23.01.2002

Süddeutsche Zeitung:

Haiders Pyrrhussieg

Viele Unterzeichner werden sich von der FPÖ betrogen fühlen, wenn Temelin nicht bald stillgelegt wird

Von Michael Frank

Ein Wortwechsel zwischen zwei Frauen illustriert die Stimmung, in der manche Österreicher das Volksbegehren gegen das Kernkraftwerk Temelin in Südböhmen und für ein Veto gegen den EU- Beitritt Tschechiens unterschrieben haben. Die eine, die im Mühlviertel direkt an der Grenze wohnt, beklagt die gefährliche Nähe des Atommeilers. Die andere, aus Linz, sagt darauf: „Seid froh, ihr lebt in der Todeszone. Wenn was passiert, habt ihr es wenigstens sofort hinter euch.“

Der Dialog zeigt die hysterische, manchmal panische Angst vor dem Projekt in der tschechischen Nachbarschaft. Welche Ziele die Initiatoren des Volksbegehrens von der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei (FPÖ) wirklich verfolgen, war vielen egal. Entscheidend war, dass es gegen die Atomkraft ging. Denn die Ablehnung der Nuklear-Energie ist in Österreich längst ein Stützpfeiler der nationalen Identität.

915 220 Stimmen – das scheint auf den ersten Blick ein gewaltiges Votum zu sein. Doch bedenkt man, dass Österreich sich als geschlossen atomfeindliche Nation begreift, und dass Temelin von der viel gelesenen Neuen Kronen Zeitung zur Überlebensfrage stilisiert wurde, ist es doch nicht so überwältigend. Banale Fragen wie der Bau eines Kongresszentrums haben in der Vergangenheit weit mehr Menschen mobilisiert.

Die Mehrheit der Österreicher, darunter eingefleischte Atomgegner, hielt vom Unterschreiben ab, dass die FPÖ feindselige Stimmungen gegenüber den Tschechen und der Erweiterung der EU kultivierte. Zumal vielen dämmerte, dass nach EU- Recht der Einspruch gegen den Beitritt Tschechiens die ganze Erweiterung blockieren würde. Mehr als die Hälfte aller Unterzeichner, die 15, 52 Prozent der österreichischen Wählerschaft repräsentieren, sind von Motivforschern als angestammte FPÖ-Wähler identifiziert worden. Dies zeige, dass das Votum kein nationales Anti-Atom-Fanal sei sondern eine Parteiveranstaltung. Eine verbale Schlacht zwischen dem Prager Premier Milos Zeman und dem Schatten-Chef der FPÖ, Jörg Haider, sorgte für weitere nationale Wallungen und noch mehr Unterschriften.

Allerdings unterstützten auch FPÖ-Gegner die Aktion: Da auch die Volkspartei von Kanzler Wolfgang Schüssel gegen das Begehren des Koalitionspartners agitiert hat, hofften eingefleischte Feinde der Regierungskoalition, mit ihrer Unterschrift die Partner zu entzweien und wünschten sich, die Koalition werde daran zerbrechen. Davon ist auch der ÖVP- Fraktionsvorsitzende im Nationalrat, Andreas Khol, überzeugt.

Doch anders als FPÖ und Kronen Zeitung es suggerierten, kann das Begehren den Betrieb der Temeliner Reaktoren nicht wirklich verhindern. Die Triumph-Fanfaren der FPÖ klingen denn auch seltsam verhalten: Die Vorsitzende, Susanne Riess- Passer, und auch Haider vermieden es zunächst, nach dem „grandiosen Sieg“ die Vetodrohung zu erneuern. Nur der zu Zwischentönen unfähige Fraktionschef Peter Westenthaler blies noch in dieses Horn. Nach der Kabinettssitzung am Dienstag ließ sich Riess-Passer nur mühsam das Wort „Veto“ entlocken.

Plötzlich scheint der Text des Volksbegehrens, wonach ein Eintritt Tschechiens in die EU nur erlaubt sein soll, wenn Temelin abgeschaltet wird, nicht mehr zu gelten. Vielmehr ist nun von einem „Ausstiegsszenario“ die Rede. Wenn Prag zeitlich fixierte Zusagen für die Schließung des Werkes mache, so die Riess- Passer, könne auf ein Veto als „letztes Mittel“ verzichtet werden.

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel zog der FPÖ am Dienstag klare Grenzen, nannte jedwede „sachfremde Vetopolitik“ unannehmbar und setzte das „faszinierende Friedensprojekt Europa“ dagegen. Offenbar hat die FPÖ mit solcher Konsequenz nicht gerechnet. Für den Fall, dass die ÖVP nach dem Begehren ihre Haltung nicht ändere, hatte Haider höchst selbst das Ende der Koalition prophezeit. Doch das scheint nun nicht mehr zu gelten. Das weitere Prozedere ist unklar, vermutlich wird es gar keines geben, wird man 900000 Stimmen als Konkursmasse einer verlogenen Kampagne ablegen. Bitter für alle ehrlichen Kernkraftgegner, die unterschrieben haben. Den Verschleiß an Gemeinsamkeiten in Wiens FPÖ/ÖVP- Koalition beschleunigt das sicherlich, auch wenn der Bruch für den Augenblick vermieden wurde.

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