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Medizin 11. November 2001 © email: Krahmer |
Pressemitteilung Universitätsklinikum Benjamin Franklin, 21.08.2001 Lernstörungen: Dahinter stecken oftbehandelbare medizinische Probleme von Dipl.Pol.Justin Westhoff
Schulprobleme können
häufig behoben werden Vor allem Hörstörungen werden oft übersehen Warnung vor übereilter Pillen-Gabe Schlechte
Schulnoten sind beileibe nicht immer Folge von Faulheit.
Lernprobleme haben oft medizinische Gründe, die sich
meist beheben lassen. Deswegen sind regelmäßige
Eingangsuntersuchungen beim niedergelassenen Arzt,
nötigenfalls in einer Spezialambulanz, für die Zukunft
der Kinder von entscheidender Bedeutung. Darauf weisen
rechtzeitig zum Beginn des neuen Schuljahres (in Berlin
und Brandenburg am 3. September) Ärzte und
Wissenschaftler vom Universitätsklinikum Benjamin
Franklin (UKBF) hin. Prof. Manfred Gross, Direktor der
Klinik für Audiologie und Phoniatrie, berichtet, dass
gerade auch Hörstörungen ("auditive Verarbeitungs-
oder Wahrnehmungsstörungen") viel zu häufig
übersehen werden. Im übrigen warnt er auch davor, bei
nicht ausreichend diagnostizierter Hyperaktivität
("Zappelphilipp-Syndrom") vorschnell zu
Medikamenten zu greifen. Das UKBF bietet Ärzten als
Anlaufstelle und in besonderen Fällen auch Eltern seine
Hilfe an. Spezielle, sehr aufwendige Diagnosetechniken
sind innerhalb der Region nur hier verfügbar. Der
Fachbereich Humanmedizin der Freien Universität befasst
sich seit Jahren mit der Erforschung solcher
Einschränkungen der Lernfähigkeit, unter anderem im
Rahmen eines groß angelegten Projektes, das von der
Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wird. Die
Klinik für Audiologie und Phoniatrie des UKBF
registriert in den letzten Jahren einen drastischen
Anstieg von jungen Patienten mit großen
Schulschwierigkeiten. Allein im vorigen Jahr wurden 200
Kinder wegen erheblicher Probleme beim Schreiben und
Lesen untersucht. Nicht selten haben die Kinder eine
Odyssee hinter sich. Zuvor hatten Eltern und Lehrer oft
beobachtet, dass die Gedächtnisleistung für gesprochene
Sprache sowie die auditive Unterscheidungsfähigkeit
beeinträchtigt sind. Tatsächlich trifft dies etwa bei
der Hälfte der vorgestellten Patienten zu. Bei einem
Teil, besonders bei Kindern mit Leselern-Problemen,
bestehen Schwierigkeiten in der visuellen Wahrnehmung.
Die größte Gruppe der vorgestellten Kinder sind
Schüler der 2. bis 4. Klasse. Viele von ihnen hatten
Probleme beim Spracherwerb oder lang anhaltende,
frühkindliche Hörstörungen. Bei einigen finden sich
auch zum Untersuchungszeitpunkt noch Hörstörungen, die
vom Umfeld bisher unerkannt geblieben sind, aber
unbedingt behandelt werden müssen. Lebensbedrohliche
Veränderungen (wie Tumoren) sind in diesem Zusammenhang
zum Glück höchst selten. Typische
Schwierigkeiten von Kindern mit Störungen in der
auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung treten beim
Diktatschreiben auf. Auslöser für die
Beschwerden können krankhafte Veränderungen an Außen-,
Mittel- und Innenohr, an den aufsteigenden Hörbahnen
sowie in der zentralen Verarbeitung sein.
Wechselwirkungen bestehen gelegentlich mit anderen
Symptomen. Hierzu gehört eine reduzierte Aufmerksamkeit
und die Hyperaktivität. Nach Meinung der Wissenschaftler
am UKBF wird bei diesen Symptomen zu großzügig
und zu voreilig zu einer medikamentösen Therapie
gegriffen. Nur wenn eine differenzierte
Diagnostik der Lernstörungen erfolgt, kann eine
ursächlich orientierte Therapie stattfinden.
Gerade auditive Störungen bedürfen der
universitären Medizinforschung, denn vieles weiß auch
die Wissenschaft noch nicht: zum Beispiel, wie sich die
Nervenstrukturen bereits bei Säuglingen und Kleinkindern
in Abhängigkeit vom Hörvermögen entwickeln und welche
Wechselwirkungen zur Sprachentwickung und damit später
auch zu den Fähigkeiten des Lesens und Schreibens
bestehen. Die UKBF-Klinik für Audiologie und Phoniatrie
untersucht innerhalb einer interdisziplinären
DFG-Forschergruppe dieses Phänomen an Kindern von der
Geburt bis zum Alter von zunächst drei Jahren. Besonders
aufschlussreich sind dabei elektrophysiologische
Messungen, mit denen objektiv, also ohne Mitarbeit der
untersuchten Kinder, die Fähigkeiten zur auditiven
Verarbeitung und Wahrnehmung in der frühkindlichen
Entwicklung untersucht werden können. Den Forschern am
UKBF ist es als erster Gruppe gelungen, dieses sehr
aufwendige Verfahren auch in die Routinediagnostik zur
Abklärung von auditiven Verarbeitungs- und
Wahrnehmungsstörungen zu übernehmen. Hierbei
werden neben den elektrophysiologischen Untersuchungen
auch umfangreiche Hörprüfungen vorgenommen, mit denen
die einzelnen Etappen der Hörbahn differenziert
untersucht werden können. Die äußeren Anteile der
Hörbahn (wie Mittel- und Innenohr) sind in erster Linie
für die Fähigkeit verantwortlich, auch sehr leise
Geräusche zu hören. Für das Speichern und
Wiedererkennen komplexer Geräusche - wie zum Beispiel
Sprache - sind die zentral gelegenen Anteile, also die
übergeordneten Bereiche der Hörrinde zuständig. Auch
hierfür gibt es Untersuchungsverfahren, die in der
Klinik für Audiologie und Phoniatrie routinemäßig zum
Einsatz kommen. Die ersten vier Lebensjahre sind
wesentlich für die Entwicklung eines normalen
Sprachhörvermögens. Bereits bei einem
Hörverlust von mehr als 25 dB über einen Zeitraum von
mehr als drei Monaten (wie er etwa bei häufigen
Mittelohrentzündungen eintritt) sind nicht wieder
gutzumachende Beeinträchtigungen der Sprachentwicklung
zu befürchten. Die Klinik für Audiologie und
Phoniatrie des UKBF stellt dafür als einzige
Anlaufstelle in Berlin und Brandenburg spezielle
Diagnostik bereit. Es wundert deshalb auch nicht, dass
der Andrang riesig ist und die Wartezeiten über sechs
Monate betragen. Die Forscher geben sich jedoch nicht nur
mit der Diagnostik zufrieden, sondern haben den Ehrgeiz,
auf der Basis einer Schwächen-Stärken-Analyse ein
differenziertes Rehabilitationsprogramm anzubieten. Dabei
entscheidet sich, ob operative Maßnahmen, ein
Hörgerät, spezielle Übungen oder Nachhilfeunterricht -
also medizinische oder nichtmedizinische Behandlung -
angezeigt sind. Eltern von Kindern mit
Schulschwierigkeiten rät Professor Gross, die Probleme
so früh wie möglich mit den Lehrern zu besprechen und
dafür zu sorgen, dass eine Abklärung der allgemeinen
Leistungsfähigkeit erfolgt, etwa durch den
Schulpsychologischen Dienst. Weitere Schritte zur
Eingrenzung der Problematik sind die augenärztliche
und die ohrenärztliche Untersuchung. Eine
weiterführende Diagnostik zur Sprachwahrnehmung wird von
Fachärzten für Phoniatrie und Pädaudiologie angeboten.
Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin ist bei der
Suche nach entsprechenden Spezialisten behilflich. Wenn
dann noch Fragen offen sind, besteht die Möglichkeit zur
Untersuchung an der Klinik für Audiologie und Phoniatrie
des UKBF. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens wird dort
auch die kostenlose Untersuchung von Säuglingen
angeboten, deren Eltern gravierende
Sprachentwicklungsstörungen hatten. |
Kommentar von MM-Physik:
Beängstigend sind ähnliche Defizite im Audio-Bereich, wie sie
auch bei Schülern an Realschulen und Gymnasien auftreten
können. Ursachen können da Disco-Besuche mit extrem lauter
Elektronik im Bass- aber auch hohem Frequenzbereich sein. So
kenne ich einige Fälle mit Gehörschäden durch
"Rock-Konzerte" die sich auf bis zu 60%
Hörverlust nach mehren Wochen Uniklinikaufenthalt
stabilisiert haben.
P.Krahmer
Pillen für den Zappelphilipp
helfen nicht immer und sind meist kontraindiziert wenn
sauber diagnostiziert wird