Das
Verhängnisvolle der Kontinuitätsdebatte ist auf zwei Ebenen manifest:
auf der des Debattengegenstandes und auf der der theoretischen Ausformung
dieser Debatte. Bei näherer Betrachtung erweist sich der Gegenstand
der Auseinandersetzung als theoretisches Konstrukt, weil der Gegenstand
nicht durch historisch greifbare Tatsächlichkeit vorgegeben, sondern
ausschließlich spekulativer Natur ist. Die ethnische Kontinuität
ist eigentlich ein Anbetungs- und Glaubensobjekt. Alles, was ihre Anhänger
oder Gegner von sich geben, überschreitet die Qualität von Mystifizierungen
nicht. Der "Götze" ethnische Kontinuität wird also willkürlich
zu historischer Gewißheit hochstilisiert. Sowohl Anhänger wie
auch Gegner führen schweres Geschütz ins Feld, das genauso wie
der Gegenstand, dem es gilt, nichts weiter als eine riesige Seifenblase
ist. Ihre Begriffe und Vorstellungen entstammen dem nationalromantischen
Gedankengut des ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts. Sie vermeinen
die Völkerwanderungszeit (im Donau-Karpatenraum ab dem 3. Jh. n.Chr.)
mit diesem Gedankengut beglücken zu müssen. Daß es damals
belanglos war, welche Sprache man sprach, daß das nationale Moment
in jene Zeit transportiert ein Anachronismus ist, wollte und will keiner
der Seiten auffallen. Denn die Wertvorstellungen, vor allem die Prioritätenskala
jener Epoche lagen ganz anderes als eineinhalb Jahrtausende danach. Nicht
nationale Gesichtspunkte bestimmten, wer die Macht inne hatte, sondern
Hörigkeits- und Gehorsamskriterien regelten die Zugehörigkeit
zur Gruppe.
Entscheidend für unsere
Diskussion ist auch die Klarstellung, wie sich Hörigkeits- und Gehorsamsbeziehungen
und -bindungen gestalteten, wenn auf der Wanderung befindliche Menschengruppen
auf ansässige Gruppen stießen. Die Beziehungen wickelten sich
wie eh und je ab, u.zw. ging die Macht in der Regel auf die wandernden
Eindringlinge über, während sich die seßhafte Bevölkerung
diesen in irgendeiner Hörigkeits- oder Gehorsamsform unterordnete.
Es ist nun so, daß
auch die Vorstellungen über wandernde Meneschengruppen romantisch-schablonenhafte
Züge tragen; Man stellt sich die Einwanderer als gewalttätige,
skrupellose, ja teuflische Erscheinungen vor, die ganze Landstriche verwüsteten
und entvölkerten, wofür wohl hauptsächlich der Mongoleneinfall
der Jahre 1241/1242 für die mittelalterliche und in deren Folge für
die moderne und zeitgenössische Sichtweise den Ausschlag gab. Daß
Wanderungen von kriegerischen Ausschreitungen begleitet waren, gehört
zur Sache, muß aber nicht die Regel gewesen sein. Und die frappierende
Einseitigkeit des unter dem Eindruck des Mongolen-, später sogenannter
Tataren- und auch Türkeneinfälle entstandenen und kultivierten
Bildes der östlichen Eindringlinge wird deutlich, wenn man bedenkt,
daß diese überhaupt nicht mit Kind und Kegel wanderten, sondern
nur militärisch operierten. Das waren Kriegs-, keine Wanderzüge.
Die letzten, massiven Wanderzüge in den Donau- und Karpatenraum gehen
auf die Kumanen zurück, die noch Ladislaus der Heilige (1077-1095)
aus Nordsiebenbürgen fernhalten mußte, bis ihnen dann durch
Béla IV. (1235-1265) Einlaß nach Ungarn gewährt wurde.
Wenn nun archäologische
Funde als gewichtiges Argument für oder gegen ethnische Kontinuität
eingebracht werden, so wird auch hier in der Regel das Bild des satanischen,
alles versengenden Nomadeneindringlings bedient, der die Insassen militärisch
und politisch unter sein Joch kriegt. Das wird zwar nicht wortwörtlich
geäußert, doch vorausgesetzt, oder zumindest angedeutet. Es
wäre natürlich z.B. Kurt Horedt nicht zuzumuten, seine germanischen
Lieblinge, die siebenbürgischen Gepiden oder Goten, mit Gewalttaten
, wie sie die Mongolen, dann Tataren und schließlich die Türken
begingen, in Beziehung zu bringen, aber die Wanderzüge der Gepiden
und Goten waren wie die anderer Gruppen auch - ich wiederhole, auch
gewalttätig. Wanderzüge gestalten sich eben seit Menschengedenken
auf diese Weise, z.B. der Zug der biblischen Seevölker gegen Palästina
und Ägypten, oder die altgriechischen Einwanderungswellen, deren heftigste
und zugleich verheerendste die der Dorer gewesen sein soll. Und so erfolgten
auch die Einwanderungen in unseren, pannonisch-siebenbürgisch-außerkarpatischen
Raum, von den sogenannten "freien Dakern" (Karpen, Kostoboken), die das
römische Siebenbürgen bedrängten, den Hunnen, Awaren, Goten,
Gepiden, Slawen, Ungarn bis hin zu den zahlreichen turkvölkischen
Splittergruppen der Petschenegen, Jazygen oder Kumanen. Diese Züge
waren nicht nur gewalttätig. Es besteht sogar der Verdacht, daß
kriegerische Zusammenstöße eher die Ausnahme denn die Regel
bei Wanderbewegungen waren. In den meisten Fällen drangen die Neuankömmlinge
friedlich vor, zumal das kulturelle Gefälle zwischen Eingesessenen
und Zuzüglern gering oder inexistent war.
Es ist nämlich so,
daß auch das Stereotyp des ausschließlich Viehzucht treibenden
Wandervolkes und des vornehmlich ackerbauenden Insassenvolkes realitätsfremd
ist. Und obwohl die archäologischen Funde dieselbe eindeutige
Sprache sprechen, geistert erwähntes Stereotyp vorbehaltlos fort.
Selbst wenn die Nomaden vor allem der Viehzucht nachgingen, waren diese
des Landbaus nicht unkundig und umgekehrt. Bei beiden Gruppen, Wanderern
und Seßhaften, gab es eine Mischwirtschaft von Ackerbau und Viehzucht.
Und es wird so gewesen sein, daß die Menschengruppen je nach der
Lage und dem Umfeld sich flexibel verhielten und anpaßten, so daß
dieselbe Menschengruppe in seßhaftem Zustand entsprechend wirtschaftete
und im Wanderzustand ohne Schwierigkeiten zum Wanderwirtschaften wechselte.
Das gilt auch für die Gepiden und Goten, die wiederholt in die Kontinuitätsdiskussion
eingebracht werden.
Um bei den siebenbürgischen
Gepiden und Goten zu bleiben - genauso könnten es die Awaren sein
-: diese wanderten zwar in Siebenbül;rgen ein oder zum Teil nur durch
Siebenbürgen, sie brachten aber außer dem erwähnten Mischwirtschaften
noch etwas ein: ethnische Vielfalt. Es ist nämlich anzunehmen, daß
im Gefolge der jeweils führenden Gepiden oder Gotenschicht ein buntes
Völkergemisch mitzog. Deshalb weisen Artefakte, die den Wissenschaftlern
als ethnisches Bestimmungskriterium dienen, höchstens auf die führende
Schicht dieser wandernden Völkerbünde, keinesfalls auf die Bevölkerungsmehrheit.
Wenn also von gepidischen oder gotischen Funden bzw. Kulturen in Siebenbürgen
geschrieben wird, dann bezieht sich das nur auf die Führungsschicht.
Weil die Wandergruppen
ethnisch gemischt waren, die exquisiten, kulturbestimmenden Gegenstände
aber auf die Führungsschicht weisen - die, selbst wenn der jeweilige
Kulturhorizont den Goten oder Gepiden zugesprochen wird, auch nicht zwingend
gotischen oder gepidischen Blutes gewesen ist - , dann stammen die untypischen,
also undifferenzierten bzw. undifferenzierbaren Funde sowohl von der Masse
der Eingewanderten wie auch von der Masse der Eingesessenen, wobei bei
den letzteren beiden, wie bereits angedeutet, davon auszugehen ist, daß
kein grundlegendes kulturelles Gefälle, also keine wesentliche Differenzierung
bestand.
Katastrophenszenarien,
die mit Bevölkerungsverschiebungen immer wieder in Zusammenhang gebracht
werden, scheinen eher die Ausnahme, denn die Regel gewesen zu sein, aus
dem eben genannten Grund der wirtschaftlichen Flexibilität und Anpassungsfähigkeit
der Wandergruppen. Die bereits in der Steinzeit einsetzenden Wanderbewegungen,
zunächst aus dem Mittelmeerbecken nach Norden, Nordwesten und Nordosten,
dann auch in umgekehrter Richtung unter dem Druck innerasiatischer Steppenvölker,
weisen praktisch keine Bruchsituationen, sprich Zäsuren im eigentlichen
Sinn auf. Wie hätte es denn zu so etwas kommen sollen, wo im nichtmediterranen
Raum kein eigentliches Kulturgefälle bestand. Und selbst beim Zusammenstoß
zwischen den sogenannten Hochkulturen des Mittelmeerraums und den von Norden
oder Nordosten her einströmenden Wanderern trat keine Zäsur auf
längere Dauer ein, weil die Eindringlinge schließlich von der
Hochkultur profitierten und sich assimilieren ließen.
Ein weiterer Faktor, welchen
die nationalromantische Sichtweise verkennt, ist der Zeitrahmen, in dem
sogenannte Völkerwanderungen erfolgten. Das waren keine kurzen, schlagartigen
Einbrüche, wie der Kriegs- und Raubzug der Mongolen 1241/42, sondern
meistens ein langsames, Jahrzehnte, selbst Jahrhunderte in Anspruch nehmendes,
unmerkliches Vor- und Eindringen, was die kulturellen Austauscherscheinungen
wie die gegenseitige Beeinflussung auf Dauer ermöglichte, wodurch
die Integration der Neuankömmlinge kaum auf Schwierigkeiten stieß.
Diese kulturelle Wechselseitigkeit spricht entschieden gegen die ebenfalls
nationalromantische Vorstellung "reiner" Kulturen. Das gab es niemals in
der Weltgeschichte. Wesensbestimmend ist nur die Vorherrschaft bestimmter
Gestaltungselemente oder -techniken, aber eine Verbindung dieser Tatsache
mit ethnischen Kriterien verbietet sich von selbst.
Unsere bisherigen Ausführungen
legen nahe, daß die ethnische Zugehörigkeit irrelevant, deshalb
auch nicht wesensbestimmend für die Wanderbewegung ganzer Völkerschaften
ist.
Eine schwerwiegende Konsequenz zum
Nachteil des historischen Diskurses nationalromantischer Färbung ist
die, daß das Zeitverständnis und Zeitschema chronikalischer
Berichte nicht in Einklang steht zu der Langatmigkeit der durch Wanderung
hervorgerufenen Bevölkerungsverschiebungen. Diese Feststellung erweist
sich als besonders verheerend für die Nennung von Völkern (d.h.
von Volksnamen). Der auf Urkundenbelege fixierte geschichtliche Diskurs
postuliert nämlich, daß nur belegbare, also schriftlich genannte
Fakten historisch relevant sind. Geschichtsfähig und -mäßig
soll nur das Ereignis, die Person, das Volk sein können, die in den
überlieferten Quellen "aktenkundig" sind. Welch engstirniges Legitimationsverständnis?
Die Folge davon ist, daß "Ein kollektives Subjekt historischen Geschehens"
sich nur insoweit konstituiert, "als es menschlichem Handeln Bedeutung
verleiht. Wo hingegen ein Volk nicht "geschieht", existiert es auch
nicht."
Ein Volk existiert also im positivistischen Quellenverständnis nicht,
wenn es urkundlich nicht erwähnt wird. Hingegen werden Belege, die
Völker beim Namen nennen, meistens überbewertet, was gerade im
Kontext der langwierigen gegenseitigen Beeinflussung und des langsamen
Einsickerns von Zuwanderern in angestammte Gemeinschaften verfehlt ist.
Was ergibt sich aus dem bisher Gesagten für die Kontinuitätsdebatte um das rumänische Volk?
Auf einiges wurde bereits
hingewiesen. So muß den Vertretern und Befürwortern wie auch
den Widersachern der Kontinuität dasselbe Armutszeugnis ausgestellt
werden: beide Richtungen kranken am Syndrom nationalromantischer Geschichtssicht.
Sie unterscheiden sich nur was die Belegauswahl anbelangt: die Kontinuitätsanhänger
berufen sich auf chronikalische, archäologische, sprachliche und topische
(Ortsnamen) Argumente, die Gegenseite läßt die chronikalischen
Aussagen nur zum Teil, die urkundlichen als absolut - in der Nichtbelegung
der Rumänen in Siebenbürgen vor dem 12. Jahrhundert - und die
anderen überhaupt nicht gelten. Doch die historische Tatsächlichkeit
ist einzig und unteilbar. Sämtlichen Quellen und Belegen ist aus den
vorgebrachten Überlegungen mit Vorsicht zu begegnen. Die eine Seite
möchte nämlich nur bestimmten Quellengattungen Aussagewert zugestehen,
und dann in absoluter Manier, die andere wiederum anderen Quellentypen,
was interpretationstechnisch auf beiden Seiten zu Einseitigkeit, Verzerrung
und schließlich historischer Falschmünzerei führt. Der
vernünftigste Weg historischer Wahrheitsfindung ist, alle verfügbaren
Quellen gleich zu gewichten. Erst dann kann ein quellenkonformes Bild entworfen
werden, das zwar nur ein Teil des "ganzen Bildes" ist. Die Schwierigkeit
besteht nun darin, dieses Teilbild hin zum "erweiterten" Teilbild zu ergänzen.
Archäologische Funde
und Ortsnamen können aus den angezeigten Motiven keinen Aufschluß
über die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung liefern, am
wenigsten über eine angenommene oder gewünschte ethnische Majorität.
Sie belegen aber auch nicht, daß es keine romanische Kontinuität
ab dem 5. Jahrhundert gab. Ebenso deplaciert ist das Argument, die späte
urkundliche Erwähnung der Rumänen (Walachen) in Siebenbürgen
und den Partes ließe auf späte und nachträgliche Zuwanderung
aus dem südbalkanischen Raum schließen. DAS ETHNOPOLITISCH UMSTRITTENE
SIEBENBÜRGEN IST KEIN RAUM DER AUSNAHMEN: hier gilt, was auch andernorts
einleuchtet: es bestand eine ununterbrochene kulturelle Kontinuität,
die Elemente aus Pannonien, aus der Slowakei und der Ukraine, aus dem außerkarpatischen
und balkanischen, selbst aus dem nordpontischen Steppenraum in jeweils
unterschiedlicher Gewichtung vereinigte bzw. die gleichzeitige Entfaltung
verschiedener Kulturkreise ermöglichte.
In derselben Kontinuität
steht die siebenbürgische Geschichte der letzten 900 Jahre: hier lebten
zunächst Heiden neben Christen, wobei die Muttersprache, also das
Volkstum, gar keine Rolle spielte. Das änderte sich mit dem Durchbruch
der Reformation: nun standen mehrere christliche Konfessionen neben bzw.
gegeneinander, die zum Teil auch ethnische Entsprechung bekamen: griechisch-orientalisch
= rumänisch, lutherisch = deutsch; reformiert, unitarisch = ungarisch.
Unsere Ausführungen
lassen auch bezüglich der Rumänen den auf die Slawen angewandten
Schluß zu, daß der Erfolg ihrer Lebensform an ihrer mangelnden
Integrationsbereitschaft lag
.
Damit soll nicht ausgeschlossen werden, daß es eine Wanderungsbewegung
aus dem südlich der Donau gelegenen Raum gab, es soll nur angedeutet
werden, daß es in Siebenbürgen durchaus Rumänen gegeben
haben kann, die selbst als christliche Minderheit mit einer kumanisch-petschengischen
Mehrheitsbevölkerung zusammenlebten. Ähnlich stand es wohl mit
der romanischen bzw. dako-romanischen Bevölkerung, die im nachaurelianischen
Dazien verblieb. Sie wurde zu einer Minderheit in dem von Goten, Gepiden
und Awaren beherrschten Land, wo sie sich wahrscheinlich dank ihres christlichen
Glaubens und der genannten Lebensweise halten konnten. Doch der Flut der
Slawen ab dem späten 7. Jahrhundert scheint die Minderheit nicht mehr
gewachsen gewesen zu sein. Sie ging zwar in der slawischen Mehrheit auf,
doch ihre Sprache setzte sich durch. Hier spielte offenbar auch der christliche
Glaube eine Rolle.
Eine weitere Frage ist
die, ob die Durchschlagkraft des romanischen Dialekts nicht auf die sprachliche
Zerklüftung des Karpaten-Donauraums zurückgeht, wo das Romanische
die einzige Alternative überregionaler Kommunikation war,
wobei die Christianisierung, zumindest der Slawen, eine weitere kulturelle
Klammer bot.