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Die exemplarische Wirksamkeit von Ressentimentdiskurs und Ressentimentkultur
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Als im Jahr 1959 das „Suedostdeutsche Kulturwerk“ den siebenbuergisch-saechsischen Dichter und Publizisten Heinrich Zillich dem seit 1952 mit der Herausgabe der „Suedostdeutschen Vierteljahresblaetter“ beauftragten Banater Schwaben Hans Diplich zur Seite stellte, wurde der Diskurs der Verdraengung historischer Tatsachen und Ablaeufe und des politischen Standorts von Einzelpersonen eingeleitet. 1981, als Zillich die Schriftleitung der Zeitschrift abgeben wollte, wiederholte er die 1959 vor ihm stehenden Ziele:
„[...] das Vierteljahresblatt von der trockenen, zuweilen schwerfaelligen Darstellungsweise suedostdeutscher wissenschaftlicher Veroeffentlichungen zu befreien; es sollte frisch, kampfbereit, unmittelbar ins Leben greifen, kuenstlerisch spuersam, sprachlich unanfechtbar sein und das fuer uns notwendige Naehrwasser der Kunst, Kultur und der politischen Wahrheitstreue jedem klaren Kopf zufuehren.“(1)
Diese Anforderungen setzen ein ideologisch verbraemtes Wahrheitsverstaendnis voraus, das in "unanfechtbare" sprachliche Formulierungen gegossen werden sollte. Wie meisterhaft das gelang und wie sich die von Zillich mit sprachlichen Mitteln eingeforderte Dissimulation niederschlug, soll in ihrer Ursaechlichkeit und Entwicklung nachvollzogen werden.
Die „Suedostdeutschen Vierteljahresblaetter“ wollten zwar eine Kulturzeitschrift sein, dieser Definitionspunkt musste aber im Kontext des „Kalten Krieges“, der mehreren Hoehepunkten entgegensteuerte (Berliner Aufstand 1953, Ungarische Revolution 1956, Bau der Berliner Mauer, Kubakrise, Einmarsch der Sowjets in die Tschechoslowakei 1968) durch die politisch-weltanschaulichen Auseinandersetzungen jener Jahre allmaehlich dem ideologisch-propagandistischen Moment weichen.
Wie sich die Grundhaltung der Verdraengung in den „Vierteljahresblaettern“ niederschlug, soll grob nachgezeichnet und exemplifiziert werden. Es sollen die weltanschaulichen Kernbegriffe, die daraus abgeleiteten Klischees und Stereotypen angesprochen, die Art und Weise, wie diese in den Diskurs der Verdraengung einfliessen, behandelt werden. Den Stoff dazu liefern in der Hauptsache Gedenk- und Ehrungstexte, die einen betraechtlichen Raum, zuweilen bis zu 20% der Einzelfolgen einnehmen.
Die Bestandteile des Verdraengungsdiskurses
Verdraengung operiert mit besonderen Formen des Understatements. Weil nicht offen zugegeben wird, dass die meisten der mit Gedaechtnisartikeln Bedachten in irgendeiner Form mit dem Nationalsozialismus verschwestert waren, bedient der Verdraengungsdiskurs eine verschluesselte Ausdrucksweise, einen Kode, der mit Zillichs „sprachlicher Unanfechtbarkeit“ uebereinstimmt. Er entsprach durchaus den Erwartungen der anvisierten Personen und dem Leserpublikum der Zeitschrift, zum groessten Teil ehemalige Apparatschiks der NS-"Volksgruppe der Deutschen in Rumaenien" (1940-1944) und ueberzeugte Deutschnationalisten. Die verschluesselte (euphemistische) Ausdrucksweise zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich schwammiger, ungenauer, dehnbarer und durchgaengig relativierender Aussagen bedient. Auf diese Weise kann sich die vorsaetzlich betriebene Vertuschung, Verleugnung, Faelschung, Mystifizierung, Mythisierung und Verharmlosung - also der ungeschminkte Geschichtsreevisionismus und der Geist des verbissenen Ressentiments und damit die Pflege der Ressentimentkultur - bedenkenlos artikulieren.
Unsere Bestandsaufnahme euphemistischer Begriffe und Formulierungen (Topoi) gilt den nach 1968 erschienenen Heften der „Suedostdeutschen Vierteljahresblaetter“, die stichprobenartig durchleuchtet werden. Die euphemistischen Topoi entsprechen insgesamt sieben Begriffsfeldern:
I. Ethisch-moralische Begriffe (die sogenannten "deutschen Tugenden");Die erste Gruppe euphemistischer Formulierungen und Begrifflichkeiten bringt die allgemeine Praedisposition des voelkisch-nationalsozialistischen Diskurses zur Emphase (Uebertreibung), zum sprachlichen Bombast, recht praegnant zum Ausdruck.
II. Aktivismus und Militantismus;
III. Politisch-ideologische Ausrichtung;
IV. Aus der Opposition zwischen dem „deutschen Sonderweg“ und den angeblich ueberholten Werten und Prinzipien des demokratischen Westens geborene Begrifflichkeiten;
V. Politische Positionen, welche der Nationalsozialismus kompromisslos bekaempfte;
VI. Faktenverdrehung;
VII. Politische Sichtweisen, welche der Nationalsozialismus usurpierte.
Die Wahrheitsliebe soll Ekkehart Lebouton ausgezeichnet haben („Er blieb bei der Wahrheit inmitten einer bewusst zerlogenen, spaeter auch von etlichen Geistlichen „verunsicherten“ Welt“(2) ); ebenso den Banater Journalisten Josef Gassner („Er zeigte [...] eine [...] zu strenge Wahrheitsliebe“(3) ). Oskar Wittstock „atmet“ laut Zillich „die Sehnsucht nach Wahrheit“ (4) . Ueber den Literaten Harald Krasser heisst es: „[...] die sachliche Unbedingtheit eines Mannes [...], dessen nichts als die Wahrheit duldender Leitsatz, [...] potentiell von neuem in der Lage [war], zum Fall von Ideologie – und das ist dort Staatsverrat, zu werden“(5) . Ueber den Journalisten und kalten Krieger Hans Hartl urteilt Zillich: „Die Bedeutung Hartls liegt [...] vor allem aber in seinem Wahrheitsmut [...]“ (6) . Der Theoretiker der Paedagogik Hans Mieskes aeusserte in seiner 1958 in Coburg gehaltenen Festrede zur 400-Jahrfeier der Jenenser Friedrich-Schiller-Universitaet, die in der NS-Zeit bekanntlich eine Vorreiterrolle des akademischen Rassismus und Antisemitismus war: „Wer vorgibt, jemals aus dem Wissensquell der echten Alma mater Jenensis ernaehrt worden zu sein, ohne dass er mit seinem gegenwaertigen Dasein unablaessig den edlen Maechten der Freiheit und Wahrheit dient, hat seine Herkunft verraten; [...]“(7) .
Der hier beweihraeucherte Wahrheitsbegriff wird in der Aufforderung zur "Wahrheit" greifbar, welche Zillich anlaesslich des 20. Jubilaeums der „Vierteljahresblaetter“ einforderte. Er postuliert, mit den „Vierteljahresblaettern“ „die Wahrheit zu sagen“, was in der damaligen Bundesrepublik „nichts Selbstverstaendliches“ gewesen sei, obwohl die Wahrheit „Sinn und Aufgabe der Publizistik“ ist.
„Uns aber noetigt Pflicht- und noch mehr Ehrgefuehl, bei der Wahrheit zu bleiben, [...]“.
Zillich versteht sich und seine Zeitschrift als Fuersprecher des "Guten", obwohl das
„heute oft einsam“ mache, „doch scharfsichtig dafuer, was gut oder schlecht, dumm oder klug, schoepferisch oder unfruchtbar ist. Nie darf die kampfbereite Gewissheit sich aufgeben, die auch unser Blatt beseelt, dass sich das Abendland wieder erneuern und das Recht siegen wird.“ (8)
Das Armutsbild dieser simplistischen „Schwarz-Weiss“-, "Freund-Feind"-Perspektive ist beklemmend und identisch mit dem verheerenden "Kaempfertum" des deutschen Ultranationalismus. Demselben Horizont der Ausschliesslichhkeit und Unbelehrbarkeit, der Besserwisserei, der Anmassung und des Revisionismus, des Ressentiments entspringt Zillichs Hoffnung auf eine „Erneuerung des Abendlandes“ und auf den Sieg des "Rechts" (gewiss des deutschen Volkes, dem durch Vertreibung aus den Ostgebieten Unrecht angetan wurde).
Auch die sogenannte Geradlinigkeit (lies ‚ideologische Verranntheit‘ und 'Verbohrtheit') leuchtet in den krassesten Formen auf. Harald Krassers „wesentliches Merkmal“ soll laut Hans Bergel „die Unbeirrbarkeit im Namen des Geistes“ gewesen sein (9) . Er soll den Verlockungen und der Kaeuflichkeit durch die „Maechtigen“ (10) nicht erlegen sein(11) .
Die immer wieder beschworene Aussergewoehnlichkeit und Vorzueglichkeit des voelkischen und des NS-Hyperaktivismus werden an der „ Maennlichkeit“ fetsgemacht. Diese Eigenschaft wird einem Mann zugesprochen, dessen Taetigkeitsfeld eher Sanftmut voraussetzt. Der NS-Bischof Wilhelm Staedel, der zwischen 1940 und 1944 die evangelische Landeskirche in Rumaenien der Volksgruppenfuehrung auslieferte, soll nach seiner Verhaftung und Einweisung in ein kommunistisches Lager durch seine „mannhafte Haltung„ ein Vorbild fuer seine Leidensgefaehrten gewesen sein (12) . Anlaesslich seines Todes im Jahr 1971 wird seiner als „mutiger Kaempfer“ gedacht(13) . Zillich nennt den Journalisten Hans Hartl „maennlicher Charakter“ (14) und auch Heinrich Zillich wird von Hans Bergel mit Maennlichkeit bedacht: „Er war, was man einen durch und durch maennlichen Typ nennt“ (15) . Unter der euphemistischen Formulierung „[...] bekannte er sich zu einem Konservatismus, der nicht stillstand, sondern das rechte Mass der Bewegung“ war, ordnet Heinrich Zillich den boehmischen Journalisten Emil Frenzel dem Nationalsozialismus zu, ohne das Wort „Nationalsozialismus“ nennen zu muessen(16) .
In der Gruppe „Politisch-ideologische Ausrichtung“/III. Gruppe bilden die Euphemismen „Reichsgedanke-Abendland-Westen“ eine Sinneinheit. Der nationalsozialistische Schriftsteller Bruno Brehm (17) , mit dem Heinrich Zillich persoenlich befreundet war, soll laut Hans Bergel von der „osteuropaeischen Sehnsucht“ geplagt gewesen sein, „dass der Westen “noch einmal so erstehe“, wie er einst Orientierungswerte ausstrahlte“ (18) . „[...] Brehms 1956 entworfenes Wunschbild von einem „Westen, der „einmal gross war“, soll laut Bergel „das Bild“ sein, „das der Osteuropaeer bis heute vom Westen hegt“(19) . Die Faktenverdrehung ist unverkennbar: Bergel versucht hier den "Suedostdeutschen", der das Bild eines hochentwickelten Westens pflegt, durch den „Osteuropaeer“ zu ersetzen. Ebenso verhaelt es sich mit der vorgebliche „Sehnsucht“ nach dem "Westen". Im naechsten Zug spricht Bergel den tiefbraunen Brehm von der deutsch-zentrierten „Zivilisationsarroganz“, vom „Kulturchauvinismus“ frei:
„Dass sich Brehm hier bewusst auf die Seite des Osteuropaeers stellt, dass ihm also nicht Zivilisationsarroganz und Kulturchauvinismus im Hochhalten westlicher Ueberlegenheit vorgehalten werden koennen, stimmt nachdenklicher, als der geschliffene Zynismus okzidentaler Selbstkritik“(20) .
Damit wendet sich Bergel in guter ideologischer "Tradition" gegen die Sichtweise des "dekadenten Westens", die durch den voelkischen und NS-Dogmatismus systematisch verpeonte und bekaempfte kritische Sichtweise des "dekadenten Westens"
Euphemistische Formeln, die auf die Doktrin des „dritten Wegs“, d.h. des „deutschen Sonderwegs“ der Zwischenkriegszeit (21) zurueckgehen, werden in Verbindung mit Hans Meschendoerfer, dem „Name(n), der zur Institution wurde“, eingesetzt. So heisst es 1991, dass „die Herausfuehrung des Buches aus dem exklusiven Warenstatus“ den „Buchvermittler“ Meschendoerfer von den Haendlern der altvorderen Generation unterschied“ (22) . Hier wird in verschluesselter Form der "juedische Kraemergeist" angeprangert, dessen "Ausrottung" sich der ueberzeugte NS-Kulturnik Meschendoerfer zeitlebens hingab. Die allgemein gehaltenen Floskeln, Meschendoerfer habe die Auffassung vom Buch als „Kommunikationsmittel“ geteilt, „das Menschen zueinander fuehrt: als eine Plattform des Miteinander, als eine Sprache der Gemeinsamkeiten“, dem der „alles kommerzialisierende(n) Ungeist insbesondere der zweiten Jahrhunderthaelfte genau“ entgegensteht(23) , beziehen sich auf das "deutsche Buch" als ausschliessliches Kommunikationsmittel zwischen "deutschen Menschen", das das "Miteinander" eben dieses "" pflegt und es in all seinen "Gemeinsamkeiten" zueinander fuehrt. Damit ist das Ziel der NS-Kulturpropaganda benannt, "deutsches" Gemeinschaftsgefuehl zu pflegen und zu festigen. Meschendoerfer war einer der zahlreichen NS-Kulturpropagandisten, die die kulturelle Gleichschaltung und Einebnung des „am deutschen Wesen ‚muss‘ die Welt genesen“ auf Volksgruppenebene ruehrig betrieb. (24) .
Meschendoerfer belobigt im „imaginaeren“ Gespraech mit Stefan Sienerth(25) den grossdeutschen Kulturimperialismus und –chauvinismus: in Frankreich, wo er sich 1931 als Buchhaendlerpraktikant aufhielt, fiel ihm auf, „dass sich der Handel mit dem Buch auch mit leichter Hand bewaeltigen laesst, nicht so befrachtet mit Kultur- und Sendungsbewusstsein wie in Deutschland , [...]“(26) .
So stehen auch die euphemistischen Topoi Meschendoerfers, die „neue Buchkunst“, die „jungen deutschen Verlage“, die „ neuen Schriften“ und die „neue deutsche Dichtung“ , fuer die er sich einsetzte, durchgehend fuer „deutschnational“ bzw. „nationalsozialistisch“ (28) .
Ebenfalls dem Bereich des Kulturimperialismus enstammt die ueberzogene Behauptung, Siebenbuergen habe es ausschliesslich seinen Deutschen zu verdanken, dass es ein organischer Bestandteil Europas sei. Hier spielt der von den Nationalsozialisten vereinnahmte (usurpierte) Europagedanke mit, den sie mit den Stereotyp des "Kulturwestens" und des "Reiches" zu einem Propagandakomplex amalgamierten.
Siebenbuergens westeuropaeische Praegung wird hier einseitig
und geschichtswidrig ausschliesslich den dort lebenden Deutschen zugeschrieben.
Die Kulturpropaganda der Siebenbuerger Sachsen mystifiziert aufgrund der
"Kulturraum-", der "Kultur-" und "Volksbodendogmatik", anhand des Kulturbringermythos
unleugbare Tatsachen, indem sie ausser Acht laesst, dass die Siebenbuerger
Sachsen ihre Spitzenposition den zahlreichen Verguenstigungen verdankten,
welche die ungarische Krone ihnen jahrhundertelang zusicherten
(29)
. So hebt Hans Bergel bei seinem Universitaetslehrer Harald Krasser
hervor, dass dieser die Faehigkeit besass,
Dabei verschweigt Bergel, dass er hier einen ehemaligen Kulturfunktionaer der NS-Volksgruppenzeit, naemlich den ehemaligen "Kreiswalter" der "Schrifttumskammer" des Kreises Hermannstadt lobpreist.„das Einzelne in die groesseren Zusammenhaenge hineinzustellen als dessen Teil, und das heisst hier: die Beleuchtung der kulturellen Provinz Siebenbuergen in ihrer ueberprovinziellen Aussage als selbstverstaendlicher und organischer Teil Europas“ (30) .
Neben dem Istgleichzeichen, das die nationalsozialistische Ideologie und Propaganda zwischen dem „Reich“ und dem Westen (Abendland) setzte, gab es den pervertierte Europagedanken, der zunaechst von grossdeutschen, dann, ab 1943, von Interessenvorgaben des angestrebten „germanischen Reiches“ bestimmt wurde. Wenn Zillich Bruno Brehm „Sinn fuers Abendlaendische“ bezeugt(31) , so meint er eigentlich dessen „reichische, also abendlaendische Gesinnung“ (32) , die Dr. Otto von Habsburg Heinrich Zillich anlaesslich des 80. Geburtstages 1978 bezeugt(33) .
Weitere euphemistische Praegungen wie: „geistige Elite “, „Freundschaft der Besten“, „Kenner der Echtheit“ usw. sind typische Superlative, die in ihrer Vorzueglichkeit nur so von Ueberheblichkeit und Anmassung strotzen. Der Kunstgeschichtler und Verleger Walter Myss soll laut Hermann Schlandt mit seinem „Wort- und Welt“-Verlag in Thaur bei Innsbruck „einer geistigen Elite Siebenbuergens“ „ein wort- und weltoffenes Forum geschaffen“ haben(34) . Harald Krasser erfreute sich laut Bergel „der Achtung und Freundschaft der Besten“(35) , naemlich Erwin Wittstock, Alfred Pomarius, Heinrich Zillich, Erwin Neustaedter, Hermann Roth, Andreas Birkner, die in der Hauptsache im NS-"Kultur"treiben der Siebenbuerger Sachsen ein festes Standbein besassen.
Hans Hartl als einen „der besten Kenner und Deuter des Marxismus-Leninismus und als Sachverstaendige(n) fuer Fragen des europaeischen Suedostens“ auszuweisen(36) , ist so zu verstehen, dass der festlich Angesprochene sich im blinden Bolschewistenhass auszeichnete und selbstuebertraf. Dass er aber „Chef vom Dienst“ der „Suedostdeutschen Tageszeitung“, des Organs der NS-Volksgruppe, war, wird einfach verschwiegen.
Oswald Teutsch wird fuer die totalitaer-gleichschalterische Massnahme belobigt, „die Coeten aller siebenbuergisch-deutschen Oberschulen“ zusammengefasst zu haben(37) . Wenn Gustav Markus des im 81. Lebensjahr 1972 gestorbenen Bischofs Wilhelm Staedel unter anderem mit den Worten gedenkt, „Die Mehrheit der Sachsen dachte damals politisch wie er“ (39) , so meint Markus als Insider des NS-Treibens der Jahre 1938-1944, dass die Mehrheit der Siebenbuerger Sachsen nationalsozialistisch dachte wie Staedel.
Die „Suedostdeutschen Vierteljahresblaetter“ melden 1975 in der Rubrik „Ostdeutsche Chronik“, dass der siebenbuergisch-saechsische Pfarrer Gerd Zikeli, reformierter Geistlicher in Stallikon, Schweiz, in Muenchen einen Vortrag ueber „den diffamierten Sozialismus“ hielt (40) . Damit ist der "nationale Sozialismus" gemeint(41) . Die Umschreibung „Gewissenstraeger“ verweist auf ehemals gehobene Stellung in der eiheimischen NS-Hierarchie. Der langjaehrige Rektor des Honterusgymnasiums in Kronstadt, Albert Hermann, wird anlaesslich seines Todes 1975 als "Gewissenstraeger" geruehmt(42) .
„Gespuer“ oder „Instinkt“ fuer „das Echte“ sind als Umschreibungen fuer grossdeutsche Illusionen zu verstehen. Der Banater Journalist Josef Gassner soll laut Zillich mit dieser Sondergabe ausgestattet gewesen sein (43) . Hans Meschendoerfer soll ueber seinen Koenigsberger Lehrmeister Arthur Luther „mit warmem Empfinden fuer das Echte“ in Beruehrung gekommen sein(44) , lies: mit ideologisch vorgegebenen, fragwuerdigen Kulturwerten. Hans Bergel verwendet in seinem juengsten Gedenkartikel fuer Heinrich Zillich die Formel „der seiner Epoche verhaftete Mann“(45) , womit die massiven Verirrungen dieses Mannes, die in der NSDAP-Mitgliedschaft ab April 1941 kulminierten, auf den "Zeitgeist" abgewaelzt werden sollen. Auch dem Journalisten Hans Hartl sagt Zillich anlaesslich seines 65. Geburtstags (1978) „klaren politischen Instinkt“ nach(46) .
Zu den politisch-ideologischen Positionen und Ausrichtungen, welche der NS kompromisslos bekaempfte, zaehlen Wortpraegungen und Schlagworte wie "oeder Materialismus", "alte Ordnung", "laehmende Tradition " u.ae. In seinem Bekenntnis zur Christengemeinschaft der Anthroposophen schreibt der ehemalige radikalnazistische Pfarrer Friedrich Benesch , er sei in den ersten beiden Jahren seines Marburger Studiums (1925-27) in seiner Suche nach positiven Werten nur auf „oede(n) Materialismus“ gestossen (47) . Benesch gebraucht hier den Wortschatz der damaligen Feinde der Weimarer Republik, die allesamt im rechten bis rechtsextremen politischen Spketrum angesiedlet waren. Die Heltauer Dichterin Gerda Miess (1896-1954), die Hans Bergel 1996 in einem Text wuerdigt, beanstandete in den fruehen 50er Jahren den „Materialismus“ ihrer Zeit(48) . Die einheimischen Nationalsozialisten beanstandten den siebenbuergisch-saechsischen Traditionalismus, der sich in der Gruppensolidaritaet der Dorfgemeinschaften mit ihren Lehrern und Pfarrern aeusserte. So sah Friedrich Benesch seinen „Erneuerungsdrang“ im nordsiebenbuergischen Birk, wo er zwischen 1934 und 1936 als Pfarrer wirkte, mit „alten starken Ordnungen“ konfrontiert, die „unter der Fuehrung von Lehrer und Pfarrer“ „die Fortbildungsschule und auch die Wanderungen der jungen Menschen“ bestimmten. Noch zugespitzter heisst es: „Die ganze Seelenhaltung, in der noch so viel altes Volkstum lebte, war ja eigentlich ein Anachronismus“(49) . Aehnlich aeussert sich die Dichterin Gerda Miess, die den „dumpfen Sinn saechsischer Gehorsamsmentalitaet“ beanstandet(50) . Auch der Buchhaendler Hans Meschendoerfer wendet sich gegen die „laehmend(e) Tradition“, die er im franzoesischen Buchbetrieb feststellte, im Gegensatz zum „Kultur- und Sendungsbewusstsein“ des deutschen Buchhandels und dessen „bis ins Letzte ausgekluegelte Organisation“(51) .
Ein durch ihre Qualitaet besonderes Kapitel bilden die in Gruppe VI zusammengefassten faktenverdrehenden und mystifizierenden Formeln. Diese „Verdrehungs“-Floskeln weisen eine bedeutungsmaessige Zwei- bzw. Mehrschichtigkeit auf. Die zweischichtigen Ausdruecke bestehen aus einer Falschaussage, die darauf zielt, die ideologische Belastung des Benannten und das damit zusammenhaengende politische Engagement zu vertuschen oder zu relativieren. Das Ausmass der Verdrehung wird durch die Mehrschichtigkeit verschaerft. Auf diese Weise mutieren ausgewiesene Nationalsozialisten zu Verfechtern von Demokratie, Humanismus, Internationalismus und Voelkerverstaendigung, zu Vertretern von eben den Positionen, welche sie im Namen ihres "deutschen Idealismus " bzw. des "deutschen Gedankens" der 30er und 40er Jahre bekaempften und vernichten wollten.
Der bekanntermassen fanatische Nationalsozialist und Deutschchrist Wilhelm Staedel, den die Volksgruppenfuehrung als Bischof der evangelischen Landeskirche A.B. durchsetzte, soll „In seiner kaum zweieinhalbjaehrigen Amtszeit“ „nichts“ unternommen haben, „was den Vorwurf haette rechtfertigen koennen, Neuheidentum(52) habe um sich gegriffen. [...]“. Er soll „die Kirche, deren Angestellte und Pfarrer vor Uebergriffen weltlicher Behoerden“ geschuetzt haben (53) , auch sei er der Kirche nicht als Parteigenosse aufgezwungen worden (54) . Zahlreiche Quellen und Urkundenbelege beweisen das Gegenteil dessen, was Markus hier lobhudelnd behauptet(55) .
Harald Krasser soll
gearbeitet haben. Doch der Laudator Bergel zieht nur den kommunistischen Totalitarismus als Probe zum Exempel heran(56) , nicht den Nationalsozialismus, in dem sich Krasser so heimisch fuehlte. Auch soll Krasser nicht zu jenen gehoert haben, „die gestern mit der einen Diktatur kokettierten und es heute mit der andern tun“, was seine Ursache in Krassers „Unbeirrbarkeit im Namen des Geistes“ habe (57) . Bergel bedient hier ein zweischneidiges Topos, das Krasser der Luege unter Bedingungen des kommunistischen Totalitarismus, auch der Koketterie mit beiden Totalitarismen entbindet. Doch Krassers nationalsozialistische Verstrickungen uebertrafen bei weitem das, was Bergel „geistige Koketterie mit der einen Diktatur“ nennt.„kaum jemals in seinem Leben in einem gesellschaftspolitischen Klima des Respekts vor geistiger Taetigkeit, sondern im unberechenbaren Interessenfeld politischer Absichten mit totalitaerer, das heisst in alle Bereiche – des Lebens, der Kunst, des Alltags, der Wissenschaft, Forschung und Schule – hineinwirkender Machtbefugnis, die in wesentlichen Fragen immer wieder die Luege von ihm verlangte [...]“,
Bei der Wuerdigung von Zillichs 10. Todestag und 110. Geburtstag (1998) heisst es, „Zillichs Position“ sei „niemals in die Vulgaritaet des nationalistischen Extrems“ ausgeartet(58) . Der Dichter und Romanschreiber Erwin Neustaedter, der der „Schrifttumskammer“ der Volksgruppe vorstand, soll Zurueckhaltung zum Lebensprinzip gehabt haben: „Erwin Neustaedters Lebensprinzip der Zurueckhaltung aeusserte sich auch in seiner Abgeneigtheit jeder Publizitaet gegenueber“(59) .
Ebenfalls relativierende Kraft besitzt die Aussage, Zillichs „national akzentuierte Sorge um seine hinter dem kommunistischen Eisernen Vorhang in Geschichte, Kultur, Selbstachtung und ethnischen Ueberleben bedrohten siebenbuergischen und anderen suedosteuropaeischen deutschen Landsleute“ sei von dessen „suedosteuropaeischer Praegung“ bestimmt, „in deren Verstaendnis die nationale Verpflichtung generell seit jeher sehr weniger kritisch hinterfragt wird als in den Laendern des Westens“(60) . Die Relativierung kommt hier dadurch zustande, dass der „Kulturmultiplikator“ Zillich in ein betont deterministisch funktionierendes Kulturumfeld gestellt wird, auf das die Verantwortung des Einzelnen letztendlich abgewaelzt werden kann. Aehnlich relativierend funktioniert auch der euphemistische Topos, Zillich sei ein „seiner Epoche verhafteter Mann“ gewesen(61). Womit darauf angespielt wird, dass es ungerecht sei, Zillich die Irrungen und Wirrungen seines Zeitalters anzulasten. Es wird der Eindruck erweckt, allein der Zeitgeist sei die Triebfeder gewesen, waehrend Zillich selbst keine zeitgemaesse Eigendynamik, keine Initiative in deutschnational-nationalsozialistischem Geist entwickelt habe.
Eine krasse Faktenverdrehung ist die Schuldzuweisung, die Hans Meschendoerfer den „chauvinistischen Kommunisten“ anhaengt: diese haben die Buchhandlung Zeidner in Kronstadt nach 80-jaehrigem Bestehen „kurzerhand aufgeloest“(62) . Meschendoerfers Aussage stellt ein realitaetsverzerrendes Kausalverhaeltnis zwischen den Kommunisten, deren Chauvinismus und der Aufloesung eines siebenbuergisch-saechsischen Betriebes auf. Den Hauptgrund der Aufloesung bot nicht die Deutschenfeindlichkeit der rumaenischen Kommunisten, sondern die ideologisch bedingte, von keinerlei nationalen Ruecksichten bestimmte Kapitalismus- und Kapitalistenfeindlichkeit der Kommunisten.
Ein weiteres Beispiel schwammiger Formulierungskunst liefert Johann Adam Stupp, verantwortlicher Schriftleiter der "Suedostdeutschen Vierteljahresblaetter", der ueber den radikalen Nazi Ekkehard Lebouton schreibt, dieser sei „nicht unbeeindruckt vom nationalen Gedankengut der Hitlerbewegung“ gewesen (63) . Er soll auch kein NSDAP-Mitglied gewesen sein, was angesichts seiner radikalen Taetigkeit in den 30er und 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts recht unglaubwuerdig ist.
Das nach dem unruehmlichen Untergang der grossgermanischen Machtbasis von ehemaligen Nationalsozialisten fuer Demokratie, Internationalismus, Humanismus und Europagedanken abgelegte "Bekenntnis" ist Ausdruck einer plumpen und unbeholfenen Realitaetsverfaelschung, angesichts des von den Nazis getriebenen Spiels mit Europa und mit den Interessen der europaeischen Voelker, das in den Kriegsjahren seinen traurigen Hoehepunkt erreichte. Damals feierte die Nazipropaganda den schmutzigen Eroberungs- und Vernichtungskrieg u.a. als Befreiungskrieg Europas von westlichen, "plutokratisch-juedischen" und bolschewistischen Geluesten.
Der Deutschboehme Karl Anton Prinz Rohan soll laut Zillich „deutsches Volksbewusstsein und uebernationale europaeische Haltung“ vereint haben(65) . Eine weitere leere Worthuelse, weil die beiden Pole dieses Euphemismus, der fuer deutschnationales bzw. fuer NS-Politikverstaendnis steht, objektiv unvereinbar sind. Die hier von Zillich angesprochene „uebernationale europaeische Haltung“ bezieht sich eigentlich auf die damals in ganz Europa verstreuten deutschen Siedlungsgebiete, besitzt also pangermanischen, keinesfalls internationalistischen Hintergrund.
Auch die von Zillich angefuehrten Ziele der „Deutschen Burse Marburg“ sind ebenso widerspruechlich. Studenten aus allen auslanddeutschen Siedlungsgebieten wurden dort zu einem revisionistischen Stosstrupp herangebildet, unter der Umschreibung, zur „Verantwortung fuer ihr Volk, zur Selbstdisziplin und zur Voelkerverstaendigung“ erzogen zu werden. (66) „Ihr Volk“ ist das deutsche Volk und es bleibt ein Raetsel, wie deutschzentrierte Erziehungs- und Studieninhalte die Voelkerverstaendigung foerdern konnten. Eben das war der Grund, der die damalige Bundesregierung bewog, die „Deutsche Burse“ als Hort der Intoleranz und deutschnationalen Arroganz im Jahr 1968 zu schliessen.
Der fruehere Nationalsozialist Hans Hartl stieg als „Suedosteuropa-Forscher“ in der „Suedosteuropa-Gesellschaft“ – Muenchen zum Veranstalter „Internationaler Hochschulwochen“ auf (67) . Was wird der Zweck dieses geheuchelten Internationalismus gewesen sein? Zweifelsohne die Vermittlung eines von eigentlich laengst abgewirtschafteten Grundsaetzen gepraegtes Scheinwissen ueber den damals kommunistisch dominierten Suedosten Europas.
Statt der „geistige(n) Welt der griechischen Antike“ als „die andere starke Praegekraft“ des Dichters Erwin Neustaedter(68) , haette die Germanentuemelei und Manie des "Nordischen" stehen muessen. Aehnlich verhaelt es sich mit der „geistigen Begegnung“ und mit dem „Erlebnis der Dichtung und Persoenlichkeit Goethes“ durch den Radikalnazi Friedrich Benesch (69) , der urploetzlich zu den vom NS verteufelten rationalistisch-humanistischen Grundlagen eines Goethe gefunden haben will. Den eigentlichen Beruehrungspunkt zu Goethe bildet der Pantheismus(70) , an den auch der Oesterreicher Rudolf Steiner, der Begruender der Anthroposophie, knuepfte(71) . Das „Helfen und Heilen, Erkennen und Lehren“, „die Ideale, die uns damals bewegten“(72) , wie Benesch schreibt, stehen fuer den damals mit Grossbuchstaben geschriebenen „Idealismus“ des ultranationalistischen "deutschen Gedankens".
Statt eines Fazit
Unsere Ausfuehrungen duerften Joseph Strelka, der in der
Folge 4/1995 der „Oesterreichischen Osthefte“ die Einschaetzung abgab, die
„Suedostdeutschen Vierteljahresblaetter“ haetten „ihre Oeffnung zum Europaeischen
hin“ erst erfahren, als sie nicht mehr vom „grossdeutsch denkenden ehemaligen
Kaiserjaeger Heinrich Zillich“ zusammengestellt wurden(73)
, in schoene Verlegenheit bringen. Die Zeitschrift kultiviert die Zillichsche
Understatement-Technik der „sprachlichen Unanfechtbarkeit“ weiter, obzwar
auch der verantwortliche Schriftleiter Johann Adam Stupp anlaesslich des
45. Jahresjubilaeums der „Suedostdeutschen Vierteljahresblaetter“ einen unverkennbaren
„Wandel in der Betrachtungsweise und dem Umgang mit einer doppelt belasteten
Vergangenheit“ erkennen moechte. Auch „der historischen Wahrheit verpflichtete
wissenschaftliche und ideologiekritische Beurteilungsmassstaebe“ sollen
laut Stupp „allemal Vorrang vor gesinnungsethischen Bewertungen“ gewonnen
haben (74)
. Doch die Themenstellung hat sich, zumindest in den Gedenkartikeln und
-notizen kaum veraendert und es laesstt sich sehr wenig von diesen vermeintlichen
Verbesserungen erkennen, weil die „doppelt belastete Vergangenheit“ nach wie
vor nur zulasten der kommunistischen Hypothek entwirrt wird. Eine tiefgreifende
Kritik der nationalsozialistischen Irrwitzigkeiten bleiben die „Suedostdeutschen
Vierteljahresblaetter“ nach wie vor schuldig.
A N H A N G
Kurzportraets
Wilhem Staedel (1890-1971), Pfarrer, betaetigte sich seit den fruehen 20er Jahren in der siebenbuergisch-saechsischen Jugendbewegung, fuehrte die nationalsozialistische Deutsche Jugend Rumaeniens, wurde 1936 des Pfarramtes enthoben, dann 1941 von der Volksgruppenfuehrung als Bischof durchgesetzt. Staedel war ein fanatischer Anhaenger der nationalsozialistisch ausgerichteten Deutschen Christen und rief Ende 1941 das „Institut zur Erforschung des juedischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“, eine Zweigstelle des gleichnamigen Instituts in Jena, ins Leben. Der Uebergabe des unter kirchlicher Obhut befindlichen Schulwesens an die Volksgruppenfuehrung, die eine „Nationalschule“ errichten wollte, widersetzte er sich nicht (75) .
Oskar Wittstock (1893-1979), Geschichtsprofessor in Kronstadt, Herausgeber von „Handbuch zum europaeischen Minderheitenproblem: Die offenen Wunde Europas“ (1930) und Verfasser von „Die Siebenbuerger Sachsen und der gesamtdeutsche Gedanke“, Rudolf M. Rohrer-Verlag, Bruenn Muenchen Wien 1943.
Albert Hermann (1893-1975) war Rektor des Honterusgymnasiums in Kronstadt in der Volksgruppenzeit (1940-1944). Als Nationalsozialist der ersten Stunde wurde er Hauptabteilungsleiter im Schulamt der Volksgruppe und entfaltete eine rege Propagandataetigekit. So hielt er im Rahmen der Kreisschulung der deutschen Erzieherschaft des Kreises Hermannstadt Vortraege ueber die Grundbegriffe der Rassenkunde (Gesetze der Vererbung, ueber „die nordische Rasse als Voraussetzung jeder weltgeschichtlichen Leistung“ (Suedostdeutsche Tageszeitung 10. Januar 1942, S.7)). Hermann hielt auch „rassenkundliche" Vortraege in Vortragsreihen des Forschungsinstituts der Volksgruppe, so am 16. Februar 1942, unter dem Titel „Rasse und Volk“ (Suedostdt. Tagesztg. 8. Februar 1942, S.4). Er sprach auch anlaesslich der Kundgebung zum 10. Jahrestag der Machtergreifung im Burzenland am 30. Januar 1943 in der NSDAP-Ortsgruppe in Neustadt (Suedostdt. Tageszeitg. 3. Febraur 1943, S.3).
Erwin Neustaedter (1897-1992), Schriftsteller, Kronstadt, in der Volksgruppenzeit war er Leiter der Schrifttumskammer der Deutsche Volksgruppe in Rumaenien. Die Suedostdt. Tageszeitg. druckt die Rede Neustaedters anlaesslich der Eroeffnung der „Schrifttumskammer der Deutschen Volksgruppe in Rumaenien“ ab, die als „grundlegend“ bezeichnet wird (8. Februar 1942, S.5). Neustaedter fuehrt unter anderem aus, die „ Beziehungen zwischen Volk und Dichter“, „die Frage des „Lebenswertes der Dichtkunst fuer das Volk“ sei „keine aesthetische, sondern eine biologische“. Die Dichtung muss „volksbildnerisch wirken und mithelfen, die Eigenart ihres Volkes im Daseinskampf zu entfalten und zu bewahren“ usw. usf. Die Suedostdt. Tageszeitg. vom 23. August 1942 berichtet aus Berlin ueber den Auftakt der „geplanten Vortragsreihe durch das Reich“. Der Eroeffnungsvortrag Neustaedters fand „vor einem in der volktumspolitischen Arbeit stehenden Hoererkreis in Berlin“ statt. Die Ausgabe vom 20. September 1942 listet die Stationen der Vortragsreihe Neustaedters auf: Berlin, Stuttgart, die Bauernhochschule Goslar, Braunschweig, Hannover. Ueber eine weitere Deutschlandfahrt Neustaedters zwischen dem 3. und 18. Februar 1943 informiert die Suedostdt. Tageszeitg. vom 10. Februar. Sie erfolgte auf Einladung der Abteilung Schrifttum des Reichsministeriums fuer Volksaufklaerung und Propaganda, dessen Chef der beruechtigte Propagandachef Josef Goebbels war. Die Stationen Neustaedters waren Lueneburg, Friedrichsroda, Magdeburg, Ilmenau, Muehlhausen, Goslar und Dresden. Auch Neustaedter nahm das breite Feld der propagandistischen Arbeit bereitwillig wahr und fungierte im Hitlerreich als propagandistischer Vertreter der "neuen", in nationalsozialistischem Geist verfassten Dichtung seiner siebenbuergischen Heimat.
Harald Krasser (1905-1981),
Literaturkritiker und Kunstwissenschaftler. In der „Suedostdeutschen Tageszeitung“
vom 10. Januar 1942 ist zu lesen: „Pg(76)
Harald Krasser sprach ueber „Rasse und Dichtung“ im Rahmen der Kreisschulung
der deutschen Erzieherschaft des Kreises Hermannstadt". Die Nummer vom 8.
Februar 1942 bringt einen ausfuehrlichen Bericht ueber Krassers Vortrag
„Rasse und Dichtung“. Krasser soll „nach Klaerung grundsaetzlicher Vorfragen“
gefragt und diese am Beispiel einiger „Werke, Epochen und Gestalten“ „aus
der ungeheueren Vielfalt und Fuelle der deutschen Dichtung“ erlaeutert haben,
„an denen sich beispielhaft die rassisch bedingte Praegung der Geisteshaltung
nachweisen laesst.“ Die altgermanische Dichtung, „aus deren menschlicher
Haltung der nordische Rassetypus noch einheitlich und unvermischt spricht“,
zeichnet sich durch „vier wesentliche Hoechstwerte“ aus, „die als lebenformende
Kraefte diese Dichtung beherrschen: die Ehre, die Treue, die Haerte gegen
sich selbst, und der Mut dem Feinde gegenueber.“ Die nordisch bestimmte
Weltanschauung weist eine „monotheistisch gefasste Fassung des Schicksalsbegriffes
und das hohe Ethos“ auf, „aus dem heraus der kaempferische Mensch sein Schicksal
auf sich nimmt, auch wenn er weiss, dass er nur durch seinen Untergang die
sittlichen Werte retten kann.“
Am 5. Februar 1943 ist Krasser
als Kreiswalter der Schrifttumskammer Hermannstadt ausgewiesen. Er hatte
am 31. Januar 1943 in Rothberg bei Hermannstadt auf der Kundgebung anlaesslich
des Tages der Machtergreifung eine Rede gehalten, entfaltete also auch eine
rein politische Propagandataetigkeit.
Fritz (Friedrich) Benesch (1907-1991), Pfarrer, wurde im Zuge des Rundschreibens 924/1936 des Landeskonsistoriums der evangelischen Landeskirche A.B. in Rumaenien, das den Kirchenangestellten verbot sich parteipolitisch zu betaetigen, durch Disziplinarprozess aus dem Amt entfernt (77) . Benesch verfasste die „Richtlinien fuer unser Verhalten in der Disziplinaruntersuchung im Zusammenhang mit dem L.K. Rundschreiben 924/1936“(78) . Er leitete zusammen mit Alfred Bonfert die Pfarrer-Arbeitsgemeinschaft der enthobenen Angestellten(79) . 1936 lag Beneschs Schrift „Die anthroposophische Moeglichkeit, Christ zu sein“ vor(80) . Im Dezember 1936 organisierte er eine sogenannte „Ordenswoche“ in Gross-Schenk, in der die 16 Teilnehmer der Landeskirche den offenen Kampf ansagten und sich zur „neuen Kirche“ im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung bekannten (81) .
Ekkehart Lebouton (1910), war 1941 Kriegspfarrer in den Ostgebieten(82) . Am 4. Maerz 1942 unterzeichnete er als zweite von insgesamt 39 Personen das Schreiben der Pfarrer und Nichtpfarrer an den Volksgruppenfuehrer Andreas Schmidt, welche zur Gruendung der Arbeitsgemeinschaft des „Instituts zur Erforschung des juedischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“ zusammengetreten waren(83) . Am 25. Juli 1943 meldete er sich als Freiwilliger zur Waffen-SS (84) .
Hans Meschendoerfer (1911-2000) war Leiter der Fachschaft Buchhandel in der Volksgruppenzeit. Die „Suedostdeutsche Tageszeitung“ veroeffentlichte am 8. August 1942 die Meldung der Pressestelle der Volksgruppenfuehrung, dass Hans Meschendoerfer, der Leiter der Fachschaft Buchhandel der Schrifttumskammer der Deutschen Volksgruppe, einen Vertrag mit dem Boersenverein der deutschen Buchhaendler zu Leipzig abgeschlossen und zusammen mit dem Vizepraesidenten der Reichsschrifttumskammer Wilhelm Bauer unterzeichnete. Der Vertrag sah unter anderem vor, dass die Fachschaft Buchhandel einen Vertreter in den Grossrat des Boersenvereins entsendet, dass die Verkehrs- und Verkaufsordnung des Boersenvereins fuer die Fachschaft verpflichtend gemacht wird und dass die Frage der Mitgliedschaft geregelt wird. Aufgrund dieses Vertrages wird die Fachschaft Buchhandel als alleinige Vertretung des deutschen Buchhandels in Rumaenien vom Boersenverein anerkannt.
Oswald Teutsch (1911-2000) aus Kronstadt war Leiter der Anwaltskanzlei von Dr. Hans Otto Roth in Bukarest, dann war er Leiter des Wirtschaftsamtes der Deutschen Volksgruppe in Rumaenien (1940-1942) (Vgl. Suedostdeutsche Tageszeitung, 18. Oktober 1942, S.9). Er verfocht im Interesse der "Dt. Volksgruppe in Rumaenien" die antisemitischen Arisierungsmassnahmen des Regimes Antonescu .
Hans Hartl (1913-1990) war „Chef von Dienst“ des Organs der nationalsozialistischen Volksgruppe „Suedostdeutsche Tageszeitung“. Er wirkte auch als Kriegsberichterstatter an der Ostfront, schrieb zahlreiche propagandistische Artikel in der Suedostdt. Tagesztg. und war in das Treiben des reichsdeutschen Kriegsjournalismus voll integriert.
Hans Mieskes (1915) wirkte ab 1941 am Institut fuer Sozial- und Voelkerpsychologie der Karls-Universitaet in Prag, welche Universitaet eine SS-Hochburg war(85) .
Walter Myss (urspruenglich
Miess) (1920), Kronstadt, Kulturphilosoph, wird in der „Suedostdeutschen
Tageszeitung“ vom 19. Dezember 1942, als er 22 Jahre alt war, als „jugendlicher“
Dichter des „Michael Weiss“-Dramas angefuehrt, das im Rahmen der Deutschen
Jugend-Kulturwoche in Kronstadt uraufgefuehrt wurde. Anschliessend war er
Kriegsberichterstatter.
Die totgeschwiegene Dimension: 1. Der unbekannte
Hans Meschendoerfer