Der kopflose Zustand der deutschen Linken spiegelt sich in der
Ankündigung des bevorstehenden konkret-Kongresses »Deutschland führt
Krieg - gestern, heute, morgen«. Bekanntlich feierte al-Qaida in all
ihren Stellungnahmen die Selbstmordattentäter als »muslimische
Avantgarde« und als »Speerspitze des Islam« und kündigte einen
weiteren »Sturm von Flugzeugattacken« zur Zerstörung Amerikas an.
Doch je klarer die Verantwortung der antisemitisch orientierten
Djihadisten für den Massenmord in Manhattan zutage liegt, desto
entschiedener wird eben dies von konkret dementiert.
So ist in
der Kongressankündigung zwar von Umsatzrenditen die Rede, von Geld,
von Macht und von Öl. Die islamistische Bewegung wird jedoch
lediglich als eine Fiktion wahrgenommen und die Behauptung, sie
existiere wirklich, als Kriegslüge abserviert, ja, mit den
antijüdischen Verschwörungstheorien der Nazis gar auf eine Stufe
gestellt. Kein Wunder also, dass der 11. September in der
Ankündigung und im Programm des Kongresses nicht eine einzige
Erwähnung erfährt. Über die Massaker und seine Urheber zu
diskutieren, scheint unerwünscht zu sein.
In den neueren
Kolumnen von Hermann Gremliza werden die Folgen jener Leugnung
offenbar, werden doch von ihm für die Massaker des 11. September
ausschließlich die Vereinigten Staaten verantwortlich gemacht.
Entweder mithilfe einer Komplott-Theorie oder unter Verweis auf »die
Abscheulichkeit der US-Politik«.
Betrachten wir zunächst
Gremlizas neues Faible für die Verschwörungstheorie. In der
Januar-Kolumne gilt es ihm als »schwer vorstellbar«, dass die
Anschläge »ohne jede Mitwirkung aus den einschlägigen Diensten
vorbereitet und durchgeführt« worden seien, würden doch die USA
erfahrungsgemäß von Kräften regiert, die »zu Verbrechen aller Art
und jeden Ausmaßes bereit sind«.
Nun bieten die CIA und das FBI
Stoff genug für eine Kritik, die an Realitäten sich orientiert.
Gremliza aber beschwört dunkle Mächte auf der Grundlage des
Gerüchts. Ist es plausibel, dass Jacques Chirac den Elysée-Palast
dem Erdboden gleichmachen lässt, um Truppenentsendungen in den Kongo
(Ölregion!) durchzusetzen? Oder der Bundesnachrichtendienst eine
Budgeterhöhung durch die Sprengung des Reichstags mitsamt den darin
Beschäftigten herbeizwingt? Wer derartige Massaker weder deutschen
noch französischen, sondern allein amerikanischen Dunkelmännern
unterstellt, ist des Antiamerikanismus schon überführt.
Gremliza
ließ es zu, dass mit Andreas von Bülow ein exemplarischer Vertreter
jenes Antiamerikanismus »bei konkret ein Refugium« finden konnte,
wie man kokett in der Dezember-Ausgabe betont. Exklusiv also und
gleich auf drei Seiten konnte der ehemalige SPD-Bundesminister sich
über den Mossad und die CIA verbreiten, obwohl schon sein
Geheimdienste-Buch von 1998 an eine Neuinszenierung der »Protokolle
der Weisen von Zion« gemahnt. So will darin der Autor ein »System
globaler Steuerung über verdeckte Operationen« entdeckt haben,
dessen Drahtzieher der Mossad und die CIA seien. »50 kontinuierlich
verdeckt gelenkte Nationen« seien den Verschwörern bereits zum Opfer
gefallen!
Keine Überraschung also, dass von Bülow am 4. Dezember
2001 in der American Free Press mit dem Diktum, »der
Bundesnachrichtendienst ist in der Hand der CIA und der CIA ist in
der Hand des Mossad«, und mit der Aussage, »dass er glaubt, dass
hinter den TerrorAttacken vom 11. September der israelische
Geheimdienst Mossad steht«, zitiert worden ist. Doch dass er
widerspruchslos auch in konkret die Legende lancieren konnte, der
Mossad habe schon vor dem Anschlag auf das WTC Bescheid gewusst,
seine Erkenntnisse aber für sich behalten, das erstaunt und beweist,
an welchen Abgründen balanciert, wer in der Realität des Islamismus
ein Phantasma und im Phantasma der »dunklen Mächte« eine Realität
sehen will.
Gremlizas zweite Deutung ist eine »Rächer-Theorie«.
Im November-Heft schreibt er über bin Laden: »Es ist der empfindsame
Sohn aus besserem Haus, der den Anblick des Leids nicht erträgt« und
der wohl, hätte sein Mitleid nur eine Chance erhalten, als ein Robin
Hood oder Che gefeiert worden wäre. Und so wäre das Massaker demnach
auch zu erklären: »Wem die Welt sich als nicht resozialisierbar
darstellt, der kann nur noch kaputtmachen, was ihn kaputtgemacht
hat, er muss rächen, vergelten.«
Vielleicht will Gremliza als
Gegner der USA und Sympathisant Israels in der Ermordung
amerikanischer Zivilisten durch bin Laden und der Ermordung
israelischer Zivilisten durch die Hamas und die Hisbollah zwei
grundverschiedene Dinge sehen. Doch diese Trennung ist absurd. Der
Djihadismus will die USA nicht wegen deren Politik im IWF oder wegen
Vietnam vernichten, sondern weil sie der einzige Verbündete Israels
sind.
So kritisierte 1998 al-Qaida die US-Politik im Golfkrieg,
»weil ihr Ziel auch darin besteht, dem unbedeutenden Staat der Juden
zu dienen«. Gremliza unterschätzt zweitens die Eigenmächtigkeit der
Ideologie. Er sieht die Welt in Arm und Reich oder in Täter und
Opfer geteilt und unterstellt, dass keine Politik und keine
Ideologie je so barbarisch sein könnte wie die Ökonomie, die sie
angeblich bestimmt.
Ist diese Prämisse nicht schon mit Auschwitz
widerlegt? Der antijüdische Wahn ist zwar keinem metaphysisch
»Bösen«, sondern einer historisch und systematisch erklärbaren
Sichtweise auf den Kapitalismus entsprungen. Diese aber ist durch
unmittelbare ökonomische Entwicklungen weder beeinflusst noch gar
determiniert.
Keineswegs ist der Djihadismus jener
»Anti-Imperialismus der dummen Kerls«, für den ihn Gremliza
offenkundig hält. Er führt einen antisemitischen Krieg, in welchem
nicht nur alles Jüdische als böse, sondern zugleich alles Böse als
jüdisch halluziniert wird. Der »große Satan« wird nicht allein wegen
Israel, sondern in erster Linie als das imaginierte Zentrum einer
materialistisch-egoistischen (ergo: jüdischen) Weltordnung bekämpft.
Die neue Melange aus Vernichtung und Wahn macht den Kapitalismus
freilich nicht besser, sondern offenbart dessen destruktive
Wirkungskraft in einer neuen Dimension. Es gibt deshalb keine
Veranlassung, ihn nunmehr als die »Zivilisation des freien Tauschs«
zu verklären oder der moslemischen Welt gar in einer Art
Etappentheorie die Vorzüge dieser Gesellschaftsordnung mit Verweis
auf eine kommunistische Option am St. Nimmerleinstag ans Herz zu
legen.
Wer den islamistischen Hintergrund des 11. September
jedoch auszublenden sucht, gerät nicht nur in die Fallstricke eines
stets nur antiaufklärerischen Antiamerikanismus, sondern verkennt
auch den unmittelbaren Nutzen, den Deutschland aus dem
antiamerikanischen Islamismus zieht.
»Könnten machtpolitisch
selbstbewusste Länder möglicherweise daran interessiert sein, dass
der Erfolg (der USA im Kampf gegen den Terror) nicht triumphal und
auch nicht eindeutig ausfällt?« fragte scheinheilig der
außenpolitische Ressortleiter der FAZ und benannte damit den
entscheidenden Punkt. Je geringer der amerikanische Erfolg, desto
größer der Gewinn, der Deutschland als verlogenem »Makler« winkt.
Seitdem das kaiserliche Deutschland sich zum »Freund des Islam«
erklärte, wird der Djihad in den Dienst deutscher
Weltmachtinteressen gestellt. Im Kampf um strategisch-ökonomische
Dominanz wird auch heute wieder die explizit antiwestliche Variante
des Islam protegiert: »Der (gegenwärtige) deutsche Sonderweg für den
Islam«, so der Islamwissenschaftler Bassam Tibi, »heißt
Fundamentalismus, nicht liberaler Islam.«
Insofern besteht
zwischen der seit dem 11. September forcierten Ausrichtung der
deutschen Außenpolitik auf die muslimische Welt und der Beschwerde
der New York Times über die Nachlässigkeit deutscher Geheimdienste
im Umgang mit terroristischen Islamisten ein Zusammenhang. Zu den
von Washington monierten Ungereimtheiten gehört die Tatsache, dass
schon 1998 und 1999 die Harburger Wohngemeinschaft Mohammed Attas
wegen möglicher Verbindungen zu bin Laden observiert wurde. Im Jahr
2000 wurde diese Überwachung jedoch beendet, obwohl die CIA nach
Angaben des Spiegel zu diesem Zeitpunkt »die
Verfassungsschutzbehörden in Deutschland massiv gedrängt (habe),
sich der al-Qaida-Organisation in Hamburg anzunehmen«.
Von derartigen Widersprüchen wird auf dem konkret-Kongress »Deutschland
führt Krieg« kaum die Rede sein. So germanozentriert und
verbalradikal der Titel dieser Veranstaltung, so grundlegend wird
die deutsche Rolle im Kontext neuer Frontlinien verkannt. Nicht
zufällig wird im Kongressaufruf der deutsche Vernichtungskrieg von
1939 mit dem Krieg der USA in Afghanistan auf eine Stufe gestellt
und umstandslos unter die »amerikanisch« konnotierte Motivkette
»Geld und Macht, Öl und Hegemonie« subsumiert. Im gepflegt-linken
antiamerikanischen Diskurs, der sich für den islamistischen
Antisemitismus nicht interessiert, scheint zugleich auch für
Spezifika der deutschen Geschichte kaum noch ein Platz zu sein.
Damit sind die Konsequenzen der Ignoranz gegenüber dem 11.
September benannt: Ein Antiamerikanismus, der mit Positionen von
Faschisten und Nationalisten verwechselt werden kann, ergänzt um
eine antideutsche Rhetorik, die stärker im Ausdruck als im
Ausgedrückten, also nur agitatorisch ist.
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