Babydirk's Kurzgeschichten

Schwules zum Schmunzeln

Verwandtenbesuch!

Verwandtenbesuch!

Selbst in unserer Familie gab es nach langen Jahren einmal ein Ereignis! Mein Onkel kommt zu Besuch! Mein Onkel Richard aus Berlin!

Wir sa�en an einem ganz normalen Wochentag beim Abendessen, als meine Mutter in ihrer unnachahmlichen Art eine v�llig beil�ufige Bemerkung machte:
"Ach, �brigens: Richard hat angerufen. Er kommt uns n�chste Woche besuchen."
Mein Vater verschluckte sich ziemlich heftig an dem Bier, das er gerade aus der Flasche trank ("Das machen M�nner so!").
"Wie? Was? Wann?" prustete er gequ�lt.
"Ja. Er kommt Sonntag abend an und will die Woche �ber bleiben. Schlie�lich hat er uns schon bald f�nfzehn Jahre nicht gesehen, Till kennt er gar nicht. Er m�chte halt mal sehen, was aus uns geworden ist und was sich hier so alles ver�ndert hat. Da ist doch nichts dabei."
"Nichts dabei?" Den Rest der Rede meines Vaters m�chte ich lieber kurz zusammenfassen: Das Richard sich �berhaupt noch hierher traue sei ja schon die H�he, da� er aber auch noch eine ganze Woche im Hause meines Vaters wohnen wolle, sei ja wohl die absolute Kr�nung und was hie�e, er wolle sehen was aus uns geworden ist, wir sind ja schlie�lich ehrbare Menschen, die f�r ihr t�gliches Brot hart arbeiten m��ten und nicht andere f�r sich arbeiten lie�en, damit man selbst in Saus und Braus leben k�nne. Mein Vater schm�ckte das ganze noch etwas aus, aber ich glaube, es wird klar, da� mein Vater von der Idee dieses Richards nicht sehr begeistert war. Allein, es nutzte ihm nichts, Mutter setzte sich, wie meistens, durch. Schlie�lich sei Richard ihr Bruder (Aha!) und au�erdem sei es auch ihr Haus und sie hat ihm nun auch schon zugesagt.
Das ganze erschien mir sehr mysteri�s, denn von einem Richard hatte ich bisher noch gar nichts geh�rt, aber halt, das stimmt nicht ganz, ich hatte vor zwei Jahren einmal eine Weihnachtspostkarte aus Berlin von einem Richard gefunden und nat�rlich auch gelesen (man ist ja neugierig!). Aus ihr ging nur hervor, da� sich dieser Richard nach unseren Befinden erkundigte und da� Mutter, an die die Karte adressiert war, uns seine Gr��e ausrichten solle, wenn sie das wollte (Sie wollte nicht.).

Da ich, inzwischen vierzehn, ein gro�er Verehrer von Mi� Marple (nat�rlich die resolute Margaret Rutherford und nicht die leicht senile Joan Hickson) war, witterte ich das gro�e Geheimnis um diesen Mann, den mein Vater augenscheinlich nicht mochte, was mich schon einmal f�r diesen Richard einnahm. So stellte ich ganz ungeniert die Frage, wer dieser Richard eigentlich sei. Meine Mutter antwortete ganz ruhig und gelassen:
"Richard ist dein Onkel, mein �lterer Bruder. Er ist vor ungef�hr f�nfzehn Jahren nach Berlin gezogen und ist dort wohl sehr erfolgreich. Wir haben uns ein wenig aus den Augen verloren, deswegen haben wir dir nie etwas von ihm erz�hlt." (Oh Mutter!)
Diese Erkl�rung wurde allerdings des �fteren von einem ver�chtlichen Schnauben meines Vaters unterbrochen.

Das Thema Richard war damit f�r die n�chsten Tage erledigt, und so lebte ich mit meinen wildesten Phantasien um meinen Onkel und auch mit der Bef�rchtung, da� es doch nur wieder einer dieser unvermeidlichen und unweigerlich schrecklichen Verwandtenbesuche sein w�rde. "Nein, was bist du gro� geworden! Wie geht es in der Schule? Hast du schon eine Freundin?"
Zum Gl�ck sollte sich diese Bef�rchtung nicht bewahrheiten.

Samstags ging Mutter mit mir zum Friseur - Vater weigerte sich standhaft: "Ich mach' doch nicht den Affen f�r den!". Dort war nat�rlich, wie jeden Samstag, unsere Nachbarin Frau Jaschke, eine schreckliche Klatschbase.
"Ach, hallo Frau Jansen! Gerade habe ich zu Moni (der Friseuse) gesagt, die Frau Jansen war aber auch schon lange nicht mehr hier! Und der kleine Till ist auch dabei! Na, willst du dir auch endlich dein Lockenk�pfchen schneiden lassen? Wird ja auch Zeit, mein Jung', siehst ja aus wie ein M�dchen! Gibt's was besonderes?"
"Mein Bruder kommt morgen zu Besuch."
"Waaas? Der Richard? Na, da passen Sie aber mal h�bsch auf Ihren s��en Kleinen auf, Frau Jansen!"
"Ich glaube, das k�nnen Sie getrost mir �berlassen, Frau Jaschke! Wir freuen uns alle sehr auf den Besuch!" (Wie sie l�gen kann, meine Mutter!)

Sonntag abend warteten meine Mutter und ich gespannt auf die Dinge, die da kommen sollten, Vater setzte sich demonstrativ in seinen �ltesten Klamotten und mit einer Flasche Bier vor den Fernseher. Nach unendlich langer Zeit klingelte es, und Mutter scho� zur Haust�r, knapp gefolgt von mir. Drau�en stand ein recht gutaussehender Enddrei�iger, elegant gekleidet, mit einem riesigen Blumenstrau� - auf der Stra�e ein hinrei�ender bordeauxroter Jaguar. Ich erwartete, da� meine Mutter ihm nun tr�nen�berstr�mt in die Arme fallen w�rde und "Oh Richard, endlich sehen wir uns wieder!" seufzen w�rde, stattdessen sagte sie nur:
"Hallo Richard. Danke f�r die Blumen. Hattest du eine gute Fahrt?"
"Ja, danke, Else. Gut siehst du aus, ein bi�chen f�lliger geworden vielleicht. Steht dir aber gut.
Und das ist also Till? Hallo Till!" Er reichte mir seine Hand und nur m�hsam konnte ich ein leises "Hallo" hervorbringen. Irgendwie hatte er mich gleich in seinen Bann gezogen, aber ich kam mir auch ein wenig unbehaglich vor, es schien, als k�nnte er mit seinen dunklen Augen direkt in mich hineinschauen, eine Vorstellung, die mir nicht so geheuer war.
"Ja, also dann komm' mal 'rein, Richard. Hast du Gep�ck? Till, hilfst du mal?"
"Nee, la�' mal, ich hab' schon im Schlo�hotel ein Zimmer genommen, ich m�chte Erichs Gastfreundschaft nicht �berstrapazieren. Wo isser denn eigentlich?"
"Ach, der guckt gerade Fu�ball im Fernsehen." Mutter f�hrte uns Richtung Wohnzimmer und rief:
"Erich, Richard ist gerade angekommen!"
Vater bequemte sich dazu, mal kurz �ber die Schulter zu schauen und die Bierflasche gr��end in die H�he zu heben, bevor er sich wieder wortlos dem Fu�ball zuwandte. Mein Vater hatte ja nie besonders gute Umgangsformen, aber das fand ich nun doch etwas sehr unh�flich und in diesem Moment sch�mte ich mich meines Vaters.
"Na, dann setzen wir uns vielleicht am besten in die K�che." meinte Mutter sichtlich nerv�s. Wir sa�en dann zu dritt am K�chentisch und wu�ten alle nicht so recht, was wir nun reden sollten.
"Tja, ein sch�nes Haus habt ihr euch gebaut. Kommt ihr denn zurecht, ich meine finanziell?"
"Ach ja, es geht. Ich gehe halt ab und zu putzen, so kommen wir ganz gut �ber die Runden." Das stimmte so nicht ganz, erstens ging Mutter sehr oft putzen und zweitens war h�ufig genug davon die Rede, da� uns die Zinsen auffressen w�rden. Wieder eine Gespr�chspause. Dann wandte Onkel Richard sich mir zu:
"Gro� bist du geworden, Till! Wie geht es in der Schule?" Brav spulte ich meinen so oft ge�bten Text herunter, es w�rde also doch nur einer der �blichen Besuche werden.
"Und hast du schon eine Freundin?" Nein, ich hatte noch keine Freundin.
"Aber er versteht sich sehr gut mit den M�dels, nicht wahr, Till?" Mutter versuchte mal wieder zu helfen.

So verlief die n�chste Stunde mit �hnlichen Plattheiten, nat�rlich ohne Vater, der nicht einmal in die K�che kam, um sich ein neues Bier zu holen. Dann endlich sprach Onkel Richard die erl�senden Worte, da� er jetzt ins Hotel fahren wollte. Er versprach mir, mich am n�chsten Tag um drei abzuholen und mich ein bi�chen im Jaguar herumzufahren, was mir doch sicherlich Spa� machen w�rde. Ich merkte, da� das Mutter nicht so recht war und nahm das Angebot schnell an, bevor sie irgendeinen Vorwand finden konnte. Ich war von dem Mann fasziniert, ich kann nicht sagen, warum, jedenfalls war er ganz anders als die Leute, die ich aus unserem Dorf so kannte.

Sp�ter spielte ich dann vor dem Schlafzimmer meiner Eltern M�uschen, denn ich hatte eine recht laute Unterhaltung mitbekommen.
"Was hei�t, er will mit Till herumfahren? Da habe ich ja wohl auch noch ein W�rtchen mitzureden!" Das war Vater!
"Nu la�' ihn doch! Was soll denn schon passieren?"
"Was passieren soll? Mu� ich dir das wirklich sagen? Bei denen wei� man doch nie!"
"Erich, bitte! Richard war sehr nett. Er hat mir sogar angeboten, uns mal finanziell auszuhelfen, wenn wir in Schwierigkeiten w�ren."
"So weit kommt das noch! Lieber verkaufe ich das Haus, bevor ich von dem Geld nehme!"
"Na, da habe ich dann aber auch noch ein W�rtchen mitzureden!" Und so weiter!

Jedenfalls konnte ich den n�chsten Tag kaum erwarten. Die Schule schleppte sich dann so hin, und bis es endlich drei war!
"Punkt sechs bist du wieder hier, verstanden!" sagte mein Vater, als Onkel Richard mich abholte.
"Es war ja laut genug, Erich!" meinte mein Onkel dazu. Er imponierte mir sehr!
Wir fuhren ein wenig herum, ich zeigte ihm das Dorf, und er wunderte sich, wieviel sich doch ver�ndert h�tte. Das konnte ich eigentlich nicht so ganz nachvollziehen.
"Wei�t du, Till, f�nfzehn Jahre sind eine lange Zeit."
"Warum bist du denn damals nach Berlin gegangen?" wollte ich wissen.
Richard schien daraufhin etwas verlegen zu werden:
"Ach, das ist eine lange Geschichte."
"Magst du sie mir nicht erz�hlen?"
"Naja, mal sehen, vielleicht wenn wir uns mal besser kennen! Sag' mal, magst du ein Eis essen? Gibt's das Caf� Schmittke noch?"
"Nee, das gibt's schon lange nicht mehr! Da ist jetzt 'ne Pizzeria. Aber da gibt's auch gutes Eis!" Wann war ich das letzte Mal dort zum Eis eingeladen worden?
"Na prima! Jetzt habt ihr also sogar 'nen Italiener! Hat sich ja gemacht, das Nest!"
"Wie ist es denn in Berlin?"
"Naja, alles ein bi�chen gr��er als hier! Mir gef�llt es dort, es ist nicht so eng und die Leute sind einfach viel lockerer. Da fragt keiner, was wohl die Nachbarn dazu sagen! (Oh ja, das kannte ich!) Wenn du willst, kannst du mich ja mal besuchen, das hei�t, wenn ich deine Eltern dazu bringen kann. Die werden davon nicht gerade begeistert sein!"
"Habt ihr euch eigentlich gestritten?"
"Ach, wei�t du, das ist, wie gesagt, eine lange Geschichte. In ihren Augen habe ich was ausgefressen und jetzt gelte ich als das schwarze Schaf der Familie. Deine Mutter war die einzige, die damals zu mir gehalten hat, deshalb ist der Kontakt auch nicht ganz abgebrochen."

Mittlerweile waren wir beim Italiener angekommen und Richard bestellte mir den gr��ten Eisbecher, den es auf der Karte gab. Seltsam, auf der einen Seite war er mir ja noch ganz fremd, aber auf der anderen Seite glaubte ich ihn schon eine Ewigkeit zu kennen.
"Irgendwie erinnerst du mich an mich selbst, Till. Ist schon komisch, aber ich habe das Gef�hl, wir kennen uns schon ganz lange!"
"Das habe ich auch gerade gedacht!" Ich war platt! Und nerv�s: Gleich der erste L�ffel Eis rutschte mir runter und fiel auf die Hose.
"Huch!" Mein Onkel grinste. War mir das peinlich! Nicht das mit dem Eis, aber "Huch!" sagt ein Junge nicht, er sagt "Schei�e!" - Klar: Originalton Vater!
Wir redeten noch lange und irgendwie hatte ich Vertrauen zu Richard. Ich schwindelte nicht und sagte ihm, das meine Lieblingsf�cher Musik und Kunst waren, das ich gerne Gedichte las, das ich Sport ha�te, das ich gerne mit M�dchen spielte und das ich am liebsten alte deutsche Filme mit Zarah Leander, Adele Sandrock oder Romy Schneider ansah. Am Ende unserer Unterhaltung fragte ich Richard:
"Sag' mal, Onkel, darf ich dir eine bl�de Frage stellen?"
"Also erstens gibt es keine bl�den Fragen, sondern nur bl�de Antworten und zweitens tu' mir den Gefallen und nenn' mich Rick und nicht Onkel, das macht mich so alt! Also schie� los!"
Jetzt mu�te ich doch allen Mut zusammennehmen:
"Mu� ein Junge wirklich im Stehen pinkeln?"
Rick brach in schallendes Gel�chter aus!
"Nein, nat�rlich nicht! Es ist zwar manchmal ganz praktisch, aber wenn du dich setzen kannst, dann setz dich halt! Ich mache das genauso!" Uff!

F�r den n�chsten Tag verabredeten wir uns wieder. Diesmal wollte er mich gleich von der Schule abholen ("Dann brauche ich deinem Vater nicht zu begegnen!"), und p�nktlich um sechs waren wir wieder zu hause.


Copyright 1996 by Dirk Kurz



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Last updated August, 6th, 1996