Konstruierte Migration

 Rechtfertigungsversuche fuer die Errichtung eines "Zentrums der Vertreibungen"



Vergleich:
Die zum System erhobene Einseitigkeit

       Das Konstruieren und Modellieren hat in der bundesdeutschen Zeitgeschichte Hochkonjunktur. Diesem Trend will und kann sich auch Rainer Ohliger nicht versagen, doch sein Hang zum Konstruktivismus erweist sich in der Hauptsache als gruppen- und interessenorientiert. Zwar hat sein Aufsatz "Menschenrechtsverletzung oder Migration? Zum historischen Ort von Flucht und Vertreibung der Deutschen nach 1945" (in Zeithistorische Forschungen,  2 (2005), Heft 3; Internetversion: http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041-Ohliger-3-2005) den Anspruch, die Flucht und Vertreibung der Deutschen aus den ehemaligen Ostgebieten, der Tschechoslowakei und aus Suedosrteuropa in den Kontext der Migration einzubetten, doch sein Unterfangen entpuppt sich als Konstruktion, die eher die Vertriebenenideologie bereichert als der historischen Tatsaechlichkeit gerecht zu werden.

        Bei naehrer Betrachtung erweist sich Ohligers Problemstellung bereits durch ihre konstrukthafte Ausrichtung nicht als Versuch, den "historischen", sondern den ideologischen "Ort" von Flucht und Vertreibung der Deutschen weiter auszubauen und zu verfestigen. Dabei bedient sich Ohliger der im Konstruieren und Modellieren von Zeitgeschichte recht bewanderten bundesdeutschen, "sozialgeschichtlich" orientierten Pseudo-Zeitgeschichte, die einen komparatistischen, internationalisierenden und kontextualisierenden Diskurs anstrengt. Nur dass diese "Forschungs-Methode" nicht der Erhellung von historischen Tatsachen dient, nicht dazu verwandt wird, Geschehnisse wie die Flucht und Vertreibung der Deutschen in ihrem eigentlichen historischen Kontext zu erleuchten, sondern sie in die Zwangsjacke neuer "Kontexte" zu pressen, auf dem Hintergrund eindeutig ideologischer Vorbehalte und Vorgaben aus dem Vertriebenenmilieu. Das Ergebnis ist ein neuartiger Diskurs, der neue Geschichts- und politisch-ideologische Mythen in die Welt setzt. Der geschichtsrevisionistische Hauch solcher Unterfangen ist unverkennbar.

        Indem Ohliger nachzuweisen versucht, dass es sich im Fall der Flucht und Vertreibung der Deutschen um eine Migration handelt, formuliert er einen neuen Vertriebenen-Mythos, der bei naeherer Betrachtung keinen anderen Hintergrund hat als die Rechtfertigung der seit mehreren Jahren angestrengten Realisierung eines "Zentrums gegen Vertreibungen", mit dem der Bund der Vertriebenen eigentlich die Flucht und Vertreibung der Deutschen auf dieselbe Ebene mit der Vertreibung anderer Menschengruppen vor und nach dem Nationalsozialismus stellt. Die gravierendste Konsequenz dieses Vorstoss ist aber, wie das bereits wiederholt hervorgehoben wurde, die Einmaligkeit und Einzigartigkeit des Holocaust nicht nur zu schmaelern, sondern eigentlich in Frage zu stellen, weil fuer die Flucht und Vertreibung der Deutschen eigentlich dasselbe Statut der Einmaligkeit und Einzigartigkeit eingefordert wird.

        Ohliger vermeint den verkappten Bestrebungen des Vertriebenenbundes damit zu dienen, dass er den Schwerpunkt von der Diskussion, ob es sich im Fall der Flucht und Vertreibung um "Menschenrechtsverletzung" oder "Migration" handelt, zugunsten der letzteren Option verlagert. Eine eigentliche Akzentverlagerung ist es aber nicht, nur ein Austauschen von Begriffen und der damit verbundenen politisch-ideologischen Hintergruende. Dass die Einmaligkeit und Einzigartigkeit der Flucht und Vertreibung der Deutschen ueberhaupt anderswo liegen koennte als auf der vom Vertriebenenmilieu vorgegebenen Schiene ist Ohliger keiner Bemuessigung wert. Das auch deshalb nicht, weil er den ursaechlichen Zusammenhang zwischen NS-Voelkermord und Vertreibungen und der Flucht und Vertreibung der Deutschen ab 1945 nicht einmal ansatzweise erwaehnt. Statt dieses faktisch und objektiv zwingenden historischen Kontextes von Flucht und Vertreibung konstruiert Ohliger dieses Kapitel der deutschen Kriegsgeschichte in den breiten Kontext des europäischen Bevoelkerungsaustausches und der Bevoelkerungszuege des 20 Jahrhunderts hinein, ohne zu beruecksichtigen, dass die jeweiligen Vertreibungen bzw. ethnischen Saeuberungen aus einem ganz anderen Beziehungsgeflecht von historischer Ursache und Wirkung hervorgegenagen sind, also auf ganz anderen historischen Kontexten beruhen. Die Einzigartigkeit und Einmaligkeit der Flucht und Vertreibung der Deutschen ist gerade dadurch gegeben, dass es die Nachwirkung der menschenvarachtenden Vernichtungs- und Vertreibungspolitik, des Voelkermords der Nationalsozialisten ist. Doch solche Kausalzusammenhaenge finden in Ohligers politisch-ideologischer Argumentationskette keinen Platz.

        Es ist schade, dass Ohliger sich zwar bereits eingangs seiner Ausfuehrungen gegen die "politisch-ideologische Ausrichtung" richtet, unter der die "Forschung zu Flucht und Vertreibung" sich vollzogen hat, aber eigentlich selbst ein weiteres politisch-ideologisches Textprodukt liefert. Auch vermeint er in recht simplistischer Weise, dem Ruch "ethnozentristische(r) Ausrichtung der historischen Erforschung deutscher Minderheiten und ihrer Zwangsmigration" dadurch aus dem Weg gehen zu koennen, dass er eine "Kontextualisierung" im europaeisch-internationalen Rahmen vornimmt. Es sei daran erinnert, dass ethnozentristische Diskurse auch in der verkappten Form vorgeblicher "Kontextualisierung" kaschiert werden koennen. Wenn Ohliger nun meint, sein konstruierter Diskurs entbehre eben wegen seines Konstruktivismus und seiner Art von "Kontextualisierung" des Ethnozentrismus, so ist das reinstes Wunschdenken. Denn wenn Interessen und Ziele des Bundes der Vertriebenen vertreten werden, auch unter Einsatz eines mythenbildenden Diskurses, dann ist der Ethnozentrismus nicht nur vorgegeben, sondern omnipraesent.

        Ohliger vermeint, eine "Systematik" in Belangen von Flucht und Vertreibung unter Verortung in der "Migrationsgeschichte" zu liefern. Worin die besteht und wie sie funktioniert, wurde bereits angesprochen. Seine "Systematik" baut auf zumindest drei "Argumenten" auf:

        - das "terminologische" Argument;
        - die historische "Vergleichbarkeit" und ddie sich daraus ergebenden "Paralellen"  von Einwanderung, Eingliederung etc.
        - "mentatiltaetsgeschichtliche" Gruende fuuer die "Einreihung der Geschichte von Flucht und Vertreibung in die allgemeine Migrationsgeschichte".

        Ohliger besteht auf dem "terminologischen" Argument, um sein Konstrukt der Umfunktionierung von Flucht und Vertreibung in eine Migrationserscheinung und somit um die Einbettung dieses Ereignisses in den breiten Kontext der europaeischen Migrationsgeschichte des 20. Jahrhunderts zu forcieren. Er will das etablierte Begriffspaar "Fluechtlinge" und "Vertriebene" durch "Migranten" ersetzt wissen, um damit die Voraussetzung dafuer geschaffen zu haben, dass Flucht und Vertreibung als "Zwangsmigration" rubriziert werden koennen.

        Aufgrund "historischer Vergleichbarkeit" will Ohliger "die Geschichte von Flucht und Vertreibung in die allgemeine Migrationsgeschichte" integrieren. Die hier entwickelte "Komparatistik" schwoert nicht nur recht zweifelhafte "Kontexte" herauf, sondern artet in einer terminologischen Ueppigkeit aus, die sich kontraproduktiv erweist. Weil auf diese Weise sekundaere Aspekte in Ohligers "Kontextualisierung" hereingebracht, ueberbewertet und anstelle der Hauptproblematik thematisiert werden. Es handelt sich vor allem um das Thema der "Integration", nicht nur der Fluechtlinge der späten 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts, sondern auch der Aussiedler aus Ostmittel- und Osteuropa. Recht abenteuerlich, weil historisch abstrus, ist die in diesem Zusammenhang fallende Formulierung Ohligers, im Fall der Fluechtlinge und Vertriebenen handele es sich "bei einem grossen Teil" "nicht um grenzueberschreitende internationale Migration [...], sondern um Binnenmigration eines sich im Zerfall befindlichen Staates". Dass das "Dritte Reich" nach dem 9. Mai 1945 ein "sich im Zerfall befindlicher Staat" war, ist eine absolute Neuigkeit - denn nach diesem Datum setzte die eigenttliche, massenhafte "Flucht und Vertreibung" ein.

        Das Argument der "mentalitaetsgeschichtlichen Gruende" liefert Ohliger ein weiteres Mal die Moeglichkeit, Paralellen zu erzwingen. So bringt er die "Gastarbeiter" in die Diskussion ein, erwaehnt den "Reuckkehrmythos", ignoriert aber abermals die absolut unterschiedliche historische Ausgangslage der deutschen Fluechtlinge und Vertriebenen und der bundesrepublikanischen "Gastarbeiter". Die "sozialgeschichtlichen" Ansaetze Ohligers - im "Fazit" betont er "die funktionale Rolle der juengeren deutschen Historiographie und insbesondere der Sozialgeschichte" - ueberzeugen in keiner Weise, weil sein Diskurs kuenstlich hergestellter Kontexte und "Kontextualitaet" mit den historisch-sozialen-politischen, selbst mentalitaetsgeschichtlichen Gegebenheiten der jeweiligen Menschengruppen ueberhaupt keinen Beruhrungspunkt hat.

        Die Zweigleisigkeit Ohligers ist schliesslich aus seiner scheinbaren Distanzierung zu der Erklaerung der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, ersichtlich, die sagte, »dass Vertreibung eine "schwere Menschenrechtsverletzung"« sei, »Migration ist in aller Regel etwas sehr Freiwilliges«. Ohliger moechte in dieser Aussage den Widerstand der Vertriebenenverbaende gegen eine Vereinnahmung ihres Projekts eines Zentrums gegen Vertreibungen durch ein "Museum fuer Migration" erkennen. Dass er aber durch seine kontextualisierend-komparatistische Wortklauberei nicht nur dem ideologischen Diskurs des Bundes der Vertriebenen und dessen Politik eine Handreichung, sondern mit seiner Argumentation die Plattform liefert, um in umgekehrter Richtung ein moegliches "Museum fuer Migration" der Vereinnahmung durch den Bund der Vertriebenen auszuliefern, dass kann keinem aufmerksamen Analysten und Kommentator entgehen.



      Der Missbrauch von "Kontextualisierung" in Verbindung mit der NS-Geschichte der Deutschen aus Suedosteuropa:

Kontextualisierung“, das neue Spielzeug der suedostdeutschen Geschichtsforschung oder Der wissenschaftliche Unwert ressentimentkultureller Gewissheiten

Mathias Beers Doppelstrategie der "historisierenden Kontextualisierung"


Kritische Blaetter zur Geschichtsforschung und Ideologie


Datei: Konstruktion.html            Angelegt: 13.12.2005     Geaendert: 30.05.2006           Geaendert: 08.12.2006          Webmaster, Autor und  © Klaus Popa


 
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