Sozialgericht Karlsruhe

Az.: S 5 KR 1763/11

 

Verkündet

am 23.01.2012

 

xxxx

Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle

 

Im Namen des Volkes

Urteil

in dem Rechtsstreit

 

xxxxxxx

xxxxxxxxxxxx

 - Klägerin -

 

 

Proz.-Bev.: Rechtsanwälte  xxxxxxxxxx,

xxxxxxxx

 

gegen

 

xxxx

vertreten durch den Vorstand

xxxxxx

- Beklagte -

 

Die 5. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe

hat auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2012 durch

ihren Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht xxx,

sowie die ehrenamtlichen Richter xxxx und xxxxx

 

für Recht erkannt:

 

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Berufung wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Erstattung von Kosten für Fahrten mit dem Taxi in der Zeit vom 1.2. - 30.4.2011.

Die xxxx geborene Klägerin war bei der Beklagten krankenversichert. Wegen Niereninsuffizienz muss sie sich seit April 2008 dreimal pro Woche (Dienstag, Donnerstag und Samstag) einer Dialysebehandlung unterziehen; die Behandlung dauert jeweils vier Stunden.

Am 4.11.2010 verordnete die Internistin Dr. xxxx der Klägerin für die Zeit vom 1.1. - 31.12.2011 Krankenbeförderung mit einem Taxi für die Fahrten von der Wohnung zur Dialyse und zurück.

Nachdem die Beklagte eine Stellungnahme des MDK (vom 29.12.2010) eingeholt hatte, bewilligte sie der Klägerin mit Bescheid vom gleichen Tag Krankenfahrten mit dem Taxi „Wohnung-Dialyse-Wohnung“ bis zum 31.1.2011.

Für die Zeit ab dem 1.2.2011 lehnte die Beklagte hingegen mit Bescheid vom 25.1.2011 die Übernahme der Kosten für die Benutzung eines Taxis ab. Zur Begründung gab sie an, nach der Einschätzung des MDK sei die Benutzung eines Taxis medizinisch nicht notwendig; vielmehr könne die Klägerin mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Die Kosten hierfür werde sie der Klägerin auf Antrag erstatten.

Nach einer verwaltungsinternen Überprüfung änderte die Beklagte ihre Entscheidung teilweise ab und bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 31.1.2011 nun für die Zeit ab dem 1.2.2011 Krankenfahrten mit dem Taxi „Dialyse-Wohnort“ in näher bezeichneter Höhe.

Hiergegen legte die Klägerin am 2.2.2011 Widerspruch ein. Sie machte geltend, sie benötige ein Taxi nicht nur für die Rückfahrt, sondern auch für die Hinfahrt zur Dialyse. Für die Behandlung müsse sie sich bereits morgens um 6:15 Uhr im Dialysezentrum in xxxx einfinden. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei dies für sie nicht zu schaffen: Am Samstag fahre der früheste Bus in ihrem Wohnort xxx erst um 7:00 Uhr. Am Dienstag und Donnerstag gebe es zwar einen Bus um 5:00 Uhr. Allerdings fahre dieser nur bis zur Haltestelle xxxxx. Von dort müsste sie bis zum Dialysezentrum noch 1,5 km laufen, davon 500 m entlang einer viel befahrenen Straße ohne Gehweg. Im Hinblick auf ihren Gesundheitszustand sei ihr dies nicht zumutbar.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7.4.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie ergänzend aus, die Übernahme von Fahrkosten sei in § 60 SGB V geregelt. Welches Fahrzeug der Versicherte benutzen kann, richte sich gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB V ausschließlich nach der medizinischen Notwendigkeit. Bei der Auswahl des Beförderungsmittels sei gemäß § 4 der Krankentransport-Richtlinien insbesondere der aktuelle Gesundheitszustand des Versicherten und seine Gehfähigkeit zu berücksichtigen. Andere als medizinische Gründe blieben hingegen außer Betracht. Nach der Einschätzung des MDK sei die Klägerin gesundheitlich in der Lage, bei der Hinfahrt zur Dialyse öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Es sei für die Frage der Kostenübernahme unerheblich, ob im Einzelfall tatsächlich hinreichende Verkehrsverbindungen vorhanden sind. Vor diesem Hintergrund könne sie, die Beklagte, der Klägerin für die Hinfahrt zu Dialyse nur die Kosten für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel erstatten, nicht hingegen für die Benutzung eines Taxis.

Mit der am 21.4.2011 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihren Antrag weiter. Sie wiederholt im wesentlichen ihre Argumente aus dem Widerspruchsverfahren und trägt ergänzend vor, seit dem 1.5.2011 sei sie nicht mehr bei der Beklagten krankenversichert, sondern bei der AOK. Die AOK erachte sämtliche Taxi-Kosten für notwendig und habe diese ohne weiteres erstattet. In der Zeit vom 1.2. - 30.4.2011 sei sie auf eigene Kosten mit dem Taxi zur Dialyse gefahren. Hierfür habe sie insgesamt 736,32 € gezahlt. Diesen Betrag müsse die Beklagte erstatten.

 

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 25.1.2011 sowie Änderung des Bescheids vom 31.1.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.4.2011 zu verurteilen, ihr Kosten in Höhe von 736,32 € zu erstatten.

 

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Sie verweist zur Begründung auf ihren Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, die Klägerin sei im gesamten Jahr 2011 von der Pflicht zur Zuzahlung befreit.

 

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des sachverständigen Zeugen Dr. xxxx (Aussage vom 20.9.2011). Wegen des Inhalts der Beweisaufnahme und der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

1) Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Kosten.

Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war (§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Kostenerstattung nach dieser Vorschrift kommt in beiden Varianten nur in Betracht, wenn der Versicherte die streitige Leistung als Sachleistung beanspruchen konnte.

Daran fehlt es hier. Die Klägerin hatte keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die Kosten für Fahrten mit dem Taxi zur Dialysebehandlung übernimmt:

Die Krankenkasse übernimmt nach Maßgabe des § 60 Abs. 2 und 3 SGB V die Kosten für Fahrten, wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind (§ 60 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Die Notwendigkeit der Beförderung ist für den Hin- und Rückweg gesondert zu prüfen (§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V i. V. m. § 3 Abs. 2 Satz 2 Krankentransport-Richtlinien). Welches Fahrzeug benutzt werden kann, richtet sich nach der medizinischen Notwendigkeit im Einzelfall (§ 60 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Maßgeblich für die Auswahl des Beförderungsmittels ist ausschließlich die zwingende medizinische Notwendigkeit unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots. Für die Auswahlentscheidung ist deshalb insbesondere der aktuelle Gesundheitszustand des Versicherten und seine Gehfähigkeit zu berücksichtigen (§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V i. V. m. § 4 Krankentransport-Richtlinien). Die Krankenfahrt mit einem Taxi ist nur dann zu verordnen, wenn der Versicherte aus zwingenden medizinischen Gründen öffentliche Verkehrsmittel oder ein privates Kraftfahrzeug nicht benutzen kann (§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V i. V. m. § 7 Abs. 3 Krankentransport-Richtlinien). Hingegen kann eine Verordnung nicht darauf gestützt werden, die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel - zu deren Nutzung der Versicherte gesundheitlich prinzipiell in der Lage wäre - sei vor Ort unzureichend. Denn es kommt „ausschließlich“ auf die medizinische Notwendigkeit an (vgl. (§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V i. V. m. § 4 Satz 1 Krankentransport-Richtlinien). Auch bei anderen Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung lässt sich die medizinische Erforderlichkeit nicht mit den örtlichen Verhältnissen oder sonstigen persönlichen Umständen begründen (zur Krankenhausbehandlung: BSGE 99, 111 Rdnr. 15; zur Hilfsmittelversorgung: BSGE 102, 90 Rdnr. 14).

Gemessen hieran benötigte die Klägerin für die Fahrten zur Dialysebehandlung kein Taxi. Zwar leidet sie an Niereninsuffizienz. Trotz dieser Erkrankung war die Klägerin aber gesundheitlich in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel oder einen PKW zu nutzen. So fährt sie (nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung) an den Wochentagen, an denen sie nicht zur Dialyse muss, selbst mit dem Auto zur Arbeit. Für die Fahrten zur Dialysebehandlung hat die Klägerin nur deshalb keine öffentlichen Verkehrsmittel genutzt, weil die Verbindungen ungünstig (oder nicht vorhanden) waren. Wie ausgeführt, reicht dies für die Begründung der medizinischen Notwendigkeit nicht.

2) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

3) Es besteht kein Grund, gemäß § 144 Abs. 2 SGG die Berufung zuzulassen.

 

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung nur zu, wenn sie nachträglich zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Berufung mit der Beschwerde angefochten werden.

Die Beschwerde ist innerhalb  eines Monats  nach Zustellung des Urteils bei dem Landessozialgericht Baden-Württemberg, Hauffstr. 5, 70190 Stuttgart - Postfach 10 29 44, 70025 Stuttgart -, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

Die Beschwerde muss innerhalb der oben angegebenen Frist bei dem vorgenannten Gericht eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Der Beschwerdeschrift und allen folgenden Schriftsätzen sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

 

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