Auch das Biographisch-bibliographische Kirchenlexikon von den "Experten" aus Gundelsheim am Neckar heimgesucht    !
II.

Der Webartikel im Biographisch-bibliographischen Kirchenlexikon ueber Bischof Friedrich Mueller-Langenthal


Vergleich

Wie Ulrich Andreas Wien den sorgfaeltigen Umgang mit historischen Tatbestaenden und das Gebot faktengetreuer Information in Verbindung mit NS-Bischof WILHELM STAEDEL vorsaetzlich verletzt



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            Wenn es kein Entgegenhalten gaebe gegen das Unterschlagen von historischen Tatsachen und Erkenntnissen der Quellenforschung, dann wuerde sich dem breiten und dem wissenschaftlich interessierten Publikum das unvollstaendige Bild bieten, das Konrad G. Guendischs Beitrag ueber Bischof Friedrich Mueller-Langenthal im Biographisch-bibliographischen Kirchenlexikon des Verlags Traugott Bautz GmbH. in Nordhausen liefert.

            Weil die Internetfassung des Lexikonartikels es versaeumt, den  in der Maiausgabe 2000 auf S.55-69 der Halbjahresschrift fuer suedosteuropaeische Geschichte, Literatur und Politik erschienenen Beitrag Entzerrung der Verzerrung. Der Wunschmaertyrer Friedrich Mueller-Langenthal in der Sekundaerliteratur zu erwaehnen und dadurch eine Informationsluecke einreisst, die als Informationsdefizit zu gelten hat,
veroeffentlichen die "Kritischen Blatter" diesen Text in ganzer Laenge (es handelt sich um die Originalfassung).


Entzerrung der Verzerrung

Der Wunschmaertyrer Friedrich Mueller-Langenthal

             Eine sich in ganz anderen historischen Dimensionen bewegende „Maertyrologie“ moechte dieser Aufsatz ins Rampenlicht der Oeffentlichkeit ruecken. Die nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ in den ehemals sozialistischen Staaten Ost- und Suedosteuropas einsetzende Rueckbesinnung auf politische Traditionen, Weltanschauungen und Wertvorstellungen, die der Kommunismus in den endvierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hinweggefegt hatte, erfuhr eine zuweilen aus- und ueberufernde Konjunktur. Die geschworenen Feinde des sowjetischen Bolschewismus, der marxistisch-kommunistischen „Weltpest“, die faschistoid-nationalsozialistischen Bewegungen wie die kroatische Ustascha, die serbischen Tschetniks, die ungarischen Kreuzpfeiler, die rumaenischen Legionaere (auch „Eiserne Garde“ genannt) wurden aus der Versenkung, in die sie von den jeweiligen kommunistischen Regierungen verdammt wurden, als leuchtende Vorbilder nationaler Ideale und Geschichte und als Maertyrer kommunistischer Gewaltherrschaft hochgehievt. Damit wurde einem neuartigen Geschichtsrevisionismus Tor und Tuer geoeffnet, der sich in den sonderbarsten Parteienbildungen und in einem Wust neofaschistischer und neonazistischer Literatur Luft macht.

             Doch Mythen- und Maertyrerbildung bedarf keinesfalls ausschliesslich einschneidender Ereignisse und historischer Entwicklungen von der Wucht des Berliner Mauerfalls. Die Hinrichtung des siebenbuergisch-saechsischen Schulmanns, Pfarrers und Politikers Stefan Ludwig Roth im Jahr 1849 durch nationalistische Truppen des ungarischen Revolutionsgenerals Bem loeste einen Mystifizierungsprozess aus, der bis heute andauert und als erster Hoehepunkt im Hang der Siebenbuerger Sachsen zur Maertyrologie einzustufen ist. Dass der siebenbuergisch-saechsische Nationalsozialismus dem Roth-Mythos besonders anhing, duerfte kaum ueberraschen, weil beiden weltanschauliche Irrationalitaet zugrunde liegt.
Und dieser mystifizierenden, mythen- und maertyrerbildenden Irrationalitaet froent die siebenbuergisch-saechsische Zeitgeschichte und Belletristik seit einiger Zeit in ausgiebiger Weise.

             So ist der Fall des Hermannstaedter Stadtpfarrers und Bischofsvikars der evangelischen Landeskirche A.B. in Rumaenien, Friedrich Mueller, besonders aufschlussreich. Die Veroeffentlichung seiner „Erinnerungen 1944-1964“1  bot den Anlass, eine regelrechte „Kanonisierungskampagne“ um Fr. Mueller ins Rollen zu bringen, die in der „Einleitung“ von Ulrich Andreas Wien eindeutig zu erkennen ist. Die dort festgehaltenen Grundgedanken flossen in seine Dissertation ein, deren Buchform ein tristes Exempel und ein Paradebeispiel dafuer ist, wohin Geschichtsmystifizierung fuehren kann2.



1. Schriften zur Landeskunde Siebenbuergens, Bd.17, Koeln Weimar Wien 1995.
2. Kirchenleitung ueber dem Abgrund. Bischof Friedrich Mueller vor den Herausforderungen durch Minderheitenexistenz, Nationalsozialismus und Kommunismus (Studia Transylvanica Bd.25, Koeln Weimar Wien 1998). Hierzu unsere Stellungnahmen in Halbjahresschrift fuer suedosteuropaeische Geschichte, Literatur und Politik (HJS), 11. Jg., Heft Nr.1, Mai 1999, S.80-91. Hierher gehoert auch die "Dokumentation" Anmerkungen zu Bischof Viktor Glondys, von Friedrich Mueller, in: Suedostdeutsche Vierteljahresblaetter (Vjbl.), Folge 2/1999, S.157-165. Dazu die Stellungnahme von Klaus Popa und Johann Boehm, Muellersche Kuriosa oder der Unwert mancher Dokumentation, in: HJS 11.Jg., Heft Nr.2, November 1999, S.126-132. Dem Maertyrerimage von Mueller dient der von Dietmar Plajer in Suedostdeutsche Vierteljahresblaetter., Folge 3/1998, S. 251-262 veroeffentlichte Beitrag „Bischofsvikar Muellers Auseinandersetzungen mit der Volksgruppenfuehrung 1941-1943“.


            Ob Bischofsvikar Friedrich Mueller wirklich ein Widerstaendler war, soll anhand einiger Urkunden aus den Jahren 1934-1935 und der im Politischen Archiv des Auswaertigen Amtes ueberlieferten Unterlagen von 1941-1944 beleuchtet werden3 . Damit kommt auch die Problematik des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus im rumaeniendeutschen Kontext zur Diskussion, deren sachgerechte Eroerterung ueberfaellig ist. Und die Beleuchtung der genannten Dokumentation ermoeglicht es in unmissverstaendlicher Weise klarzustellen, was von dem Image eines „Opfers“ der nationalsozialistischen Willkuerherrschaft der Volksgruppenfuehrung und eines Widerstaendlers uebrigbleibt, das Mueller selbst, ins Maertyrerhafte verzerrt, bereits 1942 in Umlauf brachte und verstaerkt ab 1944 kultivierte und in seinen "Erinnerungen ..." schriftlich fixierte.

             Wie Friedrich Mueller als Bischofsvikar und Stadtpfarrer von Hermannstadt zur nationalsozialistischen Bewegung in Siebenbuergen stand, die bereits 1933/34 die Mehrheit im Volksrat, dem obersten Verwaltungsorgan der Siebenbuerger Sachsen, besass, zeigt Muellers Agieren nach der Volksratssitzung vom 21.-22. Januar 1934, als Waldemar Gust, die damals fuehrende Persoenlichkeit der radikalen Nationalsozialisten, die Rede von Bischof Glondys mit Zwischenrufen stoerte, worauf der Bischof und seine konservativen Anhaenger den Sitzungssaal verliessen4. Mueller bot sich naemlich als Vermittler zwischen dem in seiner persoenlichen Ehre und in seiner Amtswuerde als Landesbischof der evangelischen Kirche Rumaeniens beleidigten Viktor Glondys und den Nationalsozialisten an. Es ging Mueller eigentlich nicht um eine aufrichtige Vermittlung, weil er mit dem Auftrag eben jener „Maenner von Gewicht, die die Kirche amtlich nicht belasten“ beim Bischof erschienen war, um das Exemplar des sogenannten „Dienstbuches“ der Nationalen Erneuerungsbewegung der Deutschen in Rumaenien (NEDR)5  zurueckzufordern, in dessen Besitz Glondys gelangt war und woraus er dann am 22. Januar 1934 in der Schrift „Zur Klarstellung der Lage“ Auszuege veroeffentlichte, die u.a. nationalsozialistische Prinzipien auch das Fuehrerprinzip belegen. Damit ist der erste Anhaltspunkt gewonnen, dass Bischofsvikar Mueller einen ausgezeichneten Draht eben zu den gemaessigten Nationalsozialisten um Fritz Fabritius besass.

             Die ueberlieferten Dokumente belegen einwandfrei, dass Friedrich Mueller aus eigenen Stuecken Vermittlungsversuche bis zum Schlichtungsversuch vom 29.-31. Oktober 1934 in Zuerich6  unternahm. So fuehrte er am 16. Juli 1934 ein Gespraech mit Hans Otto Roth, dem Spitzenpolitiker der konservativen Kraefte, die sich in der sogenannten „Einheitsbewegung“ zusammengeschlossen hatten, worauf ihm Roth brieflich mitteilte, dass die Zeit fuer Verhandlungen nicht reif sei, solange das Presseorgan der nationalsozialistischen NEDR, der „Ostdeutsche Beobachter“, unter der Federfuehrung von Waldemar Gust ueber „Denunziationen der eigenen Volksgenossen" spricht und aehnliche Toene auch im „Voelkischen Beobachter“ und im „Angriff“ in Berlin verlautbart werden7.

 Ein zweiter Brief Roths an Mueller vom 4. August 19348 belegt, dass der Bischofsvikar eine genaue Kenntnis ueber die NEDR-Fuehrer besass, als er in einem Aufsatz zwei Gruppen unterschied, naemlich eine radikale, die ein Pamphlet gegen Bischof Glondys unterzeichnet hatte, und eine gemaessigte.



3. Inland IIg 506 (R 101204) und Inland IIg 505 (R 101203).
4.  Vgl. Johann Boehm, Die Deutschen in Rumaenien und das Dritte Reich 1933-1940, Frankfurt am Main, Berlin New, York Paris, Wien: Lange Verlag 1999, S.56ff. Vgl. auch Klaus Popa und Johann Boehm (wie Anm.2), S.128.
5.  Da die Nationalsozialistische Selbsthilfebewegung der Deutschen in Rumaenien am 29, Nov. 1933 verboten wurde, aenderte die Fuehrung unter Fritz Fabritius deren Namen in Nationale Erneuerungsbewegung der Deutschen in Rumaenien um.
6.  Darueber ausfuehrlich bei Boehm (wie Anm.4), S.72ff.
7.  Nachlass Hans Otto Roth, Archiv der Schwarzen Kirche in Kronstadt, Briefkopie im Archiv von Klaus Popa. Der Rothsche Nachlass ueberliefert auch die Texte der drei erwaehnten Zeitungsartikel. Jetzt in Die Rumaeniendeutschen zwischen Demokratie und Diktatur. Der politische Nachlass von hans Otto Roth 1919-1951, hg. von Klaus Popa, Frankfurt a.M. etc. 2003, als Nr. 263, S.481-482.
8.  Ebenda, Nr.273, S.497f..


In einem Schreiben vom 5. August 1934 an Roth behauptet Mueller, er habe „keinen Ehrgeiz, selbst bei dieser Angelegenheit9 hervorzutreten. Dass dem nicht so war und dass die Einheitsbewegung ihn als nicht vertrauenswuerdig einschaetzte, ist aus Muellers Vorwurf gegen die Einheitsbewegung zu entnehmen. Er meinte, diese setze „Versuche zum Einzelabschiessen“ gegen ihn in Szene. Mueller begruendet seinen Vorschlag von „Vorfriedensberatungen“, die den Zweck haetten, die Lage zwischen den rivalisierenden Gruppen zu klaeren und Grundlagen auszuarbeiten, „die eine friedliche Zusammenarbeit“ ermoeglichen wuerden. Doch komme die von der Einheitsbewegung gestellte Bedingung, nur die Fuehrer zu laden, die die Schmaehschrift vom 21. Juli nicht unterschrieben hatten, einer Ablehnung der Vorfriedensverhandlungen gleich10. Mueller scheut sich nicht, die Einheitsbewegung zusammen mit den radikalen Nationalsozialisten, die er „die Verrannten“ nennt, fuer die Eskalation der Auseinandersetzungen verantwortlich zu machen. Er schreibt: „Wollt Ihr Euch mit den Verrannten auf der anderen Seite den Ruhm teilen, den Kampf bis zum Weissbluten erzwungen zu haben, den Kampf, an dessen Ende von unserem voelkischen Besitzstand, um dessen Erhaltung und Fortfuehrung wir kaempfen, das Meiste vernichtet sein wird.“ Mueller betont ferner, dass Pomarius, Jickeli und Roemer sich von den Radikalen distanziert haben, was wiederum fuer seine Sicht der Dinge und gegen die Ausgrenzungsversuche seitens der Einheitsbewegung spraeche11.

             In seinem Antwortschreiben vom 6. August 1934 macht Roth Mueller darauf aufmerksam, dass die Unterzeichner der Schmaehschrift gegen den Bischof eigentlich „einen frontalen Angriff gegen die Kirche“ gestartet haben. Auch ist Roth der Auffassung, dass „nach dem 1. Juli und vor allen Dingen nach dem 23. Juli noch immer keine klare Unterscheidung zwischen den beiden Gruppen ehemaliger NEDR-Fuehrer festzustellen" ist. Roths Brief liefert eine Einzelheit, die wiederum dafuer spricht, dass Mueller in den damaligen Auseinandersetzungen eine recht zwielichtige Stellung einnahm. Der Bischofsvikar war naemlich „von der Hermannstaedter Kundgebung fuer den Herrn Bischof“ ferngeblieben. Roth teilt Glondys das Geruecht mit, Mueller sei waehrend der Kundgebung „auf der Hohen Rinne mit einem der Unterzeichner der bischoeflichen Schmaehschrift12 zusammengewesen“13. Diese Briefstellen belegen einwandfrei, dass Bischofsvikar Mueller ein undurchsichtiges Doppelspiel betrieb, in dem er seine Naehe zu den gemaessigten Nationalsozialisten verheimlichte, gleichzeitig aber bemueht war, ein gutes Verhaeltnis zu H.O. Roth und den konservativen Kraeften zu bewahren.

             Die Tagebuchaufzeichnungen von Bischof Glondys vermitteln ebenfalls das Bild eines wankelmuetigen Mueller. So heisst es am 17. Oktober 1934, der Bischofsvikar habe Glondys am Vortag gesagt, „es werde gegen ihn sowohl vonseiten der radikalen Elemente der NEDR als auch der Einheitsbewegung gearbeitet“. Glondys hielt ihm vor, dass er „eine politische Aktion sogar oeffentlich in einem Zeitungsaufsatz des ‚Siebenbuergisch-Deutschen Tageblattes’ mit dem Ziel einer Vereinigung mit den ‚Pamphletisten’ eingeleitet habe“, ohne den Bischof vorher in Kenntnis zu setzen. „Es wirke doch befremdend auf das Volk, dass der Bischofsvikar mit den oeffentlichen Verleumdern des Bischofs Vereinbarungen schliesse,



9. Schlichtung des Streits durch eine reichsdeutsche Persoenlichkeit.
10.  Roth informierte Bischof Glondys, der damals im Ausland weilte, ueber Muellers Vorstoss am 4. Mai 1934: "Aus den Muellerschen Plaenen wird in allernaechster Zeit wohl nichts werden. Der Kampf ist zu hart und zu ernst, als dass man sich mit den Leuten heute an den Tisch setzen koennte (sic!)." (Kopie im Archiv Klaus Popa). Jetzt in Die Rumaeniendeutschen .... (wie Anm. 7), Nr. 272, S.497.
11.  Ebenda.
12.  Gemeint ist "der Schmaehbrief gegen den Bischof". Aus dem "Tagebuch" von Bischof Glondys erfaehrt man, dass Mueller mit Dr. Doerr auf der Hohen Rinne zusammengesessen sei  (Tagbuch. Aufzeichnungen von 1933 bis 1945, hg. von Johann Boehm und Dieter Braeg, Dinklage 1997, S.155). Doerr war in der Volksgruppenzeit (1940-1944) Buergermeister von Hermannstadt.
13.  Nachlass Roth, Kopie im Archiv K. P. Jetzt  in Die Rumaeniendeutschen .... (wie Anm. 7), Nr. 275, S.501.


[...].“14  In einem mit den Verhandlungen in Zuerich (29.-31. Oktober 1934) befassten Brief bezeichnete Hans Otto Roth Mueller als „parteiisch“.15

             Auch das am 19. Juli 1935 an den Ministerialrat von Stutterheim im Auswaertigen Amt gerichtete Schreiben von Mueller,16 belegt ebenfalls seine zwielichtige Verhaltensweise. Mueller hatte seinen Standort inzwischen insoweit geklaert, indem er unter dem Eindruck der Abspaltung der radikalen Nationalsozialisten unter Waldemar Gust, Alfred Bonfert und Fritz Cloos von der NEDR, die am 14. Juli 1935 die Gruendung der nazistischen Deutsche Volkspartei in Rumaenien17  (DVR) fuer Siebenbuergen vollzogen, den Radikalen den Ruecken kehrte. Auch gegen die buergerliche Einheitsbewegung um H.O. Roth bezieht er Stellung. Er stellt fest, dass die „grosse Gefahr, vor der wir im vorigen Jahr standen, dass eine Reaktion der Alteingestellten im rumaenischen Deutschtum eine Dollfuss-Entwicklung heraufbeschwoere“, „wesentlich durch die Hilfe, die Herr Staatssekretaer Lammers uns damals vermittelte, zunaechst vollstaendig beseitigt worden sei.“ Mueller erblickt zwar in der „Gruppe vom Typus der permanenten Revolutionaere unter der Fuehrung von Dr. Waldemar Gust“ „eine neue Gefahr“, die eine Spaltung der „hiesigen nationalsozialistischen Bewegung“ hervorgerufen habe. Doch groessere Sorgen scheint ihm die Moeglichkeit zu bereiten, dass der heftige Kampf zwischen beiden nationalsozialistischen Gruppen „die Reaktion (d.h. die Einheitsbewegung um Dr. Hans Otto Roth), die schon Morgenluft wittert“, wieder aufkommen laesst, wodurch sie „letzten Endes doch das Feld behalten“ wuerde. Muellers Befuerchtung gilt also eindeutig der zerbrochenen Einheit der nationalsozialistischen Bewegung, womit er politisch genau einzuordnen ist. Denselben Geist atmet Muellers Behauptung, „die tragische Spaltung unter den fuer die geistigen Stroemungen aus dem Deutschen Reich aufgeschlossenen Kreise des hiesigen Deutschtums“ muesse so rasch als nur moeglich ueberwunden werden. Der Gedanke kehrt wieder in der Formulierung: „unsere Aufgeschlossenheit fuer die Einwirkungen aus dem Reich“ koennte durch „die Fruechte der Reaktion“ lahmgelegt werden. Er unterstreicht abschliessend, welche „Bedeutung diese Aufgeschlossenheit des hiesigen Deutschtums fuer alle geistigen Auswirkungen aus dem Reich nicht nur aus dem Gesichtspunkt seines eigenen Bestandes, sondern auch im Interesse des Reiches selbst“ hat.

Der Eklat von Friedrich Mueller mit der Kirchen- und Volksgruppenfuehrung

 Wie konnte es zwischen dem ueberzeugten gemaessigten Nationalsozialisten Friedrich Mueller und der Volksgruppenfuehrung des Andreas Schmidt und Bischof Staedel zum Eklat kommen? Zwar lehnte Mueller den extrem



14. Glondys, Tagebuchaufzeichnungen (wie Anm.12), S.131.
15.  Mitgeteilt von Glondys, S.148 (Eintragung vom 27. November 1934). Die Verhandlungen in Zuerich sollten zwischen den rivalisierenden Parteien vermitteln und Frieden stiften. Es wurde die Bildung eines "Fuenferausschusses" beschlossen, den Mueller als sogenannt "neutraler" Vorsitzender leiten sollte (Vgl. Boehm, Die Deutschen .... (wie Anm.4), S, 72-76). Glondys war verstaendlicherweise gegen die Ernennung von Mueller, weil das seinem eisern befolgten Prinzip, die Kirche aus parteipolitischen Querelen herauszuhalten, zuwiderlief (vgl. zu diesem Thema S. 10 und Anm.56). Glondys schreibt in diesem Zusammenhang am 27. November 1934: "Ich habe uebrigens den Eindruck, dass Mueller sich ganz unnoetigerweise in einen grossen Gegensatz zur Stroemung der eigenstaendigen Sachsen bringt und ich will meine ganz neutrale Haltung in diesen Fragen beibehalten. Er handelt auf seine Verantwortung, da ich ihn, mit Ruecksicht auf die bestehende Freiheit jedes Geistlichen, politisch zu handeln, nur warnen, ihm aber nichts befehlen kann." (Tagbuchaufzeichnungen, S.149); vgl. auch das von Mueller am 19. Juli 1935 an Ministerialrat von Stutterheim im Auswaertigen Amt gerichtete Schreiben.
16.  Politisches Archiv des Auswaertigen Amtes Bonn (PAdAAB), Foerderung des Deutschtums in Rumaenien, Bd.19, R 60189.
17. Vgl. dazu Boehm (wie Anm.4), S.93.


 radikalen Nationalsozialismus eines Waldemar Gust ab, aber nicht die Errichtung des Volksgruppenregiments im November 1940. Mueller nahm eine abwartende Stellung ein. Er wusste, dass Glondys mit der neuen Nazi-Fuehrung nicht klar kommen werde, darum hoffte er, den Bischofsstuhl zu besetzen.

             Anfangs herrschte noch keine Klarheit ueber die Umgestaltung der Schulen, Vereine, Nachbarschaften, Bruder- und Schwesterschaften, was Mueller Glondys am 2. Dezember 1940 in seinem Lagebericht mitteilte. Mueller sagte auch, „die SS habe die Herrschaft angetreten“.18 Nachdem Glondys den Bischofsstuhl im Februar 1941 unter Nazizwang raeumen musste, keimte in Mueller die Hoffnung, von seinem Vorgaenger das Bischofsamt uebernehmen zu koennen.19  Doch der Nachfolger von Glondys stand in der Person des Altnazi Wilhelm Staedel fest und dieser wurde am 23. Februar installiert. Mueller verhielt sich zunaechst ruhig, entschloss sich aber in der Sitzung des Landeskonsistoriums vom 21. November 1941, in der die Uebergabe des Schulwesens an die Volksgruppe beschlossen wurde, zu opponieren.20

             Nichts spricht dagegen, dass Friedrich Muellers Abwendung vom radikalen Nationalsozialismus der Volksgruppenfuehrung aufrichtig war. Zwar nahm dieser Schritt ein Jahr in Anspruch (im Schreiben vom 25. April 1941 an Bischof Staedel erwaehnt er, dass er „schon am 10. Dezember 1940“ dem Volksgruppenfuehrer eine Aufzeichnung ueber die Regelung des kirchlichen Vermoegens und die Erhaltungsmittel fuer die Kirche ueberreicht habe), doch Mueller entschied sich mit allen Konsequenzen dafuer. Darum ist es hier angebracht sich die Frage zu stellen, warum Mueller sich vor der Bischofswahl am 16. Februar 1941 fuer das Abkommen der Kirche mit der Volksgruppenfuehrung einsetzte und es danach ablehnte. Muellers Verbitterung ueber die Kirchenfeindlichkeit der Volksgruppenfuehrung und die Erkenntnis, dass die Nazi-Fuehrung die totale Zerschlagung der Landeskirche anstrebte, ist zweifelsohne darin zu suchen, dass Volksgruppenfuehrer Andreas Schmidt sich fuer Staedel und nicht fuer ihn als Bischof entschieden hatte. Das war der ausloesende Punkt, weshalb Mueller das Gesamtabkommen21 der Kirche mit der Volksgruppenfuehrung, das auf der 39.



18. Tagebuchaufzeichnungen (wie Anm.12), S.328.
19.  PAdAAB, Inland IIg, 506, R. 101204. Denkschrift des Bischofs der ev. Landeskirche A.B. in Rumaenien Wilhelm Staedel in Angelegenheit des Hermannstaedter Stadtpfarrers D. Friedrich Mueller. In der Denkschrift, die 10 Schreibmaschinenseiten umfasst, schreibt Staedel auf Seite 1 und 9 unter anderem folgendes: „Als wir nach meiner Erwaehlung zum Bischof am 16. Februar 1941 in feierlichem Zuge zum Haus der Landeskirche gingen, sagte mir der zur Linken schreitende Stadtpfarrer und Bischofsvikar D. Friedrich Mueller etwa folgendes: er habe Gott im Gebet angerufen, dass er die Wahl nicht zu seinen Gunsten ausgehen lassen moege, weil es keine kleine Sachse sei, die ungeheure Verantwortung dieses Amtes in der Jetztzeit zu tragen. Diese Aeusserung hat mich damals recht seltsam beruehrt, denn sie kam von dem Manne, der am 1. Januar desselben Jahres in der Sitzung des Hermannstaedter Presbyteriums sich mit allen moeglichen Mitteln gegen meine Kandidation zum Bischof gewendet hatte, wohl weil er in mir den gefaehrlichsten Rivalen witterte...“ (Seite 1). „D. Mueller war einer der ersten, der nach dem Abkommen mit der Volksgruppenfuehrung gerufen hat, und es muss seltsam beruehren, dass er nachher dann auf verschiedene Weise und mit wechselnden Ansatzpunkten Widerstand geleistet hat...“ (Seite 9). Vgl.. ferner PAdAAB, Inland IIg, 505, R 101203, Niederschrift des Volksgruppenfuehrers Andreas Schmidt in Berlin am 7. Januar 1943. Schmidt behauptet unter anderem: „Stadtpfarrer Mueller ist mein Landsmann und hatte versucht, durch mich Bischof zu werden...“. Das gleiche behauptet auch Unterstaatssekretaer im Auswaertigen Amt, Martin Franz Julius Luther, in seiner Vortragsnotiz fuer den Reichsaussenminister vom 7. Januar 1943, D VIII 12g/43, R 101203.
20. Erinnerungen (wie Anm.1), S.327.
21.  Das Abkommen regelte das Verhaeltnis zwischen der evangelischen Landeskirche A.B. in Rumaenien und der NSDAP der DVR. Es sah die uebergabe des gesamten Schulwesens an die Volksgruppenfuehrung, sowie die Einstellung der Taetigkeit kirchlicher und halbkirchlicher Bruder- und Schwesterschaften, der Nachbarschaften und der ev. Frauenvereine vor. Damit wurde die Finanzhoheit der ev. Kirche in Rumaenien zerschlagen, ein einmaliger Vorgang in der Kirchengeschichte der Siebenbuerger Sachsen. In PAdAAB, Inland II C. Volksdeutsches Kirchenwesen, Bd. 8 – D VIII 4028/41: Rumaenien.


Landeskirchenversammlung (31. Mai 1942) angenommen wurde, bis zum 18. November 1943 ablehnte, und es ab diesem Datum akzeptierte.22

            Muellers Option fuer die gemaessigten Nationalsozialisten beruhte auf seinem betonten Deutschglauben.23 In der Amtszeit von Bischof Glondys (14. Nov. 1932 - Februar 1941) war Mueller bestrebt, ein gewisses Gegengewicht zu seinem ewigen Rivalen Glondys zu erlangen, was nur auf politischer Ebene zu erzielen war. So war auch aus dieser Konstellation her die Zusammenarbeit Muellers mit den gemaessigten Nationalsozialisten vorgegeben. Er hatte Glondys niemals dermassen unterstuetzt, dass dieser der zunehmenden Radikalisierung der Volksgemeinschaft etwas haette entgegensetzen koennen. Durch die versagte Unterstuetzung trug Mueller zweifelsohne zum Sturz von Glondys bei, obwohl er nach aussen hin behauptete, Glondys haette das Bischofsamt nicht niederlegen duerfen. Er hoffte, nun dessen Stelle besetzen zu koennen, was aber missglueckte, weil die radikalen Nationalsozialisten, die inzwischen die Volksgruppenfuehrung uebernommen hatten, nichts von freien Bischofswahlen hielten. Mueller verkannte offenbar die politische Skrupellosigkeit der Nationalsozialisten um Andreas Schmidt sowie das Prinzip des Fraktionszwangs, das er in seinen zahlreichen Beschwerdeschreiben in den Jahren 1941-1943 wiederholt anprangerte. Wie war das moeglich bei einem Mann, der angeblich einen guten politischen Riecher gehabt haben soll? Das hatte er im Fall Glondys unter Beweis gestellt, doch auf seine eigene Person scheint er es nicht bezogen zu haben. Soll der Grund dafuer nur Selbstverblendung gewesen sein? Manches spricht dafuer, dass Mueller seines Rueckhalts in der siebenbuergisch-saechsischen Pfarrerschaft bewusst war und mit diesem Pfand in die Bischofswahl zog. Er hatte sich nicht geirrt, weil er sowohl auf Gemeinde-, wie auf Kirchenbezirksebene besser als der Nationalsozialist Staedel abschnitt. Doch dass das eigentliche Wahlergebnis die Nationalsozialisten in keiner Weise beeindrucken wuerde, damit scheint Muellers kirchendemokratisch gepraegtes Gewissen nicht gerechnet zu haben. Er haette sich darauf einrichten muessen, dass die Volksgruppenfuehrung auf jeden Fall einen Parteigenossen auf den Bischofsstuhl hieven wuerde und dass der altgediente Parteigenosse Wilhelm Staedel dafuer vorgesehen war. Mueller glaubte offenbar, dass sein Kokettieren mit den radikalen Nationalsozialisten des Andreas Schmidt ausreichen wuerde, seinen Lebenstraum zu erfuellen. Als er in seinen Erwartungen zutiefst enttaeuscht wurde, fand er in die Rolle zurueck, die ihm als Bischofsvikar bereits zur Zeit von Glondys zugestanden haette, die er aber aus verbissener Gegnerschaft zu seinem Vorgesetzten nicht entsprechend wahrnehmen wollte.24

             Muellers Kampf gegen die Absichten der Volksgruppenfuehrung, die Schulen aus der kirchlichen Obhut zu loesen und die Kirche ueber das System des Fraktionszwangs ganz zu laehmen, sollte auch seinen gekraenkten Ehrgeiz befriedigen. Doch es gab zweifelsohne auch weitere Beweggruende, die Mueller zum Widerstand gegen Andreas Schmidt und Bischof Staedel bewegten: die Gewissheit, dass die Pfarrer, die ihre Stimme bei der Bischofswahl ihm gegeben hatten, weiterhin hinter ihm stehen, und die waren sicherlich nicht gering an der Zahl; sodann die Ueberzeugung, dass er die Kirche mit den Mitteln zu verteidigen hat, die er souveraen handhabte, naemlich das konstitutionelle und administrative Kirchenrecht. Das tat er auch in glaenzender Weise, doch war sein im Geiste der gewachsenen Kirchendemokratie gefuehrter Kampf


22.  PAdAAB, R 101203. Aufzeichnung ueber die Verhandlungen der Kommission zur Befriedung der kirchlichen Auseinandersetzung in Siebenbuergen, gez. Heckel. Vgl. auch die drei Punkte der Vereinbarung vom 18. November 1943, gez. von Generalkonsul Dr. Lierau, Bischof Heckel, D. Friedrich Mueller, Bischof Staedel und Volksgruppenfuehrer Andreas Schmidt; vgl. ferner auch den Bericht zur Vereinbarung vom 18. November 1943, Gr. Inland II – GK Dr. Lierau vom 26.Nov. 1943.
23.  Das ist eine betonte Form des deutschen Nationalismus, die bei den Siebenbuerger Sachsen weit verbreitet war und als Grundlage fuer den problemlosen Umschwung breiter Kreise, vor allem der Lehrer-, aerzte- und Erzieherschaft sowie eines betraechtlichen Teils der Pfarrerschaft zum extremen Nationalismus nationalsozialistischer Praegung zu gelten hat.
24.  Vgl. die zahlreichen Tagebucheintragungen von Glondys.


aussichtslos gegen ein mit totalitaerer Skrupellosigkeit operierendes Herrschaftssystem, hinter dem die Mehrheit (ca. 80%) der evangelischen Pfarrer stand. Und so entschied sich auch Mueller, das Abkommen zwischen Kirche und Volksgruppenfuehrung am 18. November 1943 anzuerkennen und sich fuer dessen Durchfuehrung einzusetzen.
Es ist zu vermuten, dass gerade der quasi-religioese Zug nationalsozialistischer Massenveranstaltungen, der der Sehnsucht vieler Deutscher in Rumaenien entgegenkam, dahinter steckt. Denn er ueberwand aeusserlich die Folgen von oekonomischen Gegensaetzen, sowie die Zerrissenheit und den Glaubensverlust. Er vermittelte – in den dafuer vorgesehenen institutionalisierten ausseralltaeglichen Situationen – das Gefuehl, einer „Gemeinschaft“, wobei die Glaubensgemeinschaft in eine Hingabebereitschaft der Person transformiert wurde.

            Dass Mueller all das in seinen Erinnerungen umzudeuten versucht, und andere fuer sein Hin- und Herlavieren zwischen den politischen und religioesen Fronten verantwortlich macht, mutet einen, der die historische Entwicklung im deutschen Siedlungsgebiet von Rumaenien kennt, sonderbar an.

Die Mythenbildung um Friedrich Mueller

             Mueller hat zeitlebens seine Gestalt mit einer Maertyreraura umgeben. Um die Bedeutsamkeit seines Widerstandes gegen die Eiverleibung der Schulen durch die Volksgruppenfuehrung, die bestrebt war, eine sognannte „Nationalschule“ zu errichten, von der schul-, kirchenrechtlichen und von der ideologischen Motivation zu entkoppeln, die nach 1945 ohnehin niemand mehr verstehen wuerde,25 konzentrierte sich Mueller ganz und gar auf seine eigene Person. So erdichtete er den Mythos, er sei waehrend seines Zwangsaufenthalts in Berlin (August - Oktober 1942) der Einweisung ins KZ knapp entgangen. Ein weiteres mythenbildendes Moment bot die innerkirchliche Opposition gegen die auf Gleichschaltung ausgerichteten Zwangsmassnahmen der nationalsozialistischen Volksgruppen- und Kirchenfuehrung, in der sich Mueller nicht irgendeine Rolle, sondern die des Hauptwiderstaendlers zudachte.

            Auf derselben Linie bewegt sich leider auch das Geschichtsverstaendnis und die Zeitgeschichtsforschung der Siebenbuerger Sachsen, die, statt urkundlich gesicherte Fakten sachgerecht aufzuarbeiten, sich vor allem in letzter Zeit zunehmend mit Falschaussagen und Mystifizierungen begnuegt, die teils von Vertretern der Erlebnisgeneration, teils von ihr selbst in die Welt gesetzt und der staunenden Oeffentlichkeit als gediegenen Forschungsergebnisse verkauft werden.

            Zu den unverzeihlichen Maengeln der Mueller-Biographie von U.A. Wien haben wir uns schon geaeussert,26 doch in der Auseinandersetzung mit Muellers Rolle in den Jahren 1941-1944 koennen die Fehlurteile, die Auslassungen und das durchgaengige Bestreben Wiens, Mueller eine Maertyreraura zu verpassen, nicht uebersehen werden. Ebenso nicht die Rezension von Cornelius R. Zach, der u.a. schreibt, Wiens Buch schliesse „eine breite Luecke der Forschung betreffend die Geschichte der Evangelischen Kirche A.B. in Rumaenien in den Jahrzehnten zwischen 1940 und 1969“, weil es „ein Stueck Kirchengeschichte der Siebenbuerger Sachsen aus der Zeit zweier Diktaturen“ ist.27 Und erst recht koennen die lobhudelnden Betrachtungen von Dietmar Plajer ueber Wiens Fiasko-Schrift nicht uebersehen werden, die eigentlich Wiens Versuch, Mueller als Maertyrer zweier Diktaturen darzustellen,



25.  Seine frueheren Gegenspieler waren entweder tot oder nach Westdeutschland entwichen und die Volksgruppe hatte sich Ende August 1944 selbst aufgegeben.
26.  Vgl. Anm.2.
27.  Suedostdeutsche Vierteljahresblaetter, 48. Jg., Folge 4, 1999, S.407.


billigt und damit die Mythenbildung um Mueller foerdert.28 Es sollen hier die krassesten Beispiele lobhudelnder Aeusserungen angefuehrt werden. Wiens Arbeit wird „ein Standardwerk fuer die Erforschung der Vergangenheit dieser Kirche vor allem in der Zwischenkriegszeit darstellen“ (Wohl als Paradebeispiel fuer Unterschlagung historischer Tatsachen, fuer eigenwillige Interpretationsweisen und fuer historische Verfaelschung!). Wien sei „ein profunder Kenner der Vergangenheit dieser im Suedosten Europas seit mehr als acht Jahrhunderten als ethnische und spaeter auch als konfessionelle Minderheit siedelnden Gruppe [...]“. Laut Plajer soll beim Verfasser „ein Blick fuer das Erfassen historischer Zusammenhaenge bezeugt“ sein.29 Aehnliche Lobpreisungen gelten der Darstellung, die Wien den nationalsozialistischen Umtrieben bei den Siebenbuerger Sachsen liefert: Es beeindrucke „der klare Blick, das nuechterne Urteil und ein gutes Gespuer des Verfassers fuer die verborgenen Zusammenhaenge“.30

            Ueber das, was Wien im 10. Kapitel seines Buches konsequent versaeumt, heisst es, ganz an der Realitaet des Wienschen Textes vorbei, der Verfasser fuege „in minutioeser Kleinarbeit31  „jede Information, die er dazu erreichen konnte, so zusammen, dass schliesslich ein deutliches Bild ueber die Vorgaenge in Berlin im Zusammenhang mit der Hinderung von Bischofsvikar Mueller an seiner Heimreise entsteht“. Wie undeutlich nicht nur dieses, sondern saemtliche Bilder des 10. Buchkapitels ausfielen, setzen wir im Folgenden auseinander.

             Gennantes Kapitel behandelt den sogennanten „Muellerschen Verteidigungsring“.32 Wien behauptet unter Berufung auf Muellers „Erinnerungen...“, dieser habe bereits im Fruehjahr 1941 „einen Kreis von Gesinnungsgenossen aus den meisten siebenbuergischen Dekanaten, der sich monatlich konspirativ traf“, gegruendet.33 Muellers Information besagt das absolute Gegenteil : „Seit der Stellungnahme des Pfarrervereinsausschusses gegen Schmidts Terror bildete sich ein Kreis von Pfarrern, die entschlossen waren, alles zu wagen, um die neiheidnische Gefahr abzuwenden. Wir lehnten eine organisatorische Zusammenfassung dieser fuer die Kirche sich einsetzenden Verteidigungskraefte ab, [...]“.34 „Gruendung“ setzt im genannten Kontext zwinegnd auch organisatorische Taetigkeit voraus, was Mueller aber ausdruecklich ausschliesst.

            Dem Mythos, einer Einweisung ins KZ knapp entgangen zu sein, uebernimmt Wien aus Muellers „Erinnerungen“,35 obwohl ihm saemtliche Urkunden aus dem Ordner 101203 des Politischen Archivs des Auswaertigen Amtes vorlagen, auch die, die diese Legende widerlegen. Dies ist nicht der einzige Punkt, in dem Wien, dessen „minutioese Kleinarbeit“ Plajer ruehmt, Urkunden einfach unterschlaegt.

             Bereits drei Wochen nach der Ankunft Muellers in Berlin, wo er auf Veranlassung der Volksgruppenfuehrung, des deutschen Gesandten v. Killinger in Bukarest und der VoMi36 weichgekocht werden sollte, um seine Opposition gegen die Kirchenpolitik der Volksgruppenfuehrung und der Kirchenleitung unter Bischof Staedel aufzugeben, legte Legationsrat Triska vom Auswaertigen Amt (AA) dem Chef der Abteilung Deutschland Inland, Unterstaatssekretaer Luther, am 17. August 1942 eine Notiz vor, in der es ausdruecklich heisst, dass Mueller „bisher bei seinem Aufenthalt im Reich keinen Anlass gegeben,



28.  Ebenda, 49. Jg., Folge 1, 2000, S.67-74: Die Kirche Siebenbuergens im 20. Jahrhundert. Zur Biographie Bischof Friedrich Muellers von Ulrich Andreas Wien.
29.  Wie Anm.28, S.67
30. Ebenda, S.69.
31.  Unsere Hervorhebung.
32.  Wien (wie Anm.2), S.176-210.
33.  Ders., S.176.
34  Wie Anm.1, S.340.
35.   Wien (wie Anm.2), S.194; Mueller (wie Anm.1), S.346..
36.  Volksdeutsche Mittelstelle, eine von der SS fuer das sogenannte Volkssdeutschtum betriebene Organisastion.


gegen ihn einzuschreiten“.37 Mehr noch, der Chef der Sicherheitspolizei und des SD38 benachrichtigte das AA am 20. August 1942, dass „trotz der sehr eingehend durchgefuehrten Ueberwachung“ Muellers, es nicht moeglich war, „Mueller eine Verbindung mit staatsfeindlichen Kreisen oder eine staatsfeindliche Betaetigung nachzuweisen.“

             Und Muellers maertyrerhaft angehauchte Schilderung,39 durch das Eingreifen des „entschiedenen Christen“, Staatssekretaer v. Weizsaecker, sei der Plan von Luther in letzter Minute vereitelt worden, ihn ins KZ Sachsenhausen zu verbringen,40 wird von dem Schreiben Luthers vom 17. September 1942 an v. Weizsaecker als Schwindel entpuppt. Luther schlaegt angesichts der gescheiterten Versuche Mueller im Reich zurueckzuhalten vor, den Bischofsvikar zurueckreisen zu lassen. Luther wird Mueller vor der Abreise eroeffnen, „das AA erwarte von ihm als Angehoerigen des Deutschen Volkes, dass er sich nach seiner Rueckkehr in Rumaenien jeglicher politischer Taetigkeit fernhalte und nichts unternehmen werde, was der Deutschen Volksgruppe schaedlich sein koennte“.

            Auch die vor Muellers Abreise aus Berlin am 2. Oktober 1942 zwischen Legationsrat Buettner vom AA, Andreas Schmidt, Generalkonsul Rodde vom Konsulat in Kronstadt, Legationsrat Triska vom AA, Gunesch von der VoMi, Mueller und Dr. Arz abgeschlossene Vereinbarung, die die Anreise des Volksgruppenfuehrers und des Generalkonsuls erforderte, spricht entschieden gegen Muellers ZK-Maerchen.

             Sodann steht ein weiterer Fragenkomplex dagegen, dass das AA jemals erwog, Mueller in einem KZ verschwinden zu lassen. Und interessanterweise war es Mueller selbst, der in seinem einzigen Schreiben an Staatssekretaer von Weizsaecker vom 24. August 1942 auf die politischen und diplomatischen Verwicklungen aufmerksam machte, die seine Festhaltung im Reich ergibt. Wie schwerwiegend die Befuerchtungen des AA, des Staatssekretaers v. Weizsaecker persoenlich waren, dass der Fall Mueller die rumaenische Regierung auf den Plan rufen koennte, belegt das Schreiben des Sttassekretaers an die von Unterstaatssekretaer Luther geleitete Abteilung Deutschland Inland (10. September 1942), in dem es u.a. heisst, dass die rumaenische Regierung den Fall „mit einem fuer uns unerwuenschten Ablauf“ aufnehmen wird, wobei der deutsche Gesandte in Bukarest, v. Killinger, dem Vorwurf ausgesetzt wuerde, „einen rumaenischen Staatsangehoerigen in eine Falle gelockt zu haben“. Zu so einem Vorwurf darf es keinesfalls kommen.41 Dieses Schreiben bringt die aeusserste Massnahme zur Sprache, die das AA jemals gegen Muelle im Visier hatte, ein Strafverfahren, das von der Abteilung Deutschland vorgeschlagen wurde. Doch v. Weizsaecker erblickt keine politische Moeglichkeit, Mueller mit oder ohne Strafverfahren im Reich festzuhalten.

             Auf derselben Linie liegt auch ein Telegramm des Generalkonsuls Rodde vom 25.08.1942 an die VoMi, in dem die Absicht der Volksgruppe, des Volksgruppenfuehrers persoenlich, mitgeteilt wird, Mueller nach Rumaenien zurueckzuschicken. Es ist auch hervorzuheben, dass Mueller am 15. September 1942 das AA in Verbindung mit seiner unzumutbaren finanziellen Lage darauf aufmerksam machte, dass er „keine Schritte fuer eine Devisengenehmigung getan hatte und sie hier (in Berlin) nicht nachholen konnte, ohne die rumaenische Gesandtschaft und damit die rumaenische Regierung“ auf seinen Fall „aufmerksam zu machen“. Es ist also nicht verfehlt, von der „rumaenischen Karte“ zu sprechen, die Mueller geschickt zur eigenen Abschirmung in Berlin einsetzte. Mit obiger Bemerkung nimmt er eigentlich das AA in die Pflicht,



37. Saemtliche weiterhin zitierten Urkunden stammen aus der Mappe 101203 des Politischen Archivs des Auswaertigen Amtes.
38.  Sicherheitsdienst.
39.  So bringt er seine Abfahrt nach Berlin mit einem ihm „unter Umstaenden“ „bevorstehenden Martyrium“ in Verbindung (Erinnerungen, S.344).
40. Erinnerungen, S.346.
41.  V. Killinger war es, der durch seine Versicherung, Mueller wuerde bis zum 15. August 1942 wieder in Rumaenien sein (vgl. Erinnerungen, S.343), diesen ueberzeugte, die Reise nach Berlin anzutreten.

ihm einen menschenwuerdigen Aufenthalt in Berlin bzw. die Rueckkehr in die Heimat zuzusichern als Gegenleistung dafuer, dass er es unterliess, sich in seiner finanziellen und persoenlichen Bedraengnis eben an die diplomatische Vertretung zu wenden, die ihn als rumaenischen Staatsangehoerigen in Berlin vertrat.

                 Die relativ kurz gehaltene Schilderung seines Berliner Aufenthalts42  ist ein Beispiel dafuer, mit welcher Vorsicht Erinnerungstexte als Informationsquelle heranzuziehen sind, zumal dann, wenn sie auf Ereignisse Bezug nehmen, die 20 Jahre zurueckliegen. So wirft Mueller die Chronologie der Ereignisse durcheinander und idealisiert Staassekretaer v. Weizsaecker und den Diplomaten Bernd v. Haeften dermassen, dass er sie mit Ereignissen in Verbindung setzt, bei denen andere massgeblich waren. Nur zwei Beispiele: Das am 25. August 1942 mit v. Stutterheim im AA gefuehrte Gespraech datiert Mueller auf den 12. September 1942 und schreibt es v. Heaften zu. Ein von Mueller ueber sein Wortgefecht vom 25. August 1942 mit Generalkonsul Rodde verfasstes Gedaechtnisprotokoll soll „sofort nach dem Vorfall“ „zu den Akten gelegt“ worden sein.43 Dagegen spricht der im Archiv des AA ueberlieferte Text, den Mueller zwar am 25. August 1942 verfasste, den er aber nach Aussage des Textes erst am 21. September 1942 an Legationsrat Buettner uebergab.

             Wenden wir uns nun der Problematik des sogenannten „Verteidigungsringes“ zu, den es in der von Mueller und juengst von U.A. Wien vorgegebenen Weise ueberhaupt nicht gab.
             Wien behauptet in breitspuriger Formulierung und ohne beweiskraeftigen Belegen ueber den Muellerschen „Verteidigungsring“, „die meisten seiner Mitglieder“ seien „auch als „Bevollmaechtigte“ oeffentlich“ aufgetreten. Sie sollen in doppelter Funktion als „geistige Resistenz und realpolitisches Konfliktmanagement“ agiert haben.44 Dass Mueller eigentlich mit der beschwerdefuehrenden Pfarrerschaft ueberhaupt nichts am Hut hatte, wird noch zu zeigen sein. Eine kircheninterne Opposition gegen die Zwangsmassnahmen der Volksgruppenfuehrung und des nationalsozialistischen Kirchenregiments unter Bischof Staedel gab es bereits in den Anfaengen der Volksgruppe. So veranlasste die offizielle Aufloesung der Bruder- und Schwesterschaften und der Frauenvereine im Mai 1941 die ersten oppositionellen Aeusserungen. Eine vertrauenswuerdige Quelle berichtet, dass Bischof Staedel auf der zwischen dem 11. und 15. August abgehaltenen Pfarrvereinsversammlung „im Zusammenhang mit der Herausgabe eines Nachrichtenblattes vom Pfarrverein“ gekraenkt war und die Leitung des Vereins mit harten Vorwuerfen ueberschuettete. In der Bibelarbeit, die zweimal von Bischof Staedel und einmal von Bischofsvikar Mueller geleitet wurde, konnten „die Spannungen zwischen dem Bischof und dem Pfarrverein“ „durch Geduld auf beiden Seiten gemildert werden“.45

            Die Spannung zwischen Pfarrerschaft und Volksgruppenfuehrung erreichte laut Mueller ihren ersten Hoehepunkt, nachdem der Pfarrvereinsausschuss Stellung gegen Schmidts Terror nahm. Damals „bildete sich ein Kreis von Pfarrern, die entschlossen waren, alles zu wagen, um die neuheidnische Gefahr abzuwenden“. Mueller faehrt im Namen der Gruppe fort: „Wir lehnten eine organisatorische Zusammenfassung dieser fuer die Kirche sich einsetzenden Verteidigungskraefte ab, [...]. Aber es trafen sich allmonatlich bei mir Pfarrer aus unseren wichtigsten Bezirken, berieten die jeweils wechselnden Angriffsrichtungen Schmidts und seiner Leute, um Abwehrmoeglichkeiten zu finden [...]. Es hatte sich so, ohne dass wir wussten wie, ein Einlenken der erdrueckenden Mehrheit der Pfarrerschaft in unsere Verteidigungslinie ergeben“.46



42. Erinnerungen, S.344-347.
43.   Ebenda, S.346.
44.   Wien (wie Anm.2), S.207f.
45.  Hellmut Klima, Aus den Tagebuechern eines siebenbuergischen Studenten aus den Jahren 1930-1945, hg. von Samuel Liebhart, Saarbruecken-Dudweiler 1999, S.276.
46. Erinnerungen, S.344.


Sicher gab es Kontakte zwischen Mueller und den oppositionellen Pfarrern, doch Muellers Anspruch, in einer „Wir-Front“ mit diesen Pfarrern gestanden zu haben, ist nirgends, auch nicht durch den vertrauenswuerdigen Hellmut Klima, bezeugt. Auch nicht die monatlichen Treffen in Muellers Haus.47

            Mueller stellt sich in seinen „Erinnerungen„ zumindest als Berater, wenn nicht als geistiger Anfuehrer der oppositionellen Pfarrerschaft bis zum Ende des Volksgruppenregiments dar. So auch in Verbindung mit der Reaktion der freiheitlich gesinnten Pfarrerschaft gegen das Rundschreiben Z.K. 1662/1942 „betreffend die Einheit des kirchlichen Handelns“ (auch als „Maulkorberlass“ bekannt). Mueller schreibt: „In ausfuehrlichen Beschwerdeschriften, deren von mir stammende Konzepte in Beratung mit Kampfgenossen ergaenzt und ausgefeilt wurden, bekaempften wir diese Massnahmen zur Einfuehrung der Diktatur in der Kirche“.48

             Die Belege aus dem politischen Archiv des Auswaertigen Amtes sprechen eine ganz andere Sprache. Man kann dem Beamten- und Politikerkreis des AA. kaum vorwerfen, nicht ueber erstrangige Informationen verfuegt zu haben. Wenn Mueller tatsaechlich die zentrale Rolle eines Organisators und Beraters der oppositionellen Pfarrerschaft spielte, dann wuerden die einschlaegigen Urkunden in der Mueller-Akte sich auch darauf beziehen,. u.zw. haette das zumindest als Grund fuer seine Festsetzung in Berlin aufscheinen muessen, ebenso haette eine oppositionelle Taetigkeit Muellers ab Mai 1943, auch auf der Seite der beschwerdefuehrenden Pfarrer, in den Akten ihren Niederschlag gefunden. Doch nichts dergleichen!

            Nach dem im Juni 1942 zwischen Landeskirche und Volksgruppenfuehrung abgeschlossenen „Gesamtabkommen“, das die vollstaendige Dienstbarmachung der Landeskirche fuer die totalitaeren Ziele der nationalsozialistischen Volksgruppe sicherstellen sollte, gab es in der Pfarrversammlung des Pfarrvereins vom 19. Februar 1943 einen erneuten Hoehepunkt, als eine Eingabe der Pfarrvereinsleitung an das Landeskonsistorium verlesen wurde, in der „die Vorschlaege betreffend die Dezentralisierung gemacht“ wurden. Es wurden „die Nachteile der Zentralisierung festgestellt. Die Einsender dieser Eingabe und der Bischofsvikar Mueller sind der Meinung, dass die Volksgruppe uns die Grundlagen der christlichen Verkuendigung entziehen will. Die Mehrheit nimmt die Eingabe freudig an“.49 Die Pfarrerschaft hatte die totalitaeren Ziele der Volksgruppenfuehrung, die eine vollstaendige Nazifizierung der Landeskirche anstrebte, erkannt und wehrte sich konsequent dagegen. Pfarrer Klimas Bericht ist auch dadurch bedeutsam, dass er zwischen Mueller und den Einsendern der Eingabe klar unterscheidet. Hier wird die Vorgehensweise Muellers greifbar, sich zwar gedanklich aber niemals organisatorisch mit der innerkirchlichen Opposition zu identifizieren.50

            Muellers Anschluss an die innerkirliche Opposition blieb Bischof Staedel, der Deutschen Gesandtschaft in Bukarest und dem AA nicht verborgen. So informierte der Gesandte v. Killinger am 31. Mai 1943 das AA, Bischof Staedel habe informiert, dass Mueller „Unzufriedenheit besonders in oppositioneller Pfarrerschaft schuere“.

             Mueller schrieb am 31. Juli 1943 an Legationsrat Buettner, der Kampf „massgeblicher Persoenlichkeiten“ fuer seine Beseitigung diene als Auftakt fuer die Beseitigung anderer Pfarrer, wozu schon Massnahmen im Gange seien. Auch sollen seine Amtsbrueder an ihn getreten sein mit der Bitte, „sich nicht niedertreten zu lassen, weil das den Angriffen gegen sie die Bahn oeffnen wuerde“. Mueller gewissermassen als der Schutzschild der oppositionellen Pfarrer !



47.  Vgl unsere vorausgehende Feststellung, wie unzuverlaessig Erinnerungsliteratur in Muellerschem Stil ist.
48.  Erinnerungen, S.355.
49.  Klima (wie Anm.45), S.313.
50.  Vgl. S.8 und Anm. 46. In diesem Zusammanhang wird es klar, dass nicht die oppositionelle Pfarrerschaft es ablehnte, sich organisatorisch zu gliedern, sondern einzig und allein Mueller, weil eine organisatorische Bindung sein einzelgaengerisches Protestlertum zu sehr eingeschraenkt haette.


            Eigentlich kommt hier der Status zum Ausdruck, den Mueller durch seine unversehrte Rueckkehr aus Berlin verpasst bekam und der von seinen Amtskollegen, aber auch von der in Kirchengemeinden zusammengefassten Bevoelkerung, vor allem von den Hermannstaedtern, geteilt und solidarisch unterstuetzt wurde. Mueller nahm nun als Bischofsvikar und Hermannstaedter Stadtpfarrer eine symbolische Stellung ein. Und er baute im Bewusstsein seines nun symbolisch behafteten Rufes, ein Spitzenmann der Opposition gegen die Zwangsherrschaft zu sein, seine weitere Oppositionstaetigkeit aus, wobei er sich auf die nicht unbedeutende Anzahl oppositioneller Pfarrer berufen konnte. Allerdings ist Muellers Warnung, dass seine Niederringung die gesamte Opposition mit in den Abgrund reissen koennte, eine Uebertreibung und ein Ausdruck seines Bewusstseins, eine zum Symbol mutierte Persoenlichkeit zu sein.

            Muellers eigentlicher Standort in der Oppositionsfront kommt auch im Schreiben des Generalkonsuls Rodde an die Deutsche Gesandtschaft in Bukarest (6. Oktober 1943) zur Sprache. Rodde informiert, dass er Mueller gebeten habe, „auch auf alle anderen Personen einzuwirken, die im Augenblick beabsichtigten, gerichtlich gegen die Volksgruppe vorzugehen“. Mueller habe versprochen, das, „so weit es in seinen Kraeften stuende“, zu tun.51 Muellers Versprechen liegt zeitlich nach dem Zwischenfall im Zeidner Waldbad, wo Volksgruppenfuehrer Schmidt zusammen mit zwei Mitgliedern des Landeskonsistoriums und anderen Gefaehrten beim Herannahen mehrerer Pfarrer ueber Christus und den christlichen Glauben laesterten (28. August 1943), und vor der Ankunft des Schlichterausschusses, der den Abschluss der Vereinbarung vom 18. November zwischen Mueller, Staedel und Schmidt bewerkstelligte. Wie bereits erwaehnt, hatte sich Muellers Stellung gegenueber seinen Widersachern nach der unversehrten Rueckkehr aus Berlin (4. Oktober 1943) betraechtlich gefestigt. Daher ist nun einer der heftigsten Gegener Muellers, Generalkonsul Rodde, auf Muellers Einfluss auf die Opposition, diesmal die politische, angewiesen.

             Muellers symbolische Stellung im Oppositionsgefuege wird auch von folgender Eintragung von Altbischof Glondys belegt: „Ich erzaehlte dem Bischofsvikar, dass ich am 7. Oktober ein Schreiben vom Landeskonsistorium in der Angelegenheit der Vorfaelle im Zeidner Waldbad erhalten haette, worin ich eingeladen worden sei, die von mir mit 76 anderen unterfertigten Anzeigern [eingereichte Anzeige] gemaess 13. D.O. [Disziplinarordnung] zu ergaenzen.“52  Mueller befand sich also trotz seines anerkannten Einflusses nicht unter den Unterzeichnern des Protestes gegen die Beteiligung von Mitgliedern des Landeskonsistoriums an der Gottes- und Glaubenslaesterung im Zeidner Waldbad, hingegen Altbischof Glondys, der, weil seine Unterschrift vor der der anderen Unterzeichner stand, vom Landeskonsistorium zeitweilig als Kopf dieser Aktion angesehen wurde.53

            Auch in Verbindung mit der Vereinbarung vom 18. November masst sich Mueller eine Rolle an, die er so niemals spielte. Er schreibt: „Da aber in dieser Endphase der Auseinandersetzung fuer uns alles darauf ankam, Zeit zu gewinnen, halte ich es auch heute, aus der Rueckschau fuer richtig, dass ich die Verantwortung fuer diesen Befriedungsversuch uebernahm,54 worin ich damals dann durch die widerspruchslose Zurkenntnisnahme der Schlichtungsvereinbarung durch alle Kirchenstellen eine mein Gewissen sehr beruhigende Entlastung erfuhr“.55 Mueller tut so, als ob er das Zustandekommen der Vereinbarung veranlasst und auch bewerkstelligt habe. Doch das erstere ging eigentlich darauf zurueck, dass das AA und das Kirchliche Aussenamt zur Ueberzeugung gelangt waren, dass es keine andere Schlichtungsmoeglichkeit gab, nachdem Mueller Anfang August und erneut am 31. August 1943 das durch das Kirchliche Aussenamt und durch



51.  Vgl. dazu Glondys (wie Anm.12), S.373, 376.
52.  Ebenda, S. 373.
53. Diese, seinen Gegner Glondys aufwertenden Tasachen sucht man vergeblich in Muellers „Erinnerungen“.
54. Unsere Hervorhebung.
55.  Erinnerungen, S.358.


das AA im Einvernehmen mit der Volksgruppenfuehrung und der VOMI vorgeschlagene Schiedsgericht in Berlin ablehnte. Ferner pochte Mueller wiederholt auf die „dringende(r) Durchfuehrung der Berliner Vereinbarung vom 2. Oktober 1942“ (so in einem Brief ans AA am 31. Juli 1943), das die aussergerichtliche Beilegung seiner Streitsache mit dem Landeskonsistorium, mit Bischof Staedel und mit der Volksgruppenfuehrung vorsah.

             Es duerfte nun klar sein, dass Mueller seinen ausschliesslich persoenlichen Konfliktfall in anmassender und faktenverfaelschender Weise mit den Aktionen der beschwerdefuehrenden Pfarrer verband und das Verdienst innersiebenbuergischer Befriedung usurpiert.

             Auch ist es bezeichnend, dass Mueller in keinem der ueberlieferten Brieftexte, die er vor oder nach seiner Rueckkehr aus Berlin an die Deutsche Gesandtschaft in Bukarest, ans AA in Berlin oder an den Hauptakteur des Schlichtungsausschusses, Generalkonsul Lierau, richtete, jemals im Namen der kircheninternen Opposition, sondern ausschliesslich ueber seine eigene Lage, ueber die Angriffe seiner Gegner schreibt, eigene Loesungsvorschlaege unterbreitet und die Einhaltung erzielter Vereinbarungen wiedeholt einfordert, ueber die Nichteinhaltung der Kronstaedter Vereinbarung vom 18. November 1943 oder ueber gefuehrte Gespraeche unterrichtet. Die eingesehenen Urkunden belegen einwandfrei, dass die Opposition der siebenbuergisch-saechsischen Pfarrerschaft unabhaengig von den ausschliesslich persoenlichen Initiativen Muellers aufkeimte und sich entfaltete, wobei Mueller immer vorsichtig genug war, sich davon zu distanzieren, aber nicht davor zurueckschreckte, die Oppositionsmomente seiner eigenen Sache dienstbar zu machen. Dass es bei seinen Vorstoessen nicht um die Sache der Pfarrerschaft, sondern nur um seine eigene, persoenliche Sache ging, belegt u.a. die Formulierung in einem Schreiben der Deutschen Gesandtschaft Bukarest an Mueller vom 5. August 1943: die „Erledigung Ihres (d.h. Muellers) Falles“ und die „Beseitigung der wegen Ihrer (d.h. Muellers) Person und Haltung bestehenden Differenzen“.

             Dass Muellers Opposition in der Hauptsache ein Aleingang war, belegt auch der Vereinbarungstext vom 18. November 1943, der von Andreas Schmidt, Wilhelm Staedel, Friedrich Mueller, Generalkonsul Lierau und Konsistorialrat Bischof Haeckel, aber von keinem Vertreter der mehrheitlichen Pfarreropposition unterzeichnet wurde. Die Beschwerdefuehrenden werden nur im Zusammenhang mit der Notwendigkeit der Bestellung von Bevollmaechtigten und deren Anhoerung erwaehnt. Auch soll nicht unerwaehnt bleiben, dass Mueller nach der Kronstaedter Vereinbarung ein einziges Schreiben an reichsdeutsche Stellen, naemlich an Generalkonsul Lierau, am 9. Januar 1944 richtete, und das auch nur durch ein Schreiben Lieraus zum Jahreswechsel veranlasst. Demnach wurde es nach dem 18. November 1943 um den Oppositionellen Mueller sehr still. Hatte er sich doch in der Kronstaedter Vereinbarung verpflichtet, die Beschluesse der 39. Landeskirchenversammlung (31. Mai - 3. Juni 1942) (u.a. auch die Bischofsinstallation Staedels), „und damit vor allem auch das Gesamtabkommen zur Regelung des Verhaeltnisses der evangelischen Landeskirche AB zur Deutschen Volksgruppe in Rumaenien“ anzuerkennen. Ausserdem hatte er „sich als Stellvertreter des Bischofs zur Durchfuehrung desselben besonders verpflichtet“.

             Bemerkenswert sind die Angaben von Generalkonsul Lierau im „Bericht zur Vereinbarung vom 18. November 1943“ vom 26. November 1943 und in der „Aufzeichnung ueber die Verhandlungen der Kommission zur Befriedung der kirchlichen Auseinandersetzungen in Siebenbuergen“ (1. November 1943). Mueller aeusserte waehrend der Verhandlungen die Befuerchtung, „dass womoeglich viele andere Pfarrer, fuer die er die Verantwortung nicht uebernehmen koenne, sich nicht an die von ihm unterschriebene Verantwortung gebunden fuehlen werden“. Diese Information belegt, dass Mueller sich einerseits anmasste, bei den Verhandlungen und dann als Unterzeichner der Vereinbarung die Pfarrerschaft zu vertreten, andererseits aber einraeumt, dass es viele andere Pfarrer gibt, die nichts von einer Befriedung halten. Lierau berichtet auch, „die weit ueberwiegende Zahl der Pfarrer stand in diesen Faellen [den Disziplinarverfahren des Landeskonsistoriums gegen einige Pfarrer, den Beschwerden, dem Zwischenfall im Zeidner Waldbad] gemeinsam mit Mueller gegen das Kirchenregiment“. Auf diese Solidaritaet baute Mueller und die setzte er auch geschickt zur Abwehr der Angriffe gegen sein Amt und seine Person ein.

             Muellers Statur gewann nach der „Vereinbarung“ sichtlich an Gewicht. Am 9. Januar 1944 schrieb er Lierau, er sei von Pfarrern besucht worden, die neue Konflikte auszutragen hatten. Gleichzeitig betont er, er koenne nicht nachvollziehen, inwieweit diese Pfarrer eigene Wege gehen, weil er „ja auf zufaellige Fuehlungnahme und Informationen angewiesen“ ist. Fuer Muellers Statusgewinn spricht auch die Mitteilung Lieraus ans AA vom 3. Maerz 1944, „unser Hauptgegner, Bischofsvikar Mueller“, habe „sein Versprechen, seinen grossen Einfluss auf die oppositionellen Pfarrer geltend zu machen, nach Aussage von Bischof Staedel bisher ehrlich erfuellt“. Diese Textstelle belegt aber auch, dass Mueller nach der Unterzeichnung der Kronstaedter Vereinbarung seinen Autoritaetszuwachs in den Dienst des nationalsozialistischen Kirchenregiments stellte, was das zwielichtige Bild seiner Persoenlichkeit wiederum vertieft.

             Muellers Behauptung, seine „stets durchgehaltene Grundueberzeugung - gestuetzt auf sein Lutherstudium - : dass man im Amt der Kirche sich von politischen Maechten und Richtungen freihalten muesse, so dass man stets fuer Gottes Wege, abseits von menschlich begreifenwollenden Sicherungen, frei bleiben koenne“,56 klingt angesichts unserer Ausfuehrungen wie blanker Hohn. Wie glaubwuerdig kann ein Mann sein, der bis zur Entscheidung der Volksgruppenfuehrung fuer Staedel als Landesbischof der nationalsozialistischen Ausrichtung so nahe stand und anfangs auch mit deren radikaler Ausformung, der Volksgruppenfuehrung unter Andreas Schmidt, kokettierte? Der das im Kampf gergen den um sich greifenden Nationalsozialismus von Bischof Glondys vertretene Prinzip der parteipolitischen Bindungslosigkeit konsequent verletzte und damit den Bischof in seinem Kampf allein liess ? Mueller mag waehrend seiner Auseinanderstzung mit der Volksgruppenfuehrung und der nationalsozialistischen Kirchenfuehrung zu diesem Prinzip gefunden haben, aber das schmaelert weder seine fruehe, noch seine spaete Zwielichtigkeit (letztere in kommunistischer Zeit) keinesfalls.

Fazit

            Der Befund unserer letzten Stellungnahme zur Problematik Friedrich Mueller - Viktor Glondys,57 dass Mueller ein empfindlich selbstzentrierter, geltungs- und herrschsuechtiger Mann war, dessen Gestalt durch politisches Hin- und Herlavieren von einer unverkennbaren Zwielichtigkeit umgeben ist, wird hier bis ins einzelne erhaertet. Die Frage, wieso Mueller so lange Zeit der nationalsozialistischen Volksgruppen- und Kirchenfuehrung die Stirn bot, ist damit zu beantworten, dass Mueller jederzeit fuer rechtliche Absicherung sorgte und die Oppositionsbestrebungen der Pfarrerschaft geschickt zu seinen Gunsten ausnuetzte. So lief jederzeit eine Gerichtsklage, entweder gegen Bischof Staedel oder gegen hochrangige Mitglieder des Landeskonsistoriums bei rumaenischen Verwaltungsgerichten, deren Faelligkeitstermin Mueller als Druckmittel einsetzte. In unmittelbarem Zusmamenhang dazu steht die Karte der rumaenischen politischen Behoerden, die das antichristliche Treiben der Volksgruppenfuehrung mit Argwohn verfolgten und ueber Muellers Zwangsaufenthalt in Berlin in ihren Befuerchtungen bestaetigt wurden. Mueller spielte diese Karte mit bewundernswertem Geschick waehrend seines Berliner Aufenthalts aus und beschleunigte damit den Erkennntisprozess im Auswaertigen Amt, dass er unversehrt nach Hermannstadt zurueckkehren muss.

            Unsere Untersuchung spuert den Mechanismus des Muellerschen „Wunschmaertyrertums“ in der Auspraegung von Muellers „Erinnerungen“ und in der Auspraegung des im Dienste der siebenbuergisch-saechsischen Zeitgeschichtsschreibung stehenden Urlich Andreas Wien auf und belegt das Hohlmass dieser Wuensche. Desweiteren fuellen unsere Ausfuehrungen manche Riesenluecke aus, die U.A. Wien, der "ultimative Kirchengeschichtler" in Sachen Zwischenkriegs- und Nachkriegszeit, mit seiner zweifelhaften Mueller-Biografie eingerissen hat.

            Die Mueller-Problematik veranschaulicht die Notwendigkeit, die Geschichte des nationalsozialistischen Landeskonsistoriums und der innerkirchlichen Opposition anhand der ueberlieferten Akten zu vertiefen. Denn entgegen der von Dietmar Plajer gelieferten Wien-Verherrlichung, der in Wiens Buch der Wahrheit letzten Schluss erblicken will, ist in der Kirchengeschichte, wie auch in der politischen Geschichte dieser Jahre, noch lange nicht das letzte Wort gefallen.



56.  Erinnerungen, S.349.
57.  Vgl., Anm.2.

Kritische Blaetter zur Geschichtsforschung und Ideologie

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Datei: Entgegenhalten.html            Erstellt: 13.12.2003        Geaendert:03.08.2007                Webmaster, Autor und  © Klaus Popa


 
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