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Wahlkampf in der Antike: Wenn das Image, nicht ein Programm entscheidend ist 

In der römischen Republik war jedes Jahr ein Superwahljahr. Jedes Jahr wurden Consuln, Praetoren, curulische Aedile. plebeische Aedile, Volkstribunen, Quaestoren und diverse Unterbeamte gewählt. Spätestens seit dem zweiten Jahrhundert v. Chr. entbrannte wenigstens um die hohen Ämter regelmäßig ein scharfer Wettbewerb. so daß sich das Bedürfnis des einzelnen Kandidaten verstärkte, dem Wähler deutlich zu machen, warum dieser seine Stimme ihm geben müsse und nicht der Konkurrenz. Wenn sich der Wahlkampf intensiviert, pflegen die Kandidaten in der Wahl ihrer Mittel nicht wählerisch zu sein, was besonders bei denen Anstoß erregt. die ihre eigenen kleinen Tricks erfolgreich verdrängt haben. So riefen die rüderen Werbungsmethoden auch in der römischen Republik die Mißbilligung des Establishments hervor - man verspürte das Bedürfnis zu definieren. was im Wahlkampf erlaubt sein sollte und was nicht.
Illegale Praktiken bei der Wahlwerbung. insbesondere Wahlbestechung. faßten die Römer unter dem Terminus ambitus zusammen. Das Wort leitet sich her von ambire, dem Herumgehen, das als normale Tätigkeit von Kandidaten zum Inbegriff des Werbens um ein Amt geworden ist. Das Interesse am Amt und an der politischen Karriere hieß ambitio und war solange nicht anstößig. wie man bei der Verwirklichung seiner Ambitionen nicht durch ambitus nachhalf, doch das war offenbar in der späten römischen Republik nur noch selten der Fall.
Das staatliche Regelungsbedürfnis im Bereich des Wahlkampfs erstreckte sich auf ein breites Spektrum von Aktivitäten der Bewerber. Es ging nicht nur darum, die Auszahlung von Geld an die Wähler zu untersagen, sondern man bemühte sich auch, die Abhaltung von Spielen im Umkreis der Bewerbung einzuschränken, die Größe der Begleitmannschaft des Kandidaten zu begrenzen und deren Entlohnung zu verbieten, sowie den Einsatz eines gedächtnisstarken nomenclator zu ächten, der dem Kandidaten die Namen der von ihm begrüßten Passanten einflüstern sollte. Man tat sich allerdings ausgesprochen schwer dabei, das Verbotene vom Erlaubten zu trennen, so daß die Vorschriften in der Praxis leicht unterlaufen werden konnten. Die Verteilung von Geld an die Angehörigen des eigenen Stimmbezirks war durchaus üblich, und um die nötige Mehrheit der Stimmbezirke hinter sich zu bringen, konnte man die Zahlungen bequem auf fremde Abstimmungseinheiten ausdehnen, indem man Freunde vorschob, die den betreffenden Abteilungen angehörten.
Die Veranstaltung von Leichenspielen war ein unverzichtbares Element der Selbstdarstellung und öffentlichen Repräsentationen der großen Geschlechter, und als man versuchte, die Manipulation mit dem Termin der Spiele. die einem Bewerber kurz vor den Wahlen noch einmal einen Popularitätsschub verschaffen konnten, für illegal zu erklären, mußte man doch die Hintertür offen lassen, daß eine testamentarische Verfügung Vorrang haben solle, d. h. man dürfte de facto nur dafür gesorgt haben, daß man den Bedarfsfall bei der Abfassung von Testamenten einkalkulierte.
Ein großes Gefolge gehörte traditionell zur Bewerbung, und ob Begleiter gemietet waren, war eigentlich kaum herauszubekommen. Die verschwimmenden Grenzen zwischen legal und illegal lagen bis zu einem gewissen Grade in der Natur der Sache und erleichterten die starke Subjektivität in der Wahrnehmung von ambitus bei den Zeitgenossen‘ Ambitus war tendenziell immer das, was die anderen taten, während man selbst sich natürlich stets tadellos verhielt. Nun wird man dem römischen ambitus nicht gerecht werden können, ohne das Phänomen zunächst einmal neutral zu betrachten. Das fällt schon von der Sprache her nicht ganz leicht, denn Wahlbestechung und Korruption, die gängigen deutschen Ubersetzungen für ambitus sind eindeutig negativ besetzt. Doch bezieht sich diese moralische Färbung der Begriffe auf den Kontext einer modernen Demokratie, die es in Rom natürlich nicht gab. Die römische Republik war ein gigantisches Patronagesystem, das nicht etwa leidlich versteckt und illegal wie in mafiaverseuchten Staaten der Gegenwart. sondern ganz offen und gesetzeskonform auch den politischen Raum dominierte. Das den sozialen Normen entsprechende Verhalten des römischen Wählers war folglich die Unterstützung seines Patrons oder Favoriten seines Patrons. Das heutige Ideal der individuellen Gewissensfreiheit war in Rom also auch dann nicht maßgebend. wenn die Bürger ohne pekuniäre Aufmunterung an die Urne traten. Daher sei hier ausdrücklich betont, daß im folgenden in Ermangelung besserer Begriffe etwa von Bestechung die Rede sein wird, ohne daß damit schon ein Werturteil verbunden sein soll. Daß der ambitus so kräftig blühte, zeigt an, daß die persönlichen Bindungen im Rahmen des römischen Patronagesystems keine Wahlergebnisse mehr garantieren konnten. Da nach römischem Verständnis jede Gefälligkeit eine Verpflichtung auferlegte und da die dadurch anstehenden Bindungen im Prinzip vererbbar waren, mußte es im Laufe der Zeit zur Vervielfältigung und Überlagerung solcher Bindungen kommen. Dadurch wurde es immer seltener, daß der Einzelne nur einem Patron verpflichtet war und daher nur eine Entscheidungsempfehlung erhielt. Statt dessen dürften sich aufgrund der Mehrfachbindungen an verschiedene Patrone viele in der unangenehmen Lage befunden haben, die eine Verpflichtung nicht erfüllen zu können, ohne andere zu vernachlässigen. Besonders virulent wurde dieses Dilemma bei den Wahlen, vor allem den Consulwahlen, da der Einsatz der Beteiligten und damit die Mobilisierung der Bindungen dort am größten war. Die Entscheidungskonflikte ließen sich nach Einführung der geheimen Abstimmung mit Hilfe der Stimmtäfelchen verbergen, aber nicht lösen. und so bedurfte es anderer Reize, den Wählern die Entscheidung zu erleichtern.
In der kleinen Denkschrift des Quintus Cicero anläßlich der Consulatsbewerbung seines Bruders Marcus 64 v. Chr. wird uns ein in vielem verallgemeinerungsfähiger Abriß gegeben über das, was ein Bewerber tun mußte und was man von ihm erwartete. Danach waren es vor allem drei Dinge. die die Menschen dazu brachten, einer Bewerbung Wohlwollen und eifrige Unterstützung angedeihen zu lassen: die Wohltaten. die man ihnen zukommen ließ, die Hoffnungen. die man ihnen ma­che, und die Sympathien. die man bei ihnen auslöste. Um ihre Wahlchancen zu erhöhen, mußten sich die Kandidaten in bestimmter Weise in der Öffent­lichkeit präsentieren. In der letzten Zeit ihrer Kandidatur war es erforderlich, möglichst täglich auf dem Forum herumzulaufen und viele Hände zu schütteln, wozu gehörte. daß man die Leute mit Namen begrüßte: nur so konnte man den Angesprochenen gegenüber die Fiktion aufrechterhalten, es handele sich um eine tatsächliche persönliche Beziehung zum Bewerber und nicht nur um einen Formalakt.
Außerdem mußte man ein großes Gefolge um sich haben, ein ständiges aus Männern, die nichts anderes zu tun hatten und ein gelegentliches, das von Männern mit Sozialprestige gebildet werden sollte. In der "Schrift über die Bewerbung" wird klar gesagt, daß man nur mit einer imposanten Begleitmannschaft das Gefühl vermitteln konnte, man könne sich auf breiten Anhang stützen und die Siegeschancen stiegen offenkundig, wenn man wie ein Sieger aussah. Die Kandidaten mußten sich um alle Gruppen der römischen Bevölke­rung bemühen, um die Angehörigen des Amtsadels, um die Reichen, um die Stimmkörperschaften, die Vereine, die Männer mit Einfluß in den Untereinheiten der Bürgerschaft, um Freunde und Feinde, um die Colonien und Municipien Italiens, persönlich und auch indirekt. Was dagegen in den Empfehlungen der "Schrift über die Bewerbung" völlig fehlt, sind politische Inhalte. Es wird nur einmal erwähnt, als Kandidat solle man sich nicht so eifrig der Staatsangelegenheiten annehmen,  weder im Senat noch in der Volksversammlung, und im übrigen solle man beim Senat, bei den Angehörigen der weiteren Oberschicht und bei der Menge den Eindruck erwecken, ihre Belange seien bei einem in guten Händen - mehr nicht. Auch die sonstigen Informationen über den römischen Wahlkampf bestätigen, daß es keine Sachprogramme gab, über die sich Kandidaten - wie polemisch auch immer - auseinandersetzten. Entsprechend hielten sie auch keine Wahlreden. Der Normalfall scheint so ausgesehen zu haben, daß der Kandidat in seiner weißen Toga eines Aedil - der toga candida, von der er noch heute seinen Namen hat - mit großem Gefolge wochenlang durch die Stadt lief und Shakehands machte, daß er aber keine Gelegenheit erhielt, mit einer großen Rede auf einen Schlag eine größere Menge zu erreichen. Es kam offenkundig mehr auf die permanente Mühewaltung an, als auf die rhetorischen Glanzlichter oder gar sachbezogene Argumente.
Wonach richteten sich nun aber die Wähler? Zunächst einmal waren Bindungen nach wie vor bedeutsam. Die "Schrift uber die Bewerbung" rechnet mit einer Gruppe von Wählern, die mit Mitbewerbern persönlich verbunden sind und die der Kandidat Cicero daher nicht gewinnen kann, Doch waren diese Traditionswähler allein nicht ausschlaggebend, viele besaßen offenbar die Freiheit. zwischen den Kandidaten abzuwägen. vergeben. Was breitere Bevölkerungskreise vom Wahlbewerber erwarteten, läßt eine Anekdote um einen Scipio Nasica deutlich erkennen, der sich in der 2.Hälfte des 2.Jhdts. v.Chr. um das Amt eines Aedilen bemühte. Scipio, ein Mann von uraltem Adel, bekam beim Händeschütteln auch die hornige, rauhe Hand eines Landbewohners in die seine; daraufhin fragte er den Mann: "Pflegst Du auf diesen Händen zu laufen?" Über diesen Witz lachten sicherlich Scipios Standesgenossen, doch bei den Wahlen fiel er durch. Der Bewerber mußte auch einfachen Leuten vermitteln, daß er sie wirklich ernst nahm und nicht arrogant von oben herab behandelte.
Das Szenario dürfte bei den römischen Wahlen im Normalfall so ausgesehen haben: Es gab keine Inhalte, über die man entschied, die Kandidaten waren nach Bedeutung und Mühewaltung vergleichbar, in bezug auf ihre künftige Amtsführung konnte man keine relevanten Unterschiede erwarten; da nun die Bindungen, die einen Wähler dazu bringen konnten, seine Stimmen zu vergeben, ohne über Alternativen nachdenken zu müssen, nicht mehr hinreichend eindeutig waren, wie sollte er sich dann überhaupt entscheiden?
Ein wesentlicher Teil der Römer, die zu den Wahlen erschienen, mußte nicht durch einen starken materiellen Anreiz zum Wechsel seiner Grundorientierung veranlaßt werden, sondern benötigte in Ermangelung einer Grundorientierung ein Entscheidungskriterium, daß schon durch eine kleine Summe geboten werden konnte.
Bettet man den ambitus auf diese Weise in den römischen Wahlkampf ein, so wird sowohl seine Wirkung als auch die inflationäre Tendenz verständlich. Schwankende Wähler waren ja nicht allein durch finanzielle Investitionen zu gewinnen. Daß sie sich dennoch so großer Beliebtheit erfreuten, liegt daran, daß dies in der Wahlkampfphase der einzige Bereich war, in dem die Bewerber ihren Einsatz potentiell ohne Limit erhöhen konnten. Sie konnten kaum noch mehr Präsenz auf dem Forum zeigen, für die Zahl der Begleiter gab es praktische Grenzen, wenn der Kandidat nicht durch die schiere Masse seines Gefolges die Bürger vom Forum verdrängen wollte, zu denen er ja gerade den Kontakt suchte. Herkunft und Leistungen ließen sich noch besonders herausstellen, aber kurz vor den Wahlen nicht mehr ändern. Und allein die materiellen Versprechungen und Zuwendungen waren nicht nur steigerungsfähig, sondern auch formal meßbar. Beim Vergleich von Leistungen und selbst bei der Abwägung des Familienhintergrunds konnte man zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
Daß Cicero in seiner Verteidigungsrede für den 63 v. Chr. wegen ambitus angeklagten designierten Consul Licinius Murena den unterlegenen Konkurrenten Servius Sulpicius belehrt, militärische Lorbeeren, wie sie Murena errungen habe, seien in Rom einfach mehr wert als die herausragenden juristischen Kenntnisse des Sulpicius, mag vielleicht die durchschnittlichen Orientierungen der Bürger korrekt wiedergeben, zeigt aber auch, daß jedenfalls Sulpicius dies nicht so sah. Ebenso wenig dürfte jedermann Ciceros an sich einleuchtend begründete Ansicht geteilt haben, die illustre Aura der patricischen Abstammung des Sulpicius habe diesem wenig nützen können, da man die Leistungen seiner Familie aus den Geschichtsbüchern exhumieren müsse, während die Licinii Murenae seit vier Generationen Praetoren stellten und so bei den Wählern präsent seien.
Nur bei den Geldzahlungen schwand der Interpretationsspielraum; jedes noch so schlichte Gemüt konnte vergleichen, wer mehr Geld bei den Mittelsmännern zur Auszahlung an die Wähler hinterlegt hatte. Die Geldspenden waren zu einem großen Teil üblich. Daß man sich dennoch so intensiv bemühte, mit einer Kette von im Ganzen weitgehend wirkungslosen Gesetzen gegen ambitus einzuschreiten, erklärt sich nicht nur aus dem Mißbehagen heraus, daß die durch Geld, Begleiterscharen oder nomenclatores mögliche Vorspiegelung von Bedeutung die aus der Sicht der Führungsschicht tatsächlich vorhandene Bedeutung in den Hintergrund zu drängen drohte, sondern mehr noch aus den Nebenwirkungen des tentenziell inflationären ambitus: Die Kandidaten verschuldeten sich für den Wahlkampf, und je mehr sie sich verschuldeten, desto weniger konnten sie es sich leisten zu unterliegen.
Als Catilina 63 v.Chr. zum zweiten Mal bei den Consulwahlen durchgefallen war, war sein Vermögen so zerrüttet, daß er nichts mehr zu verlieren hatte und daraufhin den Umsturz der Eigentumsverhältnisse vorbereitete, Und die äußerst kostenintensiven Spiele, die der Consulatsbewerber Milo 53 v. Chr. veranstaltete, machten seinem Gönner Cicero nicht aus moralischen Erwägungen heraus Kopfzerbrechen, sondern wegen des existenzgefährdenden Geldeinsatzes. Tatsächlich wurde Milo von seinem Intimfeind Clodius mit dem Vorwurf konfrontiert, er sei völlig überschuldet, weshalb man ihm den Staat nicht anvertrauen dürfe. Selbst wenn dies Teil des tagespolitischen Kleinkriegs war, zeigt doch die Art der Argumentation, daß es massive Ängste gab vor Bankrotteuren in Führungsstellungen, die zur Sanierung ihrer maroden Finanzen vor nichts zurückschrecken würden. Der Geldeinsatz im Wahlkampf war daher potentiell statusgefährdend und wirkte entsolidarisierend in der Führungsschicht.
Obwohl beim Wahlkampf in Rom immer größere Summen eingesetzt wurden, kam es den Wählern wohl nicht primär auf die materielle Bereicherung an, auch wenn sie das Zubrot sicher gerne mitnahmen. Das klingt zunächst paradox. Doch wenn das Wahlvolk, wie die Bestechungen anzeigen, wenigstens seit dem zweiten Jahrhundert nicht mehr in solchem Umfang durch Bindungen festgelegt war, daß der Wahlausgang weitgehend feststand, dann besaßen die Wähler die Freiheit, sich zwischen Kandidaten zu entscheiden. Diese Freiheit könnte aber nur dann ein geschätztes Gut gewesen sein, wenn es andere Entscheidungskriterien gegeben hätte, die sich mit den Bindungen regelmäßig im Konflikt befunden hätten - und dafür gibt es nicht die geringsten Anzeichen. Der römische Wähler, der infolge vielfältiger Verpflichtungen nicht mehr einfach mechanisch den Bin­dungen folgen konnte, genoß nicht seine Freiheit. sondern litt unter Ratlosigkeit. Der Orientierungslosigkeit bei den Wahlen, den bedeutsamsten regelmäßigen Entscheidungen des Volkes, wurde aber im Normalfall nicht durch Politisierung entgegengesteuert, und dies muß wesentlich an den Wählern gelegen haben. Man kann davon ausgehen, daß die Kandidaten sicher nicht davor zurückgeschreckt wären, auch ohne ernsthafte Umsetzungsabsichten konkrete Pläne für den Fall ihrer Wahl zu verkünden, wenn sie ihre Wahlchancen auf diesem Wege hätten verbessern können. Statt dessen beschränkten sie sich darauf, dem Wahlvolk eine gewisse Ehrerbietung zu erweisen und sich selbst als bedeutend und im öffentlichen Le­ben engagiert zu präsentieren, und alle drei Anliegen ließen sich durch materielle Aufwendungen bis hin zur Geldprämie fördern. Wenn aber speziellere Interessen von Wählergruppen gar nicht Gegenstand des Wahlkampfes wurden, blieb die Beziehung zwischen den aus der Führungsschicht stammenden Kandidaten und dem Volk im wesentlichen formal. Die Bewerber mußten, da die Auswahl in der Volksversammlung getroffen wurde, die Öffentlichkeit suchen. doch zeigt das Verhalten der Kandidaten, worum es dabei ging: Man stellte Volksfreundlichkeit durch joviale Kommunikation und materielle Wohltätigkeit unter Beweis. Der römische Wahlkampf erweist sich damit als Ausprägung des Patronagesvstems: Der Patron zeigt Fürsorglichkeit und nimmt die Wahl als angemessene Huldigung entgegen. Als aber wenigstens seit dem zweiten Jh. v. Chr. die eindeutigen Bindungen zurückgingen und so immer mehr Stimmbürger in der unangenehmen Lage waren, sich ohne sozial vermittelte persönliche Präferenz zwischen recht gleichförmigen Kandidaten entscheiden zu müssen, wandelten sich die Strukturen des Wahlkampfes nicht grundlegend in der Weise, daß nun Inhalte auf die Tagesordnung gesetzt worden wären und das Wahlvolk richtungsweisenden Einfluß erlangt hätte, sondern die alte Form wurde nur gedehnt, indem sich der konventionelle Wettbewerb der Patrone verstärkte: Die Kandidaten intensivierten Kommunikation und Finanzeinsatz. Daß die zunehmenden Zahlungen an die Stimmkörperschaften und die Wähler stets Teil des Patronagesystems blieben, zeigt, daß man trotz der statusgefährdenden Dimension, die der finanzielle Aufwand für die politische Karriere erreichte, nicht versuchte, die Kosten durch Gefälligkeitsgesetze auf die Staatskasse abzuwälzen: Als Kandidat mußte man offenbar demonstrieren, daß man ein fürsorglicher und einsatzbereiter Patron war, und das verlangte die großzügige Öffnung der Privatschatulle.
In diesem Klima des ganz personenbezogenen Wahlkampfs, in dem das von Familie, Leistung, Einfluß. Wohltätigkeit, Unterstützung. Aktivität und Geschick im Umgang mit Menschen geprägte Image entscheidend war, ist kein Platz für sachorientierte Überzeugungen des Wählers. Damit fehlt aber der Kontext für das moderne Negativimage der Wahlbestechung: Man unterstellt ja generell, daß Wahlbestechung dazu führt, daß Stimmberechtigte gegen ihre Überzeugungen stimmen, weshalb Wahlbestechung in modernen Systemen zu Recht vehement verurteilt wird. In der römischen Republik war das anders Wie Paul Veyne zutreffend bemerkt hat, verkauften römische Wähler nicht ihr Gewissen. Das lag natürlich nicht an moralischer Standhaftigkeit, sondern schlicht daran, daß keine Gewissensfragen zur Abstimmung standen. Bei gleichartigen Bewerbern gibt es ohne unterschiedliche Sachprogramme und gravierende ideologische Differenzen keine Überzeugungen des Wählers, die als hohes Gut vor der Einwirkung durch Geldzahlungen geschützt werden müssen, folglich gibt es keine Bestechung im eigentlichen Sinne Wahlkämpfe zwischen Kandidaten, die über die unverzichtbaren Basisqualifikationen verfügen, aber auch ansonsten recht gleichartig sind, die nur mit ihrer Person, aber nicht mit Inhalten werben, waren für die römische Oligarchie systemadäquat. Eine parlamentarische Demokratie dagegen ist auf die klare Konturierung politischer Inhalte im Wahlkampf angewiesen, da nur auf dieser Ebene in der Sache argumentiert wird, so daß sich in hinreichendem Maße programmorientierte Überzeugungen im Wahlvolk etablieren können. 
Ohne sachliche Überzeugungen aber läßt sich grundsätzliche moralische Distanz zur
Wahlbestechung kaum noch begründen - selbst abgebrühte Wahlkampfstrategen sollten da ein wenig ins Grübeln kommen.   

 

Auf einem schmalen Steg. den die Wähler einzeln betreten, ist rechts ein Bürger zu sehen, der sein Stimmtäfelchen in die Urne steckt. Der nächste links beugt sich hinunter, um aus der Hand des Wahlhelfers sein Stimmtäfelchen entgegenzunehmen. Die Nachzeichnung der Münze, eines Denars des Publius Nerva vom Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr., zeigt den römischen Wahlakt in einer Zeit, in der die Abstimmungen geheim und damit auch schriftlich geworden sind. Durch die Stege wird gewährleistet, daß die Wähler sich im letzten Moment nicht mehr gegenseitig beeinflussen konnten und auch keiner Agitation von außen mehr ausgesetzt sind.
Auf diesen Tag der Entscheidung arbeiten die Kandidaten etwa ein Jahr mit höchstem Einsatz hin. Nun stehen sie zusammen mit dem Wahlleiter für jedermann gut sichtbar auf einer Tri­büne, um die stundenlange Abstimmungsprozedur auf dem Marsfeld zu verfolgen. 

 

 

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