es gebe eine Gruppe in Hamburg, die ihre Tätigkeit vor allem auf die Heimat ausrichte: „Sie unterstützen die Heimatfront finanziell.“ Das Geld dafür stammt manchmal aus Diebstählen, Hehlerei oder anderen kriminellen Machenschaften. Hamburg, sagt ein Kenner, ist keine Kommandozentrale, habe aber für die islamistische Szene eine „hohe Bedeutung“.

Das zeigte sich auch bei Ermittlungen zur Schleusung potenzieller Selbstmordattentäter in den Irak. Im November 2003 nahm die Polizei in Hamburg den Algerier Abderrazak M. fest, der sich mit einer Gruppe Islamisten auf den Weg gemacht hatte. Der Trupp wurde allerdings in Syrien gestoppt und nach Hamburg zurückgeschickt. Im März 2004 überstellten die deutschen Behörden Abderrazak M. nach Italien, wo sich offenbar der Knotenpunkt eines islamistischen Schleusernetzes befand. Die Hamburger Sicherheitsbehörden atmeten auf. Zumal Abderrazak M. offenbar ähnliche Kontakte wie der Terrorpilot Mohammed Atta gepflegt hatte. Der Algerier verkehrte auch in der Al-Quds-Moschee – und wurde im Hamburger Islamistenmilieu respektvoll als „Scheich“ tituliert.

Auch einen anderen radikalen Muslim würde die Hansestadt gerne so rasch wie möglich verabschieden. Mounir al Motassadeq wurde vom Hamburger Oberlandesgericht im August 2005 zu sieben Jahren Haft verurteilt, wegen Mitgliedschaft in der Terrorzelle von Atta. Der Richterspruch ist bisher nicht rechtskräftig, da der Marokkaner Revision einlegte. Dennoch nahm ihn das Hamburger Gericht wieder in Untersuchungshaft. Doch im Februar 2006 kam der Marokkaner nach einer Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht wieder frei. Die Richter in Karlsruhe sahen keine Fluchtgefahr. Im Oktober wird nun der Bundesgerichtshof (BGH) die Revision verhandeln. In einem ähnlichen Fall, im Verfahren gegen Motassadeqs Freund Abdelghani Mzoudi, bestätigte der BGH im Juni 2005 den Freispruch des Hamburger Oberlandesgerichts. Obwohl auch Mzoudi enge Kontakte zur Atta-Clique gepflegt hatte. Jetzt lebt er wieder in seiner Heimat Marokko.

Außer in Hamburg gab es in Deutschland Terrorverdacht nach dem 11. September unter anderem in Berlin, Stuttgart, Augsburg, München, Nürnberg, im Ruhrgebiet, in Krefeld, in Mainz, Bonn, Marburg und jetzt, im Fall der Kofferbomber, in Kiel und Köln. In Süddeutschland sind vor allem Anhänger der irakischen Terrorgruppe Ansar al Islam aktiv, als Schleuser und Geldbeschaffer. Drei Ansar-Männer sollen allerdings auch Ende 2004 geplant haben, den damaligen irakischen Ministerpräsidenten Ijad Allawi bei einem Besuch in Berlin zu töten.

Sicherheitsexperten betonen, dass die Serie islamistischer Terroraktionen in Deutschland schon vor dem 11. September begann. Ende 2000 konnte die Polizei in Frankfurt mit der Festnahme von vier Algeriern einen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg knapp verhindern. Seitdem verging kein Jahr ohne Terroralarm. Dass die Serie mit den Kofferbomben endet, ist nahezu unvorstellbar.

Nachbemerkung: Die äl-Quds-Mosche wurde im August 2010 endlich geräumt und der Trägerverein verboten.


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