Woher kommen die Mennoniten?

Entnommen der Broschüre: Kolonie Fernheim
„Entdecken Sie eine Lebenslektion“.

Die Kolonie Fernheim liegt etwa 450 km nordwestlich von der Landeshauptstadt Asunción im zentralen Chaco Paraguays. Sie wurde am 1. Juli 1930 von deutschstämmigen Flüchtlingen aus der Sowjetunion gegründet und zählt heute mit mehr als 3.900 Personen. Die Kolonie Fernheim besteht heute aus 24 Dörfern. Das Filadelfia, das von Personen und Gruppen unterschiedlicher Rasse, Kultur und Sprache bewohnt wird. Gemeinsam mit den beiden Nachbarkolonien Menno im Osten und Neuland im Süden von Fernheim leben im Herzen des paraguayischen Chaco heute 13.900 deutschsprechende Personen. Fernheim kann auf der Trans-Chaco-Straße mit dem PKW oder per Bus erreicht werden. Unterbringungsmöglichkeiten sind in den Hotels „Florida“ und „Safari“ in Filadelfia.

Die Mennoniten sind die älteste evangelische Freikirche. Sie gehören zur Täuferbewegung, die im 16. Jahrhundert in der Schweiz entstand. Die Täufer wollten als mündige Christen in der Nachfolge Jesu stehen und sich nur als tatsächlich Gläubige in der Gemeinde zusammenfinden. Deshalb lehnten sie die Kindertaufe ab und ließen sich als Erwachsene auf das Bekenntnis ihres Glaubens taufen. Sie verweigerten zudem den Kriegsdienst und wollten sich von der Obrigkeit in Kirchangelegenheiten nicht hineinreden lassen.

Der niederländische Wanderprediger Menno Simons sammelte und festigte viele dieser Täufer, die bald darauf „Mennoniten“ genannt wurden und die, wie alle anderen täuferischen Bewegungen auch, immer wieder verfolgt und vertrieben wurden.

So waren im 18. Jahrhundert zahlreiche mennonitische Niederlassungen in Russland entstanden, die jedoch durch die bolschewistische Revolution 1917 in große Not gerieten. Ein Teil dieser Siedler konnte 1929 fluchtartig die Sowjetunion verlassen, wurde von Paraguay aufgenommen und gründete hier ein Jahr später die Kolonie Fernheim.

In Asunción hatte der Kongreß bereits am 22. Juli 1921 ein Sondergesetz erlassen, das zukünftigen einwanderungswilligen mennonitischen Kolonisationsgruppen verschiedene Privilegien einräumte, wie z.B. Religions- und Schwurfreiheit, Befreiung vom Wehrdienst oder das Recht auf eigene Schulen und Erziehungsanstalten. Im Gegenzug erwartete Paraguay die Besiedlung und wirtschaftliche Erschließung des noch unberührten Chacos.

Auf diesem Hintergrund entstanden hier die Chacokolonien Fernheim, Menno und Neuland, die durch den legalen Sonderstatus, die geographische Isolation und die „mennonitische Theologie“ interne Normen entwickelten, die heute auch das zunehmende Interesse der nationalen Öffentlichkeit erhält.

1930: Die ersten Einwandergruppen aus Russland treffen ein. Die Kolonie Fernheim wird gegründet. Bis Mai 1932 wandern insgesamt 2.000 Personen ein.

Ab dem ersten Ansiedlungsjahr werden verschiedene mennonitische Kirchengemeinden gegründet. Diese Gemeinden zählen heute rund 2.200 getaufte Glieder. Hinzu kommen 110 spanischsprechende Glieder der Missionsgemeinde Shalom in Filadelfia, die Anfang der 80er Jahre gegründet wurde.

Am 25. Juni wird die „Corporación Paraguaya“, die bis dahin für die Versorgung der Siedlungen zuständig war, vom „Mennonitischen Zentralkomitee für Paraguay“ abgelöst, das ab sofort auch die Selbstverwaltung der Neuansiedlung übernimmt. Schlechte Lebensbedingungen und fehlende ärztliche Betreuung führen zu einer Typhusepidemie, die 62 Todesopfer fordert. Insgesamt sterben im ersten Ansiedlungsjahr 94 Personen, das sind 6% der Einwanderer.

Am 31. Oktober kommt die erste Ausgabe der deutschsprachigen Zeitschrift „Mennoblatt“ heraus. Das im „Offset“ gedruckte Mennoblatt hat heute 12 Seiten und erscheint zweimal im Monat für etwa 2.400 Abonnenten, davon 850 im Ausland.

1932: Das Koloniezentrum erhält den Namen „Philadelphia“, später „Filadelfia“. Der Chacokrieg zwischen Bolivien und Paraguay bricht aus. Schlachten werden in unmittelbarer Nähe der neuen Ansiedlungen ausgetragen. Trotzdem kommt es nicht zur erwarteten Evakuierung der Siedler, die durch die Kriegswirren erstmals direkten Kontakt mit Paraguayern erhalten. Als der Krieg zu Ende geht, werden viele zurückgebliebenen Kriegsmaterialien in heimischen Schmiedewerkstätten zu landwirtschaftlichen Geräten verarbeitet.

1936: Die Sekundarschule in Filadelfia wird eingeweiht. Erste Grundschulklassen hatte es schon 1930 gegeben, und 1932 gab es im Dorf Schönwiese bereits eine Sekundarschule. 1973 wird der Lehrgang zum Abitur vom Kultusministerium anerkannt. Heute bietet das Colegio Filadelfia das „Bachillerato Comercial“ und „Bachillerato Humanístico“ an. Insgesamt gibt es heute in Fernheimer Privatschulen knapp 780 Primar- und Sekundarschüler. Der Unterricht in den Schulen wird zweisprachig durchgeführt (Deutsch und Spanisch). Im Lehrerseminar erhalten die Studenten eine solide Ausbildung, die sie für die Arbeit als Lehrer befähigt. 1996 wird auf dem Gelände der Sekundarschule der Bau einer Sporthalle fertiggestellt, die Plätze für 2.000 Personen hat.

1937: Ein Drittel der Einwanderer siedelt wegen der schwierigen Wirtschaftsverhältnisse nach Ostparaguay aus und gründet dort die Kolonie Friesland.

1941: Es kommt der erste fest angestellte mennonitische Arzt nach Fernheim. Die medizinische Versorgung kann sich allmählich konsolidieren. Heute arbeiten im Krankenhaus von Filadelfia mehrere Ärzte und modernes medizinisches Gerät wird eingesetzt, wie z.B. Röntgen- und Ultraschallapparate sowie Brutkasten u.a. Pro Jahr werden 16.000 Sprechstunden durchgeführt. 8.500 werden von Bürgern der Kolonie gebraucht, 1.000 von indianischen Einwohnern und 6.500 von Leuten aus der Umgebung der Siedlung.

1947: Eine erste Landepiste wird in Filadelfia fertiggestellt. 1948 landet hier das erste Flugzeug. Ab 1954 werden mit DC-3 Maschinen des „Transporte Aéreo Militar“ (TAM) regelmäßige Fracht- und Personentransportflüge von und nach Asunción durchgeführt.

1948: 27 Magnettelefonapparate, die noch vor dem zweiten Weltkrieg aus Deutschland eingetroffen waren, werden in Filadelfia und in 17 Dörfern installiert. Dieses Telefonnetz wurde später stark ausgeweitet und ist bis heute in Betrieb. Erst 1988 erhielt der zentrale Chaco ein modernes Telefonnetz durch ANTELCO mit Anschluss an das nationale und internationale Netz.

1951: Die „Kolonie-Zechen“, die gleichmäßige Pflichtheranziehung aller Siedler zu gemeinschaftlicher Aufbauarbeit, werden abgeschafft, nachdem die Kolonie allmählich imstande ist, solche Arbeiten zu bezahlen.

1953: Ein erster Wirtschaftskredit von 76.000 U$-Dollar kommt zustande. Die wirtschaftliche Lage der Kolonie kann sich allmählich durch Anschaffungen wie Dampfkessel und Lichtgenerator, Ölpresse und Raffinerie sowie den Bau einer Milchverarbeitungsanlage konsolidieren. Das 1931 gegründete „Industriewerk“ wird zum Motor dieser Entwicklung: Palosantoekstrakt, Konfiterieerdnüsse, Erdnußöl und Baumwollballen bringen Bargeldeinnahmen. Heute können im Industriewerk täglich 55.000 kg Rohbaumwolle verarbeitet werden und 10 Mio. kg. Erdnüsse gelagert und verarbeitet werden. Wichtigstes Aufgabegebiet der kolonieeigenen Industrieanlage war die Versorgung mit elektrischem Strom, die mit Dampfturbinen gewährleistet wurde, wobei Dieselgeneratoren als Reserve angeschafft wurden. Ein Stromnetz von 500 km verteilt sich über die ganze Kolonie und versorgt die 1.900 Anschlüsse mit Strom. Am 26 April 1998 wurde dieses Netz an das nationale Stromversorgungsnetz der ANDE angeschlossen.

1961: Nach fünfjährigen Bauarbeiten wird die Trans-Chaco-Straße eröffnet. Sie ersetzt damit den bisherigen Handelsweg über die Bahnstation „Fred Engen“ zum Paraguayfluß. Es dauert aber noch fast 30 Jahre, bis der Streckenabschnitt bis nach Filadelfia asphaltiert wird. Das kolonieseigene Straßennetz von etwa 1.000 km besteht jedoch auch heute immer noch aus Erdwegen, die mit Straßenhobel instand gehalten werden.

1965: Gründung des "Fernheimer Sportvereins (FSV)", der heute über 200 Mitglieder zählt.

1971: Das nationale Maul und Klauenseuchebekämpfungsprogramm wird eingeführt. Die Viehhaltung gewinnt immer mehr an Bedeutung gegenüber den traditionellen Anbauprodukten wie Erdnüsse, Baumwolle, Sorghum oder Rizinus. Heute befinden sich in Fernheim auf einer Futtergrasfläche von 174.000 ha etwa 184.000 Rinder. 50.000 Kopf werden pro Jahr vermarktet. Um die bestehenden Viehzuchtbetriebe erweitern und neue anlegen zu können, werden 1994/95 rund 100.000 ha Land dazugekauft, wodurch das Landeigentum der Kolonie Fernheim bis auf 460.000 ha ansteigt. 1996 wird das Gelände in Mariano Roque Alonso mit Kühlkammern für 150 geschlachtete Rinder ausgebaut als Verteilerstelle für Frischfleisch. Die Milchverarbeitungsanlage CO_OP, die gemeinsam mit Neuland betrieben wird, erhält täglich 70.000 Liter Frischmilch, die zu Käse, Yoghurt, „Dulce“ und Butter verarbeitet wird. Durch die Herstellung von Flaschenmilch und haltbarer Milch in Tetra Pack Verpackungen wird die Verarbeitungskapazität 1996/97 um rund 9.000 lt./h erweitert. Um Milch- und Fleischvieh mit entsprechendem Kraftfutter zu versorgen, wird 1994 eine Futtermühle mit 5.000 Ton. Lagerkapazität und 50.000 kg Produktionskapazität pro Tag in Betrieb genommen.

1972: Das paraguayische Genossenschaftsgesetz Nr. 349 tritt in Kraft. Diese Regelung gilt auch für die aus der Notwendigkeit heraus 1931 gegründete „Sociedad Cooperativa Colonizadora Fernheim“. Ihre Dienstleistungen waren damals und sind heute für die Genossenschaftsmitglieder von unschätzbarem Wert:

  1. Absatzgarantie: Der größte Teil aller Erzeugnisse aus Land und Viehwirtschaft wird von der Kooperative aufgekauft, verarbeitet und/oder weiterverkauft.
  2. Versorgung: Die Kooperative gründete in den ersten Kolonisationsjahren nicht nur die lebenswichtigen Konsumläden, sie ist bis heute auch eine Art „Ersatzbank“ für alle Angelegenheiten im Giro- und Sparkontobereich sowie bei der Vergabe von Krediten geblieben. 1993 wird der Neubau der Finanzabteilung in Betrieb genommen.
  3. Altersvorsorge: Die Mitglieder erhalten eine jährliche Rückvergütung gemäß ihres Umsatzes, der auch bestimmend für die Kapitalerhöhung in Form von Aktien ist, die ab dem 65. Lebensjahr in 15 aufeinanderfolgenden Jahresraten zurückgezahlt werden.
Neben der Genossenschaft wird das Wirtschaftsleben in der Kolonie von zahlreichen Privatgeschäften und Unternehmen vervollständigt.

1978: Eine neue Kranken- und Sozialversicherung tritt in Kraft, die auf gemeinnütziger Basis arbeitet. In der Kolonie existieren auch andere Versicherungen, wie z.B. gegen Orkan- und Feuerschäden sowie gegen Verkehrsunfälle und Diebstahl.

1979: Einweihung des Altenheims „Abendfrieden“, das heute 17 Personen beherbergt. Außerdem wurde 1996 das schon bestehende Pflegeheim erweitert, so daß heute 42 Personen dort intensiv gepflegt werden können.

1987: Die Stiftung „COVE-CHACO“ wird gegründet, mit dem Ziel, nachbarschaftliche Hilfsprojekte für Lateinparaguayer in unmittelbarer Umgebung der Siedlung durchzuführen.

1989: Einweihung des Supermarktes.

1990: Dankgottesdienst zum 60 jährigen Jubiläum der Kolonie Fernheim auf demselben Trebolkamp, auf dem 1930 die ersten Flüchtlinge ankamen.

1993: Am 23. September 1993 wird die „Asociación Civil Mennonita Colonia Fernheim“ oder kurz „Asociación Fernheim“ gegründet, wodurch die sozialen Einrichtungen (Hospital, Schulen, usw.) von der Kooperative getrennt werden.

Unsere Nachbarn

Vielvölkerregion zentraler Chaco

Im zentralen Chaco leben heute unterschiedliche Volksgruppen, dazu gehören 17.000 Indianer aus mehreren Stämmen, 13.900 deutschsprechende Siedler und etwa 4.000 Lateinparaguayer. Zu Beginn dieses Jahrhunderts sah die demographische Situation hier noch ganz anders aus: Einige hundert Lenguaindianer durchstreiften den Chacobusch nach Wild und Früchten. Als dann später die Kolonien Fernheim, Menno und Neuland entstanden, waren die Lengua den Neuankömmlingen friedlich genossen. In Fernheim konnte deshalb der neu gegründete Missionsbund „Licht den Indianern“ schon gleich nach dem Chacokrieg mit einer missionarischen Tätigkeit beginnen, aus der bis heute 20 verschiedene indianische Kirchengemeinden mit über 4.000 Gläubigen entstanden sind. 1961 wurde die Siedlungsbehörde ASCIM gegründet, durch die bis heute 11.000 Indianer auf 110.000 ha Land in 12 landwirtschaftlichen Niederlassungen ein Zuhause gefunden haben. Diese angesiedelten Indianer versuchen, durch Landwirtschaft und Viehzucht den Herausforderungen der modernen Zivilisation gerecht zu werden, Ohne ihre eigene kulturelle Identität dabei zu verlieren. Weitere 6.000 Indianer leben in verschiedenen Dorfgemeinschaften am Rande der deutsch-mennonitischen Siedlungszentren, gehen hier einer festen Arbeitsstelle nach oder sind Saisonarbeiter oder Tagelöhner. Außerdem sind viele Lateinparaguayer als Arbeiter beschäftigt, die entweder in Filadelfia leben oder in der Siedlung „Villa Choferes del Chaco“ ein eigenes Haus besitzen. Andere Lasteinparaguayer wohnen z.B. in Siedlungen wie Campo Vía, wo sie einer landwirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen. Der Multikulturalismus im zentralen Chaco ist für alle Beteiligten immer wieder eine Herausforderung. Gleichzeitig ist aber auch das Bewusstsein zum gegenseitigen Verständnis und zur Toleranz gewachsen.


Index   Startseite   Regionen   Fragen & Antworten   Wir   Angebote   Informationen   Links   Anreise   Anfrage   E-Mail