"Mit Eleganz verlieren"

Über den Militarismus der Briten und die Angst vor Deutschland und seinen Fußballspielern

Der Schauspieler Sir Peter Ustinov* im Interview mit Spiegel-Redakteur Matthias Geyer (10.06.2000)

*Ustinov, 79, wuchs in London als Sohn eines deutschen Journalisten auf

SPIEGEL: Sir Peter, können Sie sich erklären, warum die Engländer immer dann, wenn sie gegen Deutschland Fußball spielen müssen, so tun, als bräche der Zweite Weltkrieg noch einmal aus?

Ustinov: Der englische Militarismus hat natürlich noch immer seinen Platz in den Seelen der Menschen, aber er wird jetzt nicht mehr auf dem Schlachtfeld ausgelebt, sondern auf dem Sportplatz. Der englische Militarismus ist genauso berühmt wie der deutsche, aber es gibt da einen großen Unterschied: Der englische war nie so gefährlich. Der deutsche endete in der Vergangenheit immer im Krieg, der englische endete in Paraden. Und die Engländer wurden nachhaltig irritiert, als sie ihre Parade unterbrechen mussten, weil der Zweite Weltkrieg ausgebrochen war.

SPIEGEL: Während der EM 1996 setzte der "Daily Mirror" zwei englischen Nationalspielern Stahlhelme auf den Kopf.

Ustinov: Sie meinen eben, den Krieg noch einmal gewinnen zu müssen, weil sie sonst so entsetzlich viel verloren haben.

SPIEGEL: Gehören Stahlhelme zum englischen Humor?

Ustinov: O nein. Ich habe den Eindruck, als seien die Engländer irgendwann mal zum Nordpol gereist, hätten dort eine Fahne in das Eis gerammt, und auf der Fahne stand "Humor". Seitdem glauben sie, sie hätten den Humor gepachtet.

SPIEGEL: Warum gewinnen beim Fußball immer die Deutschen?

Ustinov: Ich glaube, die Deutschen bestreiten dieses Spiel aus einer Warte, die etwa zwei Zentimeter über der Warte der Engländer liegt. Die Deutschen können es sich leisten, auf einmal sehr langsam und sehr langweilig zu spielen. Sie tun so, als wären sie auf einer Parade, und die Engländer fallen drauf rein.

SPIEGEL: Man hat gelegentlich den Eindruck, britische Fußballspieler brächen unter der Last, gewinnen zu müssen, zusammen.

Ustinov: Als ich in England zur Schule ging, hat man uns beigebracht, dass es nicht besonders höflich ist zu gewinnen. Wir haben gelernt, wie man mit Eleganz verliert. Englands Spieler beherrschen die Technik, ein Spiel auf dem Weg unter die Dusche zu gewinnen. Da sagen sie dann: Wir haben wirklich fabelhaft gespielt. Engländer sind sehr gute Psychologen nach der Schlacht.

SPIEGEL: Das Boulevardblatt "The Sun" vermutete hinter Oskar Lafontaine "den gefährlichsten Mann Europas". Werden die Angelsachsen ihre Furcht vor normannischen Eroberern nie mehr los?

Ustinov: Als Rolls-Royce an BMW verkauft werden sollte, stellte sich ein älterer Herr ins Fernsehen und sagte: "Es ist eine absolute Schande, dass Rolls-Royce an die Hunnen verkauft werden soll." So wie er sind viele in diesem Land geschichtlich einfach stehen geblieben. Deshalb sind die Engländer auch so anti-europäisch. Sie haben eine gewisse Arroganz, die sie nie mehr loswerden. Ich verstehe ihre Mentalität weniger und weniger.

SPIEGEL: Mögen Sie ihren Fußball?

Ustinov: Ich mag zum Beispiel brasilianischen Fußball. Und das unterscheidet mich von den meisten Engländern. Die sind pikiert, weil die Brasilianer anders spielen als sie. Da stehen sie dann und jammern: Diese Brasilianer spielen so schnell, das war gar nicht unsere Idee des Spiels. Alles viel zu lateinisch. Die Engländer sind so stur, dass ihnen die Phantasie fehlt, sich vorzustellen, was passieren könnte.

SPIEGEL: Gilt das auch für Englands Fußball-Künstler David Beckham?

Ustinov: Ich habe den Eindruck, dass Beckham oder auch Michael Owen sehr zerbrechliche Spielertypen sind. Die machen fabelhafte Dinge, aber immer nur gegen bestimmte Gegner.

SPIEGEL: In der Fußballgeschichte der vergangenen zehn Jahre hat England beinahe jedes Elfmeterschießen verloren, zweimal auch gegen Deutschland. Warum können Engländer keine Elfmeter schießen?

Ustinov: Weil sie zu viel Zeit haben nachzudenken. Das tut ihnen nicht gut. Der Schütze denkt: Also, wenn ich in diese Ecke ... oh, er wartet schon ... ich sehe, ich sehe seine Augen nicht ... aber da ist was mit dem Kopf, das sagt mir, er wird in diese Richtung laufen, also werde ich in ... nein, ich werde ...

SPIEGEL: Diese Zeit zum Nachdenken haben die Deutschen auch.

Ustinov: Schon. Aber die Deutschen sehen das Ziel. Und die Engländer sehen den Torwart.

SPIEGEL: Das einzige wichtige Spiel, das England jemals gegen Deutschland gewonnen hat, war das WM-Finale 1966. Das so genannte Wembley-Tor zum 3:2 ist bis heute umstritten. War der Ball drin oder nicht drin?

Ustinov: Wenn die Deutschen elegant wären, würden sie den Engländern diesen einen Sieg lassen.

SPIEGEL: Der Linienrichter kam aus der Sowjetunion ...

Ustinov: Der deutsch-russische Antagonismus hat natürlich eine lange Tradition.

SPIEGEL: Das würde dafür sprechen, dass der Ball nicht drin war.

Ustinov: Eine interessante Theorie. Aber das sagen Sie, und Sie sind Deutscher. Ich traue Ihnen nicht.


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