von Klaus Popa
Rahmensetzung
Siebenbürgen ist ein typisch südosteuropäischer Lebensraum, in dem zahlreiche Völkerschaften seit Jahrhunderten in der Regel neben- und miteinander, manchmal auch gegeneinander lebten und leben. Doch in keinem Abschnitt ihrer Geschichte manifestierte sich das GEGENEINANDER so prägnant wie in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, als mehrere folgenschwere politische Zäsuren das Land erschütterten und aufwühlten.
Das Gegeneinander der siebenbürgischen Völker war stets eine Folgeerscheinung der jeweiligen Einbruchsmomente. Der Leser wird sich die Frage stellen, warum das Augenmerk dieses Essays ausschließlich dem „Gegeneinander“ gilt. Das geschieht deshalb, weil negativ behaftete Zäsurpunkte die seltene Gelegenheit bieten, einen sachlichen Einblick in die sich bekämpfenden, selbst ausschließenden Gegensätze samt den dahinter stehenden Kräften, Akteuren und Motivationen zu gewinnen.
Wir wollen anhand literarischer und ideengeschichtlicher Zeugnisse die weltanschaulichen Folgen des Minderheitenstatus der Siebenbürger Sachsen anschneiden und das Hauptaugenmerk dem Geist des „Gegeneinander“ und dem davon geprägten stereotypen Feindbild1 schenken.
Gehaltbestimmend für das „Bild des Anderen“ war und ist bei den Siebenbürger Sachsen ihr Eigenbild, das aus ihrem Selbstverständnis als zivilisatorischer und Kulturfaktor in Siebenbürgen entspringt. In seiner extremen Ausprägung postuliert das siebenbürgisch-sächsische Selbstverständnis das von einem vorgeblichen Sendungsanspruch gespeiste Stereotyp des Kulturbringertums. Damit verbunden ist der Mythos, als östlichster Vorposten abendländischer Lebensweise dem Ansturm des form- und kulturlosen Nomadentums östlicher Steppen erfolgreich die Stirn geboten zu haben2. Verdichtung und Sublimierung erfährt diese sich selbst zugesprochene Sonderrolle durch die deutschnationale-deutschzentrisch-pangermanische, rassistisch untermalte Komponente3. Der Grundtenor dieses siebenbürgisch-sächsischen Selbstbildes ist ein ÜBERLEGENHEITSGEFÜHL, das in literarischem wie kulturellem Kontext zuweilen in Überheblichkeit, Vermessenheit, selbst Arroganz ausartet.
Die Angliederung Siebenbürgens an Rumänien rief auch bei siebenbürgischen Intellektuellen rumänischer Herkunft einen Kulturschok hervor. So beklagte E.M. Cioran, „der Mitteleuropäer und Altösterreicher“, im Jahr 1937 das Kulturgefälle zwischen Siebenbürgen und dem Königreich Rumänien, die Rückständigkeit der Walachei und die Unfähigkeit der ehemaligen österreichisch-ungarischen Provinz, die Walachei auf ihre höhere Zivilisationstufe zu heben. Das „ostwestliche Grenzland“ sei hinabgesunken in die Levante, ins „walachische Nichts“4. Ähnliche Töne stimmte auch Heinrich Zillich und der Klingsorkreis an, doch in ihren Klagerufen nach dem untergegangenen Österreich-Ungarn gewann deutschnatioanle Töne bis hin zum rechtsextremen Nationalismus immer mehr an Gewicht.
Weil unser Hauptaugenmerk den Siebenbürger Sachsen in Großrumänien gilt, soll hauptsächlich das Rumänenbild5 behandelt werden, das sich aus dem Verhältnis zur Minderheitenpolitik des Staasvolkes ergibt. Auch das Juden- und Zigeunerbild wird angesprochen.
Die Kontakte der Siebenbürger-Sachsen zu den Rumänen waren bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts lokalwirtschaftlicher Natur. Als deren Sprache und Brauchtum Aufsehen zu erregen begann, bildete sich bald neben dem Bild des unbemittelten, hinterlistigen, naturnahen Hirtenvolkes6 das des ethnografischen Kuriosums heraus. Daran änderte auch die Auflösung der siebenbürgischen Ständeordnung 1867 und die Tatsache, daß die siebenbürgischen Rumänen nun an politischer Geltung gewannen, nichts. Im Gegenteil, die bereits bei Stephan Ludwig Roth geltend gemachte Angst vor den Rumänen als noch „junge(s), aufstrebende(s) und sich stark vermehrende(s) Volk“, das die Sachsen auf dem damaligen Königsboden unterwandern und assimilieren könnte7, nahm an Intensität zu und wurde in extremer Form unter großrumänischen Verhältnissen ideologisiert und propagandistisch ausgeschlachtet Es bildte sich ein politisch genährter Kulturextremismus heraus, der den weitverbreiteten Vorbehalt vor dem Rumänentum vertiefte. Allerdings zeichnete sich auch die großrumänische Minderheitenpolitik nicht durch sonderliche Toleranz aus. Die Staatsführung hielt weder die Beschlüsse der Karlsburger Versammlung hinsichtlich der kulturellen Autonomie der Minderheiten ein8, noch verzichtete sie auf den Staatszentralismus des rumänischen Altreiches, sondern sie forcierte eine ethnische und besitzständische Angleichung Siebenbürgens ans Altreich durch eine Agrar- und Verwaltungsreform, die sowohl den rumäniendeutschen als auch den ungarischen Grundbesitz und die lokale und regionale Verwaltungsautonomie beträchtlich in Mitleidenschaft zog9.
Die Reaktionen der enttäuschten Minderheiten blieben nicht aus. Außer dem bereits angesprochenen politischen und kulturellen Extremismus entwickelte sich bei den siebenbürger Ungarn der sogenannte Transsilvanismus, der postulierte, eine „siebenbürgische Seele“ durchdringe alle Völkerschaften des Landes10.
Die Siebenbürger
Sachsen griffen den „Transsilvanismus“ auf und fröhnten ihm eine zeitlang
(vor allem der Kreis um Zillichs „Klingsor“), doch die Machtergreifung
Hitlers im Jahr 1933 be- und verstärkte die Prädisposition Zillichs
und zahlreicher Mitstreiter für den zügellosen, aggressiven Nationalismus
der neuen Machthaber, wodurch die ursprüngliche Zielsetzung der transilvanistischen
Bewegung, die Integrierung der drei siebenbürgischen Hauptvölker
in einen Block siebenbürgischen Bewußtseins und Kulturschaffens
jäh zerbrach.
2. Fallbeispiele
A. Der Kulturpurist Zillich
Eine Auswahl literarischer Texte, die in der Zwischenkriegszeit und danach entstanden, soll das Paradigma des „Gegeneinander“ veranschaulichen. Das in der Festausgabe zum 100-jährigen Bestehen der Kronstädter Zeitung am 24. Mai 193611 unter dem Titel Die Zinnenschlacht. Eine Geschichte aus der Vorkriegszeit Siebenbürgens abgedruckte Fragment aus dem Roman Zwischen Grenzen und Zeiten zeigt einen militanten Geist, der heute befremdet. Einer sogenannten „Schlacht“ zwischen sächsischen und ungarischen Jungen verleiht Zillich politische und ideologische Dimension. Den Stoff stilisiert er hin zum Gleichnis: die sächsischen Jungen halten mit der Hilfe rumänischer Jungen der Oberen Vorstadt dem Angriff ungarischer Jungen erfolgreich stand. Zillich flicht den letzen Kronstädter „Königsrichter“ in die Geschichte ein, der die sächsischen Jungen mit von Ressentiments getränkten Sprüchen anfeuert: „Seid ihr auch so dumm, wie eure Väter? Taktisiert ihr euch auch weiter in Niederlagen hinein? Flankendeckung! Haut sie, schmeißt mit Steinen -“ „Wißt ihr, was sie uns genommen haben. ... Das sächsische Freitum, den Königsboden, die Herrschaft!“ Es fallen auch Floskeln wie „hier galt es, die Ehre zu wahren“, oder: „Ein deutscher Mann ist tapfer, aber zuchtvoll“.
Hier werden die Ungarn
zum Todfeind der Siebenbürger Sachsen stilisiert. Die Freund-Feindbeziehung
wird unmittelbar artikuliert. In anderen Erzählungen Zillichs, die
seine Jugendzeit zum Gegenstand haben12, hat
das Bild des (der) Fremden nicht militante Voraussetzungen, was aber nicht
heißt, daß es minder aggressiv ausfällt. Nationalistische
Beweggründe speisen die Imagologie der „Zinnenschlacht“. In der „Großen
Glocke“ ist es der Komplex kultureller Vorbehalte, sprich Vorurteile, der
das Zillichsche Fremdbild prägt.
Ein Paradebeispiel liefert die Erzählung Ist der Nikolaus
ein Rumäne?13 Zillich möchte
anhand einer Begebenheit, die sich in seinem achten Lebensjahr zugetragen
haben soll, erklären, wie er den Glauben an den Weihnachtsmann (er
nennt ihn „Nikolaus“) einbüßte. Den Anlaß soll ein rumänischer
Hirt namens Nikolaus geliefert haben, den Zillichs Vater mit dem Weihnachtsgeschenk,
einem von diesem Hirten gekauften jungen Esel, am Weihnachtsabend im Haus
einziehen und vor dem Weihnachtsbaum Stellung beziehen ließ. Das
Erscheinungsbild des Hirten wirkte auf die Kinder lähmend und angsteinflößend.
Doch der Hirte selbst erlebte ebenfalls einen (Kultur)Schock. Er stand
„verzaubert“ vor dem Weihnachtsbaum, es bewegte ihn „ein wunderbares Nichtbegreifen“.
Was der Hirte nun weiter tat, „bannte“ alle. Er schlug das Kreuz und betete,
doch er betete rumänisch, woraus das Kind Zillich schockiert schlußfolgerte,
der Nikolaus sei ein Rumäne. Das war der Anlaß, daß es
den Glauben an den Nikolaus verlor.
Das Understatement dieser Zillichschen Geschichte ist nicht nur schockierend, sondern auch verheerend: das Kind Zillich soll den Glauben an Weihnachten eingebüßt haben, weil das ethnisch Fremde das besagte Weihnachtsfest, das zugleich ein Familienfest ist, entweiht hatte. Durch die Präsenz des rumänischen Hirten war die bisher in streng deutschem Rahmen abgewickelte Weihnachtsfeier, wo nur deutsch gesprochen, gesungen und gebetet wurde, zu einem undeutschen Fest geworden. Zillichs Abwendung vom Weihnachtsglauben soll also von einem Nichtdeutschen, dazu noch von einem Rumänen, verursacht worden sein. Das ist ein vom reinsten KULTURELLEN CHAUVINISMUS gespeistes Understatement14.
Das Motivationsgeflecht dieser Zillichschen Geschichte klärt über das Kulturverständnis des Dichters auf, der eindeutig für ein Neben-, nicht aber für ein Miteinander verschiedengearteter Kulturen eintritt, weil kulturelle Vermischung entweiht. Es fällt auf, daß Zillich die Entweihung des deutsch-national geprägten, nicht des gemeinhin christlichen Weihnachtsfestes behandelt, woraus sein nationalistischer KULTURPURISMUS und Exklusivismus, ebenso sein national-pervertierter Christentumsbegriff spricht. Die Problemstellung dieser Weihnachtsgeschichte veranschaulicht einwandfrei, woher Zillich sein fundamentalistisches Kultur- und Menschenverständnis bezog: aus dem engen, selbstgenügsamen und selbstgerechten Selbstverständnis der Siebenbürger Sachsen15.
In der Geschichte Der Tabaksbeutel16 erwähnt Zillich, daß im Jahr 1916, als rumänische Truppen in Siebenbürgen eindrangen, es nicht Soldaten waren, die ins verlassene Elternhaus eindrangen, sondern „die rumänischen Kleinbauern der Umgebung“, die mit Gespannen fortführten, „was sich von der Stelle rücken ließ“17. Ein Kommentar erübrigt sich.
Zillich artikuliert und illustriert seinen Begriff von Offizierskorrektheit und Sittlichkeit in der Erzählung Abschied bei der Elisabethbrücke18. Der rumänische Oberleutnant Bilibaca bedrängt eine ungarische Offizierswitwe, die der junge Leutnant Zillich vor dem „BARBAREN aus der Baragansteppe“19 rettet, der „ohne Rock und Stiefel auf Socken, aus denen durch Löcher die großen Zehen bleckten, wie ein Wildkater geduckt zum Ansprung stand“20. Dieses despektierliche Bild, das Zillich von einem rumänischen Offizier entwirft, wirft ein überaus düsteres Licht auf den rumänischen Wehrstand insgesamt. Das ist eine weitere Facette von Zillichs stereotypischem Rumänenbildes, das er aus dem kulturellen Gegeneinander von Siebenbürger Sachsen und Rumänen konstruiert und bis zur Feindseligkeit verzerrt.
Auch die Juden kommen in Zillichs Geschichtensammlung nicht zu kurz. Der Hausierer Levy, der die Siedlung um die Zuckerfabrik besuchte bzw. heimsuchte, deren Direktor Zillichs Vater war, verkaufte sogenanntes „Jordanwasser“ an fromme katholische Christen, die sich damit besprengten und „dumpfe Gebete“ murmelten. Zillich war sich des Betrugs von Levy bewußt, weil er diesen beobachtet haben will, „wie er das heilige Naß aus dem Burzenbach schöpfte“21. Der Dichter bedient hier gleich zwei weitere, in der Küche von Feindschaft und Verachtung gebrauten Stereotype: das des betrügerischen Juden und das des einfältigen und dummen Christen, dessen Glauben doch Selbstbetrug ist22.
B. Erwin Neustädter23 als Gesinnungsgenosse Zillichs
Die „Südostdeutschen Vierteljahresblätter“ brachten im Jahr 1977 den Text Im Glanze der Abendsonne. Erinnerungen an die Kindheit in Kronstadt24, der thematisch und haltungsmäßig an Zillichs „Zinnenschlacht“ und an „Ist der Nikolaus ein Rumäne?“ erinnert. Neustädter erinnert sich an die mit Spielen verbundenen „Abenteuer aller Art“ und „Gelegenheiten zu kämpferischer Bewährung“25. Das exklusive „Jagdrevier“ der sächsischen Kindergruppe war das mit Seen durchsetzte Gesprenggelände unweit der Bartholomäer Kirche in Kronstadt. Doch die Kinder wurden „immer häufiger durch - in der Gegend recht fremdartige Eindringlinge gestört, durch Zigeuner!“26 Auch hier also das Stereotyp des fremdnationalen Eindringlings, der das entweiht, was wie ein ‘heiliger Bezirk’ gehegt und umpflegt, nur Eingeweihten zugänglich sein soll.
Nachdem Neustädter auf die Tätigkeitsbereiche der Zigeuner anspielt27, behaftet er sie mit dem Odium, „Nachwuchs der „Unehrlichen“ von einst“ zu sein. Dann erklärt er sie zum Sicherheitsrisiko („diese Gegend“, „die durch ihre Anwesenheit sehr verunsichert wurde“28). Schließlich hatten die sächsischen Kinder das Abhandenkommen verschiedener Gegenstände zu beklagen, weil die Zigeuner sie beklaut hatten. Neustädter unterstreicht die Gruppensolidarität der Diebe, die „wie Pech und Schwefel“ zusammenhielten, ebenso ihre Neigung zur Messerstecherei („die Messer saßen bei denen auch verdammt locker“)29.
Neustädter liefert ein kriminalisierendes und diskriminierendes Bild der Zigeuner, das in seinen feindschaftlichen Akzenten an die zeitgenössische Fremdenfeindlichkeit erinnert30. Dieser feindschaftlichen Sichtweise liegt folgendes Motivationsschema zugrund: ein jeweils feststehendes ‘Hoheitsterritorium’ (der oberburggässer Jugendbande in der „Zinnenschlacht“; des Weihnachtsfestes in „Ist der Nikolaus ein Rumäne“; des Spielreviers am Gesprengberg) wird von Eindringlingen heimgesucht (ungarische Jugendbande; der rumänische Hirte Nicolae; Zigeuner) und muß verteidigt werden. Die Gestalten, Plätze und Handlungen dieser Geschichten stehen stellvertretend für den Belagerungszustand, dem sich die Siebenbürger Sachsen von Fremdnationalen in ihrem angestammten Lebensraum bedroht und ausgeliefert wähnen.
Der Transsilvanismus
Diese typisch siebenbürgische Kulturerscheinung der endzwanziger und anfangdreißiger Jahre geht auf die Ungarn Siebenbürgens zurück, die über den „Transsilvanismus“ eine Kulturautonomie der im Nationalstaat territorial oder nichtterritorial organisierten Minderheiten anstrebten31. Es war eine eindeutig „politische Ideologie“32 und ein Ausdruck regionaler und nationaler Identität“, eine „über die Territorialität hinausgreifende Bewegung“33. Damit ist der Keim des Auseinanderdriftens des ungarischen „Helikon“- und des siebenbürgisch-sächsischen „Klingsor“-Kreises um Heinrich Zillich vorprogrammiert gewesen: außer dem gemeinsamen Lebens- und Kulturraum Siebenbürgen34 bestanden keine gemeinsamen Voraussetzungen zwischen den beiden Intellektuellengruppen. In der Zeit des Zusammengehens von „Helikon“ und „Klingsor“ zeigte sich bald, daß die jeweilige national beeinflußte Interessenlage das Projekt bzw. die Projektion der „siebenbürgischen Seele“ bald sprengen und zunichte machen würde.
Die einzige Wertkonstante, über welche die beiden Seiten jeweils verfügten, war der ureigene NATIONALSIMUS, der unter dem Einfluß außenpolitischer Entwicklungen sich schließlich in offenem Chauvinismus Luft machte. Auslöser des nationalistischen Sprengsatzes war die jeweilige überregional verankerte nationale Befindlichkeit und die damit verbundenen siebenbürgenfremden politischen Ziele. Die ungarische Seite trat ins Bündnis der „Siebenbürgischen Seele“ belastet ein, weil sie zu sehr von der Regierung in Budapest abhängig war35. Eine ähnlich angelegte, aber pangermanische Hypothek brachte die siebenbürgisch-sächsische Seite ein. So antwortete Zillich im „Klingsor“, Jg.1934, im Artikel Ungarn und Deutsche mit pangermanischen Argumenten auf den im „Erdélyi Helikon“ von Károly Molter im Herbst 1933 veröffentlichten Artikel über die literarischen Kämpfe in Deutschland unter Andeutung der die deutsche Kultur bedrohenden Gefahren. Zillich warf Molter vor, die deutschen Blut-und-Boden-Schriftsteller nicht erwähnt zu haben, hingegen die gegen den Nationalsozialismus eingestellten humanistischen Schriftsteller jüdischer Herkunft. Auch wendete er sich gegen die Mißachtung der deutschen Minderheitenrechte durch den ungarischen Staat und warf der ungarischen Presse vor, hauptsächlich von Juden beeinflußt zu werden. Der Schlagabtausch dauerte bis 1935 an und endete mit dem Abbruch der Beziehungen zwischen dem Klingsor- und dem Helikonkreis36.
Den von Ernst Jekelius geäußerten Standpunkt, die Sachsen hätten keinen Anlaß zur Entfremdung gegeben37, vertrat Zillich bis zu seinem Lebensende. In seinen Stellungnahmen wettert er gegen den Helikonkreis und die Ungarn insgesamt. Näher betrachtet, erweisen sich sämtliche von Zillich vorgebrachten Anklagepunkte als übertrieben, weil dem heutigen Betrachter nicht entgehen kann, daß Zillich - nicht Károly Molter oder Károly Kós - durch die Einführung außersiebenbürgischer, binnendeutscher Gesichtspunkte den autochthonen Bemühungsrahmen um die „Siebenbürgische Seele“ überschritten und damit gesprengt hat. Es ist der Antwort von Kós auf E. Jekelius durchaus zuzustimmen, daß die deutsche Erneuerung eine interne Angelegenheit der Deutschen sei, folglich keine Spaltung zwischen den siebenbürgisch-sächsischen und siebenbürgisch-ungarischen Schriftstellern herbeiführen sollte38.
In sämtlichen späten Äußerungen bezichtigte Zillich zum einen entweder die vermeintlich hinter den ungarischen Zeitungen, auch dem „Erdélyi Helikon“ stehenden Juden, oder die Hetze jüdischer Blätter in Csernowitz und Siebenbürgen gegen die Rumäniendeutschen, zum anderen die „madjarisch-nationalistische Gesinnung“ des Helikonkreises39. Zillich beschuldigte 1979 neben der „madjarischen Eigenwilligkeit“ nun auch die rumänische Eigenwilligkeit für das Scheitern der Zusammenarbeit40. Besonders scharf war seine Reaktion auf das Buch von Ritoók János, das er 1980 besprach. Was Zillich dem siebenbürgischen Verfasser besonders verübelte, war der dokumentierte Nachweis, daß Zillich die Abkehr des „Helikon“ vom „Klingsor“ zu verantworten habe41.
Der Streit um die „Siebenbürgische Seele“ und die späteren Wortmeldungen Zillichs zu diesem Gegenstand belegen zweifelsfrei, daß der in der Kindheit und Jugend ihm eingeimpfte Antimagyarismus42 in seinem Schlagabtausch mit K. Molter (1933-34) wieder wirksam wurde, um sich in den 70er und 80er Jahren in überbordender Weise zu artikulieren. Dasselbe gilt auch für die Stellungnahme zu Hans Wolfram Hockl, Offene Karten (1980)43, wo Zillich durch den scharfen Ton, in dem er Hockls Behauptung von sich weist, er sei ein „Völkerhasser“44, eher bestätigt denn entkräftet. Unsere Untersuchung gibt jedenfalls auch Hockl recht.
Fazit
Keine siebenbürgisch-sächsische Persönlichkeit der Zwischenkriegszeit vereinigt die geistige Befindlichkeit der Siebenbürger Sachsen jener Zeit prägnanter als Heinrich Zillich45. Die inhaltliche und symbolische Analyse mancher seiner Kurztexte und seiner Rolle in der Bewegung der „Siebenbürgischen Seele“ verdeutlicht, wie der ihm seit Kindesbeinen anhaftende Exklusivismus des Deutschseins und des Deutschtums seine Weltanschauung dominierte. Die Fixiertheit auf das Deutschnationale engte den kulturellen Wahrnehmungshorizont Zillichs und in späteren Jahren seine Rezeptionsbereitschaft bis hin zur Abblockung ein. Die Frage, ob Zillich und die ihm gleichgesinnten Siebenbürger Sachsen jemals den Blick über den Tellerrand des eigenen Nationalismus hinaus gewagt haben, ist abschlägig zu beantworten46. Deshalb ist auch der Versuch, zunächst mit den Ungarn, dann mit den Rumänen Siebenbürgens in der Bewegung der „Siebenbürgischen Seele“ einen kulturellen Konsens zu finden, nur als halbherzige Episode der unterschwellig weiterbrodelnden deutsch-nationalen Selbstgenügsamkeit Zillichs und seiner Gesinnungsgenossen einzustufen.
Das Projekt der „Siebenbürgischen Seele“ war totgeboren, weil die Partner zu unterschiedliche, selbst grundverschiedene kulturelle Voraussetzungen einbrachten. Die nationalen Vorbehalte und Verrenkungen brachen offen aus und schlugen in Feindschaft und langjährigen Haß um47. Der im Deutschen Reich zur Geltung gelangte, aggressiv expandierende Pangermanismus, der zum Verhängnis Deutschlands, der deutschen Minderheiten und Europas werden würde, erzeugte bei Zillich und Gesinnungsgenossen Intoleranz, die der „Siebenbürgischen Seele“ zuwiderlief. So klingt Zillichs Behauptung, die Ungarn und Rumänen hätten eine andere Seele als die siebenbürgische, während allein die Sachsen echte Siebenbürger blieben48 im Kontext der Gleichschaltung siebenbürgisch-sächsischer Interessen mit den Zielsetzungen des Hitlerstaates anmaßend. Der Klingsorkreis verabschiedete sich durch sein Einschwenken auf den expansionistischen Reichsnationalismus von der SEELE DES HISTORISCH GEWACHSENEN SIEBENBÜRGEN. Das kann den siebenbürgischen Ungarn nicht nachgesagt werden, weil diese durch die gewünschte Wiederangliederung Siebenbürgens an Ungarn höchstens die „Siebenbürgische Seele“ eines autonomen Siebenbürgen über Bord geworfen hätten.
Zillich und Gesinnungsgenossen traten unverändert für den politischen und kulturellen Monolithismus der siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaft, für die Abwehr möglicher Eindringlinge und von Fremdeinflüssen ein, wodurch sie eigentlich die von außen auf die Gemeinschaft einwirkenden Gefahren multiplizierten, also ein in der Gemeinschaft angesiedeltes Risiko waren. Die Unterwanderung des siebenbürgisch-sächsischen Siedlungsgebietes durch die großrumänische Staatsnation darf deshalb als harmlos gelten im Vergleich zur GEISTIGEN, POLITISCHEN UND KULTURELLEN UNTERWANDERUNG, die Zillich und Gesinnungsgenossen eigentlich praktizierten49.
Wie spannungsgeladen und verhängnisvoll der von Zillich und den siebenbürgisch-sächsischen Nationalsozialisten der Minderheit vorgegebene Weg war, der in Siebenbürgen nur eine im Reichsexpansionismus begründete „deutsche Seele“ tolerieren wollte, dürfte jedermann einleuchten.
[Erschienen in: Halbjahresschrift für südosteuropäische
Geschichte, Literatur und Politik, 11. Jg., Heft Nr.1, Mai 1999, S.72-79].