Tut Europa auch noch "ostmitteleuropäischer" Konstruktivismus Leipziger Prägung Not ?
oder
Muss die europäische Geschichtsforschung mit dem zweifelhaften Konstruktivismus der bundesdeutschen "Sozialgeschichte" beglückt werden ?


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Stefan Troebsts Aufsatz »Region und Epoche statt Raum und Zeit. "Ostmitteleuropa" als prototypische geschichtsregionale Konzeption«


auf HSoz&Kult. Region und Epoche statt Raum und Zeit. "Ostmitteleuropa" als prototypische geschichtsregionale Konzeption


steht ganz im Einklang zu dem bundesrepublikanischen Theoretisierungstrend der neuen bzw. der Zeitgeschichte, der zweifelsohne das Ergebnis eines "globalen Denkens" auf dem Hintergrund der gebetsmühlenhaft dem breiten Publikum wie den wissenschaftlichen Multiplikatoren eingehämmerten und beschwörten wirtschaftlichen und politischen Globalisierung ist.

        Diese Stellungnahme zu Troebsts Ausführungen will verdeutlichen, dass es recht zweifelhaft ist, den Globalisierungsschub auch in der Geschichtswissenschaft durchboxen zu wollen, sei es auch um des Lieblingskonstruktes "Ostmitteleuropa" willen sowie der damit verbundenen Implikationen auf der Ebene geschichtstheoretisch-methodologischer, geschichtswissenschaftlicher und konkreter, empirischer Grundlagenforschung (Dokumentensammlung, Dokumentenedierung und -erforschung).

        Die größte Gefahr, welche von der von Troebst allgemein begrüßten Rekurrenz des von der Kulturboden- und Ostforschung Weimarer und NS-Prägung missbrauchten Begriffe Raum und Zeit ausgeht, ist das Fortschreiben einer bereits durch die Phase der sogenannten "Kontextualisierung" und "Komparatistik" hervorgerufenen Verwässerung von Geschichtsfakten und Zeitakteuren, die ohnehin schon von einer Gruppe von Historikern recht "erfolgreich" betrieben wird (genannt seien nur Thomas Etzemüller und dessen Conze-Monografie, Mathias Beer, Scheil, Kocka). Leider Troebsts Versuch, den Kategorien von Raum und Zeit („Geschichte" bei Koselleck) mit den neuen Begriffspaar „Region“ und „Epoche“ zu widersprechen, in dieselbe Richtung.

        Es ist zwar lobenswert, dass der erste Teil des Aufsatzes (S. 1-6) auf einer breiten und allumfassenden Dokumentation beruht, es bleibt allerdings rätselhaft, warum Troebst einen solchen Aufwand treibt, wo es sich doch im Falle all der von ihm zur Untermauerung seines Ostmitteleuropa-Plädoyers herangezogenen "geschichtsregionalen Konzeptionen" und Titulierungen, die sich teilweise überschneiden, ja sogar, weil konkurrent, aufheben, um weiter nichts handelt als um

KONSTRUKTE,

d.h. um konstruierte Modelle, deren Nützlichkeit und Tragweite in ernsthaften Zweifel gezogen werden darf. Und dass diese Konstrukte mit der Bildung von Mythen bzw. mit der Auffrischung alter Mythen in neuem Kleid (i.e. unter neuer Titulatur) einhergehen, das scheint Troebst und den Historikern, die sich solchen Homunculi verschrieben haben, ganz egal zu sein. Oder doch nicht ?

        Welchen Sinn hat es nämlich, die Konstruktbegriffe „Raum“ und „Zeit“ („Geschichte“) durch „Region“ und „Epoche“ zu ersetzen, die bei näherer Betrachtung weiter nichts als synonyme, also Ersatzbegriffe von „Raum“ und „Zeit“ sind, also eindeutige Konstrukttermini. Wenn das nun ein Quantensprung  darstellen soll, wie Troebst das gerne vermitteln möchte, die einfache Ersetzung bzw. Umtitulierung von Begriffen durch andere, deren Semantik und Konnotation sich durch nichts von ihren Vorgängern unterscheidet ? Umso unverständlicher ist es, solche Konstruktbegriffe sodann zum Paradigma aufzuwärmen und den Versuch zu unternehmen, diese Kunstbegriffe dann aufrechtzuerhalten und zu Referenzpunkten der historischen Forschung hoch zu stilisieren, wenn damit die noch bei weitem nicht, und gerade für den von Troebst so eimndringlich theoretisch beschworenen mitteleuropäisch-osteuropäischen Raum geleistete Kleinarbeit fakten-, personen- und gruppenbezogener Forschung (z.B. die deutsche Minderheiten in der ehemaligen Tschechoslowakei und in Ungarn) in der Versenkung eines diffusen Bildes sogenannter "transnationaler" - raumbezogener Prioritäten verschwinndet ?

        Soll diese Art von Konstruktivismus an die Stelle fundierter historischer (Fakten)Recherche treten, weil es nun vor allem Historiker mit Vertriebenenhintergrund gibt, die weniger am historischen Faktenreichtum und an der Notwendigkeit diesen in das rechte Bild zu stellen als an fragwürdigen Modellentwürfen Interesse haben ?

        So nimmt es nicht Wunder, dass Troebst zwar einerseits den Anschein erwecken will, mit der einfachen Substitution des Begriffspaares „Raum“ und „Zeit“ mit „Region“ und „Epoche“ Koselleck zu widersprechen – ein eindeutig scheinbarer Widerspruch -, andererseits das widersprüchlich-undurchsichtige Syntagmakonstrukt Kosselecks „Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen“ vorbehaltlos übernimmt::

"Die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen ist eben dann nicht zwingend ungleichzeitig, wenn sie statt auf einen Zeitpunkt auf einen Zeitraum im Sinne eines historischen Prozesses bzw. einer Epoche bezogen wird."
        Kann St. Troebst zusammen mit seinem recht kräftig im Heideggerschen Erbe schwammig-poetischer, undurchsichtiger Wortschöpfungen und Konstrukte verorteten Diskursvorbild Koselleck jemandem verraten, wie zwei inhaltlich unvereinbare und grundverschiedene Begrifflichkeiten, "Ungleichzeitigkeit" und "Gleichzeitigkeit" plötzlich vereinbar sein sollen? Und auf welche Weise es der von Troebst mystifizierte "Zeitraum" schaffen kann oder soll, diese beiden Gegensätze aufzuheben im Rahmen dessen, was er "historischer Prozess" bzw. "Epoche" nennt, bleibt ebenso schleierhaft ! Denn ein "historischer Prozess" ist eines, ein "Zeitraum" etwas ganz anderes. Wie  sich Troebst von dieser unübersichtlich-widersprüchlichen Vereinnehmung von "Ungleichzeitigkeit", "Gleichzeitigem" und "Zeitpunkt" durch "Zeitraum", "historischer Prozess" und "Epoche" einen "inter-regionalen Vergleich nicht wie bisher primär synchron, sondern vermehrt diachron zu unternehmen" verspriecht, bleibt wohl sein wohlgehütetes Geheimnis. Auch gleicht dieses ganze Herumgemurkse der Quadratur des Kreises, indem der einer sachtreuen und faktengerechten Verwertung historischer Vorgänge und Prozesse uanbdingbare Parameter zeitlicher Aufeinaderfolge, kausaler Bedingung und konsekutiver Vernetzung, also die Diachronie, in die Zwangsjacke vorsätzlicher / konstruierter / konstruktivistischer Synchronie gedrängt wird? Und mit solchem Werkzeug soll der "europäischen Geschichte" des "Themenportals Europäische Geschichte" gedient sein ?

        Auch belässt Troebst den Leser zuweilen im Unklaren, wofür er nun eigentlich plädiert. Ist es nun der nationalgeschichtliche Ansatz, oder die "geschichtsregionale Konzeption", für die er sich entscheidet ? Oder darf seine Fragestellung als Legitimationsversuch von Nationalgeschichte(n) verstanden werden, weil diese Art Geschichtsschreibung doch letztendlich der von ihm so nachdrücklich vertretenen Geschichte von "Räumen" in Zeit-"räumen" entspricht ?

        Auch darf ernsthaft bezweifelt werden, dass »das in der Zwischenkriegszeit am konkreten ostmitteleuropäischen Entwicklungspfad entwickelte [...] Untersuchungsdesign der "Geschichtsregion"« jemals "universalhistorisch" intendiert war und irgendwann "universalhistorisch" funktionieren kann, weil es sich entweder um das deutschzentrierte "Volks- und Kulturboden"-Szenario bzw. des ganz an dieser Dogmatik orientierten "Magyarismus" oder um das Ziel einer nostalgischen Wiedererweckung österreich-ungarischer imperialer Spiritualität handelt.

        Troebsts Begriffsjonglerie stellt insgesamt eine Belastung der schon sowieso mit Konstrukten und Strukturaslismen aller - auch und vor allem postmodernistischer Art - befrachteten bundesdeutschen Geschichtsforschung zur Zeitgeschichte und neueren Geschichte dar und und bietet zudem der nun an der Ruhr-Universität Bochum vom Institut für soziale Bewegung veranstalteten Tagung „Revisiting South Eastern Europe. Comparative Social History of the 19th and 20th Centuries“ (25.-28. Januar 2007) auch eine Handhabe, den konstruktivistischen Trend samt konstruktivistischem Diskurs auf die Ebene Südosteuropas zu erweitern, selbst wenn die Leiterin der Konferenz, Sabine Rutar, in ihren „Einleitung“ betitelten Ausführungen beteuert, im Rahmen der „vergleichenden Forschung“ „notwendigerweise das Detail“ bzw. die Empirie nicht aus dem Auge verlieren zu wollen (S.5).

        Dieser schwunghafte, aus Richtung der bundesdeutschen „Sozialgeschichte“ kommende kosntruktivistische Druck sollte die bundesdeutsche und europäische Historikerzunft dazu bewegen, diese  Revisionsbestrebungen mit größter Vorsicht zu rezipieren und nur jene Aspekte beherzigen, die einen wirklichen Zugewinn / Fortschritt / Bereicherung der historischen Forschung darstellen. Es darf den bundesdeutschen Sozialhistorikern Kockascher Prägung zwar zugute gehalten werden, dass sie Mittelost- bzw. „Ostmitteleuropa“, und nun auch Südosteuropa, zum Anlass nehmen, den bisherigen Westeuropa-Zentrismus der historischen Theorie, Methodologie und Forschung in Frage stellen und anhand sonst perifer betrachteter und behandelter Regionen Europas ins Lot bringen zu wollen, doch der eindeutig bilderstürmerisch / revolutionären Art und Weise kann nicht beigepflichtet werden, bisher geltende Koordinaten von Zeit / Territorium / Elite / (Volk)Massen / Religion / Nation / Totalitarismus / Zentrum / Rand/ politischer Extremismus usw. einfach umwerten  und umdeuten zu wollen, weil man des Westeuropa-Zentrismus überdrüssig geworden ist und den bisher marginalisierten (Rand)Regionen historisch-methodologische Geltung verschaffen will.

        Auch in diesem Zusammenhang gilt, dass St. Troebst das Stadium der  Begriffsverwirrung eindeutig nicht überwindet. Und, was Troebsts Ausführungen noch zweifelhafter erscheinen lässt: welche Vereinbarkeit hat die Redaktion des "Themenportal Europäische Geschichte", deren Titelgebung wohl die europäische Geschichte und die nach Europa hin offene Forschung intendiert, zwischen Troebst und diesem Ziel erkannt ?



Vergleich:

Mathias Beers Doppelstrategie der "historisierenden Kontextualisierung"

Konstruierte Migration. Rechtfertigungsversuche für die Errichtung eines "Zentrums der Vertreibungen"


Kritissche Blätter zur Geschichtsforschung und Ideologie


Datei: Troebst.html                     Erstellt: 21.01.2007            Geändert: 30.01.2007           Autor und © Klaus Popa


 
 
 
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