IX.
Alle Argumente, die seiner von Gesichtspunkten (sudten)deutscher Zentriertheit bestimmten �Kontextualisierung� widersprechen oder diese gar widerlegen koennten, kehrt Scheil einfach unter den Tisch. So auch das massgebliche und gewichtigste, das die eigentliche Ursache der deutsch-tschechischen Animositaeten erklärt. Jenseits der Auseinandersetzung zweier Voelker handelte es sich doch um die Unvereinbarkeit zweier Prinzipien, die hier aufeinander prallten und gezwungenermassen in einer Sackgasse muenden mussten: das alldeutsch-pangermanische und das nationalstaatliche Prinzip, wobei letzteres auch international anerkannt und als solches auch von den Alliierten des Ersten Weltkriegs vertreten wurde. Und die Nazis hatten bereits seit ihrer parteimaessigen Zusammenfassung die Beseitigung des nationalstaatlichen Prinzips zugunsten des deutsch-voelkischen zu ihrem obersten Kampfziel erklaert. Dass die Westmaechte das sudetendeutsche Abstimmungsergebnis nach internationalem, nicht nach deutsch-voelkischem Recht behandelten, dass die Sudetendeutschen durch ihre Umtriebigkeit das internationale Voelkerrecht im Namen ihres einseitigen deutschvoelkischen Rechtsverstaendnisses wiederholt verletzten, dass die nationalen Interessen der Tschechoslowakei durch das internationale Staatenrecht abgesichert war, das ist fuer Scheil kein Thema. Ebenso nicht, dass das sudetendeutsche Auftreten bis 1938, das sich durch beschleunigte NS-Radikalisierung auszeichnete � vgl. dazu wie die von der Tschechoslowakei angeblich gegen die Sudetendeutschen gefuehrte Gewaltpolitik in der NS-Presse der Siebenbuergendeutschen oder in der Wiener Zeitschrift �Nation und Staat� vor 1933 und danach registriert wird - sich zwar auf das europaeisch anerkannte Minderheitenrecht berief, seinen �Widerstand� gegen den tschechischen Staat aber laengst nicht mehr in minderheitenrechtlicher, sondern in pangermanisch-nationalsozialistischer Stossrichtung fuehrte. Die Sudetendeutschen hatten also die Behandlung als nationale Minderheit durch eigenes Zutun, durch eigenes Verschulden verwirkt. Deshalb ist es nur verstaendlich, dass die tschechoslowakischen Behoerden und die Westmaechte das von den Sudetendeutschen getriebene Spiel falscher Staatsloyalitaeten als solches erkannten und dass sich die Tschechoslowakei mit den Mitteln, die einem souveraenen Nationalstaat zur Verfuegung stehen, dagegen zur Wehr setzte.
Scheil wendet sich auch gegen die damalige Bezichtigung der Sudetendeutschen als �Verraeter� und �Verbrecher�. Nun, ganz nuechtern betrachtet: wie sollte man Menschen nennen, denen die Zusammenfassung der Deutschen in einen einzigen Flaechenstaat oberstes Gebot und Ziel war, nicht der Fortbestand des Landes, dessen Staatsbuerger sie de facto waren? Menschen, die den Bestand des tschechoslowakischen Nationalstaates in Frage stellten, dann den Anschluss ihres Siedlungsgebietes ans Hitlerreich in ueberwiegender Mehrheit begruessten und schliesslich der expansionistischen und voelkervernichtenden Reichspolitik als Handlanger dienten?
Es leuchtet also ein, dass die Sudetendeutschen mehrheitlich das Recht als normale, in die tschechoslowakische Republik eingliederungsbereite nationale Minderheit in drei Stufen verwirkten: vor 1938, dann mit dem Anschluss ihres Siedlungsgebietes ans Deutsche Reich und schliesslich durch ihr bedenkenloses Zutun waehrend der NS-Besatzung. Es leuchtet ferner ein, dass das Minderheitenrecht, so wie es Scheil als pro-sudetendeutsches Argument einsetzt, aus den eben genannten historischen Umstaenden nicht zum Tragen kommen kann. In diesem Kontext gewinnen die juengsten Aeusserungen des tschechischen Ministerpraesidenten Zeman ueber den Verrat als Beweggrund der Vertreibung eine greifbare und verstaendliche Grundlage.
Scheil verbittet sich des weiteren , unter Verwendung quasi-juristischer Argumente, die Kausalkette zwischen NS-Verbrechen und den Benesch-Dekreten. Er verkennt dabei, dass nicht nur die intellektuelle Dimension, sondern auch die Geschichte ueber Ironie verfuegt. Es gilt naemlich im Fall der Sudetendeutschen die Ironie, dass auch sie, die sich als Angehoerige der Menschengruppe, die sich in arrogant-exklusivistisch-diskriminierender Absicht von allen anderen sprachlich definierten Gruppen (=Voelker oder Minderheiten) abkapselte, in ein fingiertes Herrenmenschentum gegen die slawischen Tschechen versteigerten, nun durch die Benesch-Dekrete und deren praktische Umsetzung genau den Kriterien und Gesichtspunkten unterworfen wurden, die sie jahrelang bedenken- und skrupellos, im fanatisierten Rechtschaffenheitsglauben ihres Deutschzentrismus Zigmillionen Europaeern als sogenannte �Neuordnung Europas� mit verbrecherischer Energie aufzwingen wollten. Es bewahrheitete sich nämlich der Spruch �Wer Wind saet, wird Sturm ernten�, in der Weise, dass die bisherigen Peiniger nicht mehr andere Voelker zum Opferaltar fuehren konnten, sondern nun selber die Rolle der Opfer auf sich nehmen mussten.
Dieser Vorzeichenwechsel von selbsteingebildeten,
ewigen Siegern in Besiegte und zur Disposition stehende Opfer, der fuer
die Sudetendeutschen und fuer alle aus den ehemaligen Ostgebieten Vertriebenen
gilt, dieser Entwicklung und Erkenntnis verweigert sich Scheil durchgaengig.
Auch dieser Aspekt seiner A- und antikontextualisierung haelt den historischen
Tatbestaenden nicht stand.
Vergleich auch: