Eine neue Dimension siebenbürgisch-sächsischer Geschichtsschreibung - das Zuschieben des Schwarzen Peters

von Klaus Popa



         Dr. Harald Roth stuft in seiner Studie Politische Strukturen und Strömungen bei den Siebenbürger Sachsen 1919-1933 (Studia Transylvanica Bd.22), Köln Weimar Wien 1994) einige der fotokopierten Belegstücke, die Dr. Johann Böhm im Anhang seines Buches Die Deutschen in Rumänien und die Weimarer Republik 1919-1933 (Publikationen des Arbeitskreises für Geschichte und Kultur der deutschen Siedlungsgebiete im Südosten Europas e.V., Reihe I Geschichte und ihre Hilfswissenschaften Bd./Vol. 3), Ippesheim 1993 zur Geschichte der von Rittmeister a.D. Fritz Fabritius 1922 in Hermannstadt gegründeten "Selbsthilfe" veröffentlicht, als suspekt, deshalb unglaubwürdig ein. Es heißt, der Herausgeber müsse "die Aussagekraft und Zuverlässigkeit der benutzten Quellen aus den zwanziger Jahren"  klären (Roth, Anm.7, S.143). Diese überhebliche Einforderung erweist sich indessen als unverzeihliche Fehlleistung. Sie erfolgt in Verbindung mit dem Nachweis, den Dr. Roth entgegen Dr. Böhm, Wolfgang Miege, Das Deutsche Reich und die Deutsche Volksgruppe in Rumänien 1933-38 (1972) und Karl M. Reinerth, Die Deutschen Siebenbürgens zwischen den Weltkriegen (1990) bringt, daß "die Art und Weise, wie die Selbsthilfe ihre eigenen [nationalsozialistischen] Ursprünge interpretierte" nicht "als authentisch angesehen werden kann" (Roth, S.106f.;143).

         Dr. Böhms Anlagen Nr.4 (Mitgliederkarten des Fritz Fabritius in der Deutschen Bauernhochschule Hellerau 1921, 1922; Mitgliedkarte des Fabritius im deutsch-völkischen Stammkunde-Vereins "Roland" Berlin (S.273f.)); Nr.7 (Flugblatt des "Deutsch-sächsischen Arbeiter-Lesezirkels Hermannstadt 1922 (S.278)); Nr.8 (Brief des rumänischen Ultranationalisten A.C.Cuza vom 30. August 1922 an Fabritius (S.279-281)); Nr.9 (Postkarte des SA-Führers Ernst Röhm vom 03.01.1926 an Fabritius (S.282)) sind die von Roth inkriminierten Objekte. Er erachtet es für müßig, über das rechtsgewendete Hakenkreuz auf drei der vier Anlagen Worte zu verlieren. Über die beiden Hakenkreuzzeichen auf dem Titelblatt des "Selbsthilfe" genannten Presseorgans der "Deutsch-sächsischen Selbsthilfe" bemerkt Roth nur, diese ließen auf kein bestimmtes politisches Programm schließen (Roth, S.106).

         Hier einige Pflichtinformationen. Die Satzungen des "Germanenordens" von 1912 enthielten erste nationalsozialistische Spuren. Nach seiner Auflösung rekonstituiert er sich 1918 als "Thule-Gesellschaft", die sich als antisemitische Loge bezeichnete, mit der Aufgabe, die angebliche Verschwörung jüdischer Geheimbünde zu bekämpfen. Sie griff auf die altgermanische Mythologie zurück und machte das Hakenkreuz und das Sonnerad zu ihren Symbolen (George L. Mosse, Die völkische Revolution. Über die geistigen Wurzeln des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1991, S.244). Es sei erwähnt, daß Himmler und Göring zu den Mitgliedern der Thule-Gesellschaft zählten.

         In seiner zweifelsohne nicht unbeabsichtigten Zurückhaltung entgeht Dr. Roth auch, daß der Text auf dem Titelblatt der 4. Folge der "Selbsthilfe" aus dem Jahr 1922 das Hakenkreuz "Juden-Totschlagkreuz" nennt (Böhm, S.277), durchaus kein Anzeichen politischer Harmlosigkeit und Unbedarftheit.

         Indem Dr. Roth die durch Dr. Böhm veröffentlichten Ablichtungen der Mitgliedskarten von Fritz Fabritius in der "Deutschen Bauernhochschule" (1921,1922) nicht zur Kennntis nahm, entgingen ihm wichtige Datails: der Ausstellungsort der Mitgliedskarten, Hellerau [heute ein Vorort von Dresden], und Bruno Tanzmann, der von Seiten des Vorstandes unterzeichnete. Zur Aufklärung: In Hellerau in Sachsen funktionierte seit 1922 eine Bauernhochschule unter der Leitung von Bruno Tanzmann. Es wurde darauf hingearbeitet, städtischen Bevölkerungsteilen wieder zum Besitz von Heim und Garten zu verhelfen, sie zu Kleinsiedlern zu machen, in Gartenstädten, die sich in immer größerer Zahl um die Großstädte lagern sollten (Schmidt-Wodder, Bauernhochschule aus deutsch-germanischem Geist, in: Deutschvölkisches Jahrbuch 1922, Weimar 1922, S.66-70. hier S.67,69). Den "instinktlosen" Gegnern der Siedlungstätigkeit wird mit "Selbsthilfe" begegnet. Die "Bauernschule germanischen Geistes" ruft auf, "sich wieder recken nach genügendem Lebensraum"", "auch über die Grenzen des Staates hinaus" (Ebenda, S.69f.). Pastor Johann Schmidt aus Wodder (Nordschleswig) vertrat als einziger Deutscher den 1920 ins Leben gerufenen "Schleswiger Wahlverein", der von Anfang an für eine Revision der Grenzziehung, für eine gerechte Durchführung des nationalen Selbstbestimmungsrechts und für die Gleichberechtigung Deutschlands kämpfte (Hans-Adolf Jacobsen, Nationalsozialistische Außenpolitik 1933-1938, Frankfurt am Main/Berlin 1968, S.170).

        Obige Ausführungen belegen einwandfrei, daß Dr. Roths Inzweifelstellung der "Aussagekraft und Zuverlässigkeit" der von Dr. Böhm 1993 veröffentlichten "Selbsthilfe"-Unterlagen voreilig war und eine grobe Fehlleistung ist. Sie weisen desgleichen nach, woher Fabritius das Modell seiner "Selbsthilfe" bezog.

        In Verbindung mit Dr. Roths Behauptung, man könne "etwa seit der zweiten Jahreshälfte 1930" "von einem eindeutigen Bekennntis (der Selbsthilfebewegung) zum Nationalsozialismus ausgehen" (Roth, S.158) sei abschließend erwähnt, daß in den von Fabritius im Jahr 1929 formulierten Richtlinien der Selbsthilfe-Arbeit (Roth, S.148) die Richtlinie Nr. 6 durch ihren nationalsozialistischen Hintergrund hervorsticht: "die Gemeinschaft steht deshalb bedingungslos, sich aus freier Überzeugung unterordnend, zu dem Führer, ..." (Roth, S.148). Das ist doch das nationalsozialistische Führerprinzip, das blinden (Kadaver)Gehorsam voraussetzt.

Verfaßt 27.12.1998
Mit leichten Abänderungen erschienen in Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik, 11. Jahrgang, Heft Nr.1, Mai 1999, S.99-100.


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Datei: R1.htm           Erstellt: 26.05.2000   Geaendert: 11.02.2002                                                        Autor und © Klaus Popa

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