Gorleben Rundschau Dec. 01

Pannen in deutschen AKW - Beispiele aus Philippsburg

Ein Einblick in die Reaktorsicherheit in Zeiten des "Anti-Terrorkriegs"

Von Heidi Lindstedt - Aktionsbündnis CASTOR-Widerstnad Neckarwestheim

Auch in Atomkraftwerken arbeiten Menschen. Und Menschen machen Fehler. Da diese Fehler in Atomanlagen aber verheerende Folgen haben können, kann das Risiko nur begrenzt werden, wenn alle Atomanlagen stillgelegt werden. Das ist eine der Hauptforderungen der Anti-Atom-Bewegung.

Wie berechtigt die Kritik an der Sicherheit der Atomkraftwerke bzw. am Faktor ‚Mensch' ist, zeigen die jüngsten Vorfälle im Kernkraftwerk Philippsburg (KKP).

In drei von vier Flutbehältern des Block II, die mit einem Gemisch aus Wasser und Bor gefüllt sind, hatten sich zwei Wochen lang fehlerhafte Borsäure-Konzentrationen befunden. Die Flutbehälter sollen als Teil des Not- und Nachkühlsystems eine Kernschmelze verhindern.

Bei der Analyse dieser Vorgänge wurde außerdem festgestellt, daß bei allen vier Flutbehältern der Füllstand zum Teil deutlich unter dem im Betriebshandbuch vorgegebenen Wert lag. Es stellte sich heraus, daß Block II des KKP nach der Jahresrevision im August wieder angefahren wurde, obwohl die Flutbehälter des Notkühlsystems noch nicht ausreichend gefüllt waren. Block II wurde deshalb am 8. Oktober abgeschaltet.

Ob dieser Pannen in die Enge getrieben, erklärt der Vorstandsvorsitzende der EnBW, Gerhard Goll, mit einer arroganten Unverfrorenheit, daß in Philippsburg seit 16 Jahren gegen die Vorschriften des Betriebshandbuchs verstoßen wurde indem nach jeder Jahresrevision der Reaktorblock wieder angefahren wurde, obwohl die vorgegebenen Füllstände nicht eingehalten wurden.

Am 24. Oktober 2001 kommt das Bundesumweltministerium in einer Presseerklärung zu folgender Bewertung: Diese Vorgänge offenbaren ein nicht zu verantwortendes Maß an fehlender Sicherheitskultur. Durch die Ereignisse in Philippsburg steht nicht nur das Sicherheitsmanagement der Betreiber auf dem Prüfstand, in der Diskussion sind zugleich die Effektivität der Prüfungen durch Gutachter und zuständiger Landesaufsichtsbehörde.

Hier wird deutlich, daß nicht die Pannen an sich, sondern der Umgang der ausführenden Arbeiter und der Prüfer mit auftretenden Fehlern das Problem ist. Die EnBW zieht Konsequenzen: der Technische Vorstand der EnBW Kraftwerke AG tritt zurück und der Leiter des betroffenen Blocks II wird suspendiert. Die Öffentlichkeit diskutiert zu Recht die Frage nach der Unabhängigkeit des TÜV, der die Pannen zunächst als "ein Ereignis von geringer sicherheitstechnischer Bedeutung" klassifiziert hatte. Die Reaktorsicherheitskommission RSK hingegen hatte die Störung auf der siebenstufigen Störfallskala der Internationalen Atomenergiebehörde (INES) in die Stufe 2 eingestuft, die einen «begrenzten Ausfall der gestaffelten Sicherheitsvorkehrungen» kennzeichnet.

Mitte November teilt der Betreiber mit, daß es eine weitere meldepflichtige Störung an einer Pumpe gegeben habe. Ein paar Tage später wurde im Reaktorwasser-Reinigungssystem ein undichtes Rückschlagventil entdeckt.

Jeder Tag, an dem der Reaktor KKP II still steht und keinen Strom produziert, kostet den Betreiber eine Million Mark. Seit der Abschaltung am 8. Oktober summieren sich die Zusatzkosten damit auf mehr als 45 Millionen Mark. Das tut weh - mal ganz abgesehen vom erlittenen Imageverlust! Wann der Atommeiler wieder ans Netz gehen kann, ist derzeit noch ungewiß. Immerhin müssen die Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betreibers ausgeräumt werden. Dazu muß der Betreiber EnBW praktische Konsequenzen aus den Vorfällen ziehen, wie z.B. technische Veränderungen oder Schulungen fürs Personal. Passiert das nicht, kann die Atomaufsicht zum letzten Mittel greifen: der Widerruf der Betriebsgenehmigung!

Übrigens sind die im AKW Philippsburg aufgetretenen "menschlichen Fehler" (Zitat G. Goll) keine Ausnahme, sondern die Regel: in den beiden baden-württembergischen, ebenfalls von der EnBW betriebenen AKW Neckarwestheim und Obrigheim, traten dieselben fehlerhaften Vorkommnisse auf.

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