petra , November 1999 , kleine und grosse Frauen


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Klein trifft Groß
Meist gehört petra-Autorin Joy Jensen (hi.,l., 1,84 Meter) zu den Längsten. Nicht so bei unserem Foto-Shooting zum Thema „Große Frauen/kleine Frauen", bei dem uns die Frauen ihre Geschichten verrieten. Die beste passierte nach dem Treffen. Drei Tage später bekam petra-Praktikantin Maitreya Löpez Schmidt (3.v.r.) einen Anruf: Anna (2.v.l.,1,57 Meter) erzählte ihr, dass sie auf dem Rückweg vom Studio ihren Traummann kennen gelernt hat. Und der ist 1,94 Meter groß. petra wünscht viel Glück! S. 175

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Auf die Dauer hilft nur Power: Anna. Constanza. Michaela und Astrid (v.I.)
Größenvergleich: Wie ist die Luft da oben?
Und wie sieht die Welt da unten aus?
Ein Report über die Unterschiede im Leben von extrem kleinen und großen Frauen

Astrid ist die Größte. Und deshalb würden sich einige Frauen gern eine Scheibe von ihr abschneiden: „Gib mir doch ein Stück von deinen Beinen!" Früher hätte das 1,97 Meter lange Model nichts lieber als das getan. Heute stellt die 30-Jährige ihre 1,20-Meter-Beine lieber ins Rampenlicht für Strumpfhosen. Epiliergeräte und Cremes. „Ich hole einfach das Beste aus meiner Größe raus", sagt sie. Happy End.

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Größe ist relativ. Was zählt, ist Haltung

1,97
Lang wie ein Barhocker
sind die Beine von Bein-Model Astrid, 30. Deshalb knutscht sie nicht im Stehen. Zumindest nicht mit kleineren Männern. Und bei blöden Sprüchen über ihre Größe, gibt's was auf die Nuss. Nur verbal - versteht sich

1.58 Meter Power-Frau
Neben Model-Bookerin Constanza, 26, sind alle Männer riesig. Und das ist gut so. Denn sie mag große Männer - zumindest die netten. Aber wer zu ihr "kleine Süße" sagt, fliegt raus.

Aber so einfach war das nicht immer. Jedenfalls nicht für Astrid. Mit 13 maß sie schon 1,75 Meter und stand deshalb ständig im Mittelpunkt: „Ich habe mich gefühlt, als wäre ich weder Fisch noch Fleisch. So lang und dünn. Und auch noch schüchtern. Ich war immer die Außenseiterin." Beim Purzelbaumschlagen im Sportunterricht hatte sie die Lacher auf ihrer Seite. Hänseleien wie „Da kommt die Bohnenstange!" waren Alltag.

Erfahrungen, die auch Bauingenieurin Michaela (30 Jahre, 1,90 Meter) machen musste: „Als Teenie hat mich meine Größe ziemlich frustriert. Für die Nachbarskinder, alle klein und stämmig, war ich oft der Sündenbock mit meiner Schlaksigkeit." Die Lösung der Bauingenieurin: Sport. „Mit 16 hat mich eine Freundin mit zum Basketballtraining genommen. Als ich die großen Frauen dort sah, dachte ich nur ,Wow — hier bist du richtig'." Sie ist dabei geblieben. Und hat damit genau das Richtige getan.

„Gerade in der Pubertät kommt die Körpergröße plötzlich zum Tragen, weil die Körperlichkeit und die Entwicklung des Körperbewusstseins jetzt in den Mittelpunkt rücken", erklärt die Kölner Diplom-Psychologin Dr. Gerhild von Müller. „Man sieht sich selbst sehr kritisch und braucht positive Rückmeldungen. Aber die kann man steuern. Macht ein großes Mädchen zum Beispiel Ballett, erntet sie kaum positive Bestätigung: ,Du bist zu groß und kräftig und wirst sowieso keine Primaballerina werden.' Geht das Mädchen aber zum Schwimmen oder Basketball, läuft es genau andersherum."

Für Astrid ist Sport seit dem Purzelbaumtrauma tabu. Ihre Lösung: sich ein dickes Fell zulegen — und eine gehörige Portion Selbstbewusstsein. „So mit 13 Jahren habe ich auch ernsthaft über einen hormonellen Wachstumsstopp nachgedacht, mich dann — aber doch dagegen entschieden." Mit gutem Grund. Denn die zum Teil heftigen Nebenwirkungen und Spätfolgen einer solchen Behandlung sind nicht ohne. Von Migräne und Übergewicht über erhöhtes Thromboserisiko bis zu Stoffwechsel- und Lebererkrankungen muss mit allem gerechnet werden. Professor Dr. Eduard Kauf, Leiter der endokrinologischen Abteilung der Kinderklinik Jena: „Bei Mädchen, die über 1,85 Meter werden, wäre eine wachstumshemmende Behandlung anzuraten. Das wird aber in jedem Fall individuell und im Einverständnis mit dem Kind entschieden. Diese Kinder werden mit Hormonen schneller durch die Pubertät gebracht und hören eher auf zu wachsen. Bis zu zehn Zentimeter können so eingespart werden. Seit den 80er Jahren werden auch Mädchen, die sonst nicht größer als 1,50 Meter würden, erfolgreich mit Wachstumshormonen behandelt."

Diplom-Psychologin Dr. Gerhild von Müller hält davon nichts: „Solch einen Eingriff muss man reiflich überlegen. Was ist schlimmer: ungewöhnlich klein oder groß zu sein — oder die eventuellen Nebenwirkungen und Spätfolgen? Und: Größe tritt nie allein als Problem auf. Meistens liegen die Ursachen ganz woanders. Die objektive Größe in Zentimetern ist relativ, was zählt, sind Körperhaltung und Bewegung." Und wenn die stimmen, schaffen es sogar kleine Frauen, auf große Männer „hinabzuschauen".

So wie die 26-jährige Model-Bookerin Constanza (1,58 Meter). „Mein Ex war fast zwanzig Zentimeter größer", erzählt sie. „Und trotzdem hatte ich das Gefühl. ihn überwältigen zu können." Constanza hatte nie Probleme mit ihrer Größe. „Okay, ich muss mich beim Autofahren auf ein Kissen setzen. Und eng umschlungen mit einem großen Mann tanzen ist auch nicht drin. Aber eigentlich finde ich meine Größe praktisch: Ich brauche einfach nicht so viel Platz wie andere."


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Nur auf Plateausohlen groß
Wenn Reiseverkehrsfrau Anna, 20, mit einem großen Mann Hand in Hand geht, sieht das aus, als wäre sie seine Tochter. Findet sie aber ganz witzig. Zumindest bei ihrem neuen Freund -der misst 1,94 Meter

Für Anna gab es keinen Platz, obwohl sie nur 1,57 Meter groß ist. Eigentlich wollte die 20-jährige Reisebürokauffrau Zollbeamtin werden. Aber: „Frauen sind beim Zoll erst ab 1,65 Metern zugelassen. Wegen der Selbstverteidigung. Als wenn sich kleine Frauen nicht verteidigen könnten", spottet sie. Deswegen müssen ihr die Kollegen im Reisebüro jetzt die Kataloge vom Bord herunterreichen. „Richtig lästig finde ich meine Größe nur in Menschenmengen. In Konzerten: Ich sehe nur was, wenn mich jemand auf die Schultern nimmt", erzählt Anna, „und beim Klamottenkauf. Ich muss fast alles kürzen. Ab und zu gucke ich mich sogar in der Kinderabteilung um." Ihr neuer Freund ist 1,94 Meter. Kein Problem. „Wir knutschen halt im Sitzen."

Auch die 1,97 Meter große Astrid schmust im Sitzen. Zumindest, wenn ihr Freund kleiner ist als sie — was meist der Fall war. „Als ich mal in Mailand war und dort aus dem Fluggebäude kam, haben die den totalen Star-Rummel um mich gemacht", berichtet Astrid lachend, „die kleinen Italiener haben mir förmlich zu Füßen gelegen." Auch sonst empfindet sie ihre Größe inzwischen als schön. „Gut, manchmal wäre ich gern kleiner, so 1,80, damit ich mal richtig hohe Schuhe anziehen kann. Und dass meine Größe immer Thema ist, nervt", erzählt das Bein-Model, das als Nebenjob in einer Hamburger Szenebar arbeitet „Aber inzwischen genieße ich es, im Mittelpunkt zu stehen, fast wie ein Star behandelt zu werden. Was müssen andere für Sachen machen, damit sie ins Gespräch kommen. Das habe ich geschenkt bekommen." Andere brauchen eine Leiter — Astrid hängt ihre Gardinen im Stehen auf. Andere wühlen sich mit den Getränken durch die Menschenmassen — Astrid jongliert ihr Tablett locker über den Köpfen der Gäste. Dafür hat sie ständig blaue Flecken, wenn sie sich mal wieder an einer Tischkante gestoßen hat. Und muss in Zügen und Flugzeugen beim Ein- und Aussteigen den Kopf einziehen.

Wozu eine Leiter? Astrid hängt Gardinen im Stehen auf

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Sportlerin mit Gardemaß
Sprüche wie "Na, schöne, große Frau?" nerven die Bauingenierin Michaela, 30. Beim Sport profitiert sie aber gern von ihrer Größe. Wer einen Treffer bei ihr landen will, fragt deshalb: "Spielst du Basketball?"

Überhaupt. Flugzeuge. „Ich bin mit der Basketballmannschaft von Damaskus nach Prag geflogen", erinnert sich die 1,90 große Michaela, „in einer syrischen Maschine, winzige Sitze! Ein Drama! Wir wussten nicht, wohin mit unseren Beinen."

Zu kleine Stühle, zu niedrige Tische, zu kurze Betten — Alltag der Großen. Und (zu) groß ist, zumindest nach DIN-Norm, jede Frau, die über 1,75 Meter misst. §Für die DIN-Norm machen wir eine repräsentative Messung in ganz Deutschland, bei der von der Augenhöhe über den eingeknickten Ellbogen bis zum Zehnagel alles vermessen wird", erklärt Professor Dr. Dr. Hans W. Jürgens, Vorsitzender im Ausschuss Körpermaße bei DIN (Deutsches Normmaß) und CEN (Europäisches Normmaß). „Nach den neuesten Messungen hat die deutsche Normfrau zwischen 26 und 46 Jahren eine Körpergröße von 1,56 bis 1,75 Metern und eine Beinlänge von 77,5 bis 89,6 Zentimetern." Und ist damit fast zwei Zentimeter kleiner als vor 20 Jahren. Der Grund: „Die Ostdeutschen waren bei der vorigen Messung nicht dabei, sind aber im Schnitt kleiner als die Westdeutschen." Auch die in Deutschland lebenden Ausländer sind kleiner und jetzt das erste Mal bei den Messungen berücksichtigt. Jürgens: „Bei der Festlegung der DIN-Norm ist das kritische Maß ausschlaggebend: Bei Matratzen geben die Großen das Maß vor, weil die Kleinen auch ohne Probleme auf lan- gen Matratzen liegen können. Bei Stühlen sind dafür die Kleinen das kritische Maß, denn nach orthopädischen Richtlinien muss jeder beim Sitzen die Füße auf den Boden kriegen." Noch komplizierter wird es bei der CEN-Norm. Die gilt nämlich europaweit, also auch für Produkte, die ins Ausland verkauft werden. Weil es mehr kleine Süd- als große Nordländer gibt, sind es beim CEN-Wert noch ein paar Zentimeter weniger. „Die DIN-Norm für Schreibtische ist 76 Zentimeter, die CENNorm nur 72 Zentimeter", erzählt Prof. Jürgens, „Theoretisch kann ein großer Norweger natürlich an dem gleichen Tisch arbeiten wie ein kleiner Süditaliener — aber praktisch sieht das ganz anders aus. Eigentlich bräuchten wir Nord- und Südschreibtische." Doch die wird es wohl nie geben. Und deshalb rennen Große weiterhin regelmäßig zum Orthopäden und steigen Kleine weiterhin auf Kisten. Michaela hat ihre Küche jedenfalls um einige Zentimeter höher setzen lassen, um keinen krummen Rücken zu bekommen.

Große Frauen sind bessere Sie geben Halt

Dabei sind Möbel das kleinste Problem, mit dem sich kleine und große Frauen herumschlagen. „Egal, wo eine große oder kleine Frau hinkommt: Sie wird immer mit den üblichen Klischees konfrontiert, muss sich immer neu beweisen", so Diplom-Psychologin Dr. Gerhild von Müller. Dazu zählt auch der berühmte „Napoleon-Komplex", nach dem sich kleine Menschen besonders in den Vordergrund spielen müssen. Nicht nur das: „Kleine Frauen erfüllen zudem oft das Kindchen-Schema, sie werden nicht ernst genommen und ihnen wird wenig zugetraut. Dafür bekommen große Frauen alles auf die starken Schultern gepackt, und dabei wird leicht vergessen, dass auch sie Liebe und Schutz brauchen." Doch den Beschützer im Mann sprechen eher die kleinen Frauen an. ,.Viele Männer finden es schön, ein zierliches Reh im Arm zu halten", meint von Müller, ..Großen Frauen gegenüber entwickeln Männer oft Ängste: Wenn die Wucht der Persönlichkeit und ein großer Körper zusammenkommen, fühlen sie sich überfordert."

Die 1,58 Meter große Constanza hat eine Allergie - gegen Leute, die sie „kleine Süße" nennen. „Ich möchte als selbstbewusste Frau akzeptiert werden", erzählt sie. „Vielleicht ist das im Unterbewusstsein einfach so drin, dass man weiß ,okay, ich bin klein, also muss ich beweisen, dass ich was kann'. Und ich glaube auch, dass Erfolg keine Frage der Größe, sondern des Selbstbewusstseins ist." Das sieht auch Bauingenieurin Michaela (1,90) so: „Groß oder klein hat nichts mit Kompetenz zu tun. Aber große Menschen haben es leichter, weil sie schon durch ihr Auftreten Stärke und Durchsetzungsvermögen symbolisieren. Es wird halt mehr von einem erwartet. Manchmal steht man dann aber genauso hilflos da wie die anderen und soll trotzdem den Ton angeben." Und weil wir gerade bei Klischees sind: Sind große Frauen bessere Kumpel? „Ich glaube schon", meint Astrid, „viele Freunde kommen mit ihren Problemen zu mir. Vor allem Männer. Wahrscheinlich, weil ich halt nicht so unterwürfig wirke wie kleine Frauen, sondern so, als könne ich Halt geben." Das schönste Kompliment hat sie übrigens mal für ihre langen Beine bekommen. Für die Beine, die sie als Teenager verflucht hat. Astrid: „Da meinte ein Mann zu mir ,Ach Astrid, neben dir sind doch alle anderen kurzbeinig'." Und das werden sie auch bleiben. Denn von Astrids Beinen kriegt niemand mehr ein Stück ab. Höchstens der Werbefotograf. Aber nur auf dem Foto.

joy J. Jensen/Mitarbeit: Maitreya Löpez Schmidt
FOTOS: NICOLA FAUST

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