Der Taxifahrer konnte sich gar nicht beruhigen und fing immer wieder von vorne an: Es sei ja fantastisch, daß die Astronomen den Beginn der Sonnenfinsternis so präzise vorausgesagen konnten - aber wieso weigerten sie sich dann beharrlich, auch den Zeitpunkt der Wiederkehr von Jesus Christus bekanntzugeben? Eine Woche war jetzt vergangen, seit der Mondschatten die sambische Hauptstadt Lusaka - und einen breiten Streifen quer durch Zentralafrika - passiert hatte, und die erste totale Sonnenfinsternis des neuen Jahrtausends war hier noch nicht vergessen. Vor allem in und rund um Lusaka hatten sie viele gefeiert, und mehrere zehntausend Reisende in Sachen SoFi waren in das wenig bekannte Land zwischen Angola, Simbabwe und Ex-Zaire geströmt, das die günstige Kombination aus Wettersicherheit, politischer Stabilität und touristischen Attraktionen versprach. Aber wie das Naturschauspiel in breiten Kreisen der rund 9-Mio.-köpfigen Bevölkerung aufgenommen worden war, davon war nur wenig zu erfahren gewesen. Den Ausführungen unseres Taxifahrers am letzten Tag der Reise war zu entnehmen, daß man zumindest in seinem Bekanntenkreis das Ende der Welt gekommen glaubte und jetzt noch verwirrter als vorher war. Und in der wortgewaltigen sambischen Presse war die Sonnenfinsternis längst zum Politikum geworden.
»Die Regierung soll für ihre Sonnenfinsternis-Sünden bezahlen«, verkündete die Schlagzeile, und der bunt hinterlegte Artikel auf der Titelseite der Wochenzeitung »Today« vom 27. Juni 2001 ließ keine Fragen offen: »Die sambische Regierung hat die Sonnenfinsternis in kriminell unverantwortlicher Weise behandelt.« So sähe es jedenfalls eine Oppositionspartei: Die UPND gehe davon aus, daß in den nächsten drei bis vier Jahren die Zahl der Blinden im Lande deutlich ansteigen werde - weil es nicht gelang, jedem Bürger zur einer Sonnenfinsternisbrille zu verhelfen. Und der zweite Vizepräsident der Partei schwöre bereits, daß »all diejenigen aufgespürt werden, denen das Wohlergehen des sambischen Volkes während der Sonnenfinsternis anvertraut war und die unverantwortlich handelten.« Und wenn die UPND die nächsten Wahlen im November gewänne, dann »werden wir sicherstellen, daß all diejenigen für ihre Sünden bezahlen, die dafür verantwortlich sein werden, daß tausende von Sambiern erblinden.« Mit diesem Feldzug werde man dann auch gleich ein Zeichen setzen, daß jede Regierung irgendwann zur Rechenschaft gezogen werde ...
Insbesondere war es nun unmöglich geworden, eine große Zahl von SoFi-Brillen zu beschaffen und für Pfennigsbeträge oder gratis zu verteilen. Mitte Juni beklagte sich Habatwa Mweene vom Finsternis-Unterkomitee für Wissenschaft und Sicherheit bitterlich in den sambischen Medien (hier zitiert aus The Post vom 15.6.): »Mein Komitee sollte sich um die Augensicherheit kümmern. Dazu hatten wir bei der Regierung einen Budgetplan eingereicht für eine Informationskampagne und für die Anschaffung von Sonnenfinsternisfiltern. Bis jetzt sind keinerlei Mittel freigegeben worden.« Damit, so Mweene, stehe Sambia praktisch unvorbereitet da, nur wenige seien bisher über Radio und Fernsehen erreicht worden, ein Großteil der Bevölkerung habe keinen blassen Schimmer, was es mit der Sonnenfinsternis auf sich habe, und außerhalb der Städte käme kaum jemand an die besagten Brillen heran. »Diese Situation ist umso skandalöser,« wetterte Mweene, »da unsere Nachbarn mehr Engagement gezeigt haben. Das vom Bürgerkrieg zerrissene Angola hat 3 Mio. US-$ bereitgestellt und 6 Millionen Finsternisfilter zur Verteilung an die Armen gekauft. Madagaskar hat 14 Mio. Filter für die freie Verteilung beschafft. Zimbabwe wird jedem in der Finsterniszone kostenlose Filter geben. Und selbst Mosambik soll 5 Mio. US-$ und Millionen kostenloser Filter bereitgestellt haben. Sambia dagegen tat nichts.«
Immer wieder, so Mweene, habe man Druck auf die Regierung ausgeübt, das Finanzministerium aber habe »auf Zeit gespielt,« bis es zu spät gewesen sei. »Das Ergebnis der Fahrlässigkeit der Regierung werden verbreitete Augenschäden in der Nation sein,« so fürchte er: »Die Sonnenfinsternis hätte wie eine mögliche Seuchenepidemie behandelt worden sein sollen, und die Regierung hätte einschreiten müssen, um die Auswirkungen zu verhindern.« Das zeigte Wirkung: Kurz nach Mweenes Auftritt standen plötzlich doch noch 800 Mio. Kwacha zur Verfügung! Das war zwar zu spät für flächendeckende Aktionen gewesen, reichte aber gerade noch, um Beamte in die ausgedehnten ländlichen Gebiete Sambias zu entsenden und wenigstens ein paar Informationen zu verbreiten. An eine Verteilung von SoFi-Brillen war freilich nicht mehr zu denken - und mit deren akutem Mangel waren auch wir bei jeder Gelegenheit konfrontiert worden, kaum daß unsere Expedition Lusaka gen Westen verlassen hatten. Der Konvoi aus vier wuchtigen Allradfahrzeugen (Verbrauch: 11 bis 14 Liter auf 100 km!) sollte 14 deutschen Sternfreunden, darunter dem Autor, noch eine Viertelminute mehr Totalität bescheren als in der Nähe der Hauptstadt möglich waren, und wo immer wir auf dem Weg in den Kafue-Nationalpark Station machten, kamen wieder die Fragen: ob wir denn SoFi-Brillen dabeihätten?
Offensichtlich war es zwar gelungen, die Bevölkerung flächendeckend zu beunruhigen - aber darüber aufzuklären, wie man die partiellen Phasen auch ohne industriell gefertigte Hilfsmittel völlig gefahrlos verfolgen konnte (mit einfachen Projektionstechniken zum Beispiel), war dann vergessen worden. Da halfen auch die allsonntäglichen Sondersendungen im Fernsehen nichts, wo sich Mweene zwar zum Sachlichkeit bemühte, die aber kaum jemand gesehen haben dürfte. Man darf wohl vermuten, daß ein Großteil der afrikanischen Landbevölkerung die Sonnenfinsternis lieber gar nicht beobachtet hat: Entsprechende Berichte gibt es ganz konkret aus Madagaskar, wo sich in den entscheidenden Stunden vielerorts ausschließlich SoFi-Touristen im Freien aufhielten. Glücklich jene Einheimischen, die - meist dank dem Kontakt mit den ausländischen Gästen - zum Betrachten der Finsternis ermuntert wurden und das Schauspiel fast überall unter wolkenlosen Himmel verfolgen konnten: Über dem gesamten Totalitätsstreifen quer durch den Kontinent Afrika, von Angola über Sambia und Simbabwe bis Mosambik, hatte sich nämlich in der Woche rund um die SoFi-Termin keine Wolke mehr blicken lassen, und nur auf Magadaskar mußte an einigen Orten eine überstürzte Flucht vor Wolkenfeldern angetreten werden.
Ein Naturerlebnis allerdings, das sich die Anrainer gut bezahlen lassen: Wohl nicht ganz zufällig sind in den Wochen der Sonnenfinsternis die Eintrittspreise für die Nationalparks beiderseits des Sambesi auf 10 Dollar (Sambia) bzw. 20 Dollar (Simbabwe) gestiegen, und nur aus diesen Parks sind die Fälle direkt zu sehen. Einen kompletten Überblick gibt es angesichts der Breite der Abbruchkante und der ständigen Gischtwolken indes nur aus der Luft: Die meisten Expeditionsteilnehmer ließen es sich nicht zweimal sagen, daß Hubschrauberflüge über die Fälle angeboten wurden. Der Spaß kostete zwar über 100 Dollar pro Person für 15 Minuten, aber der grandiose Blick über den breiten Sambesi, die volle Ausdehnung der Fälle und das sich anschließende mäandrierende Schluchtensystem war die Invesitition wert, ebenso eine Sonnenuntergangskreuzfahrt auf dem Sambesi oberhalb der Fälle für 40 Dollar inkl. voller Verpflegung. Und auch der kostspielige Tagesausflug auf die simbabwische Seite (allein das Visum kostete weitere 30 Dollar) war eine gute Idee gewesen: Im Gegensatz zu manch aufgeregtem Medienbericht im Vorfeld war das Dörfchen Victoria Falls direkt hinter den Fällen völlig friedlich - und alles, vom Abendessen bis zum Internet-Cafe, kostete deutlich weniger als in Sambia. Dieses Land, das wir bei der Reiseplanung so schmählich an den Rand gedrängt hatten, läd geradezu zur Wiederkehr ein - vielleicht schon Ende 2002, wenn es hier abermals eine totale Sonnenfinsternis (wenn auch mitten in der Regenzeit) geben wird.
Trotz der Überfülle der kosmischen Sehenswürdigkeiten trollten sich viele bald in ihre Zelte - denn mit dem Sonnenuntergang gerieten auch die Temperaturen in einen gehörigen Tiefflug! Schließlich befanden wir uns auf der Südhalbkugel, kurz vor der Wintersonnenwende - und das in gut 1000 Metern Meereshöhe. Auch die frostige Nacht nahe dem Gefrierpunkt konnte indes eine Handvoll Kometenfans nicht daran hindern, um 4 Uhr morgens schon wieder ins Freie zu treten: Es lockte der Komet C/2001 A2 (LINEAR), der wegen seiner ungünstigen Stellung im Sternbild Hase von Europa aus schon länger nicht mehr zu sehen gewesen war. Südlich des Äquators war er dagegen ab Anfang Juni wieder sichtbar geworden, doch keiner von uns wußte, wie hell er jetzt sein würde (zwar gibt es in Sambia hier und da schon Internet-Cafes, aber mit meist erbärmlichen Datenraten und astronomischen Tarifen von 10 bis 15 DM pro Stunde - in Abfragen endloser Datentabellen visueller Kometenschätzungen investierten wir da lieber nicht). Da der Kern von LINEAR im April und Mai in mehrere Teile zerbrochen war, konnten wir ebenso gut mit einem Helligkeitsausbruch wie einem völligen Einknicken der Entwicklung rechnen, wie es knapp ein Jahr zuvor einem anderen Kometen gleichen Namens widerfahren war.
Mit der Himmelsregion, in der LINEAR stehen sollte, kannte sich niemand von uns aus, und so begannen wir zunächst ein abenteuerliches Starhopping von der Kleinen Magellanschen Wolke aus - diese Nachbargalaxie der Milchstraße stand jetzt hoch am Südhimmel, während im Westen gerade der Schütze mit dem galaktischen Zentrum versank. Viel einfacher war es, kurzerhand die grobe Richtung, in der der Komet stehen sollte, mit dem Feldstecher abzutasten - und einer der helleren »Sterne« dort entpuppte sich prompt als der Komet, der mit mehr als 4. Größe auch leicht mit dem bloßen Auge zu erkennen war. Im Feldstecher war zudem ein mindestens 6 Grad langer schmaler Plasmaschweif zu erkennen, der LINEAR zu einer kleinen Reinkarnation des berühmten Hyakutake machte. (Noch deutlicher war die Ähnlichkeit auf Fotos mit stehender Kamera, die schon bei 30 Sekunden Belichtungszeit auf 400 ASA eine Schweiflänge von gut 12 Grad zeigten - und eine intensive Türkisfärbung der Kometenkoma.) Die morgendlichen Jubelschreie der Kometenfans fanden zwar nicht das Wohlgefallen aller Reiseteilnehmer, waren aber angesichts des unverhofften Astro-Bonusses der Reise mehr als gerechtfertigt.
Die folgenden Tage gestalteten wir die Kometenbeobachtung zunehmend ökonomischer: Wenn man das Zelt nach Osten ausrichtete (dabei half am Abend zuvor jeweils der strahlend helle Mars, der der Erde näherstand als in den vergangenen 13 Jahren und selbst in kleinen Fernrohren einige Details offenbarte), dann konnte man ihn sich auch anschauen, ohne sich ausgerechnet in der kältesten Stunde der Nacht aus dem Schlafsack schälen zu müssen (und großartige Veränderungen an LINEAR waren bis zum 21. Juni ohnehin nicht auszumachen). Unsere Expedition hatten wir so angelegt, daß sich Nächte im Zeltlager und in (billigen) Hotels immer wieder abwechselten: Die regelmäßige Rückkehr in die Zivilisation oder zumindest an deren Rand brachte vor allem logistische Vorteile, von Leitungswasser bis zu frischem Strom aus der Steckdose, den vor allem die große Fraktion der Videofilmer zu goutieren wußte. So arm Sambia auch ist (und so armselig die meisten Straßen): Die Versorgung mit Wasser und Strom funktioniert auch in entlegeneren Landesteilen, und auch das Netz der Tankstellen ist zwar dünn aber gut versorgt (wenn auch der Dieselpreis außerhalb Lusakas rasch auf über 2 DM/Liter steigt).
Eine andere Erfahrung brachte der Lochinvar-Park ebenfalls: Die Tierwelt Afrikas ist zwar reichhaltig, verteilt sich aber gut über die endlose Weite des Kontinents. So wie in einem kompakten zoologischen Park oberhalb der Victoria-Fälle, wo sich Warzenschweine, Antilopen, Giraffen, Zebras, Kaffernbüffel, Elefanten und sogar fünf (scharf bewachte) Nashörner vor den Kameras aufgereiht hatten, geht es in »richtigen« Nationalparks nicht zu. Und es sieht auch nicht überall im südlichen Afrika so aus, wie in den TV-bekannten Tierfilmen, wo das Wild auf weiten Ebenen kilometerweit zu sehen ist. Jetzt, nur Wochen nach Ende der Regenzeit, sah man von der Straße aus meist ersteinmal nur - Gras. Übermannshohes Gras! Aus dem fahrenden Auto war zwar manches Tier, von Antilope bis Elefant hinter diesem (nun quasi bewegungsunscharfen) Gras auszumachen, aber kaum daß man stand, war man wie von einer gelben Mauer umgeben. Oder man stand zwischen Bäumen fast so dicht wie in einem deutschen Laubwald, zwischen denen sich mitunter die Tierwelt und der weitere Verlauf der Straße verloren. Auf Safari in diesem Teil Afrikas zu sein, kann auch bedeuten, stundenlang geradewegs durch den Busch zu brechen, während beiderseits ständig Äste gegen den Wagen krachen oder sich unter dem Bodenblech verfangen ...
Der Kauf der Landkarten wiederum hatte in den Keller des Amtes für Landvermessung geführt, wo sich trotz eines Streiks im öffentlichen Sektor die Türen für uns geöffnet hatten. Da lagen, in langen Regalen, Karten des gesamten riesigen Landes im Maßstab 1:25 000 - mit dem leichten Makel, daß einige Blätter der für uns besonders interessanten Region in der Nordwestecke des Kafue-Parks fast 40 Jahre alt waren und noch die Aufschrift »Nordrhodesien« trugen - sie stammten noch aus der Kolonialzeit. Im Rechnerraum des Physikalischen Instituts der Universität (dem Reich von Prof. Mweene, der uns auch im Vorfeld der Reise unterstützt hatte und in dessen Büro wir während des Trips an die Victoriafälle unser Astro-Gepäck hatten lassen können) hatten wir auch erste Reiseberichte absetzen können, und auf dem Dach des Intercontinental-Hotels hatten wir eine große amerikanische Expedition besucht, die gerade mit dem Aufbau ihrer Instrumente begann. Dem Expeditionsleiter Jay Pasachoff war ich in den vergangenen 18 Jahren immer wieder über den Weg gelaufen, sei es bei Sonnenfinsternissen selbst (erstmals 1983) oder auf diversen Konferenzen - und schon hatten wir nichts besseres zu tun, als über die besten Orte für die nächsten paar Finsternisse zu diskutieren. Pasachoff, der sich auch als Autor astronomischer Lehrbücher einen Namen gemacht hat, ist der lebende Beweis, daß Sonnenfinsternisse auch heute noch von großer Bedeutung für die Sonnenforschung sind: Mit seinen Experimenten spürt er seit Jahren den Heizmechanismen der Sonnenkorona nach und ist dabei weitergekommen als so manche teure Weltraummission.
Etliche Stunden hatten wir auch im Hauptquartier der gerade neugegründeten Nationalparkverwaltung (ZAWA) in Chilanga (15 km südlich von Lusaka) zubringen müssen, um all die notwendigen Papiere für einen mehrtägigen Aufenthalt im Kafue-NP zu erstehen. Ein ganzer Topf voll Geldscheinen (5.5 Mio. Kwacha) hatte schließlich den Besitzer gewechselt, und als Gegenleistung gab es - drei kleine durchgestrichene Angelscheine, auf die die ZAWA-Funktionäre die diversen Genehmigungen handschriftlich eingetragen hatten! Die Dokumente waren gleichwohl korrekt und vollständig, und im Nationalpark warteten tatsächlich mehrere sogenannte Scouts auf uns: Weil wir mangels bezahlbarer befestigter Camps mitten in der - von Löwen, Leoparden etc. bewohnten - Wildnis kampieren mußten, sind bewaffnete Wildhüter als Begleitung vorgeschrieben. Zuerst zelteten wir zwei Nächte direkt neben dem Fluß Kafue und lernten die urtümlichen nächtlichen Lautäußerungen der dort wohnhaften Flußpferde kennen (und nach einer Weile auch schätzen), dann zwei Nächte im äußersten Nordwesten des Parks, genauer gesagt sogar wieder einige Kilometer außerhalb, im angrenzenden Game Management Area (GMA), wo Jagd wieder erlaubt ist, auf 14 Grad 02 Minuten Süd und 25 Grad 39 Minuten Ost.
Die Sonnenfinsternis würde in diesem Teil Sambias 3 Minuten und 46 Sekunden dauern: Um noch weitere 10 Sekunden herauszuschlagen, wären ein Riesenumweg und mindestens eine weitere Tagesreise erforderlich gewesen, was der minimale Zeitgewinn einfach nicht wert war. Auch das Wetter zeigte sich weiter von seiner besten Seite, ohne eine Wolke am Himmel (abgesehen von Rauchschwaden entfernter Buschfeuer, die aber nie über die Sonne schwappten) - und mit dem stärksten Temperaturgang der ganzen Reise, von mehreren Grad unter Null (und Eis auf den Zelten und Windschutzscheiben) am frühen Morgen bis zu fast 30 Grad am Nachmittag, als die Finsternis endlich beginnen sollte. Viele Parallelen drängten sich auf zu der Sonnenfinsternis von 1999, wie sie der Autor und mehrere andere Expeditionsteilnehmer gemeinsam in Bulgarien erlebt hatten: blauer Himmel, gemütliche Wärme und eine einsame Wiese voller leistungsstarker Optiken und Kameras. Die anderthalb Stunden der ersten partiellen Phasen plätscherten nur so dahin, während die Spannung unaufhaltsam stieg - und als dann kurz nach 3 Uhr endlich die Sonnenkorona aufstrahlte, als der Kernschatten des Mondes über uns hinwegschwappte, sah auch sie der 1999er erstaunlich ähnlich.
Das letzte Maximum der Sonnenaktivität war noch nicht lange vorüber und das Magnetfeld der Sonne hatte weiterhin eine ziemlich komplizierte Gestalt, die sich in sogenannten Streamern in alle Richtungen äußert: Wo die Sonnenpole bzw. der Äquator waren, war auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Verglichen mit 1999 gab es zwar weniger große Protuberanzen, aber ein Exemplar machte das mehr als wett: Während der gesamten Totalität war diese schwebende rosa Gaswolke über dem Mondrand zu sehen, in der Nähe einer hellen Koronakondensation. Wesentlich ausgeprägter als 1999 (oder auch in den ganzen 90er Jahren) war die Intensität der Horizontfarben während der Totalität: Hier könnten die Rauchschwaden doch eine - positive - Rolle gespielt haben. Vor und nach der Totalität waren auch noch ausgeprägte Fliegende Schatten auf einem aufgehängten Bettlaken zu sehen und sogar (obwohl das gar nicht vorbereitet war) problemlos mit einer Videokamera aufzuzeichnen. Und dann gab es noch eine unerwartete Beobachtung der Auswirkungen der Finsternis auf die Tierwelt: Weder an den Tagen vor noch nach der SoFi waren wir je nennenswert von Mücken belästigt worden - aber kurz vor dem 2. Kontakt waren plötzlich Schwärme von ihnen aufgetaucht und über uns und selbst die Teleskope hergefallen. Bis zum Sonnenuntergang haben sie sich dann nicht wieder beruhigen wollen ...
Weder den mysteriösen Umtrieben auf dem Solipse-Festival noch dem »Besuch« der Ultrakurzsonnenfinstler konnte die sambische Presse hernach gute Seiten abgewinnen (letztere sah man gar als Beleidigung des Landes an), und überhaupt wurde die SoFi weithin als ziemlicher Reinfall für Sambia an sich gewertet. Nicht nur wegen der Befürchtungen über die angeblich anrollende Welle von Erblindungen aufgrund der fehlenden Finsternisbrillen: Man habe es ferner versäumt, das Tourismuspotential des Landes anzupreisen und zu entfalten, und Profit gemacht hätten eigentlich nur ausländische Veranstalter. Es wird sich noch zeigen müssen, wie gerechtfertigt die Befürchtungen Mweenes und der Oppositionspolitiker bezüglich der öffentlichen Gesundheit waren: Die Erfahrungen aus anderen Ländern, die von Sonnenfinsternissen »getroffen« wurden, haben immer wieder gezeigt, daß bleibende Augenschäden extrem selten sind. Und was die vermeintlich vertanen Chancen angeht, Sambia auf die Landkarte des Welttourismus zu setzen: Zumindest von den Teilnehmern unserer Expedition hat die meisten eine derartige Afrika-Euphorie gepackt, daß längst an den nächsten Reiseplänen gefeilt wird, sei es anläßlich der nächsten totalen SoFi, die schon wieder Angola und danach insbesondere Simbabwe und Mosambik treffen wird, oder einfach so.
Da gab es eine große Flußpferd-Herde direkt vor unserem Zeltplatz, einen »Hauselefanten«, der gelegentlich durch das Lager zog (ohne dabei irgendetwas zu beschädigen) - und auf einer Nachtpirsch, diesmal unter professioneller Führung, stießen wir auf nicht weniger als neun Löw(inn)en auf Wanderschaft. All das wurde aber noch in den Schatten gestellt durch eine unverhoffte Begegnung mit 30 bis 40 Elefanten aller Altersklassen, die eines Abends dicht vor unserem Auto die Straße überquerten, das ganze auch noch dramatisch im Gegenlicht der untergehenden Sonne: Das hatte definitiv einen höheren emotionalen Impakt auf die Insassen jenes Fahrzeugs als die ganze Sonnenfinsternis! Die bisher komplexeste SoFi-Expedition, an der ich teilgenommen habe, ging jetzt ihrem unweigerlichen Ende entgegen, wobei uns die Sonne bis zum letzten Moment nicht loslies. Denn als wir - und eine Anzahl anderer Finsternisfans - bereits die Gangway zu unserem British-Airways-Jumbo auf dem Flughafen von Lusaka erklommen, schickte sich die Sonne gerade an, auf den Horizont aufzusetzen. Und es kam, wie es kommen mußte: zu einem Stau auf der Treppe, als alle SoFi-Fans noch einmal ihre Kameras auspacken mußten, für ein Abschiedsfoto von jedem himmlischen Körper, der uns hierher, 65 Grad und 10 Flugstunden nach Süden, gelockt hatte ...
(Version vom 25. Juli 2001)