Fragezeichen um Matthias Buth

 


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Ein recht weit geheckter Mantel

Zu Mathias Buth, Der weite Mantel Deutschland. Sprache und Identitaet, be.bra Verlag Berlin-Brandenburg, 2001.

Matthias Buth: Der weite Mantel Deutschland. Sprache und Identität. Berlin – Brandenburg: be.bra Verlag 2001. ISBN 3-930863-98-7, 182 S.

Mit der Titelgebung „Der weite Mantel Deutschland“ verbindet man wohl aufs erste einen Begriff des vereinigten Deutschland, das integrationsfähig ist und auch integriert. Darauf zielt der Verfasser wohl hin, der Kuratoriumsmitglied des Herder-Instituts Marburg und Ministerialdirektor beim Bundesbeauftragten für Kultur und Medien ist. Für die Beschaffenheit dieses „Mantel Deutschland“ steht außer den thematischen Schwerpunkten seiner Essays die Diskursmanier. Bereits der Untertitel, „Sprache und Identität“, verrät, in welcher Richtung sich der Verfasser bewegt. Zunächst fällt auf, dass Buth Topoi wie den Dreißigjährigen Krieg, den Zweiten Weltkrieg, die Naziverbrechen, die Verbrechen der Balkanvölker in den jüngsten Balkankriegen, Europa, Globalisierung etc. schemenhaft einsetzt. Den Verbrechen des 20. Jahrhunderts gelten Formulierungen wie „Entmenschlichung“, „Aufgabe der Zivilisation“ (S.43), „Menschenrecht der Vernunft und Humanität“ (S.44), „Absurdität der Geschichte“ (S.45); Buth schreibt ferner, dass „Die internationale Vernetzung der Sprach- und Ausdrucksformen und der europäische Kontext im besonderen [...] wichtiger (sind) als ein regionaler Patriotismus (S.70); auch formuliert er: „was wir im Osten verloren“ (S.71) oder „alte(n) Kulturlandschaften“ (S.75) Der Verfasser räumt der Verlustthematik einen breiten Raum ein, indem er „Identitätsverluste“ zur Sprache bringt (S.81) oder indem er bestreitet, dass „neue Zeiten“ wirklich neu sein können und dass Autoren keine Ideologen, nur „Diagnostiker“ sind (S.102). In kulturgeschichtlicher und ideologischer Hinsicht bemerkt Buth, die Deutschen seien bis 1945 „zu willigen Vollstreckern perverser Reinheitsideologien“ mutiert und nennt im gleichen Zug Benesch und dessen Reden aus dem Jahr 1946 (S.128-129). Auch bestreitet Buth im titelgebenden Essay Der weite Mantel Deutschland (1998), eine objektive Darstellung der Tatsachen sei möglich, weil die „Anschauung der Welt“ nur subjektiv sein kann (S.93).

Buth stellt sich in seinen Essays der heutigen Welt skeptisch-verneinend gegenüber. Schon in der Einleitung Deutschland, ein Mantel spricht er von der „verwirrend globale(n) Welt“ (S.13), in der man nur vermittels des „gelehrten“, des "geistigen" Deutschland Gewissheit und Orientierung finde. Weil „Deutschland“, „das Sprachland“, als „geistige(s) Gefilde auch in Königsberg, Breslau, Danzig, Prag, Czernowitz oder Hermannstadt“, „sowie in der Dichtung, Kunst und Philosophie“ zu finden sei (Ebenda). Dieses Deutschland sei laut Schillers Definition mit dem politischen Deutschland nicht kongruent (S.12). Damit möchte Buth seinen Essays und der Kulturarbeit, die er und seine Behörde in den ehemals von Deutschen besiedelten Gebieten Ost- und Südosteuropas veranstaltet, jede Spur des Politischen und/oder Ideologischen absprechen. Doch dieser gewagte Drahtseilakt scheitert an den Widersprüchlichkeiten und Inkonsequenzen, die seine Texte bevölkern. Trotz des Stellenwerts, den Buth der Poesie als Orientierungshilfe in der „digitale(n) Steppe unserer verkabelten und im Internet verdorrenden Welt“ (S.80) und als Mittel gegen die „Absurdität der Geschichte“ (S.45) einräumt, bleibt sein Befund über den Zustand der Poesie negativ. Dass die Poesie in einem Zustand der „Degradierung“ dahinvegetiert, sei der "sinn- und gehaltsentleerten" Welt zu verdanken, in der die Poesie zu „einem bloßen Instrument der Kritik“ verkommen sei (S.84-85). Der Schriftsteller der Zeitenwende, als welcher sich auch der dichtende Buth versteht, leidet unter Gram und Schmerz, „ausgelöst durch Verlust an innerer und äußerer Bindung, durch Orientierungslosigkeit, die in Verzweiflung mündet“ (S.125). Und die „Globalisierung“ löse Ängste in der Gegenwart aus, „die manchem die Zukunft verdunkeln und zu der Frage führt: Wo ist mein Standort, oder ist mein Ich überhaupt noch gefragt?“ (S.125).

Wie sehr politisch Buths Botschaft ist, erhellen Stellen wie: „Der 8. Mai 1945 bleibt der Tag einer bedingungslosen Kapitulation vor dem Krieg, vor dem Unrecht, vor dem Unvorstellbaren. [...] Der 8. Mai 1945 ist jedoch nicht die "Stunde Null". Die deutsche Kultur- und Identitätsgeschichte hat hier zwar einen Riss, sie ist jedoch nicht aufgehoben worden. Nur: die Frage nach der deutschen Identität, nach dem deutschen Vaterland, wird seitdem anders gestellt“ (S.74). Die Frage nach der „deutschen Identität“, nach dem „deutschen Vaterland“ bildet letztendlich das A und O der Buthschen Essays. Verfasser glaubt, für alle Deutschen sprechen zu dürfen, wenn er die Behauptung aufstellt: „Wir Deutsche fragen in den letzten vier Jahren [seit 1990] drängender nach unserem Vaterland, nach unseren Wurzeln, nach Herkunft und Kultur.“ (S.75). Nun ist die Frage berechtigt, welche Deutschen diese Frage und so stellten, wie das Buth vermittelt? Kaum die Deutschen, die sich längst damit abgefunden haben, dass die KZ-Namen ebenso zur deutschen Identität gehören, wie die von Schiller reklamierte unpolitische, oder die von Buth verkündete diagnostische Literatur. Es scheint Buth entgangen zu sein, dass ein Grossteil der Deutschen es vorzieht, auf ihre eigene, persönliche Art und Weise die "Selbst-Bewusstwerdung" ihres Deutschtums zu vollziehen, dass sie keiner Vorgaben, keiner Vorschreibungen, mit einem Wort, keiner Bevormundung in dieser Angelegenheit bedürfen.

Buth entgeht auch der Idealisierung und Mystifizierung vergangener "kultureller" Gegebenheiten nicht, wo die "deutsche" Welt noch "heil" war. Zentral ist die Gleichung, dass „Das Eigene und das Fremde“ zur „Identität“ führten. Daher rührt seine Ablehnung der „gelegentlichen“ Behauptung, „erst die aktuelle Globalisierungsdiskussion [1997] könne die Einsicht fördern, dass sich Kulturen eben nicht vornehmlich national definieren, [...] und sich als sogenannte Nationalkulturen nicht mit Überlegenheitsanspruch gegen andere ins Feld führen lassen.“ (S.128) Zwar sei „die Kulturgeschichte der Menschheit von Beginn an von Austausch geprägt, ja, darauf angewiesen“ gewesen, und „Weder die Kultur im engeren Sinne, also bildende Kunst, Musik und Literatur sowie die Wissenschaften, noch ein weiter Kulturbegriff enthalten eine vorwiegend nationale, also z.B. germanisch-deutsche oder slawisch-polnisch-tschechische etc. Determinierung“. Auch sei „der Begriff "national" [...], der als Klammer um Identitäten bemüht wird“ „schillernd“ (S.128) Damit ist die widersprüchliche und inkonsequente Art des Buthsschen Diskurses illustriert.

Getreu dem Untertitel „Sprache und Identität“ vermeint Verfasser in der "Sprache" das Allheilmittel zu erkennen, das „am ehesten geeignet (ist), Identifikationen auszulösen, vor allem in der Literatur.“ (S.95). Die deutsche Sprache ist es, aus der der „weite Mantel Deutschland“ gewebt ist. Ihr ist es ursächlich zu verdanken, dass beispielsweise Lenaus Dichtung „aus den besten Quartieren der deutschen Sprache (kommt), deren Mutterland definierbar ist“ (S.96f.) oder dass sich Deutschland in der Bukowina, „in dieser fernen-nahen Landschaft“ spiegelt (S.99), obzwar in der „Sprache der Mörder“. Bemerkenswert ist Buths sentenzenhafte Verkündung, die in Verbindung mit Rumänien fällt: „Wer Deutsch spricht und schreibt, bereitet den Boden für die Literatur.“ (S.101).

Die „Begriffsverliebtheit“ der Deutschen (S.149, 152) ist ein weiteres Steckenpferd Buths. Dabei entgeht ihm, dass auch sein Diskurs dieser Leidenschaft frönt. Denn er scheitert im Versuch, Begriffe wie Nation, national, Mitteleuropa, deutsch, ost- und südostdeutsch, Gemeinwesen, Identität, Kultur, Kulturlandschaft, Literatur, Sprache, Europa etc. neu zu bewerten, weil er sich alter, zum Teil ausgedienter und längst abgedankter Inhalte und Bezugspunkte bedient. Hier ist auch der auf den böhmischen Kontext geprägte Begriff der „Kultur des Leidens“ bzw. der „Leid-Kultur“ anzusiedeln (S.107-108). Diese in deutscher Sprache artikulierte Kulturform soll als Gegengewicht fungieren zur „Beschädigung, die der deutschen Sprache durch die Semantik der Nationalsozialisten zugefügt wurde, die noch lange nicht vernarbt sind“, wie „Entjudung“, „Rassenhygiene“, „Aussonderung“, „ausmerzen“, „Sonderbehandlung“, „Lebensraum“. Derartige recht sporadischen und kurzen Äußerungen wirken angesichts des deutschnationalen Understatement von Buth eher als Pflichtübung. Auch ist es recht problematisch, die so begründete Annäherungsweise an die geschichtlichen und kulturellen, auch sprachlich-literarischen Realitäten des Dritten Reiches als wertekonservativ einzustufen. Weil Buth an der Fiktion festhält, kulturelle Ansprüche auf Gebiete Ost- und Südosteuropas seien gerechtfertigt, soweit dort deutsch geschrieben wurde und auch heute noch geschrieben wird. Diese Töne erinnern an den "Recht auf Heimat" - Komplex der Vertriebenen- und landsmannschaftlichen Organisationen. Allerdings nuanciert Buth hin zum „Recht auf deutschsprachige und deutsche Kultur“. Daraus möchte der Kulturpolitiker auch das Vorrecht der ehemals deutsch besiedelten Gebiete ableiten, wenn nicht "volksmässig", dann wenigstens kulturmässig mit deutscher Sprache und deutscher Kultur berieselt zu werden. Dahinter ist der Versuch zu vermuten, die "ost-" und "südostdeutsche" Identität als Bestandteil der deutschen Identität als extraterritorialen Komplex zu legitimieren.

Und schließlich: Buth erkennt den Drang der mittel-, ost- und südosteuropäischen Völker zur politischen und kulturellen Selbständigkeit, spricht aber andererseits, wohl im Sinne des „weiten Mantel-Deutschland" den Tschechen das Recht ab, ihre Kulturgeschichte von der deutschen getrennt zu betrachten. Es entspräche nämlich der „Sprache der Wissenschaft“, sich „mit der Geschichte, der ganzen, ungeteilten Kulturgeschichte der Tschechen und Deutschen im Herzen Europas“ zu befassen (S.112 im Essay Jedes Glück heißt Böhmen [2000]). Ist das nicht eine unterschiedliche Gewichtung der deutschnationalen und der andersnationalen Komponente? Denn die „ungeteilte Kulturgeschichte der Tschechen und Deutschen im Herzen Europas“ bezeichnet keine übernationale, universal übergreifende Kultur, sondern ein Kulturgemenge, das die ungenannte Möglichkeit des deutschen Vorrangs in sich birgt. Warum sollte eine Zusammengehörigkeit, eine Unteilbarkeit beschworen und vorgegeben werden, wenn sie von der anderen, der tschechischen Seite, nicht oder nicht unbedingt erwünscht ist? Es sollte also nicht überraschen, wenn die Tschechen sich solchen Versuchen kultureller Bevormundung, verwehren.

Und, um beim Beispiel der Deutschen und Tschechen zu bleiben: ist es den Tschechen zu verargen, wenn ihr Parlament die Benesch-Dekrete vor etwa drei Monaten bekräftigte? Ist es verhältnismäßig, die deutschen Interessen, seien sie nun kulturpolitischer Natur, vorbehaltlos gelten zu lassen, auf der anderen Seite die andersnationalen Interessen als zweitrangig zu behandeln? Ist es angebracht, auf einer, auch kulturgeschichtlichen Unteilbarkeit, zu bestehen, weil das zwar im deutschen, aber nicht im fremdnationalen Interesse liegt?

Buths „weiter Mantel Deutschland“ vermag solche Fragen mit Allheilmitteln wie die deutsche Sprache und Kultur oder die „Sprache der Wissenschaft“ nur verdunkeln, nicht aber beantworten. Sein „Mantel Deutschland“ möchte zwar kulturpolitisch integrieren, zusammenführen, vereinen, erscheint jedoch unzweckmäßig wegen des Vorsprungs, wegen des unterschwelligen Vorzugs, den er dem deutschen Element vor andersnationalen Elementen einräumt, sei es aus Gründen der Identitätsstiftung oder aus anderen Gründen.


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Datei: Buth.html Erstellt: 07.08.2002 Geaendert: 29.07.2007 Alle Rechte, auch © Klaus Popa


 
 
 
 
 
 

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