Kämpe und Lagunen

Flug über den zentralen Chaco

von Rainer Hoffmann (Dezember 1999/Januar 2000)

Fliegt man über den zentralen Chaco, wo die drei Mennonitenkolonien Menno, Fernheim und Neuland liegen, sieht man helle Bänder mit vielen Windungen, die an einen trockenen Fluss mit Altarmen erinnern. Diese Bänder können sehr unterschiedlich breit sein, manchmal weniger als 50 m, manchmal auch mehr als einen Kilometer breit. Aus der Luft sieht man eine scharfe Grenze zwischen den grünen Weide- oder Waldflächen und den alten Flussläufen (spanisch: Paleocauces).

Kämpe

Zwar fliesst in dieser Gegend seit vielen Jahrhunderten kein Fluss mehr, dennoch ist der Vergleich mit alten Flussläufen richtig. In Zeiten mit sehr starken Regenfällen haben sich vor einigen tausend Jahren Abflussrinnen in das vorhandene tonige Material eingeschnitten, um das Wasser nach Osten hin abzuführen. Die Flüsse müssen sehr viel sandiges Sediment geführt haben, denn heute sind diese alten Flussläufe mit feinem Sand gefüllt. Die Mennoniten nennen diese Paleocauces Kämpe. Dieser Begriff bezeichnet in erster Linie ein Gebiet, das überwiegend mit Gras bedeckt ist. Die Kämpe grenzen an den dichten Dornbuschwald, mit dem sie eine sehr scharfe Grenze bilden. Auf den Kämpen kommen nur 5 verschiedene Baumarten vor, die dazu noch im weiten Abstand voneinander wachsen. Die Fläche zwischen den Bäumen ist mit Bittergras (Espartillar) bedeckt. Man hat den Eindruck, in einer Savanne zu sein, die direkt an den dichten Dornbuschwald grenzt, oder Busch, wie ihn die Mennoniten bezeichnen. Die scharfe Grenze zwischen den beiden Vegetationstypen ist auf die verschiedenen Böden zurückzuführen: Sand auf den Kämpen, toniges Material unter dem Busch.

Alle Ortschaften der Mennoniten im Chaco sind auf diesen Kämpen gegründet worden. Die Mennoniten siedelten hier, weil sie nur in dem sandigen Boden auf Süsswasser stiessen. Der Regen kann in dem sandigen Material rasch versickern und sich im Untergrund zu mehr oder weniger grossen Süsswasserlinsen sammeln. Unter dem Dornbuschwald dagegen findet man in dieser Gegend nur salziges Grundwasser, das zum Teil höhere Salzgehalte als das Meerwasser hat und deshalb weder für Mensch noch Tier geeignet ist. Regenwasser kann in den dichten Boden nur langsam eindringen und wird dann von den Baumwurzeln wie von einem Schwamm aufgesaugt.

Als die ersten Siedler 1927 in den Chaco kamen, hatten sie keine Maschinen, um den dichten Busch zu roden. Da auf den Kämpen nur wenige Bäume wachsen, war es naheliegend, die Felder auf den Kämpen anzulegen. Man brauchte nur das Bittergras zu entfernen, was viel leichter und schneller als das Fällen der harten Büsche und Bäume im Wald war. Noch heute nutzt man die Kämpe überwiegend für den Anbau von Erdnüssen, Kafir (eine Hirseart), Baumwolle oder Rizinus.

Lagunen

Fliegt man weiter nach Osten Richtung Río Paraguay sieht man in den Paleocauces immer häufiger kleine Seen. Diese Lagunen galten bis vor etwa 20 Jahre als grosse Süsswasserreservoire. Im Chacokrieg hatten sie eine strategische Bedeutung und es gab grosse Schlachten um die Lagunen. Die paraguayische Kommandantur mit dem Hospital befand sich bei Isla Poï, an einer Lagune gelegen.

Zu dieser Zeit gab es in den Lagunen viele Tiere, Wasserschweine, Alligatoren, unendlich viele Vögel und natürlich Fische, die Lebensgrundlage für die anderen Tiere. Heute dagegen sieht man ausser ein paar Enten nur noch einige Flamingos, die sich offenbar dort wohl fühlen. Sie durchsieben mit ihrem krummen Schnabel den Grund und finden als einzige grössere Lebewesen genügend Futter. Flamingos ernähren sich von kleinen Krebsen und Algen, die nur im salzigen Wasser vorkommen. Messungen ergaben, dass die Salzgehalte in den Lagunen bis zu 60 g Salz pro Liter betragen können, fast doppelt soviel wie im Meerwasser (30 bis 40 Gramm Salz pro Liter).

Wenn sich das salzige Grundwasser dicht unter der Geländeoberfläche befindet, verdunstet Wasser durch die Poren des Bodens in die Atmosphäre. Bei der Verdunstung geht jedoch nur das Wasser in die Atmosphäre, das Salz dagegen reichert sich in den oberen Zentimetern des Bodens und an der Oberfläche als weisser Belag an. Auf diesen Standorten können nur die Halophyten oder Salzpflanzen wachsen. Die ursprünglich dort wachsenden Pflanzen sterben ab, weil sie die hohen Salzgehalte nicht vertragen. Deshalb findet man am Rande der Lagunen eine ganz andere Pflanzengesellschaft als auf den angrenzenden, etwas höher gelegenen Flächen.

Wie kam es zu einer Anreicherung von Salzwasser in den Lagunen? Offensichtlich muss salziges Grundwasser in die Lagunen gekommen sein. Dies ist aber nur möglich, wenn das Grundwasser gestiegen ist, d.h. wenn es näher an die Bodenoberfläche gekommen ist. Tatsächlich beobachtet man im gesamten Chaco und auch in der argentinischen Pampa seit etwa 25 Jahren einen allmählichen Grundwasseranstieg, der in Argentinien rund 2 Meter beträgt.

In dem Gebiet der Lagunen liegt das Grundwasser zwischen einem und drei Metern unter der Oberfläche. Weiter östlich steht es noch höher an. Je nach der Geländeoberfläche kann man es schon bei einem Meter erreichen. Da sich die Lagunen an den tiefsten Stellen befinden, konnte es zu einem Eindringen des Salzwassers in die Lagunen kommen. Bisher wissen wir nicht, was der Grund oder die Gründe für diesen Anstieg des Grundwassers sind. Es gibt verschiedene Theorien, die noch nicht eindeutig bewiesen werden konnten.

Im Rahmen der deutsch-paraguayischen Technischen Zusammenarbeit (kurz Entwicklungshilfe) wurden mehrere Untersuchungen hierüber durchgeführt, die noch nicht abgeschlossen sind. Zunächst vermutete man, dass ein Zusammenhang zwischen der starken Entwaldung und einem Anstieg des salzigen Grundwassers bestand. Durch den Bau der Transchaco nahm die Viehhaltung einen enormen Aufschwung, weil ein befahrbarer Weg zum Markt nach Asunción bestand. Es wurde mehr Wald gerodet, um mehr Weideland zu bekommen. In dem Lagunenbereich sind rund 90% der ursprünglichen Waldfläche in Weideland umgewandelt worden. Da aber unter dem Wald weniger Wasser versickert als unter Gras, wäre dies eine Erklärung für den Grundwasseranstieg. Allerdings ist zu bedenken, dass auch in der argentinischen Pampa ein Anstieg beobachtet wurde, ohne dass sich dort die Landnutzung wesentlich geändert hätte.

Eine zweite Ursache könnten die höheren Niederschläge sein, die seit den siebziger Jahren im Chaco deutlich gestiegen sind. In älteren Berichten wird z.B. Filadelfia mit 804 mm Niederschlag (1 mm = 1 Liter/m²) pro Jahr angegeben. Allerdings gab es in den letzten Jahren einen durchschnittlichen Niederschlag von mehr als 1000 mm. Dies hätte einen enormen Grundwasseranstieg zur Folge gehabt. Wieviel von dem erhöhten Niederschlag versickert und das Grundwasser erreicht, hängt nicht nur von der Gesamtmenge, sondern auch von der Intensität der Niederschläge ab. Bei Landregen gelangt bei gleicher Niederschlagsmenge viel weniger Wasser ins Grundwasser, weil bereits die Vegetation den größten Teil des Wassers aufnimmt. Bei der gleichen Menge als Starkregen jedoch reicht die Saugwirkung der Pflanzenwurzeln nicht aus und das Wasser versickert, bis es das Grundwasser erreicht.

Der dritte Faktor, der zum Anstieg des Grundwassers geführt haben könnte, sind menschliche Eingriffe, durch die das natürliche Abfluss-System gestört wurde. Nach starken Regenfällen floss ein Teil des Wassers in Riachos nach Osten ab, nahm das an der Bodenoberfläche konzentrierte Salz mit, brachte die Lagunen zum Überlaufen und verdünnte somit regelmässig die Salzkonzentrationen.

Mit der dichteren Besiedlung und der stärkeren Nutzung als Weideland brauchte man mehr Wege. Die Mennoniten richteten ihr Wegenetz vorwiegend in Nord-Süd und Ost-West Richtung aus. Da die Riachos vorwiegend in östlicher Richtung verlaufen, schnitten die Nord-Süd-Wege die Flussläufe und bremsten den oberflächlichen Wasserabfluss vor allem dort, wo die Durchlässe zu klein gebaut wurden, um Geld zu sparen.

In einem Jahr, wenn die augenblicklich durchgeführten Untersuchungen abgeschlossen und ausgewertet sind, hofft man, die Frage nach der Ursache der Lagunenversalzung beantworten und eventuell auch Sanierungsvorschläge machen zu können.


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