6 K 1374/11.WI

 

Verkündet am: 15.03.2013

 

(Koss)

Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

VERWALTUNGSGERICHT WIESBADEN

 

 

URTEIL

IM NAMEN DES VOLKES

 

In dem Verwaltungsstreitverfahren

 

 

- Kläger —

bevollmächtigt:

Rechtsanwälte

 

gegen

 

Bundesrepublik Deutschland,

vertreten durch das

 

- Beklagte -

 

wegen

 

Verfahren nach dem Informationsfreiheitsgesetz

 

- 2 -

 

hat die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Wiesbaden durch

Vorsitzenden Richter am VG Schild als Berichterstatter

 

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30.11.2012 am 15.03.2013 für Recht er-

kannt:

 

Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren einge-

stellt. lm Übrigen wird die Klage abgewiesen.

 

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

 

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf

die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe

der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Voll-

streckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

 

Der Kläger begehrt Einsicht in die Haushaltsbücher der Einkommens- und Verbraucher-

stichprobe des Jahres 2008 (EVS 2008).

 

Der Kläger wandte sich erstmals mit Mail vom 29.09.2010 an die Beklagte. Dabei führte

er aus, dass er den Regelsatz für Alleinstehende für zu niedrig halte. Aufgrund seiner

persönlichen Erfahrung könne er sich nicht vorstellen, dass der Regelsatz korrekt be-

rechnet worden sei. Er benötige deshalb alle Berechnungsfaktoren und bitte um ent-

sprechende Zusendung. Er halte es für zwingend notwendig, die Berechnung des Sta-

tistischenBundesamtes zu prüfen; dies, um auszuschließen, dass die Berechnungen

 

- 3 -

 

manipuliert oder gemäß dem politischen Willen der Koalition interpretiert worden seien.

Er bitte, ihm alle für eine Nachvollziehung der Berechnung notwendigen Einzeldatensät-

ze, am Besten eine Ablichtung der abgegebenen Datenaufschreibung zukommen zu

lassen.

 

Nachdem ihm verschiedene Veröffentlichungen zugänglich gemacht worden waren, er-

klärte der Kläger mit Mail vom 11.01.2011, dass er alle 60.000 Haushaltsbücher zwecks

Auswertung, jedoch ohne Namensangabe und konkreten Wohnsitz benötige. Daraufhin

wurde ihm mitgeteilt, dass anonymisierte Mikrodaten (Einzeldaten aus den Haushalts-

büchern) Wissenschaftlern auf Antrag bereitgestellt würden.

 

Nachdem der Beklagte dem Kläger Daten der Einkommens- und Verbraucherstichprobe

(EVS) 2008 zum Haushaltsbudget u.a. den privaten Verbrauch nach Einzelcodes in der

tiefsten Gliederung zugesandt hatte, beantragte der Kläger mit Mail vom 24.08.2011

erneut, ihm die 60.000 Datensätze, die Basis für die Hartz IV-Regelsatzberechnung wa-

ren, als Datenfiles zukommen zu lassen. Dabei berief er sich auf das Informationsfrei-

heitsgesetz.

 

Daraufhin wurde dem Kläger mit Mail vom 29.08.2011 mitgeteilt, dass das Statistische

Bundesamt die Informationsversorgung der Bevölkerung gewährleiste, indem es sehr

detaillierte Ergebnisse der EVS 2008 kostenlos zur Verfügung stelle. Die Ergebnisse

basierten auf den Daten von 55.100 Haushalten, die Haushaltsbücher der EVS 2008

ausgefüllt hätten. Mikrodaten würden für Wissenschaftler bereitgestellt. Im Sinne größt-

möglicher Transparenz und Nachvollziehbarkeit habe das Bundesministerium für Arbeit

und Soziales alle statistischen Berechnungen offen gelegt, die bei der Neuberechnung

der Regelsätze verwendet worden seien. Diese Berechnungen seien Sonderauswertun-

gen vom Statistischen Bundesamt, welche im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit

und Soziales durchgeführt worden.

 

Daraufhin begehrte der Kläger mit Mail vom 29.08.2011 eine formelle Bescheidung.

 

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Mit Schreiben der Beklagten vom 01.09.2011 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass die ge-

sammelten, personenbezogenen Daten für Zwecke der amtlichen Statistik erhoben und

deshalb dem Statistikgeheimnis nach § 16 Bundesstatistikgesetz (BStatG) unterliegen

würden. Nach § 16 Abs. 6 BStatG dürften Daten, die dem Statistikgeheimnis unterfallen,

auch in anonymisierter Form nur für die Durchführung wissenschaftlicher Vorhaben an

Hochschulen oder sonstigen Einrichtungen unabhängiger Forschung übermittelt wer-

den, wenn die Einzelangaben nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand an Zeit, Kos-

ten, Arbeitskraft zugeordnet werden könnten und die Empfänger Amtsträger oder für

den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete nach § 16 Abs. 7 BStatG seien. Der

Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass er zu dem begünstigten Personenkreis zäh-

le.

 

Das Informationsfreiheitsgesetz (lFG) gebe jedermann nach Maßgabe der Gesetze ge-

genüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informati-

onen. Dieser Zugang sei jedoch nicht schrankenlos, sondern an Voraussetzungen ge-

knüpft. So sei z.B. auch der Zugang zu personenbezogenen Daten eingeschränkt. Dies

sei der Fall, wenn ein besonderes Amtsgeheimnis der Informationsgewährung entgegen

stehe. Dies sei mit § 16 BStatG gegeben. Man gebe ihm abschließend Gelegenheit zur

Stellungnahme.

 

Daraufhin beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 04.09.2011 ihm Kopien der ca.

60.000 Haushaltsbücher in anonymisierter Form, in Papierform oder aber hilfsweise als

Datenfiles, zukommen zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht habe ihm mit Schrei-

ben vom 17.02.2011 mitgeteilt, dass die Rohdaten beim Beklagten zu beziehen seien.

Er wiederhole ausdrücklich, dass er keinerlei personenbezogene Daten (Namen und

Anschriften der Haushaltsbuchführer) erhalten wolle, sondern lediglich alle Daten, die es

ihm ermöglichten, die Richtigkeit der EVS-Erhebung kontrollieren zu lassen, da er diese

anzweifle.

 

Mit Bescheid des Beklagten vom 15.09.2011, zur Post gegeben am 16.09.2011, wurde

der Antrag abgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass auf-

 

- 5 -

 

grund der Beachtung und Wahrung des Statistikgeheimnisses nach § 16 Abs. 6 BStatG

durch das Statistische Bundesamt keine Einzeldaten herausgegeben werden könnten.

Das Statistikgeheimnis sei ein besonderes Amtsgeheimnis.

 

Hiergegen legte der Kläger mit Fax vom 21.09.2011 Widerspruch ein. Im Weiteren frage

der Kläger an, ob die Datenfiles EVS 2008 Wissenschaftlern, Gutachtern sowie übrigen

Beteiligten der Anhörung im Bundestagsausschuss Arbeit und Soziales zur Verfügung

gestellt worden seien.

 

Nach mehreren Erinnerungen des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid des Be-

klagten vom 09.11.2011 der Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im

Wesentlichen ausgeführt, dass der Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen

nach § 1 IFG nicht schrankenlos sei. Gemäß § 3 IFG bestehe ein Anspruch auf Informa-

tionszugang nicht, sondern sei z.B. ausgeschlossen bei militärischen oder sicherheitsre-

levanten Bereichen und auch dann, wenn die Informationen einem Berufs- oder beson-

derem Amtsgeheimnis unterliegen. Das Statistikgeheimnis nach § 16 Abs. 1 BStatG

stelle eine solches Amtsgeheimnis dar. Unter seinem Schutz stünden Einzelangaben

über persönliche oder sachliche Verhältnisse, die für die Bundesstatistik gemacht wor-

den seien. Schutzwürdig und damit geheim zu halten seien danach Einzeldaten, die

vom Auskunftspflichtigen oder Befragten in Erfüllung seiner statistischen Auskunfts-

pflicht oder bei einer Erhebung ohne Auskunftspflicht freiwillig abgegeben würden. Die

in den Haushaltsbüchern von den teilnehmenden Haushalten gemachten Angaben un-

terlägen damit dem Statistikgeheimnis und dürften nicht herausgegeben werden. Selbst

wenn man die begehrten Haushaltsbücher derart anonymisiere, dass sie nur mit einem

unverhältnismäßig großem Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeit zugeordnet werden

könnten, dürften diese nicht zur Verfügung gestellt werden, da sie nicht die Voraus-

setzungen des § 16 Abs. 1 BStatG erfüllten.

 

Der Widerspruchsbescheid wurde am 15.11.2011 zugestellt.

 

- 6 -

 

Mit Schriftsatz vom 11.12.2011, eingegangen am selben Tage bei dem VerwaItungsge-

richt Wiesbaden, hat der Kläger Klage erhoben mit dem Ziel, ihm Kopien der rund

60.000 Haushaltsbücher, die Gegenstand der EVS 2008 waren, in anonymisierter Form

zu überlassen.

 

Im Laufe des weiteren Verfahrens beantragte der Kläger schließlich in der mündlichen

Verhandlung am 30.11.2012

 

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die im Rahmen der EVS 2008 erhobenen

Daten zur Verfügung zu stellen, soweit sie folgende Teile der Haushaltsbücher

betreffen:

 

— alle Daten eines Einpersonenhaushalts mit Ausnahme der Datenfelder Land,

Haushaltsnummer, Datenfelder A bis H; stattdessen das von der Beklagten

ermittelte Nettoeinkommen pro Einpersonenhaushalt;

 

— die Ausgaben I bis W

mit der Maßgabe, dass der Beklagten zugestanden wird, für jedes einzelne

Datenfeld die Extremwerte im Volumen der jeweils kleinsten bzw. größten

zehn Prozent der Werte, mindestens jedoch fünf der jeweiligen Spitzenwerte

(im oberen bzw. unteren Bereich) unkenntlich zu machen und so darzustellen,

als ob keine Angaben eingefügt worden sind;

 

— der Beklagten nachgelassen bleibt, einzelne Datensätze vollständig auszulas-

sen, wenn die Daten so signifikant sind, dass sie mit geringem Aufwand an

Zeit, Kosten und Arbeitsaufwand einer Person zugeordnet werden können.

 

Der Kläger stellt klar, dass keine Namen, Geburtsdaten oder sonstigen personenbezo-

genen/beziehbaren Daten erwünscht werden. Der Beklagten werde dabei freigestellt, in

welcher Form die Daten zur Verfügung gestellt werden.

 

Der Kläger erklärte ferner klarstellend, dass mit den obersten und untersten zehn Pro-

zent der jeweils oberste und unterste Wert für jedes einzelne Merkmal gemeint seien.

 

- 7 -

 

Im Übrigen nahm er die Klage zurück.

 

Das beklagte Statistische Bundesamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Es führt letztendlich zur Begründung aus, dass, nach dem nunmehrigen Antrag des Klä-

gers die Vorgaben nach dem Klageantrag zwar technisch möglich umgesetzt werden

könnten. Insoweit könnten die Datensätze der Einzelhaushalte (15.465 Haushalte) her-

ausgefiltert werden. Aus diesen Datensätzen würden dann alle Datenfelder gelöscht mit

Ausnahme der Datenfelder, die Angaben zu den Haushaltsbuchabschnitten I bis W so-

wie den Wert zum jeweiligen Haushaltsnettoeinkommen enthalten. Ebenfalls technisch

umsetzbar sei die Vorgabe, dass jedes einzelne Datenfeld die Extremwerte in Volumen,

die jeweils kleinsten bzw. größten 10 % der Werte, mindestens jedoch 5 der jeweiligen

Spitzenwerte unkenntlich zu machen, indem sie so dargestellt werden, als ob der Haus-

halt keine Angaben gemacht hätte.

 

Jedoch gebe das Bundesstatistikgesetz vor, dass Einzelangaben nur an Hochschulen

oder sonstige Einrichtungen mit der Aufgabe unabhängiger wissenschaftlicher For-

schung übermittelt werden dürften, sofern sie nur mit unverhältnismäßig großem Auf-

wand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft zugeordnet werden könnten. Der Kläger zähle als

Privatperson nicht zu diesem Adressatenkreis. Nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 BStatG dürften

Einzelangaben Privatpersonen nur zugänglich gemacht werden, wenn sie den Befragten

oder Betroffenen nicht mehr zuzuordnen seien.

 

Die Kriterien für einen absolut anonymisierten Datensatz könnten vorliegend nicht erfüllt

werden. Bei den gewünschten Daten handele es sich um keine Stichprobe. Auch sei die

Erhebung noch aktuell. Hinzu komme, dass der Kläger das ermittelte Nettoeinkommen

pro Ein-Personen-Haushalt „spitz“ wünsche. Die Angaben I bis W müssten mindestens

5-fach besetzt sein.

 

- 8 -

 

Eine absolute Anonymisierung der Daten führe dazu, dass eine Deanonymisierung nur

mit erheblich höherem Aufwand durchführbar wäre, wenn nicht die Originaldaten, son-

dern in geeigneter Weise durch Berechnungsverfahren veränderte Daten herausgege-

ben würden. Dies würde aber bedeuten, dass ein neuer Datensatz berechnet werden

müsste. Dies entspreche dann nicht mehr den Vorgaben des lFG. Hiernach müsse die

Behörde nur vorhandene Daten bzw. Aufzeichnungen herausgeben. Jedoch müssen

keine neuen Aufzeichnungen hergestellt werden.

 

Ohne Neuberechnung wäre trotz der erfolgten Löschung etc. eine Deanonymisierung

der Daten möglich. Dabei müsse insbesondere auch die Kombination von Ausgabeposi-

tionen betrachtet werden, die derart exklusiv seien, dass sie einem bestimmten Haus-

halt zugeordnet werden könnten. Für einige wenige Positionen seien die exakten Aus-

gaben zu erkennen, weil die Wahrscheinlichkeit, dass mehr als ein Haushalt eine auf

den Cent-Betrag identische Ausgabenkombination aufweise, ausgesprochen gering sei.

An den Kläger dürften aber nur absolut anonymisierte Datensätze zur Verfügung gestellt

werden.

 

Außerhalb des IFG gebe es die Möglichkeit, für den Kläger einen absolut anonymisier-

ten Datensatz herzustellen. Die Herstellung und Übermittlung eines solchen Datensat-

zes erfolge dann aber nur gegen eine entsprechende Kostenübernahme (in Höhe von

geschätzt mehreren Tausend Euro).

 

Bereits mit Kammerbeschluss vom 22.05.2012 wurde dem Kläger nur insoweit Prozess-

kostenhilfe gewährt, als ihm die im Rahmen der EVS 2008 erhobenen Daten von rund

60.000 Haushaltsbüchern als Datenfiles in anonymisierter Form zur Verfügung zu stel-

len seien. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt.

 

Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Klägers wurde vom HessVGH mit Beschluss

vom 16.08.2012 zurückgewiesen (Az. 6 D 1218/12).

 

- 9 -

 

Eine dagegen eingelegte Anhörungsrüge wurde mit Beschluss des HessVGH vom

10.09.2012 zurückgewiesen (Az. 6 D 1757/12.R).

 

Bereits mit Schriftsatz vom 14.12.2011 (Bl. 31 GA) hat sich der Kläger und mit Schrift-

satz vom 28.12.2011 hat sich das beklagte Statistische Bundesamt (Bl. 34 GA) mit einer

Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.

 

In der nach mehreren Terminierungsversuchen durchgeführten mündlichen Verhand-

lung am 30.11.2012 wurde der Sach- und Streitstand sehr ausgiebig erörtert. Insoweit

wird vollinhaltlich auf das Protokoll Bezug genommen.

 

Aufgrund des insoweit in der mündlichen Verhandlung gestellten, modifizierten und ein-

geschränkten Klageantrages erhielt sowohl das Statistische Bundesamt als auch an-

schließend der Kläger hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme. Auf die abgegebe-

nen Stellungnahmen wird vollinhaltlich Bezug genommen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, die Prozesskos-

tenhilfe-Akte, die Behördenakte sowie die Gerichtsakte 6 L 928/12.WI Bezug genom-

men, welche sämtlich zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung

gemacht worden sind.

 

Entscheidungsgründe

 

Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung die Klage zurückgenommen hat, war

das Verfahren einzustellen.

 

Der von dem Kläger nunmehr gestellte konkretisierende Antrag ist zulässig und sach-

dienlich. Er ist aber nicht begründet. Zwar hat jeder nach Maßgabe des IFG gegenüber

den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen, § 1

Abs. 1 Satz 1 IFG. Jedoch besteht ein solcher Anspruch auf Informationszugang nicht,

 

- 10 -

 

wenn die Informationen einer durch Rechtsvorschrift oder allgemeine Verwaltungsvor-

schrift zum materiellen oder organisatorischen Schutz von Verschlusssachen geregelten

Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitsverpflichtung oder einem Berufs- oder besonde-

ren Amtsgeheimnis unterliegt, § 3 Nr. 4 IFG. Bei der Regelung des § 3 IFG handelt es

sich um einen absoluten Ausschlusstatbestand. Unter besondere Amtsgeheimnisse fal-

len neben dem Sozialgeheimnis (§ 35 SGB l) und dem Steuergeheimnis (§ 30 AO) auch

das Statistikgeheimnis gemäß § 16 BStatG.

 

Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 BStatG sind „Einzelangaben über persönliche und sachliche

Verhältnisse, die für eine Bundesstatistik gemacht worden sind und von den Amtsträ-

gern und für den Öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten, die mit der Durchführung

von Bundesstatistiken betraut sind, geheimzuhalten, soweit durch besondere Rechts-

vorschriften nichts anderes bestimmt ist“. Bei der Einkommens- und Verbraucherstich-

probe des Jahres 2008 (EVS 2008) handelt es sich um eine Bundesstatistik. Hierbei

wurden von den jeweiligen Betroffenen Einzelangaben in die Haushaltsbücher eingetra-

gen. Damit unterliegen diese der Geheimhaltung gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 BStatG.

 

Eine besondere Rechtsvorschrift, die etwas anderes bestimmt und damit die Geheim-

haltungspflicht des § 16 Abs. 1 S. 1 BStatG durchbricht, ist nicht gegeben.

 

Das Statistikgeheimnis findet jedoch gemäß § 16 Abs. 1 S. 2 BStatG keine Anwendung,

wenn

 

a) der Befragte schriftlich in die Übermittlung oder Veröffentlichung von Einzelangaben

eingewilligt hat,

 

b) die Einzelangaben aus allgemein zugänglichen Quellen stammen,

 

c) die Einzelangaben von dem Statistischen Bundesamt oder den statistischen Ämtern

der Länder mit den Einzelangaben anderer Befragter zusammengefasst und in statis-

tischen Ergebnissen dargestellt sind (sog. aggregierte Daten)

oder aber, wenn

 

d) die Einzelangaben dem Befragten oder Betroffenen nicht zuzuordnen sind (§ 16

Abs. 1. S. 2 Nr. 4 BstatG).

 

- 11 -

 

Letzteres ist vorliegend nicht der Fall. Denn der Kläger begehrt mit seinem Klageantrag

alle Daten eines Ein-Personen-Haushaltes mit Ausnahme der Datenfelder: Land, Haus-

nummer, Datenfelder A — H. Insoweit begehrt er das jeweils ermittelte Nettoeinkommen

pro Ein-Personen-Haushalt und ferner die Angaben über die Ausgaben I — W (Kosten

für Wohnen und Energie, Verkehr, Post und Telekommunikation, Gesundheit und

Körperpflege, Bekleidung und Schuhe, Innenausstattung, Haushaltsgeräte und

—gegenstände, laufende Haushaltsführung, Freizeit, Unterhaltung und Kultur, Gaststät-

ten, Kantinen, Hotels, Pensionen, Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren, Bildungswe-

sen und Kinderbetreuung, sonstige Waren und Dienstleistungen, Versicherungsbeträge,

Bildung von Geldvermögen, Restzahlungen, Ratenzahlungen, Soll- und Überziehungs-

zinsen, Neuaufnahme von Krediten). Bei diesen Daten handelt es sich um Einzelanga-

ben, die dem jeweiligen Betroffenen, der das Haushaltsbuch ausgefüllt hat, im Einzel-

nen zugeordnet werden können.

 

Zwar hat der Kläger dargelegt, dass er die Datensätze vollständig ausgelassen habe

wolle, die so signifikant sind, dass mit geringem Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeits-

aufwand diese einer Person zugeordnet werden können, jedoch bleiben auch die übri-

gen Einzelangaben grundsätzlich dem jeweiligen Betroffenen zuordenbar. Es handelt

sich in diesem Fall, so wie der Kläger die Daten nunmehr von der Beklagten begehrt, -

wenn überhaupt - um lediglich anonymisierte Daten. Denn mit einem entsprechenden

Zusatzwissen kann das auf Cent genau angegebene Einkommen, aber auch eine Aus-

gabe, einer Person zugerechnet werden.

 

Nur soweit die Daten so zusammengefasst und so gehäuft sind, dass es sich um statis-

tische und damit aggregierte Daten handelt, sind Einzelangaben einer natürlichen Per-

son sicher nicht mehr zuordnenbar. Dabei ist zu beachten, dass § 3 Abs. 1 BDSG be-

stimmt, dass personenbezogene Daten Einzelangaben über persönliche oder sachliche

Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person sind. Soweit die

Daten nicht statistisch zusammengefasst sind, wofür es mindestens der Daten von fünf

Betroffenen zur Aggregierung bedarf, sind die Daten allenfalls als anonymisierte Daten

 

- 12 -

 

nur mit einem unverhältnismäßig großem Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft ei-

ner bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person zuordnenbar. Dabei ist anony-

misieren definiert als das Verändern personenbezogener Daten derart, dass die Einzel-

angaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse nicht oder nur mit einem unver-

hältnismäßig großen Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft einer bestimmten oder

bestimmbaren natürlichen Person zugeordnet werden können. Es handelt sich hierbei

jedoch weiterhin um personenbezogene Daten, solange eine Wiederzusammenführung

der zur Identifikation geeigneten Daten mit anderen anonymisierten Daten möglich ist.

Soweit eine Reidentifizierung nicht völlig ausgeschlossen werden kann, ist daher immer

von einem personenbezogenen Datum auszugehen.

 

Zur Anoymisierung ist es zwar auch unerlässlich, dass die direkten oder indirekten Iden-

tifikationsmerkmale, wie Name, Anschrift, Personenkennzeichen usw. gelöscht werden.

Dieser Vorgang, wie ihn der Kläger begehrt, führt jedoch letztendlich nicht dazu, dass

eine Personenbeziehbarkeit auszuschließen ist. Die Einzelangaben können im Zweifel

einem Betroffenen zugeordnet werden, auch wenn dazu vielleicht ein Zusatzwissen er-

forderlich ist. Erst wenn aus den Daten „Einzelangaben“ ein neuer Datenbestand ge-

schaffen wird, der personenbeziehbare Daten nicht mehr enthält, handelt es sich um

Einzelangaben, die einer natürlichen Person nicht mehr zugeordnet werden können.

 

Dabei ist zunächst festzustellen, dass das von dem Betroffenen angegebene Nettoein-

kommen und seine Ausgaben nach dem Klagebegehen (mit Ausnahme der „Extremwer-

te“) unverändert übermittelt werden sollen und damit einem einzelnen Betroffenen

grundsätzlich zuordnenbar sind. Nur wenn — wie die Beklagte zu Recht ausführt — die

Originaldaten in geeigneter Weise durch Berechnungsverfahren verändert würden (Zu-

sammenfassung von mindestens fünf Einzelhaushalten und Ermittlung eines Durch-

schnittswertes), lägen aggregierte Daten und damit keine Einzelangaben vor.

 

Bei den von dem Kläger begehrten Daten handelt es sich jedoch, selbst wenn man die

Datenfelder Land, Haushaltsnummer Datenfelder A — H löscht und auch signifikante Ext-

remwerte ausblendet, um nichts anderes als um anonymisierte Daten, die — wenn auch

 

- 13 -

 

gegebenenfalls mit einem erheblichen Aufwand —- einem Betroffenen zugerechnet wer-

den können.

 

Bezüglich anonymisierter Daten enthält § 16 BStatG jedoch eine Sonderregelung. Hier

regelt § 16 Abs. 6 BStatG, dass Einzelangaben, die nur mit unverhältnismäßig großem

Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft zugeordnet werden können, zur Durchführung

wissenschaftlicher Vorhaben an Hochschulen oder sonstige Einrichtungen mit der Auf-

gabe unabhängiger wissenschaftlicher Forschung übermittelt werden dürfen, wenn die

Empfänger Amtsträger sind oder für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichtete o-

der verpflichted nach § 16 Abs. 7 BStatG sind, sie also auf das Statistikgeheimnis ver-

pflichtet wurden.

 

Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil (Urteil vom

15.12.1983, Az.: 1 BvR 209/83 u.a.) festgestellt: „Für den Schutz des Rechts auf infor-

mationelle Selbstbestimmung ist — und zwar auch schon für das Erhebungsverfahren —

die strikte Geheimhaltung der zu statistischen Zwecken erhobenen Einzelangaben un-

verzichtbar, solange ein Personenbezug noch besteht oder herstellbar ist (Statistikge-

heimnis); das Gleiche gilt für das Gebot einer möglichst frühzeitigen faktischen Anony-

misierung, verbunden mit Vorkehrungen gegen eine Deanonymisierung.“

 

Damit wurde festgestellt, dass dem Betroffenen im Rahmen des Statistikgeheimnisses

das Restrisiko einer Deanonymisierung im Verhältnis zu der Statistikbehörde zugemutet

werden kann. Diese Überlegung führt jedoch nicht dazu, dass anonymisierte Daten von

der Statistikbehörde an Außenstehende wie den Kläger weiter gegeben werden dürfen.

 

Insoweit hat das Verwaltungsgericht Wiesbaden mit Urteil vom 10.09.2003, Az.:

5 E 2413/02, Rdnr. 28 — nach juris — ausgeführt:

 

Angesichts der erheblichen Bedeutung der Statistik für die staatliche Politik, die

den Prinzipien und Richtlinien des Grundgesetzes verpflichtet ist, muss der Ein-

zelne grundsätzlich Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbe-

 

- 14 -

 

stimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen (so BVerwG, Urteil

vom 15.12.1983, Az.: 1BvR 209/83 u.a.). Dabei muss berücksichtigt werden,

dass es nicht Aufgabe der Bundesstatistik ist, personen- oder institutionsbezoge-

ne Nachweise zu liefern, sondern sich mit Massenerscheinungen auseinanderzu-

setzen. Die amtliche Statistik ist daher generell dem Grundsatz verpflichtet, wo-

nach die Aufbereitung von Individualdaten immer zu einer strukturierten, anony-

misierten Form führen muss. Der Grundsatz der Geheimhaltung der statistischen

Einzelangaben ist somit als konstitutiv für die Funktionsfähigkeit der amtlichen

Statistik anzusehen (vgl. dazu Dr. Poppenheger, Erläuterung zu § 16 BStatG, in:

Das deutsche Bundesrecht Vl/l Z1 O). “

 

Insoweit sind Daten, welche letztendlich noch einem Betroffenen zugeordnet werden

können, dem Statistikgeheimnis unterliegend, soweit diese Daten beim Statistischen

Bundesamt vorliegen.

 

Zur Einhaltung des Statistikgeheimnisses gemäß § 16 Abs. 1 BStatG bedarf es vorlie-

gend auch mehr als dem einfachen Weglassen von personenbeziehbaren Datenteilen.

Vielmehr müssten die Daten komplett neu berechnet und verändert werden, was bedeu-

tet, dass neue Datensätzen herzustellen sind. Dies wiederum ist von dem Anspruch auf

Informationsfreiheit nicht gedeckt. Denn der Anspruch bezieht sich nur auf vorhandene

Informationen. Denn gemäß § 2 Nr. 2 IFG sind amtliche Informationen jede amtlichen

Zwecken dienende Aufzeichnung unabhängig von der Art ihrer Speicherung, mithin be-

reits vorhandene Daten. Insoweit kennt das IFG auch keine Informationsbeschaffungs-

pflicht oder gar Herstellungspflicht von Informationen.

 

Insoweit kommt es auch nicht darauf an, ob durch entsprechende Überarbeitung der

Daten diese so verändert werden können, dass sie einer einzelnen Person nicht mehr

zugeordnet werden können. Dies auch, wenn der Kläger dazu anmerkt, dass wenn man

das gesamte Anonymisierungsraster über die Daten legen würde, wie der Beklagte sie

vorgeschlagen habe, dies keinen Erkenntniswert mehr für ihn habe.

 

- 15 -

 

Wie sich im Rahmen des Verfahrens ergeben hat, liegen bei der Beklagten auch keine

„Rohdaten“ vor, welche so beschaffen sind, dass möglicherweise darin enthaltene Ein-

zelangaben dem Betroffenen nicht zuzuordnen sind. Insoweit ist der nunmehrige ge-

richtliche Kenntnisstand ein weitergehender als zum Zeitpunkt der Gewährung der Pro-

zesskostenhilfe bei dem Beschluss vom 22.05.2012.

 

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 VwGO.

 

Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit bezüglich der Kosten folgt

aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

 

Rechtsmittelbelehrung

 

Die Beteiligten können die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil beantragen. Der

Antrag auf Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des voll-

ständigen Urteils bei dem

 

Verwaltungsgericht Wiesbaden

Mainzer Straße 124

65189 Wiesbaden

 

zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Mona

ten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen

die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag

vorgelegt worden ist, bei dem

 

Hessischen Verwaltungsgerichtshof

Brüder-Grimm-Platz 1

34117 Kassel

 

einzureichen.

 

Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

 

1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,

 

2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,

 

3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

 

- 16 -

 

4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwal-

tungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes o-

der des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht o-

der

 

5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend

gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

 

Vor dem Hessischen Venrwaltungsgerichtshof besteht gemäß § 67 Abs. 4 VwGO Vertre-

tungszwang. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren beim Hessi-

schen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird.

 

Bei den hessischen Verwaltungsgerichten und dem Hessischen VerwaItungsgerichtshof

können elektronische Dokumente nach Maßgabe der Verordnung der Landesregierung

über den elektronischen Rechtsverkehr bei hessischen Gerichten und Staatsanwalt-

schaften vom 26. Oktober 2007 (GVBI. l, S. 699) eingereicht werden. Auf die Notwen- '

digkeit der qualifizierten digitalen Signatur bei Dokumenten, die einem schriftlich zu un-

terzeichnenden Schriftstück gleichstehen, wird hingewiesen (§ 55a Abs. 1 Satz 3

VwGO)

 

Hinweis:

Soweit eine Ausfertigung dieses Urteils Randnummern enthält, sind diese von der Un-

terschrift des Richters nicht gedeckt und entspricht nicht dem Original.

 

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