ERWIN NEUSTÄDTER
CONTINUATUS
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Im Folgenden sollen weitere Anhaltspunkte für die überzeugt nationalsozialistische Haltuntg von Erwin Neustädter geliefert werden, die ein übriges Mal entschieden gegen den vom "Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas" (IKGS), insbesonders von dessen Direktor in München betriebenen Rehabilitationskurs sprechen.
Es handelt sich um die von Neustädter als Leiter der "Schrifttumskammer" der Deutschen Volksgruppe in Rumänien (1940-1944) gehaltene Rede aus Anlass des 100. Todestages des Dichters Hölderlin im Jahre 1942. Der Text wird hier vollinhaltlich wiedergegeben und kommentiert.
Hölderlins Leben und Sendung
Gedenkrede zum hundertsten Todestage
Friedrich Hölderlins
Von Erwin Neustädter
"... Ein Volk, wo Geist und Größe
keinen Geist keinen Geist und keine Größe mehr zeigt, hat nichts
mehr gemein mit andern, die noch Menschen sind, hat keine Rechte mehr,
und es ist ein leeres Possenspiel, ein Aberglauben, wenn man solche willenlose
Leichname noch ehren will. Weg mit ihnen ! Er darf nicht stehen, wo er
steht der dürre faule Baum, er stiehlt ja Licht und Luft dem jungen
Leben, das für eine neue Welt heranreift." ... "Es werde von Grund
auf anders! Aus der Wurzel der Menschheit sprosse die neue Welt ! Eine
neue Gottheit walte über ihnen, eine neue Zukunft kläre vor ihnen
sich auf "
"In der Werkstatt, in den Häusern,
in den Versammlungen, in den Tempeln, überall werd es anders !"
Aus "Hyperion"
Was für eine Zeit war es, da Hölderlin diese Worte ausrief ? Da wetterleuchteten die ersten Siege Napoleons auf in Italien und Ägypten; da, kurz vor der Jahrhundertwende, begann es zu knistern im Gefüge des "Heiliger Römischen Reiches deutscher Nation", über die unzähligen Grenzschranken seiner Königs- und Fürstentümer hinweg gab es nichts Gemeinsames, Großes, was den Blick auf sich hätte ziehen können. Und so wie zwischen den deutschen Stämmen sich künstliche Schranken erhoben, so zwischen den Ständen; der Gedanke der völkischen Einheit, der Nation war noch nicht geboren Weit war es noch zu "Wilhelm Tell" und "Faust". Heinrich von Kleist aber hatte eben erst den Soldatenrock ausgezogen, angewidert von dem kleinlich öden Friedensdrill des Söldnerheeres, und keines seiner Dramen war noch geboren.
Das war die nationale und geistige Umwelt, die Hölderlin erschauen
konnte, und der er, kaum 28 Jahre alt, jene aufrüttelnden, Wandlung
formenden Werte zurief.
Damit sind wir aber auf Hauptthemen
Hölderlinscher Kulturkritik und nationaler Verkündung gestoßen,
und die Frage erhebt sich. wie er, der um 11 Jahre jünger war als
sein von ihm hoch verehrter Landsmann Schiller, zu einer zeit, da dieser
noch völlig in klassizistisch-ästhetischen Ideen und Arbeiten
befangen war und da Goethe sich auf den Spuren Homers mit der "Achilleis"
abmühte: wie er damals zu solch einer, tiefste nationale Nöte
der damaligen Gegenwart enthüllenden und weit in die Zukunft dringenden
Schau gelangen konnte.
Die Verhältnisse, denen Hölderlin
entstammt, die Bedingungen, unter denen er aufwuchs, ähneln in mehr
als einer Beziehung denen Scbillers: hier wie dort ärmliches Kleinbürgertum,
schlicht-fromme Gottergebenheit pietistischen Einschlags und Erziehung
durch die Mutter, da Schillers Vater als Feldscher meist unterwegs war,
Hölderlin aber seinen Vater früh verlor. Während der Knabe
Schiller aber Pfarrer werden will und seinen Geschwistern und Altersgenossen
flammende Predigten hält, sucht und findet der Knabe Hölderlin
seine Freude in den Naturschönheiten seiner lieblichen Heimat.
Da griff aber in dieses idyllisch kindliche Leben fremde Willkür einerseits, verständnislose mütterliche Fürsorglichkeit andererseits ein: Schiller mußte, seinem und seiner Eltern Wunsch entgegen, auf Befehl des Herzogs die Karlschule, um in deren soldatisch strenger Zucht zum herzoglichen Beamten oder Offizier gedrillt zu werden; Hölderlin hatte es insofern schwerer, als es die eigene verehrte Mutter war, die ihn in beschränkter Fürsorglichkeit und verständnisloser Liebe zum Pfarrer machen wollte, weil der Beruf ihr der Gott wohlgefälligste, angesehenste und gesicherteste schien, so daß sie ihn, den kaum Vierzehnjährigen, dem naturfernen, freudlos düsteren Betrieb der Klosterschulen zu Denkendorf und Maulbronn auslieferte."Da ich ein Knabe war,
rettet' ein Gott mich oft
vom Geschrei und der Rute der Menschen,
da spielt ich sicher und gut
mit den Blumen des Hains,
und die Lüftchen des Himmels
spielten mit mir...
Mich erzog der Wohllaut
des säuselnden Hains,
und lieben lernt ich
unter den Blumen.
Im Arme der Götter wuchs ich groß."
Dieses bildsame, nach Licht und Liebe, Natur und Schönheit durstende Herz mußte sich in eine schwarze Kulte hüllen, mußte alles Natürliche, Schöne als eitel und verwerflich oder gar als sündhaft bezeichnen hören.
Schillers Umwelt und Zucht ist hart, derb, aber zweckmäßig und nüchtern auf klar erfaßbare Ziele eingesteflt; Auflehnung gegen sie wird mit aller Härte bestraft, ist aber nicht Sünde. Das Innenleben, das Gewissen wird nicht angetastet und in Zwiespalt gestoßen. Man gerät nur mit der Willkür eines kleinen Fürsten, eines Menschen, mit den Mängeln einer zeitlichen und veränderlichen Staats- und Gesellschaftsform in Konflikt. Anders bei Hölderlin. Auflehnung gegen Form und Gehalt dessen, was hier im Kloster geboten wurde, bedeutete Auflehnung gegen eine Macht und Idee, die An-pruch auf Allgemeingiltigkeit und Ewigkeit erhob, eine die von sich aussagte, sie sei die Wahrheit und das Heil, Eine Macht also, die in erster Reihe sich an die Seele und das Gewissen wendet, und der gegenüber es nicht um ein einfaches Sichfügen und Unterordnen unter eine äußere Gewalt ging, sondern um letzte und tiefste Entscheidungen. Dieses so frühe und schmerzliche Erleben legt die Keime für die künftige Weltanschauung und Verkündung Hölderlins. Vorerst freilich ist nichts anderes ihm klar, als daß er Verkünder dieses anerzogenen Glaubens, der Natur und Schönheit als sündhaft. also im Gegensatz zum Göttlichen, erachtet, nicht sein kann.
Während Schiller gegen alles, was die Freiheit, die Gerechtigkeit, die Menschenwürde beeinträchtigt, in dessen einzelnen Erscheinungsformen ankämpft, zögert, fragt und forscht Hölderlin jahrelang nach der Wurzel des Übels, woher all diese Zwietracht, Bedrückung, Unnatur, dieses ganze Unheil stamme, und als er glaubt, es endlich in der Entfremdung von der Natur und ihrem göttlichen Wesen, in der Ehrfurchtlosigkeit und Glaubenslosigkeit des überlieblich gewordenen Geistes entdeckt zu haben: da erst setzt er zum Gegenangriff an, und zwar nicht gegen Einzel- und Folgeerscheinungen, sondern gegen die tiefste Wurzel dieser Entartung und Entfremdung vom ursprünglichen eigenen Wesen, und fordert die Besinnung auf die eigene Art des Glaubens, die wie das Vorbild der Ahnen zeigt, immer im Einklang mit der Natur und ihren göttlichen Gesetzen, immer stolz und frei in Selbstbehauptung und Bewährung vor ihrer ehernen Notwendigkeit und dem Schicksal war.
Die Freunde und sich selbst emporzureißen und zu stärken, ruft er die großen Vorbilder und Sinnbilder der Menschheit zu Hilfe, die Heroen und Göttergestalten, die Tugenden und Ideale in seinen Hymnen an die Freiheit oder Kühnheit, an die Schönheit oder Natur, an den Genius der Jugend oder Griechenlands. Leidenschaftliches Feuer bricht aus all diesen Jugendgedichten (in den Reim-Strophen Schillerscher Prägung; jünglingshafter Tatendurst, heldisches Sichbewährenwollen:
So wehrt der Jüngling die ,,klugen Ratgeber" ab, und welch herrliches Selbstgefühl, welch strahlender Glaube an sich selbst und seine Berufung bricht aus den Worten an ,,Herakles":,,Ich solle ruhn ? Ich soll die Liebe zwingen,
die feurigfroh nach hoher Schöne strebt ? ...
... Drum laßt die Lust, das Große zu verderben,
und geht und sprecht von eurem Glücke nicht !
Pflanzt keinen Zedernbaum in eure Scherben !
Nehmt keinen Geist in eure Söldnerpflicht ! ...
...Umsonst ! Mich hält die dürre Zeit vergebens,
und mein Jahrhundert ist mir Züchtigung ..."
In diesem Geiste erfolgt sein Aufbruch ins Leben. Mit aller Schonung, aber unbeirrbar teilt er seiner Mutter mit, daß er ihr die Erfüllung des unter vielen Entbehrungen endlich möglich gewordenen Herzenswunsches, ihn im geistlichen Amt zu sehen, versagen muß, und es ist mehr als eine bloße Ausflucht, wenn er erklärt ,, .. ich fühle mich tüchtiger zum Erzieher als zum Predigtamt ! ..." "Das Lehramt ist auch überhaupt, so viel ich sehe, bei den jetzigen Zeiten wirksamer, als das Prcdigtamt..." Er kann und will nicht eine Lehre verkünden, die nicht nur ihm selbst, sondernweiten Kreisen des Volkes fremd und wesenlos geworden ist; er will im Gegenteil junge Menschen um sich scharen und heranziehen, heranbilden zu einem neuen freien, stolzen, naturnäheren Glauben und Menschentum, für welches er die leuchtendsten Vorbilder in der Vergangenheit sieht, die vor dem Eindringen des Christentums liegt. Zu einem ähnlichen freien, schönen, edlen Mensehentum will er die Wege weisen und bahnen. So schreibt er dem Bruder:"In der Kindheit Schlaf begraben
lag ich, wie das Erz im Schacht;
Dank, mein Herkules, den Knaben
hast zum Manne du gemacht.
Reif bin ich zum Königssitze
und mir brechen stark und groß
Taten, wie Kronions Blitze,
aus der Jugend Wolke los...
... Sterblich bin ich zwar geboren,
dennoch hat Unsterblichkeit
meine Seele sich geschworen
und sie hält, was sie gebeut."
"Meine Liebe ist das Menschengeschlecht, freilich nicht das verdorbene, knechtische, träge, wie wir es nur zu oft finden. ... Ich liebe das Geschlecht der kommenden Jahrhunderte... Dies ists, woran nun mein Herz hängt. Dies ist das heilige Ziel meiner Wünsche und meiner Tätigkeit, - dies, daß ich in unserem Zeitalterr die Keime wecke. die in einem Künftigen reifen werden, ... Ich möchte ins Allgemeine wirken, das Allgemeine läßt uns das Einzelne nicht gerade hintansetzen, aber doch leben wir nicht so mit ganzer Seele für das Einzelne, wenn das Allgemeine einmal Gegenstand unserer Wünsche und Bestrebungen geworden ist."
Da eine öffentliche weltliche Lehrstelle für den jungen Kandidaten der Theologie, der' die geistlichen ausschlägt, nicht gleich bietet, will er in kleinem Kreise. als Hauslehrer beginnen und erhält durch Schillers Vermittlung, der damals neben Fichte und anderen Geistesgrößen an der Universität Jena wirkte, eine bei dessen Jugendfreundin, Frau Charlotte von Kalb. Sobald er aber erkennt, daß deren Söhne sich als Zöglinge für die neuen Ideale nicht eignen, ihm selbst aber noch manches wissenschaftliche und weltanschauliche Rüstzeug fehle. drängt es ihn in die Nähe Schillers, und er übersiedelt nach Jena, an der Universität das Versäumte nachzuholen.
Damit schien sein Lebensweg nun endlich in die rechte Bahn eingemündet zu sein, aber er mußte bald erkennen, daß diese Erfüllung seiner Sehnsucht, daß die Nähe dieses großen Vorbildes und seine gutgemeinten Ratschläge für ihn, den in der Entwicklung und Gärung Stehenden, nach Eigenem Ringenden, die größte Gefahr bedeutete: die, sieh selbst zu verlieren, und ein Trabant, ein Nachahmer des Großen, Gereiften zu werden. Und so faßt er den schweren Entschluß, Jena, das einst so heiß ersehnte, und damit alles, was er dort an Förderung erfahren hatte und noch hätte erfahren können, zu verlassen, auf die Gefahr hin, töricht und undankbar zu erscheinen und für die Zukunft alles zu verscherzen, aber - sein Genius, mit anderen Worten, sein Schicksal trieb ihn.
Um der Reinheit und Klarheit seiner Art und Anschauung willen, hatte er also das Opfer gebracht, Jena und das Studium gelassen und eine, durch einen Jugendfreund vermittelte, Hauslehrerstelle in Frankfurt a/M. beim Bankier Contard angenommen.
Und nun ist es wirklich, als ob das Schicksal sichtbar eingegriffen habe, um ihm, dem um Klarheit, Selbstbestätigung und das Siegel der Berufung Ringenden, den Menschen in den Weg zu führen. der ihm all das, und darüber hinaus höchste Erfüllung menschlichen Glückes bringen sollte, - und damit zugleich freilich auch den Keimling unendlichen Leides. Seligstes Finden, leuchtendster Aufschwung. göttliche Heiterkeit und Harmonie, und tiefster Absturz, dunkelste Verzweiflung, bitterste Demütigung und Entsagung sind unlösbar ineinander verschlungen in diese Begegnung mit Susette Contard, der Gattin seines Brotherrn, der Mutter seiner Zöglinge, die nur zwei Jahre älter war als er, der jugendstolze Feuergeist, der in ihr nüchternes Haus kam.
Natur und Freundschaft hatte er bisher als die formenden und belebenden Mächte des Lebens erfahren, denen aber andere Mächte entfremdend und vereinzelnd entgegenwirkten, vor allem der kalte zersetzende Geist. Erfahrung, Wirklichkeit der Gegenwart, und Ahnen und Ersehen einer besseren Zukunft hatten sich ihm aber zu keiner Gesamtschau zusammenschließen können; die verschmelzende und sinngebende Macht war ihm noch unbekannt. Nun trat sie ihm, gleichsam verkörpert in einem Menschen, entgegen: die Liebe, Erscheinung geworden in der Schönheit. Diese Begegnung bedeutete also nicht nur für den Menschen und Mann Hölderlin höchste menschliche Erfüllung, sondern darüber hinaus für den Dichter und Denker höchste Bestätigung und Gestaltwerdung des längst Geahnten: Natur und Geist waren keine notwendigen Gegensätze, wo es um ein Entweder - Oder ging, ein Herrschenmüssen des einen über den andern. Wenn sie sich im Laufe der Entwicklung der Menschheit und auch des Einzelnen, entzweit hatten, so war eine Wiedervereinigung doch möglich. Da trat sie ihm doch in herrlichstem Zusammenklang entgegen.
Diese Begegnung und Liebe bewirkt gleichsam die Kristallisation der bis dahin vereinzelten und einer Zusammenschließung widerstrebenden E1emente seiner Welt- und Kunstanschauung. Und das Werk, an dem er schon in Tübingen zu arbeiten begonnen und das durch eine ganze Reihe von Fassungen das unsichere Suchen und Tasten nach dem letzten Sinn und der endgültigen Form verrät, der ,.Hyperion", erhält nun diese Sinngebung und notwendige Form.
Nun findet er das Hauptmotiv seines Lebens
und Schaffens und vermag es auch auszusprechen, am eindeutigsten in dem
,,Entwurf einer Vorrede" zum Hyperion.
"Wir sind zerfallen mit der Natur",
heißt es da, ,,und was einst, wie man glauben kann, Eins war, widerstreitet
sich jetzt, und Herrschaft und Knechtschaft wechselt auf beiden Seiten.
Oft ist uns, als wäre die Welt alles und wir Nichts, oft aber auch,
als wären wir Alles und die Welt Nichts... Jenen ewigen Widerstreit
zwischen unserm Selbst und der Welt zu endigen, den Frieden alles Friedens,
der höher ist denn alle Vernunft, den wiederzubringen, uns mit der
Natur zu vereinigen1 zu einem unendlichen Ganzen, das ist das Ziel all
unseres Strebens, wir mögen uns darüber verstehen oder nicht."
Das war aber, mit andern Worten: eine Kennzeichnung des gesamten Geisteslebens um 1800, das überall die Anzeichen dieser Gegensätzlichkeit und Vereinzelung aufweist. Das einigende, bindende Element fehlt. Der Weg in eine bessere Zukunft, zur Genesung gleichsam, geht nur über die Aussöhnung des Widerstreites zwischen dem Ganzen und dem Einzelnen, zwischen Schöpfung und Geschöpf, Natur und Geist, Volk und Individuum, Leib und Seele, und wie die Gegensätze alle heißen mögen. Das einzige Element aber, die einzige Macht, die solch eine Aussöhnung und Wiedervereinigung bewirken kann, ist die Liebe. Diese allein ist imstande, die Schranken zwischen dem Ich und dem Du, zwischen Geist und Körper, zwischen jedweder Ichsucht und Vereinzelung zur Hingabe an ein Anderes zu überwinden, sie allein vermag zwischen den einander widerstrebenden Kräften Gleichgewicht und Harmonie herzustellen. Wo aber Gleichgewicht und Harmonie der Kräfte herrscht, dort erblüht Schönheit. Wahre Schönheit ist gleichsam nur die sichtbar gewordene Blüte aus dem Urgrund der Liebe, und das untrügliche Zeichen für gesunde, natürliche Verhältnisse.
Infolgedessen kann man also umgekehrt folgern: Wo Schönheit einem
entgegentritt, da herrscht Harmonie, da spielen die Kräfte im Gleichgewicht
und alles ist, wie es sein soll: gesund und gut. Das aber ist Kemizeichen
des Göttlichen. Mit andern Worten: die Schönheit ist die Erscheinungsform
des Göttlichen, und darum verehrungswürdig. Das Schöne ist
für Hölderlin also ebensowenig wie für die alten Griechen
und unsere eigenen Vorfahren ein bloß ästhetischer Wert, sondern
ein sittlicher, der Ausdruck eines innern Wertes, der Erfüllung einer
natur- und damit gottgewollten Gesetzmäßigkeit. Erst wenn wir
diesen für Hölderlin unlösbaren - und im tiefsten indogermanischen
- Zusammenhang zwischen Schönheit, Liiebe, Natur und Gottheit richtig
begriffen haben, erschließt sich uns nicht nur Hölderlins Werk
und Wollen an sich, sonder auch die ganze Tragweite seiner Verkündung,
für deren naturgläubige, biologiseh-völkische Werte wir
erst heute das richtige Verständnis aufzubringen beginnen.
Dann erst können wir aber auch einigermaßen begreifen, was für
ihn die Begegnung mit einem Wesen wie dieser Frau (die er übrigens
bald "Diotima", nach der Priesterin der hohen Liebe in Platons Gastmahl,
benannte, und in seinem Hyperion unter diesem Namen verewigte) bedeuten
mußte, in deren Schönheit und Liebe sich ihm der Sinn der Weltordnung,
also der göttliche Wille selbst
zu offenbaren schien.
Durch diese Liebe kommt es zu keinem Zwiespalt zwischen Neigung und Sendung,
zwischen Ich und All und Gemeinschaft, sondern sie erst bewirkt das sinnvolle
und freudige Hineinreifen und Sichhineinfügen ins Ganze. Tiefstem
germanischem Wesen entsprechend wird die Liebe nicht als zerstörende,
erniedrigende Leidenschaft, sondern als veredelnde, aufbauende Macht, und
die Frau nicht als verführendes Weibchen, sondern als zu Höchstem
anspornende Gefährtin erlebt und gestaltet. Es ist sehr bedeutsam,
daß
Hyperion, der unter der Schmach und
Unterdrückung und Glaubenslosigkeit seines Volkes leidet und vergeblich
nach einem Ausweg und Abhilfe sucht, durch Diotimas Glauben an ihn, au
seine Berufung und an die Wiedererweckung dieses Volkes auf den rechten
Weg gebracht wird.
Und so tritt nun in der Geschichte dieses jungen Griechen, der durch seine
Liebe dazu geführt wird, für diese Liebe und für sein Volk
zu kämpfen als neue Macht neben die bisher von ihm verkündeten,
Natur, Freundschaft, Schönheit, Liebe nun als letzte, krönende
hinzu: das Vaterland. So wie es ihm, dem Einzelwesen, erst die Macht der
Liebe das Beste und Höchste geweckt, ihn zu Größtem angespornt
und befähigt hat, so soll sie auch im Ganzen wirken, soll alle Kräfte
der Gemeinschaft befreien, durch sie muß das "Einer für alle,
alle für einen" zur Selbstverständlichkeit werden, das ist der
Sinn des zuerst dunkel anmutenden, gewaltigen Wortes, das er hoffend und
fordernd in die deutsche Zukunft rief: "Sprache der Liebenden sei die Sprache
des Landes, ihre Seele der Laut des Volkes !"
Diese Begegnung und Liebe war wie nicht von dieser Welt, unterstand anderen Gesetzen als den hier herrschenden, und mußte infolgedessen früher oder später an den harten Schranken der Wirklichkeit und des Alltags scheitern. Was half das innere Recht des Füreinanderbestimmtseins den beiden vor den Menschen ! Vor diesen waren sie rechtlos, und nun drohte Hölderlins Stellung auch noch würdelos zu werden, denn mit steigender Deutlichkeit gab der Haus- und Bankherr seiner Auffassung, daß der bezahlte Hauslehrer auch nur eine Art Bedienter sei, Ausdruck.
Die Lage wird immer unhaltbarer, bis eines Tages die unausweichliche Auseinandersetzung und damit der Bruch erfolgt. Um Susette zu schonen, verläßt Hölderlin das Haus Contards und Frankfurt. "Immer hab ich getan, als könnt ich mich in alles schicken, als wär ich so recht zum Spielball der Menschen und Umstände gemacht und hätte kein festes Herz in mir, das treu und frei iii seinem Rechte für sein Bestes schlüge, teuerstes Leben ! Habe oft meine liebste Liebe, selbst die Gedanken an Dich mir manchmal versagt und verleugnet, nur um so sanft wie möglich um Deinetwillen dies Schicksal durchzuleben. .... Es ist himmelschreiend, wenn wir denken müssen, daß wir beide mit unsern besten Kräften vielleicht vergeben müssen, weil wir uns fehlen ..." Und Diotima ?
Noch im bittersten eigenen Schmerz denkt sie daran, den seinen zu lindern, ihn durch ihren Glauben au ihn zu stärken und seiner Berufung zu erhalten, Und erschütternd ist seine Antwort: "Wenn ich an große Männer denke, in großen Zeiten, wie sie, ein heilig Feuer, um sich griffen und alles Tote, Hölzerne, das Stroh der Welt in Flamme verwandelten, die mit ihnen aufflog zum Himmel, - und dann an mich, wie ich oft, ein glimmend Lämpchen, umhergehe und betteln möchte um einen Tropfen Öl, um eine Weile noch die Nacht hindurch zu scheinen - siehe, da geht ein wunderbarer Schauer mir durch alle Glieder, und leise rufe ich mir das Schreckenswort zu: lebendig Toter !"
Es mag vermessen scheinen, wenn wir heute, da wir das vollendete Schicksal kennen, angesichts dieses Schmerzes zu erkennen meinen, daß diese Trennung ebenso notwendig war wie jene von Schiller, um das Letzte und Höchste aus ihm heraus zu ackern. Für den Menschen Hölderlin und sein menschliches Glück war dieser Riß unheilbar und hat ihn zerstört; den Dichter hat er zur Unsterblichkeit befreit, indem er wie ein Erdbeben die schützenden Krusten über den glühenden Urgewalten aufriß.
Schicksal und Leid hat er nun in ihrer Unerbittlichkeit und Gewalt an sich
erfahren und als Urmächte des Lebens, aber auch der Bewährung
und Vollendung, erkannt. "Des Herzens Woge schäumte nicht so schön
empor und würde Geist, wenn nicht der alte stumme Fels, das Schicksal
ihr entgegenstünde", beginnt er den Sinn des Geschehenen einzusehen
und sich daran aufzurichten: "Wer auf sein Elend tritt, steht höher".
Gibt es ein gefaßteres, männlicheres Überwinden und Fruchtbarmachen
des Leides, das er nun, ähnlich wie den Tod, als Vorbedingung des
Lebens erkennt: "Es nährt das Leben vom Leide sich". Damit läutert
und erhebt sich auch sein Schmerz aus dem Persönlichen ins Überpersönliche,
alles Eigene ist unwesentlich geworden vor der immer gewaltiger sich weitenden
Schau ins Allgemeine und Künftige.
Was dieses Große aber ist, das erschließt sich ihm in seiner "Rückkehr in die Heimat"."... Großes zu finden, ist viel, ist viel noch übrig, und wer so
liebte, gehet, er muß, gehet zu Göttern die Bahn..."
"... Wie lang ists, o wie lange ! des Kindes Ruh
ist hin, und hin ist Jugend, und Lieb und Lust,
doch du, mein Vaterland; du heilig-
duldendes, siehe, du bist geblieben.
Und wenn im heißen Busen dem Jünglinge
die eigenmächtigen Wünsche besänftiget
und stille vor dem Schicksal sind, dann
gibt der Geläuterte dir sich lieber ..."
Ja. nun ist er geläutert, will nichts mehr für sich selber, gibt
sich ganz hin der Fülle und Gewalt der Gesichte, will nur noch Gefäß
des göttlichen Auftrages, Mund seiner Verkündung sein. Was ihm
im bürgerlichen Leben noch widerfährt, ist im Grunde belanglos,
rührt kaum noch an sein Innerstes. Die Verbindung zu diesem Leben
war zerrissen, er lebte schon in einem anderen, konnte unter den Schlägen
jenes noch zusammenzucken, brauchte sine Kräfte aber nicht mehr zur
Abwehr und Änderung dieser Lage, sondern nur noch dazu, seine Verbindung
zum Ewigen und Göttlichen zu wahren, einen Auftrag lauter und treu
zu erfüllen.
In den verschiedenen Fassungen des dramatischen Fragmentes des "Empedokles" findet das Schicksal solch eines Berufenen und Verkünders immer klarere sinnbildhafte Gestaltung. Es geht aber keineswegs bloß um dessen Gestalt und Schicksal. sondern ebenso sehr uni das, was er glaubt und verkündet, und es ist sehr bezeichnend, daß Hölderlin diesen ersten biologisch denkenden griechischen Naturphilosophen und Naturheilkundigen zu seinem Helden und Vorbild und Mund eigener Verkündung erkoren hat. Was Empedokles sagt, ist durchaus das, was Hölderlin meint, und daß er von seinem Volk nicht verstanden und verstoßen wurde und nur in der Rückkehr zur Natur seine Erlösung findet, schöpft Hölderlin auch aus eigenstem Erleben."... Uns gebührt es, unter Gottes Gewittern
ihr Dichter, mit entblößtem Haupte zu stehen,
des Vaters Strahl, ihn selbst, mit eigner Hand
zu fassen und dein Volk ins Lied
gehüllt die himmlische Gabe zu reichen..."
Als er in der Heimat keinen Erwerb, keine Stelle mehr findet, als auch Schller auf seine Briefe nicht mehr antwortet, geht er in die Schweiz und nach Bordeaux, um dort als Erzieher sein Brot zu verdienen. Als er in langer Fußwanderung von dort zurückkehrt, empfängt ihn die Kunde vom Tode Diotimas. Nun ist auch die letzte Bindung ans Persönliche und Gewesene gefallen, einsam steht er, erschauernd unter der Fülle und Gewalt der Gesichte, die Vorzeit und Künftiges in mächtigem Bogen umspannen und in gewaltigen Bildern und schweren Rhythmen zur Verkündung drängen. Dies aber ist seine Verkündung: Der alte Glaube ist kraftlos geworden, seine begeisternde und erlösende Macht erloschen, das Volk ist in Gleichgültigkeit gesunken. schwankt ohne Halt noch Ziel. Aber während es so hindämmert, ist in seiner Seele doch schon ein heimlich Feuer erglommen "von neuen Zeichen", und
Es geht um nicht weniger, als um eine neue Gottverkündung im deutschen Raum."... Nicht länger darf Geheimnis mehr
das Ungesprochene bleiben,
nachdem es lange verhüllt ist ..."
Nach einer nahezu 2000jährigen naturfernen, entgöttlichten Zeitennacht,
beginnt nun der Morgen eines neuen Weltentages heraufzudämmern, in
dem die Göttlichkeit alles Natürlichen wieder erkannt and verehrt,
und seine Gesetzlichkeit wieder befolgt wird, Gott und seine Allmacht ist
an keinerlei Satzung gebunden, offenbart sich in keinerlei Schrift, sondern
ringsum in seiner Schöpfung, spricht zu uns durch seine Sterne und
Meere, durch Wald und Wiud, die heimatliche Landschaft und ihre Menschen,
durch die Liebe zu ihnen und zum Vaterland.
Heilige Städte. heilige Flüsse, heiliges Land sind ihm nicht
mehr Jerusalem und Jordan und Palästina; an ihre Stelle treten die
Vaterlandsstädte Stuttgart, Heidelberg, der "Vaterlandsstädte
ländlichschönste", Neckar und Main. der ganze geliebte Heimatboden
und das größere Vaterland, und aus der Ferne leuchten als Vorbilder
die Stätten hellenischer Kraft und Blüte und nationaler Einheit,
die alle er als erster und im vollem Bewußtsein dieser unerhört
neuen Schau und Aufgabe besingt. Und wie er der deutschen Seele ihre Heimat
nur schenkt und heiligt, so befreit er sie von der Furcht vor dem Tode
und aller Ungewißheit eines anders gearteten Jenseits.
"Man sagt sonst, über den Sternen verhalle der Kampf, und künftig
erst, verspricht man uns, wenn unsere Hefe gesunken se{ verwandle sich
in edlen Feuerwein das gärende Leben; die Herzensruhe der Seligen
sucht man sonst auf Erden nirgends mehr. Ich weiß es anders.... Die
dich nicht ehren, kindlich Leben der Natur; die mögen vor dem Tode
sich fürchten. Ihr Joch ist ihre Welt geworden; besseres, als ihren
Knechtdienst, kennen sie nicht.... Ich habe es gefühlt, das Leben
der Natur das höher ist denn alle Gedanken, - wenn ich auch zur Pflanze
würde, wäre der Schade denn so groß ? - Ich werde sein
! Wie sollte ich mich verlieren aus der Sphäre des Lebens, worin die
ewige Liebe, die allen gemein ist, die Naturen alle zusammenhält ?
Wir sterben, um zu leben." "Der Tod ist ein Bote des Lebens, und daß
wir jetzt schlafen in unsern Krankenhäusern, dies zeugt vom nahen
gesunden Erwachen..."
Und welch großartiger Lebens- und Ewigkeitsglaube bricht ans seinen
Worten: "Was lebt ist unvertilgbar, und wenn du es zerreißest bis
auf den Grund, und wenn du bis ins Mark es zerschlägst: doch bleibt
es eigenttich unverrwundet, und sein Wesen entfliegt dir siegend unter
den Händen !' Und aus diesem Glauben, der einen "neuen Frühling"
der Völker" mit sich bringen wird, wird dann auch die "Lieblingin
der Zeit, die jüngste, schönste Tochter der Zeit, die neue Kirche,
hervorgehen, aus diesen befleckten, veralteten Form... Ich kann sie nicht
verkünden, denn ich ahne sie kaum, aber sie sind gewiß, gewiß
!"
"So wagts! was ihr geerbt, was ihr erworben,
was euch der Väter Mund erzählt, gelehrt,
Gesetz und Bräuch, der alten Götter Namen,
vergeßt es kühn und hebt, wie Neugeborne,
die Augen auf zur göttlichen Natur !...
dann .... ruht auf richtigen Ordnungen das neue Leben,
und euern Bund befestigt das Gesetz.
Wir erinnern uns nun der Eingangsworte zu dieser Stunde aus "Hyperion" und begreifen nun, wie das gemeint ist, mit dem "dürren, faulen Baum", dem jungen Leben und dem: "Es werde von Grund aus anders!" Noch aber stehen dieser Befreiung und Erneuerung all jene entgegen, deren bisherige Verkündung und Macht zu Schanden würde Mit einer Schärfe und Bitterkeit, wie wir sie sonst bei Hölderlin nirgends finden, rechnet er mit diesen in der Gestalt ihres Vertreters, des Priesters Hemokrates, im Empedokles ab.
Nein, der Dienst am Göttlichen kann und darf nicht zu Erwerb und Beruf werden, er muß Berufung und damit ein Wagnis und letzter Einsatz sein auf alle äußere und innere Gefahr hin, die damit verbunden ist, und die er, Hölderlin, auf sich nimmt."Ich kenne dich und deine schlimme Zunft,
und lange wars ein Rätsel mir, wie euch
in ihrem Runde duldet die Natur.
Ach, als ich noch ein Knabe war, da mied
euch Allverderber schon mein frommes Herz,
das unbestechbar innigliebend hing
an Soun und Äther und den Boten allen
der großen ferngeahneten Natur.
Denn wohl hab ichs gefühlt, in meiner Furcht,
daß ihr des Herzens freie Götterliebe
bereden möchtet Zinn gemeinen Dienst,
und daß ichs treiben sollte so wie ihr.
Hinweg ! Ich kann vor mir den Mann nicht sehen,
der Heiliges wie ein Gewerbe treibt;
sein Angesicht ist falsch und kalt und tot,
wie seine Götter sind ..."
In immer neuen, immer gewaltigeren Bildern gestaltet er seine Schau, immer
drängender verkündet, beschwört, fordert er die Besinnung
auf die eigene Art, das Erwachen seines deutschen Volkes zu neuer Aufgabe:
Träger dieser neuen Gottschau und Gläubigkeit und damit Retter
des Abendlandes und seiner Kultur zu werden. -- so wie einst die Griechen,
als sie den Ansturm des Ostens, der persischen Übermacht, opfermütig
abwehrten.
In großartiger Vision schlägt er den Bogen vom alten Hellas
und seinem nationalen Aufblühen nach der Zerstörung Athens und
der siegreichen Entscheidungsschlacht bei Salamis, über die kleinliche,
glaubenslose Gegenwart in die erhoffte Zukunft in seinem mächtigen
Gedicht "Archipelagus"; in dieser Rückschan ein Vorbild und Zukunftsbild
gestaltend.
Wenn er auch immer wieder das Griechentum als Vorbild hinstellt, so nicht,
damit das deutsche Volk seine Art nachahme, sondern damit es wie dieses,
d. h. treu der eigenen Art, eins mit sich selbst und dem angeborenen Glauben
sei und schaffe; dann werde es zu Kraft und Freiheit und zu einer Leistung
gelangen. wie die Welt sie noch nicht gesehen.
Kein deutscher Dichter, noch Denker, noch Staatsmann hat bis zu Hölderlins Zeit dem deutschen Volke solch eine Aufgabe zugewiesen, ihm Vaterlandsgesänge von solch einer Größe der Schau und Kraft des Glaubens und der Sprache geschenkt, wie die nun entstehenden etwa "An die Deutschen" oder ",Germania", wo es heißt:
Und endlich der "Gesang der Deutsehen":"Du bist es, auserwählt
alliebend, und ein schweres Glück
bist du zu tragen stark geworden...
... Germania, wo du Priesterin bist
und wehrlos Rat gibst rings
den Königen und den Völkern."
O heilig Herz der Völker, o Vaterland!
Allduldend, gleich der schweigenden Mutter Erd,
und allverkannt, wenn schon aus deiner
Tiefe die Fremden ihr Bestes haben!
Sie ernten den Gedanken, den Geist von dir,
sie pflücken gern die Traube, doch höhnen sie
dich, ungestalte Rebe; daß du
schwankend den Boden und wild umirrest.
Du Land des hohen, ernsten Genius!
Du Land der Liebe! bin ich der Deine schon,
oft zürnt ich weinend, daß du immer
blöde die eigne Seele leugnest.
Nun! sei gegrüßt in deinem Adel, mein Vaterland,
mit neuem Namen, reifeste Frucht der Zeit! - -
Du letzte und du erste aller
Musen, Urania; sei gegrüßt mir!
Noch säumst und schweigst du, sinnest ein freudig Werk,
das von dir zeuge, sinnest ein neu Gebild,
das einzig, wie du selber, das aus
Liebe geboren und gut, wie du, sei.
Wo ist dein Delos, wo dein Olympia,
daß wir uns alle finden am höchsten Fest? -
Doch wie errät der Sohn, was du den
Deinen, Unsterbliche, längst bereitest?"
Die Frage nach dem deutschen Delos und Olympia ist die nach der deutschen
Einigkeit. So wie es für die Griechen etwas gab, was über allen
Hader hinweg gemeinsam war, was sie immer wieder einte und zusammenfinden
ließ, ihre gemeinsame griechische Welt- und Gottschau, und die dieser
geweihten gemeinsamen nationalen Kult- und Weihestätten, an denen
die gemeinsamen nationalen Festspiele stattfanden, so mögen auch die
Deutschen zu einem gemeinsamen Glauben finden, der sie zu gemeinsamer Feier
dereinst zusammenführt! Wie dieser gemeinsame Glauben, diese Einigkeit
und Gemeinschaft - über die Naturgläubigkeit hinaus! -
beschaffen sein soll, hat er in einem Brief an seinen Bruder angedeutet:
,,Nicht daß irgendeine Form, irgendeine Meinung und Behauptung siegen
wird, - dies dünkt mir nicht die wesentlichste seiner Gaben.
Aber daß der Egoismus in allen seinen Gestalten sich beugen wird unter die heilige Herrschaft der Liebe und Güte, daß Gemeingeist über alles in allem gehen und das deutsche Herz in solchem Klima, unter dem Segen dieses neuen Friedens erst recht aufgehen und geräuschlos, wie die wachsende Natur, seine geheimen, weitreichenden Kräfte entfalten wird, dies mein' ich, dies seh' und glaub' ich, und dies ist's was vorzüglich mit Heiterkeit mich in die zweite Hälfte meines Lebens hinaussehen läßt."
Es ist, wenn wir all diese Aussagen zusammennehmen, nicht weniger als eine Zeitwende, die da verkündet wird, eine geistig-seelische Neuordnung im deutschen Raum, deren Quellen nicht mehr draußen in irgendeiner Fremde liegen, sondern in der eigenen Art, in der eigenen Vergangenheit. in der eigenen Heimat.
Wie ging es aber ihm, der dies verkündete ? So wie es den meisten
Verkündern und Neuerem von jeher ergangen ist: sie wurden angefeindet,
bekämpft. verbannt, verbrannt oder - was vielleicht noch schlimmer
ist - gar nicht vernommen und verstanden. Jenes hat Hölderlin im Empedokles
gestaltet, dieses an sich selbst erfahren müssen. Einmal nimmt die
Bitterkeit in ihm überhand und er bricht aus in furchtbarer Anklage
über die "Barbaren um uns her, die unsere besten Kräfte zerreißen,
ehe sie zur Bildung kommen können..."
Aber die Liebe zu seinem Volke überwog alle Bitterkeit und Anklage;
er hielt sich offen und bereit dein Dienst, den er für sich als bindend
erkannt hatte; Mittler zu sein, das heilige Feuer weiter zu reichen, mochte
er selber davon verzehrt werden und verlodern. Immer bedrängender
wird die Fülle der Gedichte, immer gewaltiger, dunkler, geheimnisreicher
die Sprache. "Ich spreche Mysterien, aber sie sind", heißt es an
einer Stelle, "doch. allmählich steigern sie sich ins Unaussprechbare,
nicht mehr Verkündbare, und diesem übermächtigen Drncke,
nur noch Ahnen, Schauen, Vernehmen zu müssen, ohne es noch ins Wort
fassen, sich davon befreien zu können in der Verkündung, diesem
Drucke vermag sein Geist schließlich nicht mehr stand zu halten,
Die Erkenntnis, die er Empedokles in den Mund gelegt: "Fort muß,
durch wen der Geist geredet!" erfüllt sich furchtbar an ihm selbst.
"... dann wollen wir uns durch kein Geschwätz von Übertreibung, Ehrgeiz, Sonderbarkeit usw. hindern lassen, um mit allen Kräften zu ringen und mit aller Schärfe und Zartheit zusehen, wie wir alles Menschliche in uns und andern in immer freiern und innigern Zusammenhang bringen, es sei in bildlicher Darstellung, oder wirklicher Welt, und wenn das Reich der Finsternis mit Gewalt einbrechen will, so werfen wir die Feder unter den Tisch und gehen in Gottes Namen dahin, wo die Not am größten ist und wir am nötigsten sind."
(Volk im Osten. Die Zeitschrift des Südostens,
4. Jg., Heft 7, 1943, S.59-74)
Kritische Blätter zur Geschichtsforschung und Ideologie