Ein 18"-Fensterglasdobson - ein unseriöses Spiegelschleifprojekt?

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Artikel aus dem VDS Journal 1/2002 von Rüdiger Heins

Die vor einigen Jahren aus den USA herüberschwappende "Dobsonwelle" hat das Gesicht der hiesigen Amateurastronomie verändert. Die Handhabung von Dobsonteleskopen ist leicht und man kann im Selbstbau relativ große Öffnungen realisieren. Allerdings kostet die Beschaffung eines kommerziellen Hauptspiegels, z.B. mit Durchmessern von 16 bis 20 Zoll, viele tausend Mark. Eine Alternative dazu wäre der Selbstschliff. Inzwischen gibt es einige gute Instruktionen in englischer Sprache im Internet. Besonders hervorzuheben ist hier "Large Thin Mirror Making" von Mel Bartels. Kurz und kompetent werden hier die Schwierigkeiten bei der Herstellung großer Optiken beschrieben. Eine weiterer, recht umfangreicher Artikel von dem amerikanischen Optiker Robert Kestner befindet sich im Anhang der "Dobson-Bibel" "The Dobsonian Telescope".

Basierend auf diese beiden Anleitungen wollte ich versuchen einen 18"-Spiegel zu schleifen. Die ersten Probleme traten schon bei der Beschaffung des Rohlings auf. In Deutschland kosten Rohlinge in dieser Größe mit einer Dicke von 5 cm ab 3000.- DM für Duran 50, bis über 8000.- DM für Quarz. Da das Risiko des Scheiterns durchaus bestand, waren solche Investitionen für mich nicht akzeptabel. Zu diesem Zeitpunkt begann ich das erste Mal über Fensterglas nachzudenken. In beiden Anleitungen wird - obwohl hier natürlich etwas dickeres Pyrexglas favorisiert wird - auch auf dünnes "Plateglass" eingegangen. Einige US-Spiegelschleifer haben aus diesem Material schon erfolgreich eine große Optik gefertigt. Hierzulande gibt es im Glasfachhandel "normales" Fensterglas bis zu einer maximalen Stärke von 24 mm. Die Kosten für eine 18"-Scheibe schwanken zwischen ca. 400.- und 600.- DM (Stand 2000). Dieser Preis schien mir für etwas mit Versuchscharakter durchaus akzeptabel, also bestellte ich.

Der Spiegelschliff:
Ein paar Wochen später lag dann der 10 kg schwere Rohling vor mir. Als Gegenstück beim Grobschliff diente eine 6 cm dicke Gipsscheibe im Durchmesser von 39 cm, welche mit unglasierten Badezimmerfliesen beklebt worden war. Der Grobschliff begann mit Karbo 60. In der Anfangsphase wurde mit dem zukünftigen Spiegel oben geschliffen, mit w-förmiger Strichführung und sehr viel Druck, um eine schnelle Aushöhlung zu erreichen. Dadurch war die Standzeit des Schleifmittels mit 4-5 Minuten sehr kurz. Nach 11/2 Stunden konnte man dann auch schon eine Vertiefung von 0,6 mm feststellen. Sie wird als Pfeilhöhe bezeichnet und mit einem Balkensphärometer gemessen.

Normalerweise haben 18"-Spiegel ein Öffnungsverhältnis von f/4,5. Aufgrund des unüblichen Materials und dem Dickeverhältnis der Glasscheibe von knapp 1:20 wählte ich ein Öffnungsverhältnis von f/5,5. Die erforderliche Pfeilhöhe liegt hier bei ca. 5,2 mm. Nach insgesamt 91/2 Stunden Grobschliff betrug die Vertiefung 3,5 mm. Der Rand war in einem Bereich von 14 mm überhaupt noch nicht bearbeitet worden. Um diesen auch auszuschleifen und die sphärische Form zu gewährleisten, wurden Schleifschale und Rohling vertauscht. In einer Gesamtzeit von 18 Stunden konnte der Grobschliff nach Erreichen einer Pfeilhöhe von 5 mm beendet werden. Durch den Verbrauch von 6 kg Karbo 60 war die Schleifscheibe total verschlissen.

Von der Spiegeloberfläche machte ich für den Feinschliff und die nachfolgende Politur jeweils Gipsabdrücke. Zum Feinschleifen beklebte ich die neue Schleifschale mit Karosseriescheiben. Dieser Tipp aus dem Internet funktioniert nur auf vorgekrümmten Flächen. Der nachfolgende Feinschliff, der Spiegel lag weiterhin unten, verlief wirklich erstaunlich schnell. Bereits nach 15 Minuten mit K 120 waren keine groben Löcher vom K 60 mehr zu erkennen. Zur Sicherheit arbeitete ich mit der Körnung noch eine weitere Viertelstunde. Dann folgten nach jeweils 30 Minuten K 240, K 500 und 9 My Microgrit WCA bildete den Schluss.

Bis jetzt lief alles nahezu perfekt, aber die größten Hürden standen ja noch bevor: Das fehlerfreie Auspolieren und anschließende Parabolisieren. Die Herstellung einer streifenförmigen Pechhaut auf dem 39 cm durchmessenden Tool klappte auf Anhieb. Das verwendete optische Schwarzpech Härte 24 bezog ich von der Fa. Piering aus Eich in Sachsen. Als Poliermittel kam Ceroxyd von Pieplow&Brandt zum Einsatz. Es hatte sich in der Vergangenheit schon ausgezeichnet bewährt und stellt einen guten Kompromiss zwischen glatter Oberfläche und schnellem Auspolieren dar. Zum Polieren blieb der Spiegel auch weiterhin in unterer Position. Nach den ersten 45 Minuten zeigte er überall schon einen ganz ordentlichen Glanz und der erste Foucaulttest konnte beginnen. Hierzu lagerte der Spiegel in einer Schlinge. Nach dem Ausrichten zeigte sich ein mäßiger Zentralberg. In meinem Foucaulttester hatte ich einen künstlichen Stern eingebaut, um die Optik auch auf einen möglichen Astigmatismus zu überprüfen. Der dünne Spiegel muss durch die fast senkrechte Lagerung astigmatische Verspannungen aufweisen, die sich durch elliptische, jeweils um 90° gekippte Abbildungen der intra- und extrafokalen Scheibchen bemerkbar machen würden. Wenn der Spiegel nur einen lagerungsbedingten astigmatischen Fehler hätte, blieben die Ellipsen bei Drehung des Spiegels immer in der gleichen Orientierung stehen. So hoffte ich zumindest, aber die Wirklichkeit ist immer grausamer. Ein deutlich sichtbarer Astigmatismus war erkennbar und bei Drehung des Spiegels wanderte er mit. Wahrscheinlich war eine Lage Teppich doch zu wenig, so dass der Fehler schon beim Schleifen entstanden sein kann.

Astigmatismus auszupolieren ist ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen. Ich musste nochmals zu Karbo 240 zurück. Auf zwei dicke Lagen Teppich als Unterlage ging der Feinschliff von vorn los und nach relativ kurzer Zeit konnte ich weiterpolieren. Im Foucaulttest fast alles wie gehabt: Der Zentralberg erschien wieder und eine leicht abgesunkene Kante gesellte sich dazu. Aber dafür war jetzt nur noch lagerungsbedingter Astigmatismus nachweisbar.

Jetzt kam es darauf an, den Spiegel auszupolieren und nur gelegentlich zu testen. Nach 18 Stunden war es soweit: Der Zentralberg existierte immer noch und die abgesunkene Kante hatte sich bis zu einer Breite von ca. 10 mm ausgedehnt. Es war an der Zeit, sich um die Spiegelfehler zu kümmern. Der Kante rückte ich mit einem Pech-Tool im Durchmesser 4 cm zu Leibe. Es gelang mir, die Absenkung bis auf 5 mm zu reduzieren, was bei dieser Spiegelgröße tolerierbar war. Allerdings hatte ich nun einen Graben im äußeren Bereich.

Durch Veränderungen der Pechhaut und unterschiedliche Strichführung konnte ich den Graben beseitigen, sowie den Zentralberg deutlich verkleinern. Der Spiegel zeigte nun im Foucaulttest - bis auf die Reste des Zentralberges - eine perfekte Sphäre, so dass ich mit dem Parabolisieren beginnen konnte.

Zur Vertiefung der Mitte benutzte ich abwechselnd ein 25 cm Tool und den 39 cm Polierer. Nach einiger Zeit konnte die erste Zonenmessung vorgenommen werden. Der Spiegel wurde in fünf Messzonen unterteilt. Ich verwendete dazu eine Nagelleiste, die ich kurz vor der Spiegeloberfläche platzierte. Die Nägel markierten jeweils die Mitte der einzelnen Zonen. Ein Parabelschatten war schon erkennbar und in einer erste Messreihe ergab das zur Auswertung benutze PC-Programm "Parabel" von Martin Trittelvitz einen Wellenfrontfehler von 1/1 Lambda. In halbstündigen Arbeitsschritten konnte ich laufend bessere Werte erhalten. Nach knapp fünf Stunden Parabolisieren schien es geschafft. Als gemitteltes Ergebnis aus sechs Einzelmessungen spuckte der PC einen Wellenfrontfehler von Lambda 1/10 aus. Die schlechteste Einzelmessung lag bei Lambda 1/6. Eigentlich zu schön um wahr zu sein, der Test am Stern würde dann zeigen was diese Messungen wirklich wert waren. Während des gesamten Poliervorganges gab es mit dem Fensterglas keine nennenswerten thermische Probleme. Es ließ sich obendrein schneller schleifen und polieren als z.B. Duran 50. Die Fertigstellung des Spiegels gelang nach insgesamt 60 Stunden.

Der Teleskopbau:
Anschließend erfolgte der Bau des Dobsonteleskops. Da die Optik sehr leicht war, konnte die Spiegelbox ein wenig robuster ausfallen. Alles oberhalb des zukünftigen Schwerpunktes sollte hingegen in Leichtbauweise gefertigt werden. Ein so dünner Spiegel braucht normalerweise eine 27-Punkt-Entlastungslagerung. Ich hatte jedoch von einem Engländer gehört, der seine dünnen Optiken auf Luftpolsterfolie lagert. Dieser Versuchung erlag ich nach kurzem Ringen, war doch der Arbeitsaufwand um ein Vielfaches geringer. Zusätzlich gab es da noch einen weiteren Vorteil der "Knallfolie": Da Fensterglas eine dreimal größere Wärmeausdehnung hat als Duran 50, muss es langsamer abkühlen, um seine Form nicht zu gefährden. Hierzu bildet die Folie ein ausgezeichnetes Isoliermaterial. Zusätzlich wurde der Spiegel seitlich mit Neopren umfasst. Als Grundplatte für die Folie dient eine MDF-Platte. Normales Sperrholz könnte sich bei Feuchtigkeit, bedingt durch die Maserung, in eine Richtung verziehen und Astigmatismus erzeugen. Die sichelförmigen Höhenräder wurden ein wenig bei Bernd Schatzmann abgeguckt und als Gegenfläche für das Teflon mit Alustrukturblech belegt. Als Oberteil wählte ich einen einzelnen Holzring, der noch aufgebohrt wurde. Gegenüber dem NGF-Okularauszug verhindert eine abnehmbare Gegenlichblende aus Isoliermatte den Streulichteinfall.

Aufgrund der Brennweite von 2,5 Metern war es möglich, einen Fangspiegel mit nur 65 mm Durchmesser zu verwenden. Für alle zu fertigenden Rundungen hatte ich mir von einem Freund eine Oberfräse ausgeliehen. Diese Maschine war eine Offenbarung, alles ging viel leichter, schneller und präziser. Zu schade, dass ich sie wieder zurückgeben musste. Die Verbindung zwischen Ober- und Unterteil erfolgte mit Alu-Zeltstangen. Die Enden waren werkseitig schon gequetscht und durchbohrt. Sie sind preiswerter als die Alurohre aus dem Baumarkt und über den Campingfachhandel Fritz Berger zu beziehen. Die Stangen wurden am oberen Ende paarweise zusammengefasst. Die Befestigung am Oberteil erfolgt mit Fahrradsattel-Spannern. Unten erfüllen Flügelschrauben ihren Zweck.

Das Dobson wurde recht zügig fertiggestellt und ich hatte schon bald - mit noch unverspiegelter Optik - "First Light". Ziemlich aufgeregt blickte ich zuerst durch mein 30 mm Leitz-Okular auf einen mittelhellen Stern im Pegasus, der sich dann auf den Punkt scharfstellen lies. Das beruhigte, reichte aber noch nicht; erst bei hoher Vergrößerung ist eine wirkliche Beurteilung der optischen Qualität möglich. Mit den Bewertungsmustern aus dem Buch "Star Testing Astronomical Telescope" im Kopf und einem 9 mm Nagler ging es weiter. Hierbei war dann ein Hauch Unterkorrektur feststellbar, aber besser als Lambda 1/4 und ein klein wenig schlechter als Lambda 1/8. Das reichte als Grund, um die Sektkorken fliegen zu lassen.

Nach dem Belegen wurde der Spiegel weiter ausgiebig getestet. Die wirklich gute optische Qualität bestätigte sich. Die Formveränderung durch thermische Schwankungen hält sich in Grenzen. Im Laufe der Nacht kommt es zu einer leichten Überkorrektur, die aber immer noch innerhalb der Beugungsgrenze liegt. Planeten werden bei entsprechendem Seeing - auch bei hoher Vergrößerung - sehr kontrastreich und detailliert abgebildet. Beim Saturn zeigte sich manchmal die Encke-Teilung. Planetarische Nebel gehen auch noch bei 700facher Vergrößerung. Also ein fast optimales Teleskop ohne irgendeine Macke? Nicht ganz. Gelegentlich tritt Astigmatismus auf, der sich aber meistens durch einen leichten Tritt gegen die Spiegelbox beseitigen lässt. Wenn er mal hartnäckiger ist, muss ich den Spiegel um 90° drehen. Das war's dann aber wirklich.

Es ist also tatsächlich möglich, einen Parabolspiegel für visuelle Zwecke aus Fensterglas zu schleifen, der sich vor kommerziellen Optiken nicht zu verstecken braucht. Die Herstellung ist nicht einmal übermäßig schwierig und mit etwas Geduld gut zu schaffen. Wer so etwas plant, sollte aber schon einen kleineren Spiegel erfolgreich geschliffen haben.

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