Auch das Biographisch-bibliographische Kirchenlexikon von den "Experten" aus Gundelsheim am Neckar heimgesucht !
II.
Der Webartikel
im Biographisch-bibliographischen Kirchenlexikon ueber Bischof Friedrich
Mueller-Langenthal
Weil die Internetfassung des Lexikonartikels es versaeumt, den in
der Maiausgabe 2000 auf S.55-69 der Halbjahresschrift
fuer suedosteuropaeische Geschichte, Literatur und Politik erschienenen
Beitrag Entzerrung der Verzerrung. Der Wunschmaertyrer Friedrich Mueller-Langenthal
in
der Sekundaerliteratur zu erwaehnen und dadurch eine Informationsluecke
einreisst, die als Informationsdefizit zu gelten hat,
veroeffentlichen die
"Kritischen Blatter" diesen Text in ganzer Laenge (es handelt sich um die
Originalfassung).
Entzerrung der Verzerrung
Der Wunschmaertyrer Friedrich Mueller-Langenthal
Eine sich in ganz anderen historischen Dimensionen bewegende „Maertyrologie“ moechte dieser Aufsatz ins Rampenlicht der Oeffentlichkeit ruecken. Die nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ in den ehemals sozialistischen Staaten Ost- und Suedosteuropas einsetzende Rueckbesinnung auf politische Traditionen, Weltanschauungen und Wertvorstellungen, die der Kommunismus in den endvierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hinweggefegt hatte, erfuhr eine zuweilen aus- und ueberufernde Konjunktur. Die geschworenen Feinde des sowjetischen Bolschewismus, der marxistisch-kommunistischen „Weltpest“, die faschistoid-nationalsozialistischen Bewegungen wie die kroatische Ustascha, die serbischen Tschetniks, die ungarischen Kreuzpfeiler, die rumaenischen Legionaere (auch „Eiserne Garde“ genannt) wurden aus der Versenkung, in die sie von den jeweiligen kommunistischen Regierungen verdammt wurden, als leuchtende Vorbilder nationaler Ideale und Geschichte und als Maertyrer kommunistischer Gewaltherrschaft hochgehievt. Damit wurde einem neuartigen Geschichtsrevisionismus Tor und Tuer geoeffnet, der sich in den sonderbarsten Parteienbildungen und in einem Wust neofaschistischer und neonazistischer Literatur Luft macht.
Doch Mythen- und Maertyrerbildung bedarf keinesfalls ausschliesslich einschneidender
Ereignisse und historischer Entwicklungen von der Wucht des Berliner Mauerfalls.
Die Hinrichtung des siebenbuergisch-saechsischen Schulmanns, Pfarrers und
Politikers Stefan Ludwig Roth im Jahr 1849 durch nationalistische Truppen
des ungarischen Revolutionsgenerals Bem loeste einen Mystifizierungsprozess
aus, der bis heute andauert und als erster Hoehepunkt im Hang der Siebenbuerger
Sachsen zur Maertyrologie einzustufen ist. Dass der siebenbuergisch-saechsische
Nationalsozialismus dem Roth-Mythos besonders anhing, duerfte kaum ueberraschen,
weil beiden weltanschauliche Irrationalitaet zugrunde liegt.
Und dieser mystifizierenden, mythen-
und maertyrerbildenden Irrationalitaet froent die siebenbuergisch-saechsische
Zeitgeschichte und Belletristik seit einiger Zeit in ausgiebiger Weise.
So ist der Fall des Hermannstaedter Stadtpfarrers und Bischofsvikars der
evangelischen Landeskirche A.B. in Rumaenien, Friedrich Mueller, besonders
aufschlussreich. Die Veroeffentlichung seiner „Erinnerungen 1944-1964“1
bot den Anlass, eine regelrechte „Kanonisierungskampagne“ um Fr. Mueller
ins Rollen zu bringen, die in der „Einleitung“ von Ulrich Andreas Wien
eindeutig zu erkennen ist. Die dort festgehaltenen Grundgedanken flossen
in seine Dissertation ein, deren Buchform ein tristes Exempel und ein Paradebeispiel
dafuer ist, wohin Geschichtsmystifizierung fuehren kann2.
Wie Friedrich Mueller als Bischofsvikar und Stadtpfarrer von Hermannstadt zur nationalsozialistischen Bewegung in Siebenbuergen stand, die bereits 1933/34 die Mehrheit im Volksrat, dem obersten Verwaltungsorgan der Siebenbuerger Sachsen, besass, zeigt Muellers Agieren nach der Volksratssitzung vom 21.-22. Januar 1934, als Waldemar Gust, die damals fuehrende Persoenlichkeit der radikalen Nationalsozialisten, die Rede von Bischof Glondys mit Zwischenrufen stoerte, worauf der Bischof und seine konservativen Anhaenger den Sitzungssaal verliessen4. Mueller bot sich naemlich als Vermittler zwischen dem in seiner persoenlichen Ehre und in seiner Amtswuerde als Landesbischof der evangelischen Kirche Rumaeniens beleidigten Viktor Glondys und den Nationalsozialisten an. Es ging Mueller eigentlich nicht um eine aufrichtige Vermittlung, weil er mit dem Auftrag eben jener „Maenner von Gewicht, die die Kirche amtlich nicht belasten“ beim Bischof erschienen war, um das Exemplar des sogenannten „Dienstbuches“ der Nationalen Erneuerungsbewegung der Deutschen in Rumaenien (NEDR)5 zurueckzufordern, in dessen Besitz Glondys gelangt war und woraus er dann am 22. Januar 1934 in der Schrift „Zur Klarstellung der Lage“ Auszuege veroeffentlichte, die u.a. nationalsozialistische Prinzipien auch das Fuehrerprinzip belegen. Damit ist der erste Anhaltspunkt gewonnen, dass Bischofsvikar Mueller einen ausgezeichneten Draht eben zu den gemaessigten Nationalsozialisten um Fritz Fabritius besass.
Die ueberlieferten Dokumente belegen einwandfrei, dass Friedrich Mueller aus eigenen Stuecken Vermittlungsversuche bis zum Schlichtungsversuch vom 29.-31. Oktober 1934 in Zuerich6 unternahm. So fuehrte er am 16. Juli 1934 ein Gespraech mit Hans Otto Roth, dem Spitzenpolitiker der konservativen Kraefte, die sich in der sogenannten „Einheitsbewegung“ zusammengeschlossen hatten, worauf ihm Roth brieflich mitteilte, dass die Zeit fuer Verhandlungen nicht reif sei, solange das Presseorgan der nationalsozialistischen NEDR, der „Ostdeutsche Beobachter“, unter der Federfuehrung von Waldemar Gust ueber „Denunziationen der eigenen Volksgenossen" spricht und aehnliche Toene auch im „Voelkischen Beobachter“ und im „Angriff“ in Berlin verlautbart werden7.
Ein zweiter Brief Roths an
Mueller vom 4. August 19348 belegt,
dass der Bischofsvikar eine genaue Kenntnis ueber die NEDR-Fuehrer besass,
als er in einem Aufsatz zwei Gruppen unterschied, naemlich eine radikale,
die ein Pamphlet gegen Bischof Glondys unterzeichnet hatte, und eine gemaessigte.
In seinem Antwortschreiben vom 6. August 1934 macht Roth Mueller darauf aufmerksam, dass die Unterzeichner der Schmaehschrift gegen den Bischof eigentlich „einen frontalen Angriff gegen die Kirche“ gestartet haben. Auch ist Roth der Auffassung, dass „nach dem 1. Juli und vor allen Dingen nach dem 23. Juli noch immer keine klare Unterscheidung zwischen den beiden Gruppen ehemaliger NEDR-Fuehrer festzustellen" ist. Roths Brief liefert eine Einzelheit, die wiederum dafuer spricht, dass Mueller in den damaligen Auseinandersetzungen eine recht zwielichtige Stellung einnahm. Der Bischofsvikar war naemlich „von der Hermannstaedter Kundgebung fuer den Herrn Bischof“ ferngeblieben. Roth teilt Glondys das Geruecht mit, Mueller sei waehrend der Kundgebung „auf der Hohen Rinne mit einem der Unterzeichner der bischoeflichen Schmaehschrift12 zusammengewesen“13. Diese Briefstellen belegen einwandfrei, dass Bischofsvikar Mueller ein undurchsichtiges Doppelspiel betrieb, in dem er seine Naehe zu den gemaessigten Nationalsozialisten verheimlichte, gleichzeitig aber bemueht war, ein gutes Verhaeltnis zu H.O. Roth und den konservativen Kraeften zu bewahren.
Die Tagebuchaufzeichnungen von Bischof Glondys vermitteln ebenfalls das
Bild eines wankelmuetigen Mueller. So heisst es am 17. Oktober 1934, der
Bischofsvikar habe Glondys am Vortag gesagt, „es werde gegen ihn sowohl
vonseiten der radikalen Elemente der NEDR als auch der Einheitsbewegung
gearbeitet“. Glondys hielt ihm vor, dass er „eine politische Aktion sogar
oeffentlich in einem Zeitungsaufsatz des ‚Siebenbuergisch-Deutschen Tageblattes’
mit dem Ziel einer Vereinigung mit den ‚Pamphletisten’ eingeleitet habe“,
ohne den Bischof vorher in Kenntnis zu setzen. „Es wirke doch befremdend
auf das Volk, dass der Bischofsvikar mit den oeffentlichen Verleumdern
des Bischofs Vereinbarungen schliesse,
Auch das am 19. Juli 1935 an den Ministerialrat von Stutterheim im Auswaertigen Amt gerichtete Schreiben von Mueller,16 belegt ebenfalls seine zwielichtige Verhaltensweise. Mueller hatte seinen Standort inzwischen insoweit geklaert, indem er unter dem Eindruck der Abspaltung der radikalen Nationalsozialisten unter Waldemar Gust, Alfred Bonfert und Fritz Cloos von der NEDR, die am 14. Juli 1935 die Gruendung der nazistischen Deutsche Volkspartei in Rumaenien17 (DVR) fuer Siebenbuergen vollzogen, den Radikalen den Ruecken kehrte. Auch gegen die buergerliche Einheitsbewegung um H.O. Roth bezieht er Stellung. Er stellt fest, dass die „grosse Gefahr, vor der wir im vorigen Jahr standen, dass eine Reaktion der Alteingestellten im rumaenischen Deutschtum eine Dollfuss-Entwicklung heraufbeschwoere“, „wesentlich durch die Hilfe, die Herr Staatssekretaer Lammers uns damals vermittelte, zunaechst vollstaendig beseitigt worden sei.“ Mueller erblickt zwar in der „Gruppe vom Typus der permanenten Revolutionaere unter der Fuehrung von Dr. Waldemar Gust“ „eine neue Gefahr“, die eine Spaltung der „hiesigen nationalsozialistischen Bewegung“ hervorgerufen habe. Doch groessere Sorgen scheint ihm die Moeglichkeit zu bereiten, dass der heftige Kampf zwischen beiden nationalsozialistischen Gruppen „die Reaktion (d.h. die Einheitsbewegung um Dr. Hans Otto Roth), die schon Morgenluft wittert“, wieder aufkommen laesst, wodurch sie „letzten Endes doch das Feld behalten“ wuerde. Muellers Befuerchtung gilt also eindeutig der zerbrochenen Einheit der nationalsozialistischen Bewegung, womit er politisch genau einzuordnen ist. Denselben Geist atmet Muellers Behauptung, „die tragische Spaltung unter den fuer die geistigen Stroemungen aus dem Deutschen Reich aufgeschlossenen Kreise des hiesigen Deutschtums“ muesse so rasch als nur moeglich ueberwunden werden. Der Gedanke kehrt wieder in der Formulierung: „unsere Aufgeschlossenheit fuer die Einwirkungen aus dem Reich“ koennte durch „die Fruechte der Reaktion“ lahmgelegt werden. Er unterstreicht abschliessend, welche „Bedeutung diese Aufgeschlossenheit des hiesigen Deutschtums fuer alle geistigen Auswirkungen aus dem Reich nicht nur aus dem Gesichtspunkt seines eigenen Bestandes, sondern auch im Interesse des Reiches selbst“ hat.
Der Eklat von Friedrich Mueller mit der Kirchen- und Volksgruppenfuehrung
Wie konnte es zwischen dem
ueberzeugten gemaessigten Nationalsozialisten Friedrich Mueller und der
Volksgruppenfuehrung des Andreas Schmidt und Bischof Staedel zum Eklat
kommen? Zwar lehnte Mueller den extrem
Anfangs herrschte noch keine Klarheit ueber die Umgestaltung der Schulen, Vereine, Nachbarschaften, Bruder- und Schwesterschaften, was Mueller Glondys am 2. Dezember 1940 in seinem Lagebericht mitteilte. Mueller sagte auch, „die SS habe die Herrschaft angetreten“.18 Nachdem Glondys den Bischofsstuhl im Februar 1941 unter Nazizwang raeumen musste, keimte in Mueller die Hoffnung, von seinem Vorgaenger das Bischofsamt uebernehmen zu koennen.19 Doch der Nachfolger von Glondys stand in der Person des Altnazi Wilhelm Staedel fest und dieser wurde am 23. Februar installiert. Mueller verhielt sich zunaechst ruhig, entschloss sich aber in der Sitzung des Landeskonsistoriums vom 21. November 1941, in der die Uebergabe des Schulwesens an die Volksgruppe beschlossen wurde, zu opponieren.20
Nichts spricht dagegen, dass Friedrich Muellers Abwendung vom radikalen
Nationalsozialismus der Volksgruppenfuehrung aufrichtig war. Zwar nahm
dieser Schritt ein Jahr in Anspruch (im Schreiben vom 25. April 1941 an
Bischof Staedel erwaehnt er, dass er „schon am 10. Dezember 1940“ dem Volksgruppenfuehrer
eine Aufzeichnung ueber die Regelung des kirchlichen Vermoegens und die
Erhaltungsmittel fuer die Kirche ueberreicht habe), doch Mueller entschied
sich mit allen Konsequenzen dafuer. Darum ist es hier angebracht sich die
Frage zu stellen, warum Mueller sich vor der Bischofswahl am 16. Februar
1941 fuer das Abkommen der Kirche mit der Volksgruppenfuehrung einsetzte
und es danach ablehnte. Muellers Verbitterung ueber die Kirchenfeindlichkeit
der Volksgruppenfuehrung und die Erkenntnis, dass die Nazi-Fuehrung die
totale Zerschlagung der Landeskirche anstrebte, ist zweifelsohne darin
zu suchen, dass Volksgruppenfuehrer Andreas Schmidt sich fuer Staedel und
nicht fuer ihn als Bischof entschieden hatte. Das war der ausloesende Punkt,
weshalb Mueller das Gesamtabkommen21
der Kirche mit der Volksgruppenfuehrung, das auf der 39.
Muellers Option fuer die gemaessigten Nationalsozialisten beruhte auf seinem betonten Deutschglauben.23 In der Amtszeit von Bischof Glondys (14. Nov. 1932 - Februar 1941) war Mueller bestrebt, ein gewisses Gegengewicht zu seinem ewigen Rivalen Glondys zu erlangen, was nur auf politischer Ebene zu erzielen war. So war auch aus dieser Konstellation her die Zusammenarbeit Muellers mit den gemaessigten Nationalsozialisten vorgegeben. Er hatte Glondys niemals dermassen unterstuetzt, dass dieser der zunehmenden Radikalisierung der Volksgemeinschaft etwas haette entgegensetzen koennen. Durch die versagte Unterstuetzung trug Mueller zweifelsohne zum Sturz von Glondys bei, obwohl er nach aussen hin behauptete, Glondys haette das Bischofsamt nicht niederlegen duerfen. Er hoffte, nun dessen Stelle besetzen zu koennen, was aber missglueckte, weil die radikalen Nationalsozialisten, die inzwischen die Volksgruppenfuehrung uebernommen hatten, nichts von freien Bischofswahlen hielten. Mueller verkannte offenbar die politische Skrupellosigkeit der Nationalsozialisten um Andreas Schmidt sowie das Prinzip des Fraktionszwangs, das er in seinen zahlreichen Beschwerdeschreiben in den Jahren 1941-1943 wiederholt anprangerte. Wie war das moeglich bei einem Mann, der angeblich einen guten politischen Riecher gehabt haben soll? Das hatte er im Fall Glondys unter Beweis gestellt, doch auf seine eigene Person scheint er es nicht bezogen zu haben. Soll der Grund dafuer nur Selbstverblendung gewesen sein? Manches spricht dafuer, dass Mueller seines Rueckhalts in der siebenbuergisch-saechsischen Pfarrerschaft bewusst war und mit diesem Pfand in die Bischofswahl zog. Er hatte sich nicht geirrt, weil er sowohl auf Gemeinde-, wie auf Kirchenbezirksebene besser als der Nationalsozialist Staedel abschnitt. Doch dass das eigentliche Wahlergebnis die Nationalsozialisten in keiner Weise beeindrucken wuerde, damit scheint Muellers kirchendemokratisch gepraegtes Gewissen nicht gerechnet zu haben. Er haette sich darauf einrichten muessen, dass die Volksgruppenfuehrung auf jeden Fall einen Parteigenossen auf den Bischofsstuhl hieven wuerde und dass der altgediente Parteigenosse Wilhelm Staedel dafuer vorgesehen war. Mueller glaubte offenbar, dass sein Kokettieren mit den radikalen Nationalsozialisten des Andreas Schmidt ausreichen wuerde, seinen Lebenstraum zu erfuellen. Als er in seinen Erwartungen zutiefst enttaeuscht wurde, fand er in die Rolle zurueck, die ihm als Bischofsvikar bereits zur Zeit von Glondys zugestanden haette, die er aber aus verbissener Gegnerschaft zu seinem Vorgesetzten nicht entsprechend wahrnehmen wollte.24
Muellers Kampf gegen die Absichten der Volksgruppenfuehrung, die Schulen
aus der kirchlichen Obhut zu loesen und die Kirche ueber das System des
Fraktionszwangs ganz zu laehmen, sollte auch seinen gekraenkten Ehrgeiz
befriedigen. Doch es gab zweifelsohne auch weitere Beweggruende, die Mueller
zum Widerstand gegen Andreas Schmidt und Bischof Staedel bewegten: die
Gewissheit, dass die Pfarrer, die ihre Stimme bei der Bischofswahl ihm
gegeben hatten, weiterhin hinter ihm stehen, und die waren sicherlich nicht
gering an der Zahl; sodann die Ueberzeugung, dass er die Kirche mit den
Mitteln zu verteidigen hat, die er souveraen handhabte, naemlich das konstitutionelle
und administrative Kirchenrecht. Das tat er auch in glaenzender Weise,
doch war sein im Geiste der gewachsenen Kirchendemokratie gefuehrter Kampf
Dass Mueller all das in seinen Erinnerungen umzudeuten versucht, und andere fuer sein Hin- und Herlavieren zwischen den politischen und religioesen Fronten verantwortlich macht, mutet einen, der die historische Entwicklung im deutschen Siedlungsgebiet von Rumaenien kennt, sonderbar an.
Die Mythenbildung um Friedrich Mueller
Mueller hat zeitlebens seine Gestalt mit einer Maertyreraura umgeben. Um die Bedeutsamkeit seines Widerstandes gegen die Eiverleibung der Schulen durch die Volksgruppenfuehrung, die bestrebt war, eine sognannte „Nationalschule“ zu errichten, von der schul-, kirchenrechtlichen und von der ideologischen Motivation zu entkoppeln, die nach 1945 ohnehin niemand mehr verstehen wuerde,25 konzentrierte sich Mueller ganz und gar auf seine eigene Person. So erdichtete er den Mythos, er sei waehrend seines Zwangsaufenthalts in Berlin (August - Oktober 1942) der Einweisung ins KZ knapp entgangen. Ein weiteres mythenbildendes Moment bot die innerkirchliche Opposition gegen die auf Gleichschaltung ausgerichteten Zwangsmassnahmen der nationalsozialistischen Volksgruppen- und Kirchenfuehrung, in der sich Mueller nicht irgendeine Rolle, sondern die des Hauptwiderstaendlers zudachte.
Auf derselben Linie bewegt sich leider auch das Geschichtsverstaendnis und die Zeitgeschichtsforschung der Siebenbuerger Sachsen, die, statt urkundlich gesicherte Fakten sachgerecht aufzuarbeiten, sich vor allem in letzter Zeit zunehmend mit Falschaussagen und Mystifizierungen begnuegt, die teils von Vertretern der Erlebnisgeneration, teils von ihr selbst in die Welt gesetzt und der staunenden Oeffentlichkeit als gediegenen Forschungsergebnisse verkauft werden.
Zu den unverzeihlichen Maengeln der Mueller-Biographie von U.A. Wien haben
wir uns schon geaeussert,26 doch in
der Auseinandersetzung mit Muellers Rolle in den Jahren 1941-1944 koennen
die Fehlurteile, die Auslassungen und das durchgaengige Bestreben Wiens,
Mueller eine Maertyreraura zu verpassen, nicht uebersehen werden. Ebenso
nicht die Rezension von Cornelius R. Zach, der u.a. schreibt, Wiens Buch
schliesse „eine breite Luecke der Forschung betreffend die Geschichte der
Evangelischen Kirche A.B. in Rumaenien in den Jahrzehnten zwischen 1940
und 1969“, weil es „ein Stueck Kirchengeschichte der Siebenbuerger Sachsen
aus der Zeit zweier Diktaturen“ ist.27
Und erst recht koennen die lobhudelnden Betrachtungen von Dietmar Plajer
ueber Wiens Fiasko-Schrift nicht uebersehen werden, die eigentlich Wiens
Versuch, Mueller als Maertyrer zweier Diktaturen darzustellen,
Ueber das, was Wien im 10. Kapitel seines Buches konsequent versaeumt, heisst es, ganz an der Realitaet des Wienschen Textes vorbei, der Verfasser fuege „in minutioeser Kleinarbeit“31 „jede Information, die er dazu erreichen konnte, so zusammen, dass schliesslich ein deutliches Bild ueber die Vorgaenge in Berlin im Zusammenhang mit der Hinderung von Bischofsvikar Mueller an seiner Heimreise entsteht“. Wie undeutlich nicht nur dieses, sondern saemtliche Bilder des 10. Buchkapitels ausfielen, setzen wir im Folgenden auseinander.
Gennantes Kapitel behandelt den sogennanten „Muellerschen Verteidigungsring“.32 Wien behauptet unter Berufung auf Muellers „Erinnerungen...“, dieser habe bereits im Fruehjahr 1941 „einen Kreis von Gesinnungsgenossen aus den meisten siebenbuergischen Dekanaten, der sich monatlich konspirativ traf“, gegruendet.33 Muellers Information besagt das absolute Gegenteil : „Seit der Stellungnahme des Pfarrervereinsausschusses gegen Schmidts Terror bildete sich ein Kreis von Pfarrern, die entschlossen waren, alles zu wagen, um die neiheidnische Gefahr abzuwenden. Wir lehnten eine organisatorische Zusammenfassung dieser fuer die Kirche sich einsetzenden Verteidigungskraefte ab, [...]“.34 „Gruendung“ setzt im genannten Kontext zwinegnd auch organisatorische Taetigkeit voraus, was Mueller aber ausdruecklich ausschliesst.
Dem Mythos, einer Einweisung ins KZ knapp entgangen zu sein, uebernimmt Wien aus Muellers „Erinnerungen“,35 obwohl ihm saemtliche Urkunden aus dem Ordner 101203 des Politischen Archivs des Auswaertigen Amtes vorlagen, auch die, die diese Legende widerlegen. Dies ist nicht der einzige Punkt, in dem Wien, dessen „minutioese Kleinarbeit“ Plajer ruehmt, Urkunden einfach unterschlaegt.
Bereits drei Wochen nach der Ankunft Muellers in Berlin, wo er auf Veranlassung
der Volksgruppenfuehrung, des deutschen Gesandten v. Killinger in Bukarest
und der VoMi36 weichgekocht werden
sollte, um seine Opposition gegen die Kirchenpolitik der Volksgruppenfuehrung
und der Kirchenleitung unter Bischof Staedel aufzugeben, legte Legationsrat
Triska vom Auswaertigen Amt (AA) dem Chef der Abteilung Deutschland Inland,
Unterstaatssekretaer Luther, am 17. August 1942 eine Notiz vor, in der
es ausdruecklich heisst, dass Mueller „bisher bei seinem Aufenthalt im
Reich keinen Anlass gegeben,
Und Muellers maertyrerhaft angehauchte Schilderung,39 durch das Eingreifen des „entschiedenen Christen“, Staatssekretaer v. Weizsaecker, sei der Plan von Luther in letzter Minute vereitelt worden, ihn ins KZ Sachsenhausen zu verbringen,40 wird von dem Schreiben Luthers vom 17. September 1942 an v. Weizsaecker als Schwindel entpuppt. Luther schlaegt angesichts der gescheiterten Versuche Mueller im Reich zurueckzuhalten vor, den Bischofsvikar zurueckreisen zu lassen. Luther wird Mueller vor der Abreise eroeffnen, „das AA erwarte von ihm als Angehoerigen des Deutschen Volkes, dass er sich nach seiner Rueckkehr in Rumaenien jeglicher politischer Taetigkeit fernhalte und nichts unternehmen werde, was der Deutschen Volksgruppe schaedlich sein koennte“.
Auch die vor Muellers Abreise aus Berlin am 2. Oktober 1942 zwischen Legationsrat Buettner vom AA, Andreas Schmidt, Generalkonsul Rodde vom Konsulat in Kronstadt, Legationsrat Triska vom AA, Gunesch von der VoMi, Mueller und Dr. Arz abgeschlossene Vereinbarung, die die Anreise des Volksgruppenfuehrers und des Generalkonsuls erforderte, spricht entschieden gegen Muellers ZK-Maerchen.
Sodann steht ein weiterer Fragenkomplex dagegen, dass das AA jemals erwog, Mueller in einem KZ verschwinden zu lassen. Und interessanterweise war es Mueller selbst, der in seinem einzigen Schreiben an Staatssekretaer von Weizsaecker vom 24. August 1942 auf die politischen und diplomatischen Verwicklungen aufmerksam machte, die seine Festhaltung im Reich ergibt. Wie schwerwiegend die Befuerchtungen des AA, des Staatssekretaers v. Weizsaecker persoenlich waren, dass der Fall Mueller die rumaenische Regierung auf den Plan rufen koennte, belegt das Schreiben des Sttassekretaers an die von Unterstaatssekretaer Luther geleitete Abteilung Deutschland Inland (10. September 1942), in dem es u.a. heisst, dass die rumaenische Regierung den Fall „mit einem fuer uns unerwuenschten Ablauf“ aufnehmen wird, wobei der deutsche Gesandte in Bukarest, v. Killinger, dem Vorwurf ausgesetzt wuerde, „einen rumaenischen Staatsangehoerigen in eine Falle gelockt zu haben“. Zu so einem Vorwurf darf es keinesfalls kommen.41 Dieses Schreiben bringt die aeusserste Massnahme zur Sprache, die das AA jemals gegen Muelle im Visier hatte, ein Strafverfahren, das von der Abteilung Deutschland vorgeschlagen wurde. Doch v. Weizsaecker erblickt keine politische Moeglichkeit, Mueller mit oder ohne Strafverfahren im Reich festzuhalten.
Auf derselben Linie liegt auch ein Telegramm des Generalkonsuls Rodde vom
25.08.1942 an die VoMi, in dem die Absicht der Volksgruppe, des Volksgruppenfuehrers
persoenlich, mitgeteilt wird, Mueller nach Rumaenien zurueckzuschicken.
Es ist auch hervorzuheben, dass Mueller am 15. September 1942 das AA in
Verbindung mit seiner unzumutbaren finanziellen Lage darauf aufmerksam
machte, dass er „keine Schritte fuer eine Devisengenehmigung getan hatte
und sie hier (in Berlin) nicht nachholen konnte, ohne die rumaenische Gesandtschaft
und damit die rumaenische Regierung“ auf seinen Fall „aufmerksam zu machen“.
Es ist also nicht verfehlt, von der „rumaenischen Karte“ zu sprechen, die
Mueller geschickt zur eigenen Abschirmung in Berlin einsetzte. Mit obiger
Bemerkung nimmt er eigentlich das AA in die Pflicht,
Die relativ kurz gehaltene Schilderung seines Berliner Aufenthalts42 ist ein Beispiel dafuer, mit welcher Vorsicht Erinnerungstexte als Informationsquelle heranzuziehen sind, zumal dann, wenn sie auf Ereignisse Bezug nehmen, die 20 Jahre zurueckliegen. So wirft Mueller die Chronologie der Ereignisse durcheinander und idealisiert Staassekretaer v. Weizsaecker und den Diplomaten Bernd v. Haeften dermassen, dass er sie mit Ereignissen in Verbindung setzt, bei denen andere massgeblich waren. Nur zwei Beispiele: Das am 25. August 1942 mit v. Stutterheim im AA gefuehrte Gespraech datiert Mueller auf den 12. September 1942 und schreibt es v. Heaften zu. Ein von Mueller ueber sein Wortgefecht vom 25. August 1942 mit Generalkonsul Rodde verfasstes Gedaechtnisprotokoll soll „sofort nach dem Vorfall“ „zu den Akten gelegt“ worden sein.43 Dagegen spricht der im Archiv des AA ueberlieferte Text, den Mueller zwar am 25. August 1942 verfasste, den er aber nach Aussage des Textes erst am 21. September 1942 an Legationsrat Buettner uebergab.
Wenden wir uns nun der Problematik des sogenannten „Verteidigungsringes“
zu, den es in der von Mueller und juengst von U.A. Wien vorgegebenen Weise
ueberhaupt nicht gab.
Wien behauptet in breitspuriger Formulierung und ohne beweiskraeftigen
Belegen ueber den Muellerschen „Verteidigungsring“, „die meisten seiner
Mitglieder“ seien „auch als „Bevollmaechtigte“ oeffentlich“ aufgetreten.
Sie sollen in doppelter Funktion als „geistige Resistenz und realpolitisches
Konfliktmanagement“ agiert haben.44
Dass Mueller eigentlich mit der beschwerdefuehrenden Pfarrerschaft ueberhaupt
nichts am Hut hatte, wird noch zu zeigen sein. Eine kircheninterne Opposition
gegen die Zwangsmassnahmen der Volksgruppenfuehrung und des nationalsozialistischen
Kirchenregiments unter Bischof Staedel gab es bereits in den Anfaengen
der Volksgruppe. So veranlasste die offizielle Aufloesung der Bruder- und
Schwesterschaften und der Frauenvereine im Mai 1941 die ersten oppositionellen
Aeusserungen. Eine vertrauenswuerdige Quelle berichtet, dass Bischof Staedel
auf der zwischen dem 11. und 15. August abgehaltenen Pfarrvereinsversammlung
„im Zusammenhang mit der Herausgabe eines Nachrichtenblattes vom Pfarrverein“
gekraenkt war und die Leitung des Vereins mit harten Vorwuerfen ueberschuettete.
In der Bibelarbeit, die zweimal von Bischof Staedel und einmal von Bischofsvikar
Mueller geleitet wurde, konnten „die Spannungen zwischen dem Bischof und
dem Pfarrverein“ „durch Geduld auf beiden Seiten gemildert werden“.45
Die Spannung zwischen Pfarrerschaft und Volksgruppenfuehrung erreichte
laut Mueller ihren ersten Hoehepunkt, nachdem der Pfarrvereinsausschuss
Stellung gegen Schmidts Terror nahm. Damals „bildete sich ein Kreis von
Pfarrern, die entschlossen waren, alles zu wagen, um die neuheidnische
Gefahr abzuwenden“. Mueller faehrt im Namen der Gruppe fort: „Wir lehnten
eine organisatorische Zusammenfassung dieser fuer die Kirche sich einsetzenden
Verteidigungskraefte ab, [...]. Aber es trafen sich allmonatlich bei mir
Pfarrer aus unseren wichtigsten Bezirken, berieten die jeweils wechselnden
Angriffsrichtungen Schmidts und seiner Leute, um Abwehrmoeglichkeiten zu
finden [...]. Es hatte sich so, ohne dass wir wussten wie, ein Einlenken
der erdrueckenden Mehrheit der Pfarrerschaft in unsere Verteidigungslinie
ergeben“.46
Mueller stellt sich in seinen „Erinnerungen„ zumindest als Berater, wenn nicht als geistiger Anfuehrer der oppositionellen Pfarrerschaft bis zum Ende des Volksgruppenregiments dar. So auch in Verbindung mit der Reaktion der freiheitlich gesinnten Pfarrerschaft gegen das Rundschreiben Z.K. 1662/1942 „betreffend die Einheit des kirchlichen Handelns“ (auch als „Maulkorberlass“ bekannt). Mueller schreibt: „In ausfuehrlichen Beschwerdeschriften, deren von mir stammende Konzepte in Beratung mit Kampfgenossen ergaenzt und ausgefeilt wurden, bekaempften wir diese Massnahmen zur Einfuehrung der Diktatur in der Kirche“.48
Die Belege aus dem politischen Archiv des Auswaertigen Amtes sprechen eine ganz andere Sprache. Man kann dem Beamten- und Politikerkreis des AA. kaum vorwerfen, nicht ueber erstrangige Informationen verfuegt zu haben. Wenn Mueller tatsaechlich die zentrale Rolle eines Organisators und Beraters der oppositionellen Pfarrerschaft spielte, dann wuerden die einschlaegigen Urkunden in der Mueller-Akte sich auch darauf beziehen,. u.zw. haette das zumindest als Grund fuer seine Festsetzung in Berlin aufscheinen muessen, ebenso haette eine oppositionelle Taetigkeit Muellers ab Mai 1943, auch auf der Seite der beschwerdefuehrenden Pfarrer, in den Akten ihren Niederschlag gefunden. Doch nichts dergleichen!
Nach dem im Juni 1942 zwischen Landeskirche und Volksgruppenfuehrung abgeschlossenen „Gesamtabkommen“, das die vollstaendige Dienstbarmachung der Landeskirche fuer die totalitaeren Ziele der nationalsozialistischen Volksgruppe sicherstellen sollte, gab es in der Pfarrversammlung des Pfarrvereins vom 19. Februar 1943 einen erneuten Hoehepunkt, als eine Eingabe der Pfarrvereinsleitung an das Landeskonsistorium verlesen wurde, in der „die Vorschlaege betreffend die Dezentralisierung gemacht“ wurden. Es wurden „die Nachteile der Zentralisierung festgestellt. Die Einsender dieser Eingabe und der Bischofsvikar Mueller sind der Meinung, dass die Volksgruppe uns die Grundlagen der christlichen Verkuendigung entziehen will. Die Mehrheit nimmt die Eingabe freudig an“.49 Die Pfarrerschaft hatte die totalitaeren Ziele der Volksgruppenfuehrung, die eine vollstaendige Nazifizierung der Landeskirche anstrebte, erkannt und wehrte sich konsequent dagegen. Pfarrer Klimas Bericht ist auch dadurch bedeutsam, dass er zwischen Mueller und den Einsendern der Eingabe klar unterscheidet. Hier wird die Vorgehensweise Muellers greifbar, sich zwar gedanklich aber niemals organisatorisch mit der innerkirchlichen Opposition zu identifizieren.50
Muellers Anschluss an die innerkirliche Opposition blieb Bischof Staedel, der Deutschen Gesandtschaft in Bukarest und dem AA nicht verborgen. So informierte der Gesandte v. Killinger am 31. Mai 1943 das AA, Bischof Staedel habe informiert, dass Mueller „Unzufriedenheit besonders in oppositioneller Pfarrerschaft schuere“.
Mueller schrieb am 31. Juli 1943 an Legationsrat Buettner, der Kampf „massgeblicher
Persoenlichkeiten“ fuer seine Beseitigung diene als Auftakt fuer die Beseitigung
anderer Pfarrer, wozu schon Massnahmen im Gange seien. Auch sollen seine
Amtsbrueder an ihn getreten sein mit der Bitte, „sich nicht niedertreten
zu lassen, weil das den Angriffen gegen sie die Bahn oeffnen wuerde“. Mueller
gewissermassen als der Schutzschild der oppositionellen Pfarrer !
Muellers eigentlicher Standort in der Oppositionsfront kommt auch im Schreiben des Generalkonsuls Rodde an die Deutsche Gesandtschaft in Bukarest (6. Oktober 1943) zur Sprache. Rodde informiert, dass er Mueller gebeten habe, „auch auf alle anderen Personen einzuwirken, die im Augenblick beabsichtigten, gerichtlich gegen die Volksgruppe vorzugehen“. Mueller habe versprochen, das, „so weit es in seinen Kraeften stuende“, zu tun.51 Muellers Versprechen liegt zeitlich nach dem Zwischenfall im Zeidner Waldbad, wo Volksgruppenfuehrer Schmidt zusammen mit zwei Mitgliedern des Landeskonsistoriums und anderen Gefaehrten beim Herannahen mehrerer Pfarrer ueber Christus und den christlichen Glauben laesterten (28. August 1943), und vor der Ankunft des Schlichterausschusses, der den Abschluss der Vereinbarung vom 18. November zwischen Mueller, Staedel und Schmidt bewerkstelligte. Wie bereits erwaehnt, hatte sich Muellers Stellung gegenueber seinen Widersachern nach der unversehrten Rueckkehr aus Berlin (4. Oktober 1943) betraechtlich gefestigt. Daher ist nun einer der heftigsten Gegener Muellers, Generalkonsul Rodde, auf Muellers Einfluss auf die Opposition, diesmal die politische, angewiesen.
Muellers symbolische Stellung im Oppositionsgefuege wird auch von folgender Eintragung von Altbischof Glondys belegt: „Ich erzaehlte dem Bischofsvikar, dass ich am 7. Oktober ein Schreiben vom Landeskonsistorium in der Angelegenheit der Vorfaelle im Zeidner Waldbad erhalten haette, worin ich eingeladen worden sei, die von mir mit 76 anderen unterfertigten Anzeigern [eingereichte Anzeige] gemaess 13. D.O. [Disziplinarordnung] zu ergaenzen.“52 Mueller befand sich also trotz seines anerkannten Einflusses nicht unter den Unterzeichnern des Protestes gegen die Beteiligung von Mitgliedern des Landeskonsistoriums an der Gottes- und Glaubenslaesterung im Zeidner Waldbad, hingegen Altbischof Glondys, der, weil seine Unterschrift vor der der anderen Unterzeichner stand, vom Landeskonsistorium zeitweilig als Kopf dieser Aktion angesehen wurde.53
Auch in Verbindung mit der Vereinbarung vom 18. November masst sich Mueller
eine Rolle an, die er so niemals spielte. Er schreibt: „Da aber in dieser
Endphase der Auseinandersetzung fuer uns alles darauf ankam, Zeit zu gewinnen,
halte ich es auch heute, aus der Rueckschau fuer richtig, dass ich die
Verantwortung fuer diesen Befriedungsversuch uebernahm,54
worin ich damals dann durch die widerspruchslose Zurkenntnisnahme der Schlichtungsvereinbarung
durch alle Kirchenstellen eine mein Gewissen sehr beruhigende Entlastung
erfuhr“.55 Mueller tut so, als ob
er das Zustandekommen der Vereinbarung veranlasst und auch bewerkstelligt
habe. Doch das erstere ging eigentlich darauf zurueck, dass das AA und
das Kirchliche Aussenamt zur Ueberzeugung gelangt waren, dass es keine
andere Schlichtungsmoeglichkeit gab, nachdem Mueller Anfang August und
erneut am 31. August 1943 das durch das Kirchliche Aussenamt und durch
Es duerfte nun klar sein, dass Mueller seinen ausschliesslich persoenlichen Konfliktfall in anmassender und faktenverfaelschender Weise mit den Aktionen der beschwerdefuehrenden Pfarrer verband und das Verdienst innersiebenbuergischer Befriedung usurpiert.
Auch ist es bezeichnend, dass Mueller in keinem der ueberlieferten Brieftexte, die er vor oder nach seiner Rueckkehr aus Berlin an die Deutsche Gesandtschaft in Bukarest, ans AA in Berlin oder an den Hauptakteur des Schlichtungsausschusses, Generalkonsul Lierau, richtete, jemals im Namen der kircheninternen Opposition, sondern ausschliesslich ueber seine eigene Lage, ueber die Angriffe seiner Gegner schreibt, eigene Loesungsvorschlaege unterbreitet und die Einhaltung erzielter Vereinbarungen wiedeholt einfordert, ueber die Nichteinhaltung der Kronstaedter Vereinbarung vom 18. November 1943 oder ueber gefuehrte Gespraeche unterrichtet. Die eingesehenen Urkunden belegen einwandfrei, dass die Opposition der siebenbuergisch-saechsischen Pfarrerschaft unabhaengig von den ausschliesslich persoenlichen Initiativen Muellers aufkeimte und sich entfaltete, wobei Mueller immer vorsichtig genug war, sich davon zu distanzieren, aber nicht davor zurueckschreckte, die Oppositionsmomente seiner eigenen Sache dienstbar zu machen. Dass es bei seinen Vorstoessen nicht um die Sache der Pfarrerschaft, sondern nur um seine eigene, persoenliche Sache ging, belegt u.a. die Formulierung in einem Schreiben der Deutschen Gesandtschaft Bukarest an Mueller vom 5. August 1943: die „Erledigung Ihres (d.h. Muellers) Falles“ und die „Beseitigung der wegen Ihrer (d.h. Muellers) Person und Haltung bestehenden Differenzen“.
Dass Muellers Opposition in der Hauptsache ein Aleingang war, belegt auch der Vereinbarungstext vom 18. November 1943, der von Andreas Schmidt, Wilhelm Staedel, Friedrich Mueller, Generalkonsul Lierau und Konsistorialrat Bischof Haeckel, aber von keinem Vertreter der mehrheitlichen Pfarreropposition unterzeichnet wurde. Die Beschwerdefuehrenden werden nur im Zusammenhang mit der Notwendigkeit der Bestellung von Bevollmaechtigten und deren Anhoerung erwaehnt. Auch soll nicht unerwaehnt bleiben, dass Mueller nach der Kronstaedter Vereinbarung ein einziges Schreiben an reichsdeutsche Stellen, naemlich an Generalkonsul Lierau, am 9. Januar 1944 richtete, und das auch nur durch ein Schreiben Lieraus zum Jahreswechsel veranlasst. Demnach wurde es nach dem 18. November 1943 um den Oppositionellen Mueller sehr still. Hatte er sich doch in der Kronstaedter Vereinbarung verpflichtet, die Beschluesse der 39. Landeskirchenversammlung (31. Mai - 3. Juni 1942) (u.a. auch die Bischofsinstallation Staedels), „und damit vor allem auch das Gesamtabkommen zur Regelung des Verhaeltnisses der evangelischen Landeskirche AB zur Deutschen Volksgruppe in Rumaenien“ anzuerkennen. Ausserdem hatte er „sich als Stellvertreter des Bischofs zur Durchfuehrung desselben besonders verpflichtet“.
Bemerkenswert sind die Angaben von Generalkonsul Lierau im „Bericht zur Vereinbarung vom 18. November 1943“ vom 26. November 1943 und in der „Aufzeichnung ueber die Verhandlungen der Kommission zur Befriedung der kirchlichen Auseinandersetzungen in Siebenbuergen“ (1. November 1943). Mueller aeusserte waehrend der Verhandlungen die Befuerchtung, „dass womoeglich viele andere Pfarrer, fuer die er die Verantwortung nicht uebernehmen koenne, sich nicht an die von ihm unterschriebene Verantwortung gebunden fuehlen werden“. Diese Information belegt, dass Mueller sich einerseits anmasste, bei den Verhandlungen und dann als Unterzeichner der Vereinbarung die Pfarrerschaft zu vertreten, andererseits aber einraeumt, dass es viele andere Pfarrer gibt, die nichts von einer Befriedung halten. Lierau berichtet auch, „die weit ueberwiegende Zahl der Pfarrer stand in diesen Faellen [den Disziplinarverfahren des Landeskonsistoriums gegen einige Pfarrer, den Beschwerden, dem Zwischenfall im Zeidner Waldbad] gemeinsam mit Mueller gegen das Kirchenregiment“. Auf diese Solidaritaet baute Mueller und die setzte er auch geschickt zur Abwehr der Angriffe gegen sein Amt und seine Person ein.
Muellers Statur gewann nach der „Vereinbarung“ sichtlich an Gewicht. Am 9. Januar 1944 schrieb er Lierau, er sei von Pfarrern besucht worden, die neue Konflikte auszutragen hatten. Gleichzeitig betont er, er koenne nicht nachvollziehen, inwieweit diese Pfarrer eigene Wege gehen, weil er „ja auf zufaellige Fuehlungnahme und Informationen angewiesen“ ist. Fuer Muellers Statusgewinn spricht auch die Mitteilung Lieraus ans AA vom 3. Maerz 1944, „unser Hauptgegner, Bischofsvikar Mueller“, habe „sein Versprechen, seinen grossen Einfluss auf die oppositionellen Pfarrer geltend zu machen, nach Aussage von Bischof Staedel bisher ehrlich erfuellt“. Diese Textstelle belegt aber auch, dass Mueller nach der Unterzeichnung der Kronstaedter Vereinbarung seinen Autoritaetszuwachs in den Dienst des nationalsozialistischen Kirchenregiments stellte, was das zwielichtige Bild seiner Persoenlichkeit wiederum vertieft.
Muellers Behauptung, seine „stets durchgehaltene Grundueberzeugung - gestuetzt auf sein Lutherstudium - : dass man im Amt der Kirche sich von politischen Maechten und Richtungen freihalten muesse, so dass man stets fuer Gottes Wege, abseits von menschlich begreifenwollenden Sicherungen, frei bleiben koenne“,56 klingt angesichts unserer Ausfuehrungen wie blanker Hohn. Wie glaubwuerdig kann ein Mann sein, der bis zur Entscheidung der Volksgruppenfuehrung fuer Staedel als Landesbischof der nationalsozialistischen Ausrichtung so nahe stand und anfangs auch mit deren radikaler Ausformung, der Volksgruppenfuehrung unter Andreas Schmidt, kokettierte? Der das im Kampf gergen den um sich greifenden Nationalsozialismus von Bischof Glondys vertretene Prinzip der parteipolitischen Bindungslosigkeit konsequent verletzte und damit den Bischof in seinem Kampf allein liess ? Mueller mag waehrend seiner Auseinanderstzung mit der Volksgruppenfuehrung und der nationalsozialistischen Kirchenfuehrung zu diesem Prinzip gefunden haben, aber das schmaelert weder seine fruehe, noch seine spaete Zwielichtigkeit (letztere in kommunistischer Zeit) keinesfalls.
Fazit
Der Befund unserer letzten Stellungnahme zur Problematik Friedrich Mueller - Viktor Glondys,57 dass Mueller ein empfindlich selbstzentrierter, geltungs- und herrschsuechtiger Mann war, dessen Gestalt durch politisches Hin- und Herlavieren von einer unverkennbaren Zwielichtigkeit umgeben ist, wird hier bis ins einzelne erhaertet. Die Frage, wieso Mueller so lange Zeit der nationalsozialistischen Volksgruppen- und Kirchenfuehrung die Stirn bot, ist damit zu beantworten, dass Mueller jederzeit fuer rechtliche Absicherung sorgte und die Oppositionsbestrebungen der Pfarrerschaft geschickt zu seinen Gunsten ausnuetzte. So lief jederzeit eine Gerichtsklage, entweder gegen Bischof Staedel oder gegen hochrangige Mitglieder des Landeskonsistoriums bei rumaenischen Verwaltungsgerichten, deren Faelligkeitstermin Mueller als Druckmittel einsetzte. In unmittelbarem Zusmamenhang dazu steht die Karte der rumaenischen politischen Behoerden, die das antichristliche Treiben der Volksgruppenfuehrung mit Argwohn verfolgten und ueber Muellers Zwangsaufenthalt in Berlin in ihren Befuerchtungen bestaetigt wurden. Mueller spielte diese Karte mit bewundernswertem Geschick waehrend seines Berliner Aufenthalts aus und beschleunigte damit den Erkennntisprozess im Auswaertigen Amt, dass er unversehrt nach Hermannstadt zurueckkehren muss.
Unsere Untersuchung spuert den Mechanismus des Muellerschen „Wunschmaertyrertums“ in der Auspraegung von Muellers „Erinnerungen“ und in der Auspraegung des im Dienste der siebenbuergisch-saechsischen Zeitgeschichtsschreibung stehenden Urlich Andreas Wien auf und belegt das Hohlmass dieser Wuensche. Desweiteren fuellen unsere Ausfuehrungen manche Riesenluecke aus, die U.A. Wien, der "ultimative Kirchengeschichtler" in Sachen Zwischenkriegs- und Nachkriegszeit, mit seiner zweifelhaften Mueller-Biografie eingerissen hat.
Die Mueller-Problematik veranschaulicht die Notwendigkeit, die Geschichte
des nationalsozialistischen Landeskonsistoriums und der innerkirchlichen
Opposition anhand der ueberlieferten Akten zu vertiefen. Denn entgegen
der von Dietmar Plajer gelieferten Wien-Verherrlichung, der in Wiens Buch
der Wahrheit letzten Schluss erblicken will, ist in der Kirchengeschichte,
wie auch in der politischen Geschichte dieser Jahre, noch lange nicht das
letzte Wort gefallen.