Zur Schwarzen Sonne auf den Schwarzen Kontinent

Drei Wochen in Sambia, bei der ersten SoFi des Jahrtausends

21 Jahre war es her, daß zum letzten Mal der Kernschatten des Mondes über Afrika hinwegzog, aber am 21. Juni 2001 lockte endlich wieder eine totale Sonnenfinsternis in den Südteil des Kontinents. Wenn schon Afrika, dann richtig, dachten sich 14 deutsche Astrofans rund um einen harten Kern von Finsternisveteranen aus dem Bonner Raum und brachen zu einer dreiwöchigen, komplett selbst organisierten, Expedition nach Sambia auf - in ein Land, in dem noch keiner von uns gewesen war und über das wir kaum mehr wußten als daß es in den letzten Jahren nie in den deutschen Nachrichten vorkam. Und das konnte in Schwarzafrika nur Gutes verheißen ...

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Der Taxifahrer konnte sich gar nicht beruhigen und fing immer wieder von vorne an: Es sei ja fantastisch, daß die Astronomen den Beginn der Sonnenfinsternis so präzise vorausgesagen konnten - aber wieso weigerten sie sich dann beharrlich, auch den Zeitpunkt der Wiederkehr von Jesus Christus bekanntzugeben? Eine Woche war jetzt vergangen, seit der Mondschatten die sambische Hauptstadt Lusaka - und einen breiten Streifen quer durch Zentralafrika - passiert hatte, und die erste totale Sonnenfinsternis des neuen Jahrtausends war hier noch nicht vergessen. Vor allem in und rund um Lusaka hatten sie viele gefeiert, und mehrere zehntausend Reisende in Sachen SoFi waren in das wenig bekannte Land zwischen Angola, Simbabwe und Ex-Zaire geströmt, das die günstige Kombination aus Wettersicherheit, politischer Stabilität und touristischen Attraktionen versprach. Aber wie das Naturschauspiel in breiten Kreisen der rund 9-Mio.-köpfigen Bevölkerung aufgenommen worden war, davon war nur wenig zu erfahren gewesen. Den Ausführungen unseres Taxifahrers am letzten Tag der Reise war zu entnehmen, daß man zumindest in seinem Bekanntenkreis das Ende der Welt gekommen glaubte und jetzt noch verwirrter als vorher war. Und in der wortgewaltigen sambischen Presse war die Sonnenfinsternis längst zum Politikum geworden.

»Die Regierung soll für ihre Sonnenfinsternis-Sünden bezahlen«, verkündete die Schlagzeile, und der bunt hinterlegte Artikel auf der Titelseite der Wochenzeitung »Today« vom 27. Juni 2001 ließ keine Fragen offen: »Die sambische Regierung hat die Sonnenfinsternis in kriminell unverantwortlicher Weise behandelt.« So sähe es jedenfalls eine Oppositionspartei: Die UPND gehe davon aus, daß in den nächsten drei bis vier Jahren die Zahl der Blinden im Lande deutlich ansteigen werde - weil es nicht gelang, jedem Bürger zur einer Sonnenfinsternisbrille zu verhelfen. Und der zweite Vizepräsident der Partei schwöre bereits, daß »all diejenigen aufgespürt werden, denen das Wohlergehen des sambischen Volkes während der Sonnenfinsternis anvertraut war und die unverantwortlich handelten.« Und wenn die UPND die nächsten Wahlen im November gewänne, dann »werden wir sicherstellen, daß all diejenigen für ihre Sünden bezahlen, die dafür verantwortlich sein werden, daß tausende von Sambiern erblinden.« Mit diesem Feldzug werde man dann auch gleich ein Zeichen setzen, daß jede Regierung irgendwann zur Rechenschaft gezogen werde ...

Die SoFi - ein afrikanischer Skandal?

Was war denn da passiert? Daß eine totale Sonnenfinsternis am 21. Juni 2001 den zentralafrikanischen Staat Sambia treffen würde, war der Regierung in Lusaka natürlich nicht verborgen geblieben, und ein Jahr zuvor hatte sich auch ein Finsterniskomitee gegründet, das sich um alle Aspekte des seltenen Ereignisses kümmern wollte. Angefangen hatte alles, nachdem deutsche Amateurastronomen an den sambischen Botschafter in Bonn geschrieben und um Hilfe bei der Reise zu SoFi gebeten hatten: Über vielerlei Umwege war das Schreiben schließlich im Physikalischen Institut der Universität von Lusaka angekommen. Und zunächst schien auch alles gutzugehen: Der Staat sagte bis zu zwei Milliarden Kwacha zu, rund 1.3 Millionen DM, womit immerhin eine ordentliche Aufklärungskampagne möglich gewesen wäre. Zahlreiche Komissionen und Unterausschüsse entstanden, doch konkrete Schritte ließen auf sich warten. Denn die Sonnenfinsternis war schon bald das Opfer politischer Wirren in dem ansonsten im weiten Umkreis stabilsten Land geworden (so mußte dem Präsidenten der Wunsch nach einer verfassungswidrigen dritten Amtszeit ausgetrieben werden, und die Regierungspartei spaltete sich), und das Komitee stand praktisch mittellos da.

Insbesondere war es nun unmöglich geworden, eine große Zahl von SoFi-Brillen zu beschaffen und für Pfennigsbeträge oder gratis zu verteilen. Mitte Juni beklagte sich Habatwa Mweene vom Finsternis-Unterkomitee für Wissenschaft und Sicherheit bitterlich in den sambischen Medien (hier zitiert aus The Post vom 15.6.): »Mein Komitee sollte sich um die Augensicherheit kümmern. Dazu hatten wir bei der Regierung einen Budgetplan eingereicht für eine Informationskampagne und für die Anschaffung von Sonnenfinsternisfiltern. Bis jetzt sind keinerlei Mittel freigegeben worden.« Damit, so Mweene, stehe Sambia praktisch unvorbereitet da, nur wenige seien bisher über Radio und Fernsehen erreicht worden, ein Großteil der Bevölkerung habe keinen blassen Schimmer, was es mit der Sonnenfinsternis auf sich habe, und außerhalb der Städte käme kaum jemand an die besagten Brillen heran. »Diese Situation ist umso skandalöser,« wetterte Mweene, »da unsere Nachbarn mehr Engagement gezeigt haben. Das vom Bürgerkrieg zerrissene Angola hat 3 Mio. US-$ bereitgestellt und 6 Millionen Finsternisfilter zur Verteilung an die Armen gekauft. Madagaskar hat 14 Mio. Filter für die freie Verteilung beschafft. Zimbabwe wird jedem in der Finsterniszone kostenlose Filter geben. Und selbst Mosambik soll 5 Mio. US-$ und Millionen kostenloser Filter bereitgestellt haben. Sambia dagegen tat nichts.«

Immer wieder, so Mweene, habe man Druck auf die Regierung ausgeübt, das Finanzministerium aber habe »auf Zeit gespielt,« bis es zu spät gewesen sei. »Das Ergebnis der Fahrlässigkeit der Regierung werden verbreitete Augenschäden in der Nation sein,« so fürchte er: »Die Sonnenfinsternis hätte wie eine mögliche Seuchenepidemie behandelt worden sein sollen, und die Regierung hätte einschreiten müssen, um die Auswirkungen zu verhindern.« Das zeigte Wirkung: Kurz nach Mweenes Auftritt standen plötzlich doch noch 800 Mio. Kwacha zur Verfügung! Das war zwar zu spät für flächendeckende Aktionen gewesen, reichte aber gerade noch, um Beamte in die ausgedehnten ländlichen Gebiete Sambias zu entsenden und wenigstens ein paar Informationen zu verbreiten. An eine Verteilung von SoFi-Brillen war freilich nicht mehr zu denken - und mit deren akutem Mangel waren auch wir bei jeder Gelegenheit konfrontiert worden, kaum daß unsere Expedition Lusaka gen Westen verlassen hatten. Der Konvoi aus vier wuchtigen Allradfahrzeugen (Verbrauch: 11 bis 14 Liter auf 100 km!) sollte 14 deutschen Sternfreunden, darunter dem Autor, noch eine Viertelminute mehr Totalität bescheren als in der Nähe der Hauptstadt möglich waren, und wo immer wir auf dem Weg in den Kafue-Nationalpark Station machten, kamen wieder die Fragen: ob wir denn SoFi-Brillen dabeihätten?

Offensichtlich war es zwar gelungen, die Bevölkerung flächendeckend zu beunruhigen - aber darüber aufzuklären, wie man die partiellen Phasen auch ohne industriell gefertigte Hilfsmittel völlig gefahrlos verfolgen konnte (mit einfachen Projektionstechniken zum Beispiel), war dann vergessen worden. Da halfen auch die allsonntäglichen Sondersendungen im Fernsehen nichts, wo sich Mweene zwar zum Sachlichkeit bemühte, die aber kaum jemand gesehen haben dürfte. Man darf wohl vermuten, daß ein Großteil der afrikanischen Landbevölkerung die Sonnenfinsternis lieber gar nicht beobachtet hat: Entsprechende Berichte gibt es ganz konkret aus Madagaskar, wo sich in den entscheidenden Stunden vielerorts ausschließlich SoFi-Touristen im Freien aufhielten. Glücklich jene Einheimischen, die - meist dank dem Kontakt mit den ausländischen Gästen - zum Betrachten der Finsternis ermuntert wurden und das Schauspiel fast überall unter wolkenlosen Himmel verfolgen konnten: Über dem gesamten Totalitätsstreifen quer durch den Kontinent Afrika, von Angola über Sambia und Simbabwe bis Mosambik, hatte sich nämlich in der Woche rund um die SoFi-Termin keine Wolke mehr blicken lassen, und nur auf Magadaskar mußte an einigen Orten eine überstürzte Flucht vor Wolkenfeldern angetreten werden.

Wasser marsch ... an den Victoria- Fällen

Der wolkenlose Himmel über dem ganzen Süden Afrikas war durchaus nicht garantiert gewesen, denn die Regenzeit hatte dieses Jahr lange angehalten. Noch bis zum 15. Juni war unsere insgesamt dreiwöchige Expedition im Süden Sambias mit ständigem Wechsel von großen Wolkenfeldern und blauem Himmel (und absolut kitschigen Sonnenuntergängen) konfrontiert worden. Die Victoria-Fälle an der Grenze zu Simbabwe hatten wir noch mit 80% ihrer vollen »Leistung« erleben dürfen: Nach ausgiebigen Regenfällen in Angola führte der Sambesi noch reichlich Wasser, und es dürften rund 500 Millionen Liter Wasser gewesen sein, die jede Sekunde über die mehr als einen Kilometer breite Abbruchkante in die Tiefe stürzten. Und diesen Wassermassen kann man fast beliebig nahetreten: Keine 100 Meter jenseits der Kante gibt es schon wieder festen Boden, und von der sambischen wie der simbabwischen Seite kann man praktisch die ganze Breite der Fälle entlangwandern. Und sich immer wieder gehörig einnebeln lassen von den Gischtwolken, die sich in dieser Jahreszeit noch hoch über den Fällen auftürmen: Zusammen mit dem ohrenbetäubenden Rauschen der Fluten werden die Fälle zu einem Erlebnis für alle Sinne.

Ein Naturerlebnis allerdings, das sich die Anrainer gut bezahlen lassen: Wohl nicht ganz zufällig sind in den Wochen der Sonnenfinsternis die Eintrittspreise für die Nationalparks beiderseits des Sambesi auf 10 Dollar (Sambia) bzw. 20 Dollar (Simbabwe) gestiegen, und nur aus diesen Parks sind die Fälle direkt zu sehen. Einen kompletten Überblick gibt es angesichts der Breite der Abbruchkante und der ständigen Gischtwolken indes nur aus der Luft: Die meisten Expeditionsteilnehmer ließen es sich nicht zweimal sagen, daß Hubschrauberflüge über die Fälle angeboten wurden. Der Spaß kostete zwar über 100 Dollar pro Person für 15 Minuten, aber der grandiose Blick über den breiten Sambesi, die volle Ausdehnung der Fälle und das sich anschließende mäandrierende Schluchtensystem war die Invesitition wert, ebenso eine Sonnenuntergangskreuzfahrt auf dem Sambesi oberhalb der Fälle für 40 Dollar inkl. voller Verpflegung. Und auch der kostspielige Tagesausflug auf die simbabwische Seite (allein das Visum kostete weitere 30 Dollar) war eine gute Idee gewesen: Im Gegensatz zu manch aufgeregtem Medienbericht im Vorfeld war das Dörfchen Victoria Falls direkt hinter den Fällen völlig friedlich - und alles, vom Abendessen bis zum Internet-Cafe, kostete deutlich weniger als in Sambia. Dieses Land, das wir bei der Reiseplanung so schmählich an den Rand gedrängt hatten, läd geradezu zur Wiederkehr ein - vielleicht schon Ende 2002, wenn es hier abermals eine totale Sonnenfinsternis (wenn auch mitten in der Regenzeit) geben wird.

Sternenpracht über Lochinvar

Doch für eine Reise ist Sambia allein schon groß genug, und das nächste Ziel unserer Expedition war der wenig bekannte Lochinvar-Nationalpark, südwestlich von Lusaka. Kaum dort angekommen, änderte sich auch das Wetter mit einem Schlag: Die Wolken zogen am ersten Abend wie mit einem Messer abgeschnitten davon und sollten über eine Woche lang nicht wiedergekehren. Damit konnte auch der astronomische Aspekt der Reise Fahrt aufnehmen: Schon an den ersten Tagen hatten wir zwar Ausschnitte des südlichen Sternenhimmels bewundern können, mitunter aus den Fenstern von Reisebussen, die durch die afrikanische Nacht rasten. Aber jetzt entfaltete die südliche Milchstraße, von Sagittarius bis Carina, ihre volle Pracht über unserem Zeltlager. Dabei war die visuelle Grenzgröße gar nicht einmal so berauschend (Experten schätzten sie auf etwa 6.3 mag.), aber das Fehlen jeglicher künstlicher Lichtquellen verlieh der Milchstraße ebenso wie vielen Deep-Sky-Objekten eine Brillianz und einen Kontrast, den man in Europa lange suchen muß. Demonstrieren ließ sich das nicht nur an den legendären Süd-Objekten wie dem Kugelsternhaufen Omega Centauri, dem Eta-Carinae-Nebel oder dem dunklen Kohlensack neben dem Kreuz des Südens: Bereits in kleinen Fernrohren zeigte die Galaxie Messier 51 - im Großen Bären, wohlgemerkt! - so viele Einzelheiten wie hierzulande in wesentlich größeren Geräten.

Trotz der Überfülle der kosmischen Sehenswürdigkeiten trollten sich viele bald in ihre Zelte - denn mit dem Sonnenuntergang gerieten auch die Temperaturen in einen gehörigen Tiefflug! Schließlich befanden wir uns auf der Südhalbkugel, kurz vor der Wintersonnenwende - und das in gut 1000 Metern Meereshöhe. Auch die frostige Nacht nahe dem Gefrierpunkt konnte indes eine Handvoll Kometenfans nicht daran hindern, um 4 Uhr morgens schon wieder ins Freie zu treten: Es lockte der Komet C/2001 A2 (LINEAR), der wegen seiner ungünstigen Stellung im Sternbild Hase von Europa aus schon länger nicht mehr zu sehen gewesen war. Südlich des Äquators war er dagegen ab Anfang Juni wieder sichtbar geworden, doch keiner von uns wußte, wie hell er jetzt sein würde (zwar gibt es in Sambia hier und da schon Internet-Cafes, aber mit meist erbärmlichen Datenraten und astronomischen Tarifen von 10 bis 15 DM pro Stunde - in Abfragen endloser Datentabellen visueller Kometenschätzungen investierten wir da lieber nicht). Da der Kern von LINEAR im April und Mai in mehrere Teile zerbrochen war, konnten wir ebenso gut mit einem Helligkeitsausbruch wie einem völligen Einknicken der Entwicklung rechnen, wie es knapp ein Jahr zuvor einem anderen Kometen gleichen Namens widerfahren war.

Mit der Himmelsregion, in der LINEAR stehen sollte, kannte sich niemand von uns aus, und so begannen wir zunächst ein abenteuerliches Starhopping von der Kleinen Magellanschen Wolke aus - diese Nachbargalaxie der Milchstraße stand jetzt hoch am Südhimmel, während im Westen gerade der Schütze mit dem galaktischen Zentrum versank. Viel einfacher war es, kurzerhand die grobe Richtung, in der der Komet stehen sollte, mit dem Feldstecher abzutasten - und einer der helleren »Sterne« dort entpuppte sich prompt als der Komet, der mit mehr als 4. Größe auch leicht mit dem bloßen Auge zu erkennen war. Im Feldstecher war zudem ein mindestens 6 Grad langer schmaler Plasmaschweif zu erkennen, der LINEAR zu einer kleinen Reinkarnation des berühmten Hyakutake machte. (Noch deutlicher war die Ähnlichkeit auf Fotos mit stehender Kamera, die schon bei 30 Sekunden Belichtungszeit auf 400 ASA eine Schweiflänge von gut 12 Grad zeigten - und eine intensive Türkisfärbung der Kometenkoma.) Die morgendlichen Jubelschreie der Kometenfans fanden zwar nicht das Wohlgefallen aller Reiseteilnehmer, waren aber angesichts des unverhofften Astro-Bonusses der Reise mehr als gerechtfertigt.

Die folgenden Tage gestalteten wir die Kometenbeobachtung zunehmend ökonomischer: Wenn man das Zelt nach Osten ausrichtete (dabei half am Abend zuvor jeweils der strahlend helle Mars, der der Erde näherstand als in den vergangenen 13 Jahren und selbst in kleinen Fernrohren einige Details offenbarte), dann konnte man ihn sich auch anschauen, ohne sich ausgerechnet in der kältesten Stunde der Nacht aus dem Schlafsack schälen zu müssen (und großartige Veränderungen an LINEAR waren bis zum 21. Juni ohnehin nicht auszumachen). Unsere Expedition hatten wir so angelegt, daß sich Nächte im Zeltlager und in (billigen) Hotels immer wieder abwechselten: Die regelmäßige Rückkehr in die Zivilisation oder zumindest an deren Rand brachte vor allem logistische Vorteile, von Leitungswasser bis zu frischem Strom aus der Steckdose, den vor allem die große Fraktion der Videofilmer zu goutieren wußte. So arm Sambia auch ist (und so armselig die meisten Straßen): Die Versorgung mit Wasser und Strom funktioniert auch in entlegeneren Landesteilen, und auch das Netz der Tankstellen ist zwar dünn aber gut versorgt (wenn auch der Dieselpreis außerhalb Lusakas rasch auf über 2 DM/Liter steigt).

Eine Safari zu einer SoFi

Ausgestattet mit einer Batterie improvisierter Ersatzkanister (aus 20-Liter-Speiseöltanks - andere scheint es im ganzen Land nicht zu geben) gewann unser Konvoi so die nötige Reichweite, um in immer abgelegenere Zonen vorzudringen: Der »Wilde Westen« Sambias, wo sich die Länge der Totalität fast 4 Minuten näherte, sich aber so gut wie keine kommerzielle SoFi-Tour hingetraut hatte, war nun erreichbar geworden. Der Abstecher zuvor in den kleinen Lochinvar-NP war eigentlich nur deshalb zu einem Abenteuer geworden, weil wir uns - trotz gleich drei GPS-Navigationsgeräten! - erst einmal gehörig verfahren und schließlich nur über irrwitzige Feldwege und viele kleine Dörfer (voll überraschter Menschen) den Eingang erreicht hatten. Dort hatte uns dann auch die dominierende Eigenart sambischer Bürokraten wieder: Während sich die Sonne schon steil dem Horizont näherte, mußten Quittungszettel schier ohne Ende ausgefüllt werden. In dem recht überschaubaren Park (wo ausnahmsweise auch Menschen leben und fischen dürfen, ein Experiment des WWF) konnten wir auf der Suche nach Antilopen-Herden auch die ersten Erfahrungen mit den wirklich wilden Pisten des Hinterlandes sammeln - »the Real Africa« nennt sich Sambia durchaus zu Recht.

Eine andere Erfahrung brachte der Lochinvar-Park ebenfalls: Die Tierwelt Afrikas ist zwar reichhaltig, verteilt sich aber gut über die endlose Weite des Kontinents. So wie in einem kompakten zoologischen Park oberhalb der Victoria-Fälle, wo sich Warzenschweine, Antilopen, Giraffen, Zebras, Kaffernbüffel, Elefanten und sogar fünf (scharf bewachte) Nashörner vor den Kameras aufgereiht hatten, geht es in »richtigen« Nationalparks nicht zu. Und es sieht auch nicht überall im südlichen Afrika so aus, wie in den TV-bekannten Tierfilmen, wo das Wild auf weiten Ebenen kilometerweit zu sehen ist. Jetzt, nur Wochen nach Ende der Regenzeit, sah man von der Straße aus meist ersteinmal nur - Gras. Übermannshohes Gras! Aus dem fahrenden Auto war zwar manches Tier, von Antilope bis Elefant hinter diesem (nun quasi bewegungsunscharfen) Gras auszumachen, aber kaum daß man stand, war man wie von einer gelben Mauer umgeben. Oder man stand zwischen Bäumen fast so dicht wie in einem deutschen Laubwald, zwischen denen sich mitunter die Tierwelt und der weitere Verlauf der Straße verloren. Auf Safari in diesem Teil Afrikas zu sein, kann auch bedeuten, stundenlang geradewegs durch den Busch zu brechen, während beiderseits ständig Äste gegen den Wagen krachen oder sich unter dem Bodenblech verfangen ...

Im Kaufrausch in Lusaka

Der Finsternistermin rückte beständig näher, und auf dem langen Weg vom Lochinvar-MP zum Zielgebiet, dem drastisch größeren Kafue National Park, wurde nur noch ein paar Stunden Station in Lusaka gemacht: in erster Linie, um in einer kleinen Klinik einem Reiseteilnehmer fachkundig eine exotische Zecke entfernen zu lassen - das sollte übrigens der einzige medizinische »Notfall« der gesamten Expedition bleiben. Bereits zwischen den Victoria-Fällen und dem Abstecher nach Lochinvar hatten wir uns - nach der Übernahme der Geländewagen - ausgiebig in Lusaka versorgt, mit Campingequipment für mehrere hundert Dollar aber auch mit Landkarten. Die Einkäufe hatten sich mitunter schwierig gestaltet, weil das Angebot einfach zu groß war: Seit kurzem gibt es am Rand der Stadt ein riesiges Shoppingcenter (»Manda Hill«), wo uns insbesondere die Auswahl an exotischer (und teurer) Grilltechnik die Augen überquellen ließ - offenbar Auswirkungen der Nähe zum bekannt barbequewütigen Südafrika. Ein irisches Restaurant im Manda Hill Shopping Complex war auch bald zur »Stammkneipe« der Expedition geworden, denn »echte« afrikanische Restaurants sind in Afrika erstaunlich schwer zu finden.

Der Kauf der Landkarten wiederum hatte in den Keller des Amtes für Landvermessung geführt, wo sich trotz eines Streiks im öffentlichen Sektor die Türen für uns geöffnet hatten. Da lagen, in langen Regalen, Karten des gesamten riesigen Landes im Maßstab 1:25 000 - mit dem leichten Makel, daß einige Blätter der für uns besonders interessanten Region in der Nordwestecke des Kafue-Parks fast 40 Jahre alt waren und noch die Aufschrift »Nordrhodesien« trugen - sie stammten noch aus der Kolonialzeit. Im Rechnerraum des Physikalischen Instituts der Universität (dem Reich von Prof. Mweene, der uns auch im Vorfeld der Reise unterstützt hatte und in dessen Büro wir während des Trips an die Victoriafälle unser Astro-Gepäck hatten lassen können) hatten wir auch erste Reiseberichte absetzen können, und auf dem Dach des Intercontinental-Hotels hatten wir eine große amerikanische Expedition besucht, die gerade mit dem Aufbau ihrer Instrumente begann. Dem Expeditionsleiter Jay Pasachoff war ich in den vergangenen 18 Jahren immer wieder über den Weg gelaufen, sei es bei Sonnenfinsternissen selbst (erstmals 1983) oder auf diversen Konferenzen - und schon hatten wir nichts besseres zu tun, als über die besten Orte für die nächsten paar Finsternisse zu diskutieren. Pasachoff, der sich auch als Autor astronomischer Lehrbücher einen Namen gemacht hat, ist der lebende Beweis, daß Sonnenfinsternisse auch heute noch von großer Bedeutung für die Sonnenforschung sind: Mit seinen Experimenten spürt er seit Jahren den Heizmechanismen der Sonnenkorona nach und ist dabei weitergekommen als so manche teure Weltraummission.

Etliche Stunden hatten wir auch im Hauptquartier der gerade neugegründeten Nationalparkverwaltung (ZAWA) in Chilanga (15 km südlich von Lusaka) zubringen müssen, um all die notwendigen Papiere für einen mehrtägigen Aufenthalt im Kafue-NP zu erstehen. Ein ganzer Topf voll Geldscheinen (5.5 Mio. Kwacha) hatte schließlich den Besitzer gewechselt, und als Gegenleistung gab es - drei kleine durchgestrichene Angelscheine, auf die die ZAWA-Funktionäre die diversen Genehmigungen handschriftlich eingetragen hatten! Die Dokumente waren gleichwohl korrekt und vollständig, und im Nationalpark warteten tatsächlich mehrere sogenannte Scouts auf uns: Weil wir mangels bezahlbarer befestigter Camps mitten in der - von Löwen, Leoparden etc. bewohnten - Wildnis kampieren mußten, sind bewaffnete Wildhüter als Begleitung vorgeschrieben. Zuerst zelteten wir zwei Nächte direkt neben dem Fluß Kafue und lernten die urtümlichen nächtlichen Lautäußerungen der dort wohnhaften Flußpferde kennen (und nach einer Weile auch schätzen), dann zwei Nächte im äußersten Nordwesten des Parks, genauer gesagt sogar wieder einige Kilometer außerhalb, im angrenzenden Game Management Area (GMA), wo Jagd wieder erlaubt ist, auf 14 Grad 02 Minuten Süd und 25 Grad 39 Minuten Ost.

Sonnenfinsternis in Sambias Wildem Westen

Der Weg dorthin führte jetzt durch besonders dichten Wald, der sich auch die einzige Straße größtenteils wieder zurückgeholt hatte - normalerweise verschlägt es kaum einen Besucher hierher. Doch jetzt kam es hier mehrmals zu regelrechten Verkehrsstaus: Direkt vor uns war ein anderer Kovoi aus (kommerziellen) Expeditionsfahrzeugen gelandet, der mit den Straßenverhältnissen deutlich schlechter zurechtkam als wir inzwischen - und der gelegentlich auch mal ein Rad verlor. Und auch im GMA, wo wir an einem Waldrand erst das mannshohe Gras roden mußten, waren wir nicht wirklich allein: Bei einer Pirschfahrt am Finsternismorgen mit unseren Scouts fanden wir zwar - außer allerlei Vögeln wie Marabus und einem Schreiseeadler, der seinem Namen alle Ehre machte - kein Wild, dafür aber ein zweites deutsches Astrocamp, nur etwa einen Kilometer von unserem entfernt. Und in dessen Mittelpunkt stand jener beigefarbene Unimog, mit dem ein Pärchen aus dem Saarland auf dem Landweg in vier Monaten nach Sambia gereist war (einen noch fragmentarischen Reisebericht gibt es hier). Im Gegensatz zu uns hatten die Saarländer indes keine »Angelscheine« der ZAWA vorzuweisen, was noch zu einigen Wortgefechten mit unseren Scouts führen sollte.

Die Sonnenfinsternis würde in diesem Teil Sambias 3 Minuten und 46 Sekunden dauern: Um noch weitere 10 Sekunden herauszuschlagen, wären ein Riesenumweg und mindestens eine weitere Tagesreise erforderlich gewesen, was der minimale Zeitgewinn einfach nicht wert war. Auch das Wetter zeigte sich weiter von seiner besten Seite, ohne eine Wolke am Himmel (abgesehen von Rauchschwaden entfernter Buschfeuer, die aber nie über die Sonne schwappten) - und mit dem stärksten Temperaturgang der ganzen Reise, von mehreren Grad unter Null (und Eis auf den Zelten und Windschutzscheiben) am frühen Morgen bis zu fast 30 Grad am Nachmittag, als die Finsternis endlich beginnen sollte. Viele Parallelen drängten sich auf zu der Sonnenfinsternis von 1999, wie sie der Autor und mehrere andere Expeditionsteilnehmer gemeinsam in Bulgarien erlebt hatten: blauer Himmel, gemütliche Wärme und eine einsame Wiese voller leistungsstarker Optiken und Kameras. Die anderthalb Stunden der ersten partiellen Phasen plätscherten nur so dahin, während die Spannung unaufhaltsam stieg - und als dann kurz nach 3 Uhr endlich die Sonnenkorona aufstrahlte, als der Kernschatten des Mondes über uns hinwegschwappte, sah auch sie der 1999er erstaunlich ähnlich.

Das letzte Maximum der Sonnenaktivität war noch nicht lange vorüber und das Magnetfeld der Sonne hatte weiterhin eine ziemlich komplizierte Gestalt, die sich in sogenannten Streamern in alle Richtungen äußert: Wo die Sonnenpole bzw. der Äquator waren, war auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Verglichen mit 1999 gab es zwar weniger große Protuberanzen, aber ein Exemplar machte das mehr als wett: Während der gesamten Totalität war diese schwebende rosa Gaswolke über dem Mondrand zu sehen, in der Nähe einer hellen Koronakondensation. Wesentlich ausgeprägter als 1999 (oder auch in den ganzen 90er Jahren) war die Intensität der Horizontfarben während der Totalität: Hier könnten die Rauchschwaden doch eine - positive - Rolle gespielt haben. Vor und nach der Totalität waren auch noch ausgeprägte Fliegende Schatten auf einem aufgehängten Bettlaken zu sehen und sogar (obwohl das gar nicht vorbereitet war) problemlos mit einer Videokamera aufzuzeichnen. Und dann gab es noch eine unerwartete Beobachtung der Auswirkungen der Finsternis auf die Tierwelt: Weder an den Tagen vor noch nach der SoFi waren wir je nennenswert von Mücken belästigt worden - aber kurz vor dem 2. Kontakt waren plötzlich Schwärme von ihnen aufgetaucht und über uns und selbst die Teleskope hergefallen. Bis zum Sonnenuntergang haben sie sich dann nicht wieder beruhigen wollen ...

Die vielen Stile, wie man eine SoFi genießen kann

So wie wir hat die Sonnenfinsternis nur eine kleine Minderheit der mehreren zehntausend »Eclipse Chaser« erlebt, die sich in jenem Juni ins südliche Afrika aufgemacht hatten: Es gab zwar noch eine Handvoll anderer Touren, die den Safari-Aspekt in den Mittelpunkt gestellt hatten und bis zu drei Wochen lang durch die Lande gereist waren, und auch anderenorts im Kafue-NP (und sogar noch etwas weiter westlich) waren isolierte Beobachtergruppen gewesen. In Angola waren einige wenige, in Simbabwe und auf Madagaskar immerhin einige angekommen, das Gros der Finsternisreisenden war aber lieber in Lusaka geblieben oder hatte sich nördlich der Stadt bei Chisamba nahe der Zentrallinie aufgebaut, wo auch gleich noch ein zehntägiges wunderliches Musikfestival (»Solipse«) mit psychedelischem Einschlag abgehalten wurde. (Von ähnlichen »Events« hatte wir auch schon 1994 in Chile, 1995 in Indien und 1999 in Bulgarien gehört - heutzutage geht es wohl nicht mehr ohne ...) Die verrückteste Art, die Sonnenfinsternis mitzunehmen, praktizierten jedoch die Passagiere mehrerer Charterflüge aus dem Ausland (u.a. Österreich), die teilweise erst am Morgen des 21. Juni auf dem Airport von Lusaka gelandet waren: Man war dann gleich dort geblieben und verließ das Land schon Stunden nach der Finsternis wieder.

Weder den mysteriösen Umtrieben auf dem Solipse-Festival noch dem »Besuch« der Ultrakurzsonnenfinstler konnte die sambische Presse hernach gute Seiten abgewinnen (letztere sah man gar als Beleidigung des Landes an), und überhaupt wurde die SoFi weithin als ziemlicher Reinfall für Sambia an sich gewertet. Nicht nur wegen der Befürchtungen über die angeblich anrollende Welle von Erblindungen aufgrund der fehlenden Finsternisbrillen: Man habe es ferner versäumt, das Tourismuspotential des Landes anzupreisen und zu entfalten, und Profit gemacht hätten eigentlich nur ausländische Veranstalter. Es wird sich noch zeigen müssen, wie gerechtfertigt die Befürchtungen Mweenes und der Oppositionspolitiker bezüglich der öffentlichen Gesundheit waren: Die Erfahrungen aus anderen Ländern, die von Sonnenfinsternissen »getroffen« wurden, haben immer wieder gezeigt, daß bleibende Augenschäden extrem selten sind. Und was die vermeintlich vertanen Chancen angeht, Sambia auf die Landkarte des Welttourismus zu setzen: Zumindest von den Teilnehmern unserer Expedition hat die meisten eine derartige Afrika-Euphorie gepackt, daß längst an den nächsten Reiseplänen gefeilt wird, sei es anläßlich der nächsten totalen SoFi, die schon wieder Angola und danach insbesondere Simbabwe und Mosambik treffen wird, oder einfach so.

Das fehlte noch: der Lower Zambezi

War die erste Sonnenfinsternis des neuen Jahrtausends die »beste« aller Zeiten oder wenigstens der letzten Jahre? Diese Frage wurde später in Internet-Diskussionsforen viel gestellt und sehr unterschiedlich beantwortet. Es gab schon Expeditionen, da geriet das Erlebnis der Sonnenfinsternis selbst im Strudel der anderen Ereignisse und Erfahrungen fast völlig in Vergessenheit (die 40-Sekunden-SoFi in Indien 1995 war so ein Fall), in anderen Jahren war sie so spektakulär oder mit so bemerkenswerten Eindrücken verbunden, daß sie spielend mithalten konnte (wie im winterlichen Sibirien 1997 bei -30 Grad). 2001 war vielleicht ein mittlerer Fall, wo sich das Erlebnis Sonnenfinsternis und das Reiseland die Waage hielten. Gerade die letzte Woche in Sambia, die sich unsere Expedition - nach einer anstrengenden 11-stündigen Rückfahrt nach und einiger Hektik in Lusaka - noch gönnte, sollte die Finsternis als emotionaler Höhepunkt der Reise noch einmal herausfordern. Jetzt zog es uns an die Mündung des Flusses Chongwe in den Sambesi, an der Südgrenze des Lower Zambezi National Parks - und hier, ausgerechnet an der landschaftlich schönsten Stelle, marschierte auch noch all die afrikanische Tierwelt auf, die sich in den anderen beiden Nationalparks meist im hohen Gras versteckt hatte.

Da gab es eine große Flußpferd-Herde direkt vor unserem Zeltplatz, einen »Hauselefanten«, der gelegentlich durch das Lager zog (ohne dabei irgendetwas zu beschädigen) - und auf einer Nachtpirsch, diesmal unter professioneller Führung, stießen wir auf nicht weniger als neun Löw(inn)en auf Wanderschaft. All das wurde aber noch in den Schatten gestellt durch eine unverhoffte Begegnung mit 30 bis 40 Elefanten aller Altersklassen, die eines Abends dicht vor unserem Auto die Straße überquerten, das ganze auch noch dramatisch im Gegenlicht der untergehenden Sonne: Das hatte definitiv einen höheren emotionalen Impakt auf die Insassen jenes Fahrzeugs als die ganze Sonnenfinsternis! Die bisher komplexeste SoFi-Expedition, an der ich teilgenommen habe, ging jetzt ihrem unweigerlichen Ende entgegen, wobei uns die Sonne bis zum letzten Moment nicht loslies. Denn als wir - und eine Anzahl anderer Finsternisfans - bereits die Gangway zu unserem British-Airways-Jumbo auf dem Flughafen von Lusaka erklommen, schickte sich die Sonne gerade an, auf den Horizont aufzusetzen. Und es kam, wie es kommen mußte: zu einem Stau auf der Treppe, als alle SoFi-Fans noch einmal ihre Kameras auspacken mußten, für ein Abschiedsfoto von jedem himmlischen Körper, der uns hierher, 65 Grad und 10 Flugstunden nach Süden, gelockt hatte ...

Daniel Fischer

(Version vom 25. Juli 2001)

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