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Was über Ralph Scotoni nicht geschrieben wurde

Über den Unternehmer und Filmemacher Ralph Scotoni wurde viel mehr geschrieben, als dass es seinem Leben eigentlich entsprechen würde. Sicher hatte er eine aufregende Zeit, doch hat er der Welt in keiner Weise seinen Stempel aufgedrückt, wie das für Berühmtheiten aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Show-Business der Fall ist. Woher kommt denn dieses überdurchschnittliche Interesse? Und beruht dieses auf Tatsachen?

Dabei handelt es sich bei diesem Aufsehen um keinen erfreulichen Anlass. Da er in den frühen 1930er Jahren in Berlin lebte und Geschäftsführer eines großen Filmkonzerns war, dichtet man ihm an, dass er Nationalsozialist war. Schon aus seiner Position heraus waren Kontakte zu den Nazis unvermeidlich. Das macht es natürlich jedem einfach, der daraus eine "schockierende Wahrheit" konstruieren will, was leider auch mehrfach geschehen ist.

Auf dieser Seite habe ich die mir bekannten publizierten Fehlgriffe zusammengetragen. Dies ist nötig, da im Internet inzwischen der geschriebene Unsinn wie ein Krebsgeschwür wuchert. Sogar auf Polnisch und Türkisch wurde das unterdessen übersetzt. Es ist chancenlos gegen diese entfesselte Gewalt etwas zu tun. Die Eigendynamik, die sich daraus entwickelt hat, kann nicht mehr kontrolliert werden.

Am schlimmsten finde ich die Rolle, die Wikipedia dabei spielt, da sich diese Organisation einen seriösen Anstrich gibt. Vergeblich habe ich dort interveniert. Es exisitiert keine Ombutsstelle an die man sich wenden kann, und eine Korrektur der Angaben ist nur mit dem Einverständnis des Artikeleröffners möglich, auch wenn dies abgestritten wird. In der Theorie mag es zwar stimmen, dass jeder dieselben Rechte hat, doch in der Praxis haben die Verfasser schlussendlich das letzte Wort und somit die absolute Macht. Wenn sich einer auf stur stellt (wie im Artikel zu Ralph Scotoni geschehen), kann er jeden Änderungsantrag abschmettern, und dagegen kann niemand etwas unternehmen.

Doch auch an anderen Orten wurde vieles geschrieben, das nicht den Tatsachen entspricht. Das Ziel dieser Seite besteht nun darin, all diese Ungereimtheiten aufzulisten. Dies bietet Historikern und jedem, der sich für den Schweizer Film interessiert, die Möglichkeit sich seine eigene Meinung zu bilden. Hoffentlich wird in Zukunft ausgewogen zu diesem Thema berichtet und nicht mehr so auf Sensationen um jeden Preis (auch um den der Wahrheit) gesetzt. Die eigentliche Sensation und unbequeme Wahrheit ist doch die, dass man lieber Tatsachen ausblendet, etwas Unwahres dazudichtet und falsche Schussfolgerungen zieht, die Aufsehen erregen, als sich ausgewogen an unsensationelle Fakten zu halten.

Bisher habe ich folgende Quellen unter die Lupe genommen. Wenn ich auf weiteres Material stoße, werde ich dies ergänzen.

  • Wikipedia und Martin Sauter
  • Kramer / Siegrist: Terra, Ein Schweizer Filmkonzern im Dritten Reich
  • Hanns-Georg Rodek: Führerreden am Wallis-Gletscher (ausstehend)
  • BAZ: Im Taktschritt in die Neue Zeit, Ein Schweizer Filmkonzern im Dritten Reich (ausstehend)

    Wikipedia und Martin Sauter

    Als erstes fällt bei Wikipedia auf, dass es sich um einen ganz mageren Artikel über Ralph Scotoni handelt. Siehe Artikel hier! Mit ganzen fünf Sätzen (nicht einmal 100 Wörtern) wurde sein ganzes Leben abgehandelt. Der erste Satz sagt etwas über die verwandtschaftlichen Beziehungen, der zweite über seine Position im Geschäft, der dritte beinhaltet den unheilvollen Nazivorwurf. Der vierte und fünfte Satz beziehen sich nicht einmal auf Ralph Scotoni selbst, sondern auf die Familie (von seinem Vater) und auf seinen Bruder Anton Eric. Was kann man von so etwas halten? Wie viel wurde da recherchiert? Die Antwort auf diese beiden Fragen lautet wohl: "Wenig bis gar nichts".

    Der Verfasser, Martin Sauter, hat es nicht einmal fertig gebracht das Geburtsdatum von Ralph Scotoni in Erfahrung zu bringen, geschweige denn hat er herausgefunden, dass Ralph gar nicht sein richtiger Name war, sondern nur ein Übername, den er sich selbst gegeben hat. Also, da wird bestenfalls an der Oberfläche etwas gekratzt! Das ganze lebt dann nur von dem Nazivorwurf, den Herr Sauter einmal in der Basler Zeitung gelesen hat. Das ist schon erstaunlich. Da sieht man einen Satz in einem Zeitungsartikel und macht daraus einen Wikipedia-Artikel, der auf diesem einzigen Satz beruht. Sorry, aber das ist nicht seriös!

    Dazu kommt noch eine definitive Unwahrheit im letzten Satz. Dort steht geschrieben: "Nach Ralph Scotonis Tod übernahm sein jüngerer Bruder Anton Eric Scotoni die Leitung des Familienunternehmens." Falsch! Als Ralph Scotoni starb, hatte dieser gar nicht die Leitung des Familienunternehmens inne (wie der Satz impliziert), sondern er war lediglich Geschäftsführer des Kinos Apollo. Somit konnte sein Bruder auch nicht die Leitung des Familienunternehmens von ihm übernehmen.

    Zu den Nazivorwürfen, die bei Wikipedia nachzulesen sind, kann noch gesagt werden, dass da nichts bewiesen ist. Weder, dass Ralph Scotoni Mitglied der NSDAP war, noch dass er mit den Nazis smypathisierte. Beim ersteren kann Herr Sauter auf eine Quelle verweisen (und sich somit bequem der Verantwortung dieser fehlerhaften Aussage entziehen) und beim zweiten hat er eine falsche Schlussfolgerung gezogen, die er (logischerweise) auch nicht belegen kann. Die bisher vollständigste Biographie über Ralph Scotoni erschien hier. Dort finden Sie auch die korrekten Aussagen zu den logischen Fehlern, die Herrn Sauter unterlaufen sind.

    Aber warum publiziert Herr Sauter so etwas rudimentäres. Das bringt wirklich niemandem, der sich informieren will, etwas. Bei Wikipedia hat er bisher 94 Artikel verfasst (Stand Mitte Juli 2011). Ich habe wahllos zehn davon herausgepickt, und siehe da, diese sind alle ähnlich nichtssagend abgefasst wie derjenige über Ralph Scotoni. Ich glaube, das muss ich nicht speziell kommentieren.

    Ich habe das direkte Gespräch mit Herrn Sauter gesucht. Ich habe ihn auf verschiedene Schwachstellen in seiner wie anderen Darstellungen hingewiesen. Er hat zwar gewisse Sympathien gezeigt: "Ich gehe mit Ihnen einig, dass der Wikipedia-Eintrag über Ralph Scotoni im Moment sehr unvollständig und dadurch zwangsläufig einseitig ist." und "Ich gehe im übrigen mit Ihnen einig, dass eine Mitgliedschaft und eine Gesinnung zwei verschiedene Dinge sein können. Es ist denkbar, dass Ihr Großvater nur im Geschäftsinteresse gehandelt hat." Doch er war trotz allem nicht bereit, irgendeine Aussage in seinem Artikel auch nur ansatzweise etwas abzuschwächen.

    Weiter hat er in einem seiner eMails gezeigt, dass seine eigene Argumentation in keiner Weise konsistent ist. Er schreibt: "Wenig schlüssig erscheint mir zudem Ihr Argument, dass die NSDAP-Mitgliedschaft gar nie bestanden habe, weil das entsprechende Dokument in einem Berliner Archiv liegt: Eine Mitgliedschaft in einer Organisation wird ja in der Regel nicht nur durch den Ausweis dokumentiert, den das Mitglied erhält, sondern auch in den Akten der Organisation vermerkt." Nur, eine Vermerkung in der Organisation ist nirgends dokumentiert, weder beim Artikel, den er als Quelle aufführt, noch in der Urquelle, dem von Thomas Kramer geschrieben Buch, und schon gar nicht in irgendeinem Archiv.

    Schlussendlich sagt Herr Sauter, er wäre bereit Änderungen zu erwägen, wenn ich Belege bringe. Doch diese muss ich liefern. Eigentlich kann man erwarten, dass jemand, der einen Artikel verfasst, zuerst sauber recherchiert. Ich finde, er macht es sich hier viel zu einfach. Ich sehe ihn in der Pflicht diese Ungereimtheiten auszuräumen. In unserem Rechtsstaat gilt zudem die Unschuldsvermutung. Anscheinend ist das für Wikipedia und seine Schreiberlinge nicht etwas, nach dem man sich richten muss.

    Thomas Kramer / Dominik Siegrist: Terra, Ein Schweizer Filmkonzern im Dritten Reich

    Im Grossen und Ganzen ist dieses Buch einigermaßen fair. Das größte Problem damit ist aber, dass man es eher aufmerksam lesen muss, um die Feinheiten zu erkennen. Wird darin nämlich nur oberflächlich herumgeblättert, kann man zu Schlussfolgerungen, die dort nirgendwo stehen und auch so nicht gemeint sind, kommen. Leider ist das aber allzu oft schon geschehen, wie die verschiedenen Artikel beweisen, die sich auf dieses Buch beziehen und dann im Schneeballeffekt durch Abschreiben und Hineininterpretieren weiterverbreiteten. Leider gehört der Artikel bei Wikipedia auch zu dieser Kategorie. Dennoch ist auch in diesem Buch nicht alles, was geschrieben steht, über jeden Verdacht erhaben!

    Die verhängnisvollste Aussage findet sich im Vorwort (oder der Einleitung) von Marcel Schwarz. Wortwörlich lässt sich nachlesen: "Ein solches Fakt fand Thomas Kramer wiederum in Berlin, diesmal im westlichen Teil, im Berliner Document Center, das die alten Archivbestände der NSDAP verwaltet: eine kleine blaue Karte, ausgestellt auf den Namen Ralph Scotoni, geboren am 18. 6. 1901 in Zürich, eingetreten am 1. 5. 1933, Mitgliedsnummer 3 020 443 - der Ausweis der NSDAP." Leider findet sich keine Fotokopie dieses Ausweises im Buch. Was mich interessieren würde, wäre: Sind alle notwendigen Stempel und Unterschriften vorhanden? Hat auch Ralph seinen Ausweis unterschrieben? Also, war dieser Ausweis überhaupt jemals rechtsgültig? Oder wurde ganz bewusst etwas verschwiegen und absichtlich keine Kopie abgebildet um diese Ungereimtheiten zu verschleiern? Darüber, warum sich dieser Ausweis überhaupt in einem Archiv und nicht im Familienbesitz befindet, habe ich mich an anderer Stelle schon befasst (hier).

    Aber auch sonst hat es in diesem Vorwort weitere Aussagen, die voreilige Schlüsse beinhalten, die dann im weiteren Teil des Buches so nicht gestützt werden. Konkret denke ich an den Satz: "Daraus lässt sich die Absicht erkennen, die mit der Produktion dieser Filme verbunden war: die Eroberung der Köpfe der Menschen." Es bleibt nun mal eine Tatsache, dass nur die von den Nazis gesponserten Filme Nazi-Propaganda enthielten. Die anderen Filme, und das war der überwiegende Teil, blieb frei davon!

    Ich glaube, Thomas Kramer sah Ralph Scotoni als eine Art tragische Figur, gefangen in verschiedenen Zwängen. Einerseits arbeitete er für seinen Vater Eugen Scotoni, den absoluten Familienpatriarchen, der keinen Widerspruch duldete, nur an Profit dachte und sich diesen auch mit unzimperlichen Methoden sicherte, andererseits lebte er in einer Diktatur, die wegen Bagatellen Menschen verschwinden ließ, folterte und ermordete. In so einem Umfeld sich zu behaupten war schier unmöglich, besonders wenn man zusätzlich mit den heutigen ethischen Standards misst. Eine Sympathie für die Nazis, auf jeden Fall, wird Ralph in diesem Buch nirgendwo unterstellt. (Dies ganz im Gegensatz zu den vielen anderen Artikeln, die zu diesem Thema schon geschrieben wurden, auch solche die sich auf dieses Buch beziehen.)

    Interessant ist weiter, dass da einiges, das geschrieben steht, nur Spekulation ist. Dies lässt sich aus den vielen vorsichtigen Formulierungen ableiten. Wenn Sätze im Konjunktiv geschrieben sind, wenn Wörter wie "hätte" und "sollte" stehen, so handelt es sich nicht um eine Tatsache, sondere um eine These, die der Autor aufgestellt hat. Solche Aussagen sind aber verheerend, denn in nachfolgenden Arbeiten wird nicht mehr differenziert. Leider ermangelt es später fast überall an wissenschaftlicher Genauigkeit, was zu diesem verzerrten Bild führt. Aber der Autor ist sich Aufmerksamkeit sicher. Es war schon immer medienwirksamer etwas Negatives, ja Ungeheuerliches zu berichten. Ob es sich dabei um die Wahrheit handelt, ist irrelevant. Hauptsache Sensation!

    Aber auch sonst steht im Buch manches, das beim oberflächlichen Lesen falsche Schlüsse zulässt. Beispielsweise hat der Regisseur Johannes Häussler die Erstfassung des Filmes "Blutendes Deutschland" früher und außerhalb der Terra gedreht. Man hat ihm wohl für seine abendfüllende Version, die dann viel weiter ging, freie Hand gelassen. Die Folgerung, dass Ralph Scotoni für den Inhalt zuständig war, ist somit zu hinterfragen. Aus heutiger Sicht war es sicherlich keine gute Idee, sich auf diese Art mit den Nazis einzulassen. Inwieweit das aber der rettende Strohhalm war, die Firma endlich aus den roten Zahlen zu bringen, dürfte eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben. Höchstwahrscheinlich kam der Befehl von Vater Eugen, der der eigentliche starke Mann in seinem Imperium war und schlussendlich alle Fäden gezogen hat. Skrupel kannte dieser auf jeden Fall nicht, schon gar nicht wenn es ums Geschäft ging.

    18.06.2011

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